Für ALEXANDER RÖDER, seit 18 Jahren Hauptpastor im Hamburger Michel ist Kochen eine Leidenschaft. Die Lektüre von Kochbüchern ist sein großes Hobby. Gemeinsam mit Chefkoch NILS KIM PORRU zauberte er ein himmlisch schmeckendes Bao Bun.

Das war so nicht zu erwarten! Aber er hat die Zwölf getroffen! Für das Treffen mit Alexander Röder, Hauptpastor an St. Michaelis, hat Business Club-Küchenchef Nils-Kim Porru Bao Bun (auch Bánh bao) vorbereitet, „asiatische Dampfnudeln“, wie er selbst es übersetzt. Sie werden auch als gedämpfte Teigtaschen bezeichnet oder gefüllte Hefeklöße vietnamesischer Herkunft. Wie auch immer: Pastor Röder kostet und ist begeistert, schwärmt er doch für Asiens Küche.

Unter Klarsichtfolie ruhen die Buns, gefüllt mit aufwendig hergestelltem Pulled Pork, zwei Tage lang bei 68 Grad gegartem, marinierten Schweinenacken, der auseinandergezupft und raffiniert gewürzt wird. Die Blicke, die diese grau-weißen etwas länglich geformten Klöße anfangs treffen, changieren zwischen Skepsis und Ratlosigkeit – sehen sie doch nicht nur langweilig, sondern geradezu wenig Appetit anregend aus in ihrer feuchten Blässe. Warum wohl sind so viele Foodies verrückt nach diesen Dingern? Na gut, die Buns müssen ja noch gedämpft werden. Aber Dämpfen ist nicht Braten. Die Farbe verändert sich nicht, das etwas glitschige Aussehen bleibt. Doch die Konsistenz ändert sich. Das merkt man aber erst beim Essen. Porru lächelt wissend.

Interessiert und munter plaudernd begleitet der Michel-Pastor (seit 2005) fachsimpelnd Porrus Arbeit. Dass er in der Nacht nur drei Stunden in einem Hotelbett gelegen hat, merkt man ihm kein bisschen an. Selbstdisziplin. Zusammen mit den Kollegen von Hamburgs weiteren vier Hauptkirchen war er auf „Pilgerreise“ im britischen Coventry, das im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Bomben schwere Zerstörungen erlitt, darunter die mittelalterliche Kathedrale St. Michael‘s. Der Flieger von Birmingham verpasste den Anschlussflug in Amsterdam, die Nacht wurde sehr kurz, der Morgen begann sehr früh, aber Röder ist konzentriert bei der Sache. Er ist ein geübter Reisender, da wirft ihn so etwas nicht aus der Bahn.

Der 63-Jährige ist aber auch ein geübter Hobbykoch. Und ein geübter Esser, was man ihm, nebenbei bemerkt, weder an der Breite noch Tiefe ansieht. Und das liegt nicht am weiten Ornat, das nach traditionellem Schnitt gefertigt ist und von der ebenso traditionellen Halskrause, aus vielen Metern Stoff kunstvoll gefaltelt, gekrönt wird. Auch im privaten Dress macht der Weißhaarige mit 1,94 Metern Länge bella figura. Der „geübte Esser“ bezieht sich also nicht auf Menge und Häufigkeit der Nahrungsaufnahme, sondern auf einen ausgeprägten Geschmackssinn.

Aufgewachsen mit Schwester und Bruder in einem Kaufmannshaushalt in Rahlstedt, wurde er nach Vaters frühem Tod und wegen Mutters Berufstätigkeit von den Großmüttern versorgt. „Sie konnten wunderbar kochen, egten Essigbirnen ein, die es zu Wild gab, schnitten Tatar in Windeseile mit Messern und machten aus Gemüsen winzige Würfelchen. Wir Kinder liebten ihr Essen, fanden jedoch keine Rezepte nach ihrem Tod. Sie hatten alles im Gefühl. Wir haben versucht, ein paar Gerichte nachzukochen und den Geschmack zu treffen, den wir noch auf der Zunge hatten, haben es aber nicht geschafft.“ Daher die Übung.

