LOTTO KING KARL wurde am 4. Februar 1967 als Gerrit Heesemann in Barmbek geboren. 1995 begann seine Karriere als Rockmusiker. Ein Jahr später veröffentlichte er mit seinen Barmbek Dreamboys das ersteAlbum. Am liebsten singt er über Fußball, Reeperbahn und Elbe. Sein bekanntester Song ist „Hamburg, meine Perle“, die er vor jedem Spiel live im Stadion singt. Seit acht Jahren ist Lotto King Karl in der Imtech-Arena dabei. Mit seinem Label Northcoast Records gibt Lotto auch jungen Musikern die Chance, Alben aufzunehmen.

LOTTO KING KARL ist mit ganzem Herzen Hamburger. Im Gespräch erzählt er über die Rockszene der Stadt, erste Versuche als Songschreiber und „Hamburg, meine Perle“.

club!: Lotto, Sie sind Hamburger und kennen die Musikszene der Stadt. ist Hamburg eine Stadt, die rockt?
Lotto King Karl: Absolut. Hamburg hat eine vitale und traditionsreiche Szene. Es gibt hier sehr gute Musikclubs und natürlich hat die Stadt einen riesigen Standortvorteil mit der Reeperbahn und dem Kiez. Ich habe es immer so empfunden, dass Hamburg rockt.

club!: Es gab die Beatles, den Starclub und vieles mehr in den 60er Jahren. wie würden Sie die Musikszene der Stadt heute einordnen?
Lotto: Grundsätzlich besteht die deutsche Musikszene aus zwei Welten. Es gibt die Medienwelt und die Musikwelt. Zur Medienwelt gehören die Castingshows und all diese TV-Geschichten. Das ist eine Scheinwelt, von der niemand leben kann. Aber es gibt eine Menge Bands und Künstler, die von der Musik leben, genauso wie wir. Das macht die Stärke von Hamburg aus.

club!: Ist es schwierig, sich in einer Stadt wie Hamburg als Musiker zu etablieren?
Lotto: Auf jeden Fall. Hamburg ist in Deutschland Champions League. Wir haben unsere Laufbahn im Knust begonnen, danach ging es ins Logo, in die Große Freiheit und dann weiter nach draußen. Das ist eine gute Sozialisation und perfekte Übung. So soll es sein. Es hat ja nichts mit Musik zu tun, wenn junge Leute im Fernsehen auf eine Riesenbühne gestellt werden und versuchen, eine Strophe und einen Refrain zu singen, die sie weder geschrieben haben noch deren Text sie verstehen. Das ist Entertainment für irgendeinen Zweck. Für das, was wir erlebt haben, sind Clubs nötig und natürlich die Fans.

club!: Hat man es als Musiker aus einer Großstadt leichter oder ist es egal, ob man aus Bremerhaven, Oldenburg oder Hamburg kommt?
Lotto: Wenn man in eine große Stadt will, weil dort viele Musikclubs sind, dann bleiben in Deutschland nicht viele Möglichkeiten. Das liegt daran, dass es nicht viele große Städte gibt. Außerdem gibt es unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. In Berlin ist es schwierig, weil man dort nicht so einfach Promotion für etwas machen kann. Du hast das Gefühl, wenn Du dort die rechte Seite des Bauzauns fertig plakatiert hast, dann klebt auf der linken Seite schon ein anderer etwas über dein Plakat. Nicht weil die Leute boshaft sind, sondern weil dort unheimlich viel passiert. Auch im Ruhrgebiet ist es nicht einfach, weil es ein riesiges Ballungszentrum ist. In München gibt es nicht so viele Clubs. Aber das Problem, das Musiker haben, ist die Möglichkeit, in verschieden großen Locations zu spielen und dadurch zu wachsen. Dafür braucht man entweder ein Auto oder eben eine große Stadt wie Hamburg. Unterm Strich ist es egal, ob man in sechs Dörfer, drei Kleinstädte, zwei größere oder in eine richtig große Stadt geht.

club!: Sie haben gesagt, Hamburg ist für Musiker die Champions League. Was bedeutet das für einen Künstler?
Lotto: Hamburg ist die zweitgrößte Stadt Deutschlands und ich halte sie kulturell für die am meisten gewachsene und wichtigste Stadt. Berlin ist eine Medienstadt. Aber dort ist ganz viel künstlich hineingepumpt worden. Ich denke, viele Hamburger werden ihre Jugend mit Liveclubs in Verbindung bringen und das wird in anderen Städten nicht zwingend ein so hoher Prozentsatz tun. In den frühen 80er Jahren kam zum Beispiel aus Düsseldorf sehr innovative Musik. Kraftwerk war damals ganz weit vorn. Die Toten Hosen waren die Wiege der deutschen Punkszene. Es gab die Musik-Achse Düsseldorf – Hamburg – Berlin. Hamburg war immer mit dabei.

