Interview mit dem Innovationsforscher PROF. TIM SCHWEISFURTH über gute und schlechte Ideen, innovatives Wohlfühlklima in Unternehmen und wie man Mitarbeiter motiviert, kreativ zu werden.

Scheinbar einfache und doch schwierige Frage am Anfang: Wie entstehen Innovationen?
PROF. TIM SCHWEISFURTH: Innovationen entstehen aus einem Zusammenspiel zwischen technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren. Und schon da wird es spannend. Denn nur wenn diese drei Faktoren zusammen passen, kann eine Idee, wenn sie gut ist, umgesetzt werden.

Wann ist eine Idee denn so gut, dass aus ihr eine Innovation entstehen kann?
SCHWEISFURTH: Eine Idee ist gut, wenn sie drei Kriterien erfüllt: wenn sie erstens einen hohen Neuigkeitsfaktor hat, zweitens einen hohen Nutzen, und drittens, wenn sie umsetzbar ist, insbesondere aus Firmensicht.

Können Sie den Prozess von der Idee zum Produkt beschreiben. Oder anders: Wie passiert Fortschritt?
SCHWEISFURTH: Heutzutage deutlich anders als früher. In der Vergangenheit fand Innovation meistens in Laboren statt: Bell Labs, Menlo Park, Xerox Parc – große Forschungsabteilungen von großen Konzernen. Das Prinzip: Wenige Leute waren dafür zuständig, Innovationen zu generieren, und wenige Leute waren dafür zuständig zu entscheiden, was gute Ideen waren. Das hat sich geändert, weil Innovationsprozesse heute dezentraler geworden sind. Nicht nur der eine Experte innerhalb einer Organisation darf Ideen einbringen, sondern jeder und jede. Genauso ist es im Auswahlprozess. Auch da werden heute viel mehr Stakeholder integriert.

Wie baut man Innovationskultur auf?
SCHWEISFURTH: Das Wichtigste ist, dass sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in ihren Innovationsaktivitäten wertgeschätzt fühlen und dass sie wissen, dass sie keine Konsequenzen zu befürchten haben, wenn sie scheitern.

Können sich Innovationen also auch gut an der Basis einer Belegschaft entwickeln?
SCHWEISFURTH: Natürlich. Viele gute Ideen werden an der Basis entwickelt. Es gibt ja diese wunderbare Geschichte des Kartoffelchip-Herstellers Lay’s, wo der Hausmeister die Idee für einen besonders würzigen Chip hatte, der zum Verkaufsschlager wurde. Wenn man vom klassischen Innovationsprozess ausgeht, hätte Lay’s diese Idee gar nicht bemerkt. Als Unternehmen tut man also gut daran, Möglichkeiten für alle zu schaffen, am Innovationsprozess teilzuhaben.

Wie schafft man ein innovatives Wohlfühlklima?
SCHWEISFURTH: Durch Struktur, Prozesse und Incentives. Klassischerweise wird Innovation ja bezahlt oder zumindest symbolisch belohnt. Wir haben in einem Experiment herausgefunden, dass es für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den größten Einfluss hat, wenn sie an der Umsetzung ihrer Idee aktiv beteiligt werden, sie eine Art Ownership für das Projekt erhalten. Teilhabe durch Beteiligung. Ein anderes Beispiel für eine Stellschraube sind Freiräume.

Zum Beispiel?
SCHWEISFURTH: Wir haben eine Studie in einem Mobilitätsunternehmen durchgeführt. Durch Zufall fielen dort eines Tages Produktionsstraßen aus, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurden nach Hause geschickt und hatten eine gewisse Zeit frei. Bei ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz konnten wir sehen, dass die spontane Freizeit einen hohen Effekt auf ihre Kreativität hatte. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, deren Produktionsstraßen ausgefallen waren, hatten 50 Prozent mehr Ideen als die, die weiter gearbeitet hatten. Und die Ideen waren auch besser. Die Erkenntnis: Spontane Freiräume führen dazu, dass Leute sehr kreativ und sehr innovativ werden.

Gibt es eine Faustformel, von der man sagen kann: wenn man sie anwendet, passiert Innovation automatisch?
SCHWEISFURTH: Nein. Kann sein, dass ein Weg für eine Innovation erfolgreich ist. Für andere Ideen jedoch ist der Weg nicht erfolgreich – aber wir sehen sie ja nicht, weil sie schon sehr früh im Selektionsprozess verworfen wurden. Manchmal ist es auch der Zeitpunkt, der dazu führt, dass eine Idee zunächst abgelehnt, aber später doch noch erfolgreich umgesetzt wird. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In den Laboren des Bayer-Konzerns wurde Ende des 19. Jahrhundert ein neues Schmerzmittel gesucht, um Morphin zu ersetzen. Es wurde viel daran geforscht, und irgendwann wurden Aspirin und Heroin als vielversprechende, künftige Painkiller synthetisiert. Aus heutiger Sicht, kurioserweise, wurde entschieden, alle Kräfte aufs Heroin zu setzen und Aspirin zunächst nicht mal in die nächste Testphase zu bringen.

