Keine Weinberge, aber beeindruckende Fakten – Hamburg gehört zu den bedeutenden Weinhandelsplätzen der Welt. Der größte Händler Europas (Hawesko), der kreativste Perlensucher Deutschlands (Rindchen) und der beste Sommelier des Landes (Hendrik Thoma) machen die Hansestadt zur Wein-Hauptstadt.

Clubmitglied Gerd Rindchen ist Weinhändler aus Passion. Zu seiner Philosophie gehört, dass er den Kunden ausschließlich Weine mit dem besten „Preis-genuss- Verhältnis“ anbietet.

Wer keinen Wein hat, der will ihn haben. In der norddeutschen Tiefebene wächst er nicht, vielleicht mit Ausnahme am Südhang des Stintfangs oder in Mottenburger Hinterhöfen, aber wirklichen Genuss kann man davon nicht erwarten. Hanseatische Kaufleute kamen herum, handelten mit allem, was gefragt war, und legten sich schon in früheren Jahrhunderten Fässer mit französischem Rotwein in kühle Gewölbe. Wohl daher rührt im Norden die Liebe zum Weinhandel, der hier auch heute noch mit besonderer Vehemenz betrieben wird.

In Tornesch, auf dem platten Land hinter Pinneberg, wo weit und breit kein Weinhügelchen, geschweige denn ein Weinberg zu erkennen ist, residiert mit Hawesko, dem Hanseatischen Wein und Sekt-Kontor, die größte Weinhandelsgruppe Europas und Deutschlands führender Anbieter hochwertiger Weine und Champagner. In riesigen Hallen lagern Kreszenzen aller Anbaugebiete dieser Welt und warten darauf, zum Beispiel über den hauseigenen Groß- oder Fachhandel wie zum Beispiel Wein Wolf und Jacques’ Weindepot verkauft oder auf Bestellung nach Katalog und Internet versandt zu werden. Mit etwa 700 Mitarbeitern wird ein Umsatz von rund 400 Millionen Euro pro Jahr erzielt.

Zu Hawesko gehören neben anderen Unternehmen auch mehrheitlich die traditionsreiche Lübecker Carl Tesdorpf GmbH sowie der Bordelaiser Weinhändler Chateau Classique. Es werden elegante Präsentpackungen angeboten, ein Sortiment von Riedel-Gläsern, Champagner-Kühlern, Kellner- Bestecken und weiteres Zubehör. Der Weintrinker bekommt also eine Rundum-Glücklich-Versorgung – und alles aus einer Gegend, in der eher die Holsteiner Schwarzbunten zu Hause sind als ein Rebstock. Wurde Hawesko 1964 gegründet, so folgte 1977 der Start eines weiteren norddeutschen Weinhandels. Gerd Rindchen machte Rindchen’s Weinkontor auf. Noch als Schüler hatte er begonnen, nachdem er von den aus der Pfalz stammenden und weinkundigen Eltern die Liebe zum Rebensaft übernommen hatte, Wein zu importieren und im Freundeskreis zu verkaufen. Bis 1983 betrieb er den Handel neben seinem Beruf als Versicherungsmakler, bis er sich ganz darauf konzentrierte. Er betreibt Groß- wie Einzelhandel – über 20 Weinkontore in ganz Deutschland – und Internetversand über die Tochterfirma Meevio.

Die alteingesessenen Hamburger Weinhändler, manche mit langer Tradition, glaubten nicht an die Langlebigkeit dieser Neugründung, warnten französische Winzer vor drohender Zahlungsunfähigkeit des Newcomers. „Doch viele von denen sind nicht mehr am Markt“, sagt Rindchen heute. Mit rund 70 Mitarbeitern setzt er 18,5 Millionen Euro um – und beliefert unter anderem den Business Club Hamburg. „Wir sind also ein Zwerg“, sagt Rindchen, „haben aber eine ganz andere Ausrichtung. Wir haben nicht die große Nobelmarke, sind dafür stets auf der Suche nach Entdeckungen in der zweiten Reihe, nach neuen Winzern mit Weinen mit gutem Preis-Genuss-Verhältnis. Wenn ich ein Gewächs ins Sortiment nehmen will, muss ich keine Marketingabteilung fragen, ich kann mich einfach mal trauen.“

Viele Winzer kennt er persönlich, nimmt Einfluss auf ihre Cuvées, macht die Weine teilweise mit ihnen gemeinsam. Der Lohn: Zahlreiche Auszeichnungen als Weinhändler sowie -importeur des Jahres. „Für mich zählen Qualität und Authentizität des Produktes. Da bin ich gern ganz nah dran.“ Der Absatz verlagert sich immer mehr in Richtung Endverbraucher, findet der Händler, er liege inzwischen bei zwei Dritteln des Umsatzes. Die Hälfte davon entfalle aufs Internet.

Neben den Neugründungen von Riesen und Zwerg gibt es in Hamburg noch den Traditionalisten. In Bergedorf wird die Weinhandlung Heinrich von Have seit 1868 und nun in fünfter Generation geführt. Tesdorpf in Lübeck ist etwa doppelt so alt, aber eben nicht mehr in Familienbesitz. In den kühlen Gewölben Bergedorfs ist die Rotspon-Tradition noch lebendig, die bis ins 13. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist. Damals holten die Koggen der Hanse Bordeaux-Weine, um sie in heimischen Kellern zu Rotspon zu veredeln und in den Ostseeraum zu verschiffen. Heute führt Christoph von Have die Geschäfte, zu denen neben dem Handel mit Wein auch noch die Herstellung von Spirituosen und Likören gehört. Berühmt ist der Eierlikör.

Dass man mit Weinhandel auch zu Vermögen kommen konnte, lässt sich an Wehbers Park und Landhaus in Eimsbüttel ablesen. Georg Heinrich Wehber hat das Anwesen 1852 anlegen lassen, heute ist der Park eine öffentliche Grünfläche und das Weinkontor Wheber Hamburgs älteste Weinhandlung. „Wenn ich dort vorbeikomme“, sagt Weinhändler Rindchen, „dann denke ich nur ‚Respekt’!“

Soeben hat das Gourmet-Magazin „Feinschmecker“ in seiner Juni-Ausgabe eine Liste mit den 600 besten Weinläden Deutschlands veröffentlicht. Für Hamburg werden 28, für Bremen elf und für Lübeck fünf feine Einzelhandelsadressen genannt, abgesehen von allen weiteren in Norddeutschland wie beispielsweise Secklers „Sansibar“ auf Sylt. Gar nicht so schlecht für einen Landstrich, in dem Wein eher mal aus Jux angebaut wird. Und was wird nun zur Zeit mit Vorliebe getrunken? Gerd Rindchen sagt: „Rosé! Rosé geht seit einem Jahr durch die Decke, Wein wie Champagner, aus allen Anbaugebieten. In Frankreich hat Rosé den Weißwein- Konsum überholt. Und selbst Herren, die bislang ungern mit einer rosa Farbe im Glas gesehen werden wollten, greifen jetzt ohne Hemmungen zu.“

Text: Gisela Reiners

Gisela Reiners, früher Politikchefin bei der Tageszeitung „Die Welt“, schreibt heute als freie Autorin über ihre Leidenschaften Stil, Design und Kulinarik.