club!: Apropos Tote Hosen: Die Band schließt ein bisschen zu Ihnen auf mit ihrem Stadionsong für die Fortuna, oder?
Lotto: Die Toten Hosen sind eine überragende Band. Mit denen messen wir uns auch nicht. Ganz ehrlich, man schreibt auch keinen Song, damit er eine Stadionhymne wird. Man versucht, einen guten Song zu schreiben. Und es fällt einem natürlich während des Komponierens auf, dass er vielleicht auch einen gewissen Zweck erfüllt. Wir haben einmal den Song „Laut“ gemacht. Das war eine Hommage an unseren Auftritt beim Heavy Metal Festival in Wacken, wo man uns ziemlich skeptisch begrüßt, aber sehr freundlich verabschiedet hat. Nicht, weil die Leute froh waren, dass es endlich vorbei war, sondern weil wir sie überzeugt haben. Da weiß man beim Schreiben sofort, dass man diesen Song niemals in einem Fußballstadion hören wird.

club!: War „Hamburg, meine Perle“ schon beim Schreiben ein Stadionsong?
Lotto: Nein, das ist später passiert. Ich glaube, den Song gab es bereits vier oder fünf Jahre, als sich das erste Mal etwas in der Richtung regte. Irgendwie ist der Song von den Fans im Stadion installiert worden.

club!: Also weiß man vorher nicht, dass man einen Stadionsong geschrieben hat?
Lotto: So komplett auf Sicherheit zu gehen und zu sagen, das ist jetzt eine Fanhymne, das kann man nicht machen. Aber mit einem Song im deutschen Profifußball zu landen, der mit den Ligen in England, Italien, Frankreich und Spanien die wichtigste Marke auf der Welt bildet, ist kein schlechtes Gefühl.

club!: Wie wird man zum Songschreiber?
Lotto: Ich bin zufällig zur Musik gekommen und hatte irgendwann die Möglichkeit, ein Album zu machen. Ich hatte keine Ahnung davon und musste anfangen, mich mit der Masse der Lieder auf einem Album auseinanderzusetzen. Mittlerweile haben wir 13 Alben gemacht, und ich habe mich ein bisschen daran gewöhnt. Heute arbeiten wir, wie das eine richtige Band auch tun sollte.

club!: Wie schreiben Sie denn ihre Songs? Auf der Sonnenliege auf Mallorca oder am Schreibtisch wie ein Beamter?
Lotto: Wir haben alles gemacht. Es gab Lieder, die ich irgendwo in einer Viertelstunde geschrieben habe. Es gab aber auch Songs, bei denen ich gesagt habe, ich finde die Musik super und ich rufe in drei Monaten an, wenn mir vielleicht ein Text dazu eingefallen ist.

club!: Texte schreiben kann ganz schön anstrengend sein. wo fühlen Sie sich denn dabei am wohlsten?
Lotto: Ich schreibe gern am Computer. Es hat den Vorteil, dass man merkt, ob eine Zeile besser für diese oder eine andere Strophe passt. Ich mag es auch, wenn man sieht, wie ein Text wächst. Es kommt auch immer wieder vor, dass Leute uns komplette Songs anbieten. Aber natürlich ist es so, dass über 13 Jahre hinweg aus einer Hand voll Leuten ein Team entstanden ist, die die Songs immer mitschreibt. Und die den roten Faden zusammenhalten, der da heißt: Die Barmbek Dream Boys. Das ist eine Band mit vielen Leuten, die individuell dazu beitragen, dass ein Album so klingt, wie es klingt.

club!: Spielen Bands heute mehr Konzerte, um von der Musik leben zu können?
Lotto: Das glauben immer alle. Tatsächlich ist das nicht der Fall. Man kann gar nicht mehr so häufig spielen, weil sich viele Clubs selbst in einer schwierigen Lage befinden. Früher habe ich im Jahr sieben, oder achtmal häufiger gespielt als heute.

club!: Viele meinen, das Spielen auf der Bühne ist das Beste für einen Musiker.
Lotto: Vor Publikum zu spielen ist das, wofür wir letztendlich alles machen. Man durchläuft mit jedem Stück verschiedene Phasen. Man nimmt sie auf. Und dann kommt der Moment, in dem man die Stücke live aufführt. Das ist immer wieder spannend. Wir spielen neue Songs, von denen wir glauben, dass sie die Eckpfeiler eines Albums werden könnten, ein paar Mal live. Aus den Reaktionen der Fans sehen wir, ob das gelungen ist, was wir wollten. Es ist ein erstes vorsichtiges Herantasten an neue Songs.

club!: Sie singen vor jedem Heimspiel des HSV ihren Fußball- Klassiker „Hamburg, meine Perle“ live im Stadion. Welche rolle spielt der Fußball in ihrem Leben?
Lotto: Er ist meine Leidenschaft. Ich bin ein verbissener Fußball- und totaler HSV-Fan.

club!: Sind Sie so extrem wie der Arsenal-Fan und Buchautor nick Hornby, der sagt, seinen Verein könne man sich ja nicht aussuchen. Das Verhältnis zu einem Club sei in etwa vergleichbar wie das zu Mutter und Vater?
Lotto: Recht hat er. Ich gehe mit dem Verein abends schlafen und wache morgens mit ihm wieder auf. Und daran kann ich nichts ändern.

