Die moderne Gesellschaft hat den Begriff des „Erfolgs“ zum Statussymbol erhoben. Wer ihn hat, hat’s gut. Wer nicht, sollte daran arbeiten. So weit, so klar. Bleibt nur eine Frage: Wie?

Wer es im Leben zu etwas bringen will, muss eigentlich nur die richtige Lektüre wählen. Dieser Eindruck zumindest entsteht, wenn man die Angebotspalette einschlägiger Buchhändler inspiziert. Ab einem Preis von 6,95 Euro dienen sie dem geneigten Kunden eine kaum zu überblickende Bandbreite von Ratgebern an. Sie alle versprechen, ihren Leser zu einem besseren, weil erfolgreichen Menschen zu machen.

Klangvolle Titel à la „Die Gesetze der Gewinner: Erfolg und ein erfülltes Leben“ stehen im Regal direkt neben Kladden wie „Die 7 Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg“ oder „Der längere Atem: Die fünf Prinzipien für langfristigen Erfolg im Leben“. Mal berufen sich die Autoren auf die „zeitlosen Einsichten östlicher Weisheitslehren“, andere versprechen, ihrem Leser die „Erfahrungen und Methoden moderner Erfolgsmenschen“ nahezubringen.

Wie vielen das tatsächlich gelungen ist, weiß niemand. Doch das Geschäft floriert. Schließlich gilt Erfolg in unserer Gesellschaft noch immer als Grundlage für ein auskömmliches, erfülltes und vor allem glückliches Leben – und das möchte schließlich jeder haben. Eine allgemeinverbindliche Definition, was unter dem Begriff eigentlich zu verstehen ist, bleiben die Autoren allerdings schuldig. Aus gutem Grund. Es gibt sie nämlich nicht.

„Erfolg, das ist eine unberechenbare Mischung aus Talent, Glück und Arbeit, und oft auch ein Missverständnis (Carl Zuckmayer, deutscher Dramatiker) Zwar wird niemand bestreiten, dass zum Beispiel der mexikanische Telekommunikations-Magnat Carlos Slim ein erfolgreicher Mann ist: Mit einem geschätzten Vermögen von mehr als 47 Milliarden Euro führt der 72-Jährige die aktuelle Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt an. Umgekehrt lässt sich jedoch nicht leugnen, dass auch Mutter Teresa ein erfülltes Leben geführt hat – obwohl oder gerade weil sie mit der Anhäufung materieller Güter wohl nichts am Hut hatte.

Reichtum und Erfolg sind also keineswegs Synonyme – und es scheint, als würden sie auch immer seltener als solche betrachtet. „Die Zeiten, in denen Erfolg von den meisten Menschen fast reflexartig mit dem Dreiklang „Geld, Macht und Einfluss“ gleichgesetzt wurde, sind vorbei“, sagt Alexander Dill, Philosoph, Soziologe und Buchautor. Seine These: Mögen selbsternannte Gurus noch so viele Wege zum Heil predigen oder mit Aussagen wie „Erfolg ist machbar“ die Hoffnung auf ein vermeintlich besseres Leben schüren – für Dill sind das leere Versprechungen. Im bedingungslosen Streben nach Erfolg sieht er sogar ein „krankes Leitbild“, dessen hässliche Fratze sich inzwischen für jedermann sichtbar in den Auswirkungen der Finanzkrise offenbart. Allerdings ist der Wissenschaftler auch überzeugt: Die Deutschen haben ihre Hausaufgaben gemacht – und beginnen umzudenken.

„Bis auf wenige unbelehrbare Investmentbanker werden Sie heute auf der Straße kaum noch jemanden finden, der Erfolg allein an seinem eigenen, materiellen Wohlergehen misst“, ist der Forscher überzeugt. Arbeiten, allein um Geld zu verdienen, war gestern, meint der Amerikaner John Strelecky, dessen Bücher bereits in 20 Sprachen übersetzt wurden, „heute lautet das Ziel: arbeiten, um persönliche Erfüllung zu finden“ (lesen Sie auch das Interview auf den folgenden Seiten).

Auch eine stehengebliebene Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Zeit an. so kann sie im Laufe der Jahre auf eine nicht enden wollende Reihe von erfolgen verweisen. (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin)
Doch wenn es nicht mehr um Geld und Karriere geht – worum geht es dann? Einer, der diese Frage für sich beantwortet hat, ist Jan Schierhorn. Als Gesellschafter einer gutgehenden Agentur für Sample-Promotion und Ambient Media muss er sich um sein finanzielles Auskommen wenig Gedanken machen, er lebt in Hamburg in bevorzugter Lage und auch wenn er dem Klischee des klassischen Werbe-Menschen nicht entspricht (und nicht entsprechen will): Auf seine hellgrünen Marken-Sneakers will er ebensowenig verzichten wie auf gutes Essen oder ein schönes Glas Wein. „Ich lebe gerne gut“, räumt er ein. „Und ich bin dankbar, dass ich mir das leisten kann.“

