Er ist das Gesicht der deutschen, digitalen Marketingwirtschaft. Mit den Online Marketing Rockstars (OMR) hat PHILIPP WESTERMEYER, eines der weltweit größten Festivals kreiert – auch, weil er es den Teilnehmern nett machen wollte.

club!: Herr Westermeyer, bei der Recherche zu OMR und Ihnen fiel auf, nur ein Eintrag bei Wikipedia. Was ist der Grund?
Philipp Westermeyer: Ganz genau weiß ich es auch nicht. Wir haben vor Jahren mal einen Eintrag für OMR und mich angelegt. Aber es gibt da ein Gremium oder eine Community, die sagt, wer darf und wer nicht. Am Ende hat es für OMR gereicht, aber für mich nicht. Ich werde damit klar kommen müssen.

OMR entstand als studentische Idee mit einem kleinen Teilnehmerkreis. Inzwischen kommen 72 000 Menschen. Wie kriegt man dieses Wachstum hin?
Das hat sich tatsächlich so ergeben. Mich haben um 2009 und 2010 herum Leute gefragt, wie geht das mit dem Online-Marketing? Also habe ich mit einem befreundeten Professor ein Wochenendseminar ins Leben gerufen und dort alles erklärt, was ich wusste, um nicht mit jedem Kaffee trinken und alles zweimal erzählen zu müssen.

Und danach waren die Leute so angefixt, dass daraus ein großes Festival wurde?
So schnell ging das natürlich nicht. Es gab Anfragen, sehen wir uns mal wieder? Oder wann folgt ein Aufbaukurs? Die Leute hatten während der Seminare nette Beziehungen zueinander aufgebaut.
Wir hatten natürlich nichts vorbereitet. Also planten wir für das Jahr darauf eine Art Wiedersehen mit Aufbaukurs. Da aber viele Bekannte und Freunde unter den Besuchern sein würden, war es uns wichtig, das nett und irgendwie cool zu gestalten. Mit Musik, einer ungewöhnlichen Location, gutem Essen und danach Party. Das kam gut an, viele Gäste posteten darüber, und so ging es weiter. Erst mit 200, dann das nächste Mal mit 600, 700 Leuten. Aber das Allerwichtigste war, unser Thema passte in die Zeit, weil das Interesse am Thema stark zugenommen hatte. Google oder Facebook waren damals kleine Firmen, heute sind es mit die wertvollsten Firmen der Welt. Auf dieser Welle sind wir natürlich mitgesurft.

Müssen Sie sich manchmal kneifen, was aus diesen ersten kleinen Anfängen geworden ist? Oder sind Sie der Typ für die Big Dreams?
Ich bin kein Träumer. Bei meinen vorherigen Gründungen habe ich immer eher vorsichtig gedacht. Also, wie gründe ich, damit ich absehen kann, damit auch Geld zu verdienen. Ich wollte keine Vision haben, die ich erst anderen Leuten erklären muss, damit sie bitte 100 MilIion Euro investieren, damit es funktioniert. Ich habe versucht, etwas Bodenständiges zu machen, etwas, das Hand und Fuß hat und Umsätze generiert, möglichst von Tag eins an. Ich hatte nie den Traum, dass aus einem Seminar einmal ein Event wird, bei dem in Pinneberg die Hotelpreise steigen.

Inzwischen schicken die größten Unternehmen der Weltihre Abgesandten nach Hamburg. Wie fühlt sich das an?
Ich freue mich natürlich darüber, wie es sich entwickelt hat. Vor allem, weil viel Leidenschaft darin steckt. Wir haben das Event von Beginn an auch wie eine Medienmarke gesehen. Alles, was wir tun, geschieht aus der Sicht der Teilnehmer. Wir kommen aus der Seminarwelt, sind deshalb vor allem besucher- und nicht firmenzentriert. Wir produzieren ganzjährig Inhalte zu unseren Themen.Ich bin glücklich, selber an Inhalten arbeiten zu können, Podcasts zu machen. Ich bin sehr dankbar für dieses Berufsleben.

Was unterscheidet OMR von anderen Messen?
Normale Messen finden ein paar Tage statt, meist gibt es noch ein Follow-up, aber dann ist alles vorbei. Wir bemühen uns, OMR ganzjährig jeden Tag zu bespielen. Mit Artikeln, Podcasts, Newslettern, Seminaren. Wir bespaßen quasi fortlaufend unsere Zielgruppe, die Community, und einmal im Jahr treffen wir uns live.

Ein Paradigmenwechsel …?
… den wir spielerisch gemacht haben, weil wir gemerkt haben, die Leute suchen nach OMR, auch außerhalb der Ticketverkaufszeiten. Wir haben bei Google gesehen, es gibt Suchvolumen, obwohl
die Konferenz längst vorbei ist. Also haben wir den ersten Redakteur ins Team geholt, der Artikel geschrieben hat.

Macht man so etwas leichter aus der finanziellen Sicherheit heraus, zwei Unternehmen verkauft zu haben?
Es waren eher kleine Firmen muss man sagen, und OMR war immer mein Hobby. Aber als wir die zweite Firma an Zalando verkauft hatten

…waren Sie ein gemachter Mann.
Es war ein Stück Sicherheit für mich, ja und eine wirtschaftliche Erleichterung, aber ich hatte nicht ausgesorgt.