Ein Hobby Röders ist das Lesen von Kochbüchern. „Gern Yotam Ottolenghi, der die vegetarische Küche modernisiert hat, aber ich schmökere auch gern in den Büchern der Altmeister wie Wolfram Siebeck oder Marianne Kaltenbach, hole mir Inspiration sogar bei Clemens Wilmenrod.“ Röder grinst. Wilmenrod war 1953 Deutschlands erster Fernsehkoch, obwohl er keine Ausbildung hatte und eigentlich Schauspieler war.

Zur asiatischen Küche kam Röder 1988 in San Francisco mit Hilfe eines alternativen Reiseführers, der ein Chinarestaurant mit würzstarker Szechuan-Küche empfahl. „Ich habe gezögert einzutreten, so abgeranzt war das Lokal, voller Dampf und abgestoßener Tische, aber das Essen war sensationell.“ Wo man in Hamburg die besten Zutaten für chinesisches Essen bekommt, weiß Röder so genau wie er die richtigen Händler für Fleisch und Gemüse auf dem Großneumarkt kennt. Wenn er mit Freunden einmal im Jahr nach Frankreich reist, dann wird das Ziel von der Qualität der Märkte in der Umgebung abhängig gemacht. Und einen Lieferanten seines Vertrauens für Hirsch und Reh („abgehangen, aber ohne Haut Gout“) hat er auch. „Ich schätze die Methode, Fleisch anzubraten und dann lange bei niedriger Temperatur zu garen. So wird es unglaublich zart und aromatisch.“ Nur bei Fisch muss er passen, den verträgt er nicht, was angeboren ist.

Nun sind die Buns gar. Porru serviert sie in einer göttlichen Essenz von der Peking-Ente, mit etwas Salat und hübschen Shiso-Blättern. Sie ähneln kleinen Ahornblättern, wurden getrocknet, mit einer Art Kleister, wie Porru es nennt, aus Tapioka und Reismehl bestrichen, mit Gewürzen und Sesam bestreut und wieder getrocknet. Sie knuspern und schmecken pikant. Und die Buns? Sie sehen immer noch recht blässlich aus, aber der Teig aus einer Mehl-Hefe-Mischung, ist weich, fluffig und doch fest und verbindet sich hervorragend mit der kräftig gewürzten Fleischfüllung. Röder isst schweigend, konzentriert und zunehmend begeistert. „Wunderbar! Ich liebe die asiatische Küche, aber ich war noch nie da.“ Japanisches Essen dagegen ist die Ausnahme. „Die bleibt mir fremd.“

Es muss für ihn auch nicht unbedingt etwas Exotisches sein. „Gute Bratkartoffeln und ein Spiegelei ist doch was Herrliches. Und Königsberger Klopse mit Rote Bete. Oder auch einfach tolles Schwarzbrot.“ Glänzen Röders Augen? Er kocht gern für die Geschwister samt Familien und für Freundeskreise, die zum Teil schon seit Jugendzeiten bestehen. Der Junggeselle pflegt seine Beziehungen. Auch mit den Gastgeschwistern in New Jersey, wo er in der 11. Klasse als Austauschschüler lebte, hat er immer noch engen Kontakt. „Als ich einmal drüben war, wurde ich von meinem ‚Bruder‘ gebeten, ihn zu trauen. Das habe ich gern gemacht, obwohl ich dort natürlich gar nicht arbeiten durfte.“ Aber das war niemandem wichtig. Was zählt, ist das Zwischenmenschliche. Und das kann man doch hervorragend zelebrieren beim Essen.

Porru zaubert nicht nur beim Kochen, sondern auch bei der Improvisation. Da die Begegnung direkt im Michel stattfand, auf der Nordseite, im sogenannten Herrensaal, in dem sich der Kirchengemeinderat stets an einem langen Konferenztisch trifft, oberhalb der Kanzel mit Blick in den Kirchenraum, war mit einer Kücheneinrichtung nicht zu rechnen. Aber wozu gibt es Kochplatten? Und als Unterlage musste Porrus gestreifte Küchenschürze herhalten. Beim Treffen mit HSV-Finanzvorstand Eric Huwer wurde für den Pizzaofen ein Brett über die Lehnen der Klappsessel gelegt. Geht nicht, gibt’s nicht.

Text: Gisela Reiners Fotos: Martina van Kann