Zu hoch darf er nicht sein, sonst werden Kunden verschreckt. Zu niedrig aber auch nicht – sonst leidet die Profitabilität. Den richtigen Preis für Produkte und Dienstleistungen zu finden, ist gar nicht so einfach. Über die hohe KUNST DES PRICING.

Strompreise, Benzinpreise, Milchpreise: Regelmäßig sind die Preise bestimmter Produkte Gegenstand öffentlicher Debatten. Schon geringe Preiserhöhungen können Verbraucher zur Weißglut bringen, umgekehrt führt schon die Annahme, ein Schnäppchen machen zu können, zu einem wahren Kaufrausch. Da sollte man meinen, dass Unternehmer ihre Preise mit Bedacht setzen. Tun sie aber nicht: Einer Studie der internationalen Strategieberatung Simon- Kucher & Partners zufolge wird die Bedeutung eines aktiven Preismanagements – in der Fachsprache als „Pricing“ bezeichnet – von den meisten Unternehmen massiv unterschätzt: 65 Prozent der Unternehmen sind demnach nicht dazu in der Lage, für ihre Produkte und Dienstleistungen adäquate Preise durchzusetzen.

Häufig fallen Preisentscheidungen aus dem Bauch heraus: Die Preise werden nach Gefühl und subjektivem Ermessen festgelegt. Eine solch intuitive Vorgehensweise geht jedoch zulasten der Erträge. Denn ist der Preis zu hoch, wird das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung zum Ladenhüter. Ist er hingegen zu niedrig, leidet die Profitabilität. Kaum ein anderes Marketinginstrument wirkt sich so unmittelbar auf Absatz, Marktanteil und Ertrag aus wie der Preis. Er ist Gewinntreiber Nummer eins und verdient daher besondere Aufmerksamkeit durch das Management. Das Pricing besitzt ein immenses Potenzial, um Umsätze, Erträge und zugleich auch die Kundenzufriedenheit zu steigern.

Im Prinzip ist alles ganz einfach: „Der Preis ist der Tauschwert eines Guts. Er kommt zustande, wenn sich die Preisforderung eines Anbieters mit dem Preisgebot des Nachfragers deckt. In einer Marktwirtschaft wird der Preis durch Angebot und Nachfrage bestimmt.“ Das wusste schon der Urvater der Ökonomie, Adam Smith, dessen 1776 erschienenes Werk „Der Wohlstand der Nationen“ bis heute einen Grundstein der Wirtschaftswissenschaften darstellt. Noch aus dem BWL-Studium sind vielen Unternehmern Preisabsatzfunktionen und Preiselastizitäten geläufig.

Dennoch gibt es genügend Unternehmen, die dem Thema Preisgestaltung wenig Beachtung schenken. „Dem Pricing wird heute zwar schon mehr Aufmerksamkeit gewidmet als früher, aber es ist noch nicht genug“, sagt Professor Hans-Christian Riekhof von der PFH Private Hochschule Göttingen. Nach seinen Erfahrungen schauen Firmen bei der Festlegung ihrer Preise mehr auf die Wettbewerber als auf die Kunden. „Der Preis aus Kundensicht wird von den Unternehmen zumeist gar nicht wahrgenommen.“ Riekhof wundert sich, wie wenig Energie die Unternehmen in das Thema Pricing stecken. Dabei macht es durchaus Sinn, wenn Firmen eine Preisstrategie entwickeln, die eng mit der Unternehmensstrategie verwoben ist.

Kann man den perfekten Preis mit einer universell gültigen Formel ausrechnen? Leider nicht. Theoretisch mag das alles zutreffen, was Adam Smith und andere Ökonomen postulieren – mit der Praxis hat das aber wenig zu tun. Denn der Mainstream der Wirtschaftswissenschaften geht von der Grundannahme aus, dass der Mensch als „Homo oeconomicus“ handelt: rational, logisch nachvollziehbar – und natürlich vollständig informiert. Bloß sind wir nun einmal keine Roboter, sondern lassen uns von Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen leiten, informieren uns nur unzureichend – und handeln deshalb oftmals unvernünftig.

