Für Küchenchef Nils-Kim Porru ist FRANKREICHS KÜCHE immer noch prägend für den Stil vieler Köche. Auch er möchte nicht auf Klassiker wie Coq au vin, Ratatouille oder Bouillabaisse verzichten.

Auf einen Streit darüber, ob nicht in Wahrheit die Italiener die „Französische Küche“ erfunden haben, will sich BCH-Küchenchef Nils-Kim Porru gar nicht einlassen. Obwohl doch sein Vater Italiener ist. Und die Medici die italienische Küchenkunst mit Hilfe ihres Familienmitglieds Katharina an den französischen Hof exportiert haben sollen. Er bleibt hart. „Ich spreche lieber von einer mediterranen Küche“, sagt er versöhnlich.

„Im Wesentlichen verwenden beide Völker die gleichen Produkte: Tomaten, Olivenöl, Knoblauch, aromatische Kräuter wie Lorbeer, Thymian, Majoran und Fische aus dem Mittelmeer.“ Fest steht für Porru, dass die ganze Küchen- und Kochsystematik ein Werk der Franzosen ist – und ein wichtiger Grund für deren Erfolg. „Noch heute prägt uns der Kochstil der französischen Küche. Wir lernen in der Ausbildung die verschiedenen Grundsoßen kennen von der Velouté bis zur Hollandaise, die Suppen von der Consommé bis zur Bisque, die Garmethoden von Pochieren – Garen bei weniger als 100 Grad – bis Sautieren – eine Form des Kurzbratens – und so weiter.“

Auch die Organisation einer Restaurantküche folge französischen Vorbildern. „Heute hat man in der Regel nicht mehr so viel Personal wie früher in einer Schlossküche. Damals gab es den Potager, der nur für Suppen zuständig war. Dann den Poissonnier, der sich mit Fisch beschäftigte, den Rotisseur, der nur Fleisch briet, den Entremetier für Beilagen, den Saucier für Soßen, den Patissier für Sü.speisen, den Gardemanger nur für kalte Gerichte.“

Früher habe es einen eigenen Schlachter gegeben, sei jedes Brot in der Küche gebacken worden. Er arbeite mit 9 Köchen, „am Anfang waren wir nur zu dritt“, da sei eine solch üppige Aufteilung unmöglich. Als er früher im Londoner „Savoy“ gearbeitet habe, „da gab es die klassische Posteneinteilung noch. Auch ein Freund von mir, der in Katar eine Küchenbrigade von 170 Mitarbeitern führt, kann sich so etwas leisten.“ Aber da werde eben noch jedes Huhn und jedes Lamm und jede Rinderhälfte von eigenen Kräften gerupft, zerteilt, vorbereitet.

Der Französischen Revolution ist es zu verdanken, dass auch Bürger in den Genuss einer Küche kamen, die sonst dem Adel vorbehalten war. Der Umsturz machte die vielen, vielen Köche am Hofe, in Schlössern und Adelssitzen arbeitslos. In ihrer Not eröffneten sie Restaurants für jedermann und erfanden nebenbei die Speisekarte, die sie an der Hauswand befestigten. Denn irgendwie mussten sie den Bürgern ja mitteilen, was sie Essbares anboten. Und da sie es nicht anders kannten, arbeiteten sie, wie sie es gelernt hatten – auch die Auswanderer. So verbreitete sich die Haute Cuisine im 18. Jahrhundert auch außerhalb Frankreichs.

Es erschienen neue Kochbücher, in denen minutiös die Speisenzubereitung beschrieben wurde. Auch die Speisenfolge war festgelegt: Vorspeise, Suppe, Fisch, Fleisch, Nachtisch. Im Wesentlichen folgen wir noch heute dieser Vorschrift. „Erst wenn man alle Bausteine kennt“, so Porru, „kann man damit experimentieren. Das eröffnet unglaubliche Möglichkeiten. So kann sich die Küche immer wieder neu erfinden.“

Bedeutende Kochbuchautoren sind Jean Anthelme Brillat-Savarin, der nicht nur Kochanweisungen schrieb, sondern eine Art Lebens- und Genusslehre; Auguste Escoffi er, der auch ausländische Speisen für die französische Küche adaptierte, veröffentlichte den Guide Culinaire, eine Art Bibel der französischen Küche.

In der neueren Zeit ist auch Paul Bocuse berühmt geworden. Lange galt er als Erfinder der Nouvelle Cuisine, vor allem in Deutschland, was er jedoch wohl nicht war. Aber auch darüber muss man streiten wollen. Den Franzosen jedenfalls gilt Michel Guérard als „Erfinder“ mit seinem Kochbuch über die „Neue Leichte Küche“.

Die verabschiedet sich von schweren sahne- und butterhaltigen Soßen und heftigen Marinaden, propagiert die Verwendung frischer Produkte – und nicht von tiefkühlten, wie es in den 70er Jahren gerade modern geworden war. Außerdem sollte mehr regional gekocht werden mit Leckereien frisch aus der Umgebung. Bocuse hat diese Ansätze aufgegriffen, viele klassische Rezepte modernisiert, Mehlschwitzen abgeschafft und sich dafür eingesetzt, dass der Eigengeschmack der Zutaten erhalten, eher noch verstärkt oder verfeinert wurde. Außerdem stiftete er einen Preis, den „Bocuse d’Or“, dessen Sieger alljährlich in einem Wettbewerb zwischen internationalen Köchen ermittelt wird.

Nach Ansicht Porrus fußt auch die molekulare Küche, die der Spanier Ferran Adriá zur Blüte gebracht hat, im Grunde auf Erkenntnissen der französischen Küche und deren Forderung, den Eigengeschmack von eher regionalen Produkten zu verstärken. „Auch die heute propagierte Verwendung von Erzeugnissen der Saison ist nicht neu. Sie wurde schon von der Nouvelle Cuisine gefordert.“ Das sei auch ein wichtiger Bestandteil der italienischen (also „mediterranen“) Küche.

Er jedenfalls kann sich keine Küche vorstellen ohne alle die fabelhaften Klassiker Boeuf Bourguignon, Steak frites, Bouillabaisse und Coq au vin. Auch wir werden nicht auf Quiche Lorraine, Salade Niçoise, Zwiebelsuppe, Ratatouille, Foie gras, Hors d‘oeuvres und Petit Fours verzichten wollen.

Wenn also demnächst Austern, Getrüffeltes oder Weinbergschnecken auf der Karte stehen, vielleicht mit einer Consommé double vorweg und Crème brulée als Dessert, spätestens dann weiß man, dass es sich um eine Hommage des Halbitalieners an die französischen (Küchen-)Nachbarn handelt.

 

Text: Gisela Reiners      Fotos: Martina van Kann

Gisela Reiners war früher Politik-Chefin bei der Tageszeitung „Die Welt“. Sie schreibt heute als freie Autorin über ihre Leidenschaften Stil, Design und Kulinarik.