An Bord ihrer Rennyachten darf Profiseglerin SANNI BEUCKE kulinarisch keine Highlights erwarten. Umso mehr konnte sie genießen, was Chefkoch NILS-KIM PORRU mit hanseatischem Unterstatement unter Pasta mit Lachs versteht.
Gleich in zwei Küchen wirken, die noch dazu durch ein Stockwerk voneinander getrennt sind? Nils-Kim Porru zieht nicht einmal eine Augenbraue in die Höhe. Lieber packt er an und im Untergeschoss des „Norddeutschen Regatta Vereins“ (NRV) die Umwälzpumpe mit Thermospirale aus, die er zum Sous-vide-Garen mitgebracht hat. Als „Pasta mit Lachs“ hatte der Küchenchef des Business Club Hamburg das Gericht, das er für diesen Tag vorgesehen hat, schnörkellos angekündigt. Dass die Hauptspeise am Ende weitaus raffinierter ist, als es sich zunächst anhört, wird sich bald zeigen.
Sanni Beucke hat gerade ihren Mini-Van neben dem Clubhaus an der Schönen Aussicht geparkt. Die Offshore-Seglerin, die im vergangenen Jahr im Team Holcim-PRB am Ocean Race teilgenommen hat, zeigt sich auch ohne Rezeptdetails angetan von der Wahl. „Auf der Hochseeyacht gibt es tatsächlich auch manchmal Lachs – allerdings bloß als vakuumiertes Dry-Meal“, erzählt die 32-Jährige. Immerhin keine der gefriergetrockneten Gerichte, die ebenfalls immer mit an Bord seien. Planen könne man die Mahlzeiten bei mehrtägigen Rennen nicht, man müsse das „Maximale aus dem Schlechtesten“ herausholen. „Das Wetter bestimmt nicht nur, wann man schläft, sondern auch, wann und was man isst. Kann schon sein, dass man nachts um drei Uhr das Gulasch auspackt“, sagt die Profisportlerin. Nicht unzufrieden, sondern gut gelaunt.
Im Eingangsbereich des NRV hängt eine Tafel mit den Namen derjenigen, die in der über 155-jährigen Geschichte des Vereins eine Olympiamedaille gewinnen konnten. Auch „Susann Beucke“ ist dort zu lesen. Schon vor dem Gewinn der Silbermedaille im „49er FX“ 2021 in Japan, auf den sie zusammen mit Tina Lutz 15 Jahre hingearbeitet hatte, durfte die gebürtige Kielerin auf der „Imoca“ von Boris Herrmann ausprobieren, wie es sich anfühlt, zweieinhalb Wochen auf dem Meer unterwegs zu sein – und war sofort auf den Geschmack gekommen. „Ich wollte raus aus dem optimierten Olympia-Sektor und habe gefühlt, dass diese Mischung aus Risikomanagement und Abenteuer absolut meiner Natur entspricht.“ Die herausfordernden Lebensbedingungen inmitten meterhoher Wellen konnten sie nicht davon abbringen.
Ob sie sich vor derartigen Wettkämpfen durch eine entsprechende Diät auf die strapaziösen Touren vorbereite? „Auf keinen Fall!“, sagt Sanni Beucke, lacht, und beobachtet interessiert, wie Nils-Kim Porru den Lachs, den er zuvor für zwei Stunden mit einer Mischung aus Meersalz, Zucker, Kaffirblättern, Zitronengras und Zitronenpfeffer leicht angebeizt hat, kurz abgespült und da-nach fest in Folie rollt. „Jetzt wird der Lachs Sous-vide bei 64°C gegart, mit einer Kerntemperatur von etwa 48°C“, erklärt der Koch.