„Zahlreiche verhaltensökonomische Experimente haben aufgezeigt, dass viele Parameter die Zahlungsbereitschaft beeinflussen“, erklärt Kai-Markus Müller, Autor des Buches „NeuroPricing – Wie Kunden über Preise denken“ und Chef von The Neuromarketing Labs. Das Beratungsunternehmen hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Hilfe von neurowissenschaftlichen Methoden und Technologien die Entscheidungsprozesse von Konsumenten zu verstehen. Unter anderem durch Hirnscans versuchen die Forscher, Entscheidungsprozesse, Gefühle, Erinnerungen und Aufmerksamkeits- Mechanismen der Kunden zu verstehen, wenn diese mit Marketingmaterialien oder Produkten konfrontiert werden. „Zu wissen, was einen Kunden dazu bewegt, ein Produkt zu kaufen, bringt einem Unternehmen großen Mehrwert“, sagt Müller. Und wer dieses Wissen hat, tut sich auch viel leichter, wenn es darum geht, den richtigen Preis zu finden.

In die Preisbildung fließen insbesondere Erwartungen des Verkäufers über die Zahlungsbereitschaft der Kunden ein. „Um den optimalen Preis für ein Produkt zu bestimmen, ist es unerlässlich zu ermitteln, welchen Betrag Kunden überhaupt bereit sind, dafür zu bezahlen“, sagt Müller. Die Frage, ob ein Preis fair ist, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. „Die meisten Menschen wissen absolut nicht, welche Preise wofür fair und angemessen sind“, erläutert Müller. Fairness hänge nämlich prinzipiell vom Einzelfall und von der jeweiligen Situation ab. Ganz grundsätzlich gilt deshalb: Wer viel fordert, bekommt auch viel.

Das gilt aber nur, solange das gleiche Produkt beziehungsweise die gleiche Dienstleistung nicht um die Ecke deutlich günstiger zu haben ist.

Und eben das wird zu einem immer größeren Problem, wenn der Konjunkturmotor weniger rund läuft und die Kunden ihr Geld beisammenhalten: Rabattschlachten und nicht zuletzt die Inflation drücken auf die Preise, eine Preiserhöhung durchzusetzen wird immer schwerer – und somit leiden die Erlöse.

„Preisgestaltung ist eine große Herausforderung für die Unternehmen, da sie von zig Faktoren abhängt. So müssen etwa Kundennutzen, Wettbewerb, Nachfrage und Kosten berücksichtigt werden“, sagt Georg Tacke, Vorstandsvorsitzender von Simon- Kucher & Partners. Eine starke Beteiligung der Geschäftsführung kombiniert mit einer spezialisierten Pricing-Organisation – das ist der beste Weg für ein Unternehmen, seine Gewinne auch in schwierigen Zeiten zu erhalten und sogar zu steigern. Das zeigt die von Simon-Kucher durchgeführte Global Pricing Studie 2012, für die 2700 Entscheider von Unternehmen sämtlicher Branchen aus weltweit insgesamt 50 Ländern befragt wurden. 83 Prozent der befragten Unternehmen sahen sich der Studie zufolge in den vergangenen zwei Jahren steigendem Preisdruck ausgesetzt. Hauptgründe hierfür seien Rabattforderungen der Kunden sowie der Wettbewerb um die niedrigsten Preise, angeheizt insbesondere durch neue Anbieter am Markt. „Der Kunde ist allgemein preisbewusster, ja preisaggressiver geworden, dem geben viele Unternehmen kopflos nach“, erklärt Experte Tacke. „In den meisten Fällen ist das ein Fehler.“ Denn wenn sich alle gegenseitig unterbieten, dreht sich die Preisschraube immer weiter nach unten. „Dann ist der Gewinn der ganzen Branche dahin“, sagt Tacke.