Finanzielle Sicherheit macht frei?
Ja, das stimmt. Aber es war auch klar, ich arbeite weiter. Die Frage war nur, was mache ich? Also habe ich mich erst einmal intensiv, also Vollzeit, um OMR gekümmert. Das lag ja quasi herum.

War Selbstständigkeit etwas, was Sie sich immer schon vorgestellt haben? Sie haben Wirtschaftswissenschaften studiert, es folgte ein Abstecher nach New York, dann der Einstieg ganz oben beim Großkonzern Bertelsmann …
Meine Selbstständigkeit war nicht so zwingend angelegt wie bei anderen, wo die Eltern schon den Gewerbeschein für den 16-jährigen Sohn besorgt haben. Aber ich war immer schon einer, der gern gemacht hat, beispielsweise in der Schule die Abifeier organisieren, so was halt.

Als Assistent vom Chef hätten Sie auch eine Konzernkarriere machen können.
Ich hatte das Glück, gleich bei zwei Konzernen über die Schulter gucken zu können, also bei Bertelsmann und Gruner+Jahr. Mein Chef war in Personalunion für beide Firmen verantwortlich. Dieser
Überblick, den ich damals bekam, zeigte, dass es gerade in der Medienwelt, anders als beispielsweise in der Logistikbranche, eine reale Option ist, zu gründen. Die Markteintrittsbarrieren sind
niedriger.

Wie schwer war es in den vergangenen zwei Jahren, Corona zu überstehen? Gerade die Messewirtschaft hat sehr unter dem Begegnungsverbot gelitten.
Auch wir hatten anfangs ein paar Befürchtungen. Aber es war klar, dass wir gemeinsam, ohne Leute entlassen zu müssen, durch diese schwierige Zeit kommen wollten. Das haben wir geschafft, durch Kurzarbeit, aber auch, indem wir den Betrieb des Corona-Impfzentrums in den Messehallen übernehmen durften. Das bedeutete Arbeit für unsere Leute. Am Ende sind wir in dieser Zeit sogar personell gewachsen.

Sie betreiben einen Podcast, befragen Politiker, Wirtschaftsbosse aber auch Sportstars wie Alexander Zverev…
Ich hatte ein Vorbild in den USA. Bill Simmons, ein Sportjournalist, macht den wohl bekanntesten und erfolgreichsten Sport-Podcast in den Staaten. Ich wollte selbst mal Sportreporter werden, deshalb habe ich früh reingehört und war sofort angefixt.

Was haben Sie sich abgeguckt?
Simmons diskutiert mit sogenannten Stammgästen über seine Themen. Stammgäste sind alte Studienfreunde. Entsprechend habe ich auch bei uns Stammgäste eingeführt. Auch den speziellen
Sound oder die Art zu sprechen beim Einsprechen von Werbebotschaften habe ich von ihm übernommen.

Angesichts des Erfolges, fragen andere Messebetreiber nach, wie Sie das schaffen? Beispielsweise Bernd Aufderheide von der Hamburg Messe?
Ich möchte und kann da keine Ratschläge erteilen. Gerade mit Bernd und seinen Leuten haben wir inzwischen ein enges, vertrauensvolles Verhältnis. In unseren Anfängen hat uns die Expertise der Hamburger Messegesellschaft sehr geholfen. Und wenn ich Bernd heute frage, glaubst du, das oder das funktioniert so? Und er antwortet, lass‘ es lieber, dann höre ich auf ihn. Aber man kann
die Hamburg Messe mit OMR auch nicht wirklich vergleichen.

Warum nicht?
Ihnen gehören beispielsweise die Hallen. Das heißt, sie müssen dafür sorgen, sie möglichst oft zu bespielen. Wir mieten einmal im Jahr. Das ist viel einfacher.

Dennoch hat Bernd Aufderheide gesagt, Messebetreiber müssen mutiger werden.
Das sehe ich auch so. Und vielleicht können sie sich das ein oder andere von uns abgucken. Aber auch wir müssen uns weiterentwickeln.

Mit Ihnen weiterhin als dem Gesicht und der Marke an der Spitze? Sie sind 43 Jahre alt und Familienvater. Passt das noch zum Bild eines digitalen Startup-Gründers?
Noch profitiere ich von meinem Image als Berufsjugendlicher. Aber im Ernst, meine Bestrebungen gehen schon dahin, mich als Marke und Gesicht von OMR abzukoppeln. Diversität ist gut für ein Unternehmen, deshalb ist der Plan, andere Teammitglieder künftig mehr in den Fokus zu rücken. Ich muss dann auch nicht mehr die neuesten Sneakers tragen.

Sondern?
Eher im Hintergrund am Unternehmen zu arbeiten, vielleicht weiterhin Podcasts machen, Dokus drehen. Aber vor allem das Team zu entwickeln und andere ,Gesichter’ zu finden. Wie gesagt, ein
Berufsleben ganz ohne OMR ist für mich schwer vorstellbar.

 

Gespräch: Martina Goy  Fotos: Fabian Vuksic