Noch vor zwei Jahren hätte Sanni Beucke den französischen Fachbegriff nicht übersetzen können. Seit 2022 wohnt sie jedoch in Lorient in der Bretagne, einem Ort, der wegen seiner topografischen und meteorologischen Bedingungen sowie seiner Infrastruktur als Mekka für Segler gilt. Nicht ohne Grund leben und trainieren dort 200 Profis. „Das raue Wetter des Atlantik, eine vom Tidenhub geprägte starke Strömung und die vielen Felsen machen das Küstengebiet zu einem der anspruchsvollsten Reviere in Europa“, sagt sie und erzählt, dass sie dort auf ihrem Solo- Rennboot „Figaro 3“ mitunter gegen Söhne und Töchter veritabler Seglerlegenden antrete. Nicht immer leicht sei der Start in Frankreich gewesen, kulturell oftmals herausfordernd für eine heimatverbundene Norddeutsche, doch sie seipragmatisch und lasse sich nicht unterkriegen: „Die alles entscheidende Frage lautete. Wo werde ich gut?“ Und das sei ihr Französisch mittlerweile übrigens auch.
Nils-Kim Porru interessiert, ob sie in der Bretagne besonders häufig Fisch und Meeresfrüchte zubereite, aber Sanni Beucke verneint: „Viel Zeit bleibt nicht zum Kochen, denn nach bis zu acht Stunden auf dem Wasser arbeite ich noch lange am Computer.“ Wie die Sauce für den Lachs funktioniert, die ihr Gegenüber zuvor passiert hat und nun abschmeckt, möchte sie trotzdem gern wissen. „Aus Krustentierschalen habe ich eine Creme mit Röstgemüse, Tomatenmark, Cognac, Sahne, Wein, Geflügelfond und Gewürzen gekocht.“ In diese Creme wurden anschließend Kaffirblätter und indisches Vadouvan-Gewürz mit leichtem Curry-Aroma gelegt. „Zum Ziehen, wie in einem Tee.“
Angelockt vom „Wahnsinnsduft“, beugt sich Sanni Beucke über einen Topf und fragt nach dessen Inhalt: „Das ist die Sauce, mit der ich den Lachs am Ende lackieren werde“, sagt Nils-Kim Porru. Der goldbraune Lack bestehe aus Mirin, Palmzucker, Soja, Ponzu, Teriyaki, Knoblauch und Chili. Es ist nicht ganz einfach, dem Koch die genaue Zusammensetzung zu entlocken. Kein böser Wille seinerseits: „Natürlich weiß ich genau, was ich tue, aber der exakte Geschmack ist nie zu 100 Prozent reproduzierbar.“ In der Patisserie sei das anders, da funktioniere es nicht ohne exakte Vorgaben.
Die Freiheit zu Improvisieren – das ist auch ein Aspekt, der Sanni Beucke daran gereizt hat, Segeln noch einmal komplett neu zu denken. „Anders, als viele glauben, die Bilder von der Vendée Globe oder vom Ocean Race gesehen haben, geht es nicht zuerst um Körper-, sondern um Willenskraft und Durchhaltevermögen.“ Ob man ein Segel in 30 oder 45 Sekunden hochgezogen bekomme, sei nicht entscheidend. „Aber wenn man im falschen Moment schläft, kann man schon einmal verpassen, wie der Wind sich ändert.“ Wenn sie allein auf ihrem Rennboot unterwegs ist, dann höre sie manchmal Schlagermusik, um sich trotz Schlafdefizits wachzuhalten, aber auch nicht zu sehr abzulenken. Die Psyche spiele eine enorme Rolle.