Aktuell kommt auch noch die Inflation hinzu. Wer hier nicht rechtzeitig gegensteuert, kommt in Schwierigkeiten. Immerhin ein Drittel der Befragten konnte die Preise in Höhe der Inflationsrate um 2,5 Prozent anpassen, 22 Prozent sogar oberhalb der Inflationsrate erhöhen. Für die andere Hälfte der Befragten, die ihre Preise nicht mindestens an die Inflation angepasst hat, wird es eng werden. „Margenverluste sind hier vorprogrammiert“, so Tacke. Dagegen werden laut der Studie höhere Gewinne erzielt, wenn sich das Topmanagement dem Thema Pricing annimmt. Demnach erzielen Unternehmen dann nicht nur deutlich häufiger den richtigen Preis, sondern erwarten auch deutlich häufiger steigende Gewinnmargen. Bei den Gewinnen der vergangenen zwei Jahre ist der Unterschied ebenfalls signifikant: Wer beim Preis falsch lag, verlor 25 Prozent Marge. „Niemand kann es sich heutzutage leisten, auf ein Viertel des Gewinns zu verzichten“, so Tacke. „Dennoch haben viele Verantwortliche das Thema Pricing noch nicht auf ihrer Agenda. Aber gerade wenn Preisdruck herrscht, geht es ans Eingemachte. Da müssen vor allem die Chefs ran“, betont der Experte. Seine Empfehlungen: Das Thema Pricing ganz oben auf die Agenda setzen, die Richtung klar vorgeben, passende Organisationsstrukturen schaffen und die Details ständig nachjustieren.

Ein wichtiger Punkt. Denn die meisten Firmen haben für jeden noch so kleinen Arbeitsschritt genau definierte Vorgaben und Richtlinien – nur für das Pricing nicht. Dabei schreit dieses Thema geradezu danach. Eine Pricing-Organisation ist heutzutage kein Luxus mehr – schließlich ist der Spielraum bei der Preissetzung wesentlich geringer geworden. Auch die Zahlen sprechen für die Etablierung einer Pricing-Organisation. Denn bei Unternehmen, die damit arbeiten, funktionieren Preissteigerungen nicht nur in der Theorie: Ihre tatsächliche Preisdurchsetzung ist der Simon- Kucher-Studie zufolge elf Prozent höher als bei anderen Unternehmen. Legt die Chefetage beim Pricing mit Hand an, sind erfolgreiche Preiserhöhungen sogar um 18 Prozent häufiger, in der Folge sind Margenverbesserungen um 26 Prozent häufiger. „Jeder einzelne Prozentpunkt mehr Marge, den man aus einer Preiserhöhung herausholen kann, ist Gold wert“, betont Experte Tacke. „Daher sollten Chefs die Bedeutung einer starken Pricing-Organisation nicht unterschätzen.“

Unternehmen müssen sich viel mehr mit dem Thema Pricing auseinandersetzen – sowohl organisatorisch als auch durch eigene Beteiligung von ganz oben. Denn Preise sind ein heißes Eisen. Und der richtige Preis, da sind sich die Experten einig, ist vor allem eins: Kopfsache.

 

KLEINE ÄNDERUNG – GROSSE WIRKUNG

Der Einfluss von Preiserhöhungen auf den Unternehmenserfolg ist deutlich höher als der Einfluss anderer Instrumente der operativen Unternehmensführung. So kam Professor Hermann Simon, Mitbegründer und Chairman der Unternehmensberatung Simon- Kucher & Partners, bei der Analyse von Geschäftsberichten unterschiedlicher Unternehmen zu dem Ergebnis, dass eine zweiprozentige Preissteigerung bei Unternehmen wie Volkswagen, ThyssenKrupp oder MAN die Gewinne um etwa einhundert Prozent steigern würde. Eine Stichprobe der Innsbrucker Unternehmensberatung Hinterhuber & Partners zeigt, dass eine Preiserhöhung von fünf Prozent das EBIT um durchschnittlich 22 Prozent steigert. Die Wirkung einer Preissteigerung ist damit deutlich stärker als eine gleich große Umsatzsteigerung (12 Prozent) oder eine Senkung der Fertigungskosten (10 Prozent).

Text: Harald Czycholl    Illustration: Jasmin Nesch
Harald Czycholl ist freier Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem
für Welt am Sonntag, FAZ am Sonntag sowie Berliner Morgenpost.