club!: Dann erübrigt sich vielleicht die Frage, ob Sie richtig tief mitleiden, wenn ihr HSV erfolglos spielt?
Lotto: Allerdings. Ich leide ja sogar doppelt. Denn was mache ich, wenn die Saison in die Hose geht? Nicht in dem Sinne natürlich, dass ich womöglich darüber nachdenken würde aufzuhören oder so, sondern: Was sage ich den Leuten dann? Ich muss in einem gewissen Maß meine Emotionen im Griff haben.

club!: Und jetzt ist der größte Fan Stadionsprecher beim HSV. wie haben Sie das geschafft?
Lotto: Als ich bei Radio Hamburg (war Medienpartner des HSV, die Red.) gearbeitet habe, hat sich das einfach so ergeben. Nachdem der NDR wieder Medienpartner wurde, sind wir dabei geblieben. Und jetzt sind wir schon im achten Jahr dabei.

club!: Hat sich in der Zeit das Verhältnis zum Publikum verändert?
Lotto: Es ändert sich eigentlich alle zwei Wochen, weil beim Spiel immer eine andere Situation entsteht. Man merkt aber, dass man insgesamt durch die sportliche Situation, die in letzter Zeit sehr angespannt war, zusammengewachsen ist. Ansonsten habe ich keine große Veränderung wahrgenommen. Natürlich kennen die Jungen und Mädel im Norden den Song „Hamburg, meine Perle“, und es verändert sich dahingehend, dass man gemeinsam sich selbst repräsentiert. Es ist schon ein toller Moment, oben auf der Hebebühne vor den Fans zu stehen.

club!: Künstler wie Marius Müller-Westernhagen verlassen Hamburg und gehen nach Berlin. Udo Lindenberg droht immer wieder einmal mit seinem Abgang. Könnten auch Sie sich vorstellen, ihre Heimatstadt irgendwann zu verlassen?
Lotto: Nein. Für mich ist es unmöglich, dass ich keinen Wohnsitz in Hamburg habe oder wegziehe. Das ist hier meine Heimat und für mich unumstößlich. Bei Westernhagen finde ich es aber nicht schlimm, der ist ja sowieso Düsseldorfer. Ich habe nur seine Begründung nicht verstanden. Zuerst hat er ein Album in New York aufgenommen, weil da die Kreativität über allem stehen soll. Und dann ist er nach Berlin gezogen, weil es dort angeblich noch kreativer sein soll. Ehrlich, das ist doch wohl dummes Zeug. Dass Berlin kreativer und lebendiger sein soll als New York, ist ein Witz.

club!: Aber Udo Lindenberg hat jahrzehntelang das Atlantic Hotel als seine Heimat gepriesen.
Lotto: Bei Udo würde ich sagen, dass er mit dem Herzen nie so weit nach Berlin gezogen ist, wie es in einigen Zeitungen stand. Ich glaube, Udo ist Hamburger und bleibt es auch.

club!: Vielleicht will Lindenberg nur Druck machen, damit er endlich sein Museum in der Stadt bekommt?
Lotto: Letztendlich ist Udo ein Künstler, der bei einer Plattenfirma unter Vertrag ist, die in Berlin sitzt. Deswegen macht es vielleicht ja auch Sinn, dort eine Wohnung zu haben. Bei mir ist es anders. Ich habe mein eigenes Label und bin für die größeren Plattenfirmen quasi arbeitslos. Insofern kann ich auch wohnen, wo ich will.

club!: Sie sind „arbeitslos“? Das ist ein Witz. In Wahrheit sind Sie einer der erfolgreichsten Musiker Deutschlands.
Lotto: Aber wenn es nach „Wetten, dass …“ oder anderen Fernsehsendungen geht, gibt es Lotto King Karl und die Barmbek Dream Boys überhaupt nicht. Richtig ist aber, dass wir regelmäßig in einem knallvollen Stadtpark auftreten, wo es von der ersten bis zur letzten Sekunde richtig abgeht. Jetzt ist die Frage: Ist „Wetten, dass …“ die wahre Kultur und wir sind die Gegenkultur? Oder sind wir vielleicht die wahre Kultur? Schon lustig, oder? Aber dafür geht es uns ganz gut.

club!: Kommen junge Musiker zu ihnen, um sich Tipps zu holen?
Lotto: Klar. Aber die kommen in erster Linie auch zu uns, weil sie einen Plattenvertrag haben wollen. Und da muss ich ehrlich sagen: Von denen, bei denen wir am Anfang glauben, dass sie vielleicht gut sind und erfolgreich werden könnten, scheiden 60 Prozent nach drei oder vier Gesprächen aus.

club!: Warum?
Lotto: Weil immer alle gleich das große Geld wollen. Wenn ich ihnen dann sage, was wirklich machbar ist, heißt es gleich: Ihr glaubt wohl nicht an uns. In Wahrheit ist es umgekehrt. Diese Bands halten es nicht für möglich, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Aber wenn die schon nicht daran glauben, warum soll ich es dann tun?