Klassischer Fall von „aufs falsche Pferde gesetzt“?
SCHWEISFURTH: Sie haben natürlich schnell gemerkt, dass Heroin nicht die Lösung war, und dass Aspirin, was zunächst aus der Pipeline geworfen wurde, genau das macht, was man wollte – nämlich Schmerzen bekämpfen. Das zeigt: Manchmal ist Innovation auch Erkenntnis im Nachhinein, wo man erst hinterher sieht, was eine erfolgreiche und was keine erfolgreiche Innovation ist.

Welche Rolle spielt dabei der Zufall?
SCHWEISFURTH: Der Zufall ist ein Riesenfaktor! Ein Innovationprozess beginnt ja wie ein Trichter. Wir geben viele verschiedene Ideen hinein. Und wenn wir früh eine falsche Entscheidung treffen, wissen wir gar nicht, ob vielleicht die, die wir verworfen haben, die Königsidee gewesen wäre. Wenn man sich die Entstehung von Innovationen in der Geschichte anguckt, sieht man viele Zufälle. Penizillin beispielsweise wurde auch zufällig erfunden. Der Arzt Alexander Fleming entdeckte das Wundermittel in benutzten Petrischalen, die nicht rechtzeitig entsorgt worden waren. Der Zufall spielt also eine Riesenrolle. Aber man muss ihm auf die Sprünge helfen.

Ist das die Aufgabe von Innovationsmanagement – dem Zufall auf die Sprünge helfen?
SCHWEISFURTH: Die Aufgabe ist, die Unsicherheiten, die in einem Innovationsprozess stecken, planbar zu machen. Dem Zufall auf die Sprünge zu helfen, gehört dazu. Um Innovationen zu produzieren, muss man Wissensarten kombinieren. Das passiert, ganz einfach, indem man sich mit anderen Leuten austauscht, gern auch zufällig. Es ist das, was wir früher in der Teeküche gemacht haben. Heute muss man das Prinzip Teeküche durch andere Formate imitieren, weil die Leute viel dezentraler arbeiten als früher. Wir müssen gewissermaßen virtuelle Teeküchen schaffen. Eine Möglichkeit dazu ist etwa ein so genanntes Lunch Roulette, bei dem man Menschen zum Essen einlädt und sie zufällig an verschiedenen Tischen platziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf diese Weise etwas Neues entsteht, wird um fast 100 Prozent erhöht. Der Effekt ist also wahnsinnig groß.

Wie wichtig ist die Zusammenstellung der Teams für Innovation?
SCHWEISFURTH: Im Großen und Ganzen ist Diversität gut für Ideen. Wenn viele verschiedene Perspektiven einfließen, führt das zu kreativen Prozessen.

Welcher Typ Mensch ist am innovationfreudigsten?
SCHWEISFURTH: Es gibt zwei Typen der Kreativität. Einmal den Typus, der sehr flexibel ist in der Kommunikation, schnelle Ideen hat und diese mit anderen Gedanken verknüpft. Dann den anderen Typus, der erst durch tiefe Durchleuchtung von Themen Kreativität entwickelt. Das eine ist eine breite Kreativität, das andere tiefe Kreativität. Aber fast immer ist Kreativität domänenabhängig. Es gibt Menschen, die können ungeheuer kreativ sein, wenn es darum geht, am Wochenende an ihrem Segelboot zu schrauben. Dann gibt es Leute, die unglaublich kreativ sind, wenn es darum geht, einen Code zu schreiben.

Und wenn ich mich gar nicht kreativ finde, kann ich das dennoch lernen?
SCHWEISFURTH: Im Prinzip kann jeder innovativ sein. Es steckt in jedem Menschen. Wenn man auf das richtige Feld trifft, ist man automatisch kreativ, es entsteht eine intrinsische Motivation. Ich würde Zweifelnden also sagen: Wahrscheinlich hast Du noch nicht das richtige Feld gefunden. Sprich mit vielen unterschiedlichen Menschen, um den Zufall zu verstärken.

Schlussfrage: Ist Deutschland ein innovatives Land?
SCHWEISFURTH: Es gibt keinen Grund zu glauben, dass wir Deutschen weniger kreativ sind als andere. Was es allerdings gibt, sind riesige bürokratische Barrieren und fehlende Digitalisierung. Das ist ein Problem. Für viele Arten von Innovationsprozessen braucht man Zugang zu großen Datenmengen, und den haben wir in Deutschland nicht. Das hält uns zurück und ist frustrierend.

Gespräch: Andreas Eckhoff  Fotos: PRIVAT