Sie selbst habe, so lange sie denken kann, die eigenen Eltern als Vorbild gehabt, die sie schon als Kleinkind „angeleint mit Schwimmweste und Kuscheltier“ mit an Bord genommen haben. „Jedes Wochenende waren wir von Strande aus auf der Ostsee unterwegs, und ich habe dieses Paralleluniversum immer sehr geliebt“, sagt Sanni Beucke. Auf gewisse Weise seien ihren Eltern auf dem Wasser andere Menschen gewesen, ganz bei sich, nur elementare Dinge im Sinn: Essen, Schlaf und Sicherheit. Dass sie selbst schon mit neun oder zehn an der Deutschen Meisterschaft teilgenommen und mit etwa 14 Jahren beschlossen hat, Seglerin zu werden, habe nichts mit elterlichem Druck zu tun gehabt. „Gleichaltrige hatten Poster von Stars an der Wand, ich eben von Segelbooten.“
Nachdem Sanni Beucke vor zwei Jahren die olympische Segelkarriere gegen die Profilaufbahn getauscht hat, hat sie begonnen, auf Social Media von ihrem Alltag und von Wettkämpfen zu erzählen. Von Erfolg und Frustration, von Abenteuerlust und Angstsituationen. Sie hat entdeckt, dass sie in einem männerdominierten Sport selbst Vorbild sein kann. Wie von selbst wurde der Claim „This Race is Female“ geboren und mit Hilfe von Sponsoren eine Kampagne ins Leben gerufen, die zum Empowerment von Frauen beitragen soll. „Im Juli werde ich zum Beispiel zusammen mit drei jungen deutschen Seglerinnen an einer Regatta im Ärmelkanal teilnehmen. Ich weiß, dass sie an ihre Grenzen kommen und gestärkt daraus hervorgehen werden.“ Es sei das Ziel jedes erfolgreichen Seglers, über den Tellerrand zu schauen und die eigene Position für etwas Größeres zu nutzen. Deshalb habe sie sich in der Vergangenheit etwa auch in ein Inklusionsprojekt für blinde Segler eingebracht. „Segeln ist für mich Freiheit. Was könnte es Schöneres geben, als diese auch jenen zu ermöglichen, die im Alltag zu oft eingeschränkt sind?“
Nils-Kim Porru hat mittlerweile die Nudeln gekocht, hat parallel Erbsen gepult und diese mit etwas Butter, Salz, Pfeffer sowie Geflügelfond glasiert. Sanni Beucke schaut sich an, wie er die Pasta in der Krustentiercreme schwenkt, den Lachs aufschneidet und kurz mit einem Bunsenbrenner abflämmt. Danach hilft sie ihm, die Zutaten treppauf zu tragen und in der Küche „oben auf Deck“ anzurichten. Spätestens als das Gericht mit dekorativen Kimchi-Sesam bestreut ist, wird deutlich, dass es einen klangvolleren Titel verdient hat: „Lackiertes Lachskonfekt auf Tagliatelle mit Krustentiercreme und Sesam“. Beucke ist sichtlich begeistert, als sie an einem der Restaurant-Tische sitzt und endlich probieren darf.
Sie blickt durch die Panoramafenster auf die Außenalster.Ihr Blick wandert zum Himmel: „Gerade lerne ich,Wolken zu lesen, um später auf dem Meer das WetterTage im Voraus einschätzen zu können.“ Nils-Kim Porru,der wie viele Hamburger in der Schulzeit einen Anfänger-Segelschein gemacht hat, zeigt sich beeindruckt.Auch, als er davon hört, dass Sanni Beucke davon träumt, 2025 am Ocean Race Europe teilzunehmen, das in ihrer Heimatstadt starten wird, und 2028 als erste deutsche Frau bei der Vendée Globe dabei zu sein – dem härtesten Rennen der Welt. Das wären dann rund zwei bis drei Monate auf dem Wasser. „Das Schwierigste ist, Sponsoren zu finden“, sagt die 32-Jährige, doch sie scheint zuversichtlich. Nicht umsonst trägt das Buch, das sie zusammen mit einer Journalistin geschrieben hat, den Titel „Gegen den Wind“.
An diesem Tag geht das Koch-Duo noch einmal zusammen auf den Bootssteg. Ein Foto trotz miesen Wetters? Nils-Kim Porru zeigt sich tapfer. Und Sanni Beucke kann so ein bisschen Hamburger Schietwetter ohnehin nichts anhaben.