Alles bestens also? Ja und Nein. Denn die finanzielle Unabhängigkeit allein war Schierhorn auf Dauer zu wenig. Klar hatte er viel erreicht und sich nach oben gearbeitet. Doch dieser Erfolg alleine genügte ihm nicht mehr. Er wollte mehr als „nur“ Chef eines profitablen Unternehmens sein. „Spätestens wenn man Kinder hat, stellt man sich zwangsläufig Fragen, welche Werte einem wichtig sind und in welcher Gesellschaft man leben möchte“, erzählt der dreifache Vater. „Und irgendwann wird aus diesen Gedanken mehr – ich wollte aktiv werden.“ In Schierhorns Fall reifte die Idee dazu im wahrsten Sinne vor seiner Haustür heran. Es war im Spätsommer 2008. Der Apfelbaum im Schierhorn’schen Garten bog sich schier unter der Last der Früchte. Unmöglich, die gesamte Ernte zu verwerten. Die meisten Menschen hätten wohl geseufzt und den Äpfeln beim Faulen zugesehen. Doch Schierhorn dachte weiter. Wenn, so die Überlegung des 43-Jährigen, auch in anderen Gärten Obst im Überfluss herumlag – dann müsste sich damit doch etwas Sinnvolles anstellen lassen.

Erlaubt ist, was gelingt. ( Max Frisch, Schweizer Schriftsteller)
Seit jenem Abend sind mittlerweile vier Jahre vergangen – und aus Schierhorns Idee ein mehrfach ausgezeichnetes, gemeinnütziges Unternehmen geworden, die „Das Geld hängt an den Bäumen GmbH“. Das Geschäftsmodell ist einfach: Äpfel, die im Normalfall nicht verwertet würden, ernten nun Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen. Danach werden die Früchte in einer Slow-Food-Mosterei zu naturtrübem Direktsaft verarbeitet. Und dessen Verkauf finanziert die Beschäftigung der Mitarbeiter. Inzwischen gibt es 20 – einige davon sogar in Festanstellung.

Diese Entwicklung erfüllt den Geschäftsmann mit Stolz. Er wertet sie als Erfolg. Dass er mit seinem eigentlichen Beruf als Werber deutlich mehr verdienen könnte und sein Unternehmen manchem klassischen Businesstreibenden wohl nicht effizient genug wäre – egal. „Viele meiner Mitarbeiter sind mehrfach gehandicapt; da brauchen vermeintlich einfache Handgriffe eben schon mal etwas länger“, sagt er. Das allerdings spielt bei „Das Geld hängt an den Bäumen“ eine untergeordnete Rolle. Im Gegenteil. Schierhorn steht zu 100 Prozent hinter seinem Projekt. Denn: „Erfolg bedeutet eben nicht nur, mehr Macht und mehr Geld zu erarbeiten, sondern auch, meine Zeit und meine Möglichkeiten für etwas Sinnvolles zu nutzen.“ Eine solche Einstellung muss man sich aber natürlich auch leisten können. „Es ist ein Privileg, dass ich meine Vision in die Tat umsetzen kann“, sagt Schierhorn. „Wer von einem kleinen Gehalt seine Familie durchbringen muss oder auf Hartz IV angewiesen ist, kämpft mit ganz anderen Problemen als der Frage nach der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit.“

Es gibt nur einen Erfolg: auf deine eigene Weise leben zu können. (Christopher Darlington Morley, amerikanischer Dichter)
Hängt Erfolg – und die Möglichkeit zu nachhaltigem Handeln – am Ende also doch wieder von den verfügbaren Mitteln ab? „Nein“, sagt Soziologe Dill. Denn nicht nur individuelle Leistungen würden inzwischen als Erfolge gewürdigt, sondern auch der Dienst an der Gemeinschaft. „Die Menschen entdecken ein neues Wir-Gefühl“, beobachtet der Wissenschaftler. Damit einher gehe eine Rückbesinnung auf alte, bis vor kurzem noch als spie.bürgerlich geschmähte Werte. „Familie, Natur, Zeit mit dem Partner – auch junge Menschen setzen in diesen Bereichen ganz eindeutige Schwerpunkte und schlagen dafür bewusst prestigeträchtige, hochdotierte Stellenangebote aus.“

Selbst jene, die Jahre, vielleicht Jahrzehnte lang damit beschäftigt waren, ihre Karriere zu optimieren, scheinen sich nun immer häufiger eines Besseren zu besinnen. „In der Schweiz gehört Teilzeitarbeit inzwischen auch für Männer in der Chefetage zum guten Ton“, erläutert Dill. Und auch in Deutschland steigt die Zahl der Führungskräfte, die sich Sabbaticals gönnen, Elternzeit beantragen – oder ganz einfach Downshiften. Kein Geringerer als Friedrich Joussen, Chef der deutschen Tochter des Telefonanbieters Vodafone, propagierte vor einiger Zeit sogar, dass auch das Amt des „Teilzeit-Vorstandes möglich sein müsste.

Ein Tabubruch? Vielleicht. Vielleicht hat sich Joussen aber auch einfach nur durch die aktuelle Bestsellerliste gearbeitet. Dort findet sich derzeit unter anderem das „Handbuch zum Glücklichsein.“ Dessen Autor konfrontiert den Leser gleich zu Beginn mit einer fast schon ketzerischen Frage. „Was hat sich noch nie jemand auf dem Sterbebett gedacht?“ – und gibt die Antwort: „Ach, hätte ich doch nur mehr Zeit im Büro verbracht.“ Der Satz dürfte so manchen klassischen Erfolgsmenschen zum Nachdenken anregen. Es bleibt festzuhalten: Wer es im Leben zu etwas bringen will, muss nur die richtige Lektüre wählen.

 

WAS DIE DEUTSCHEN GLÜCKLICH MACHT

Für die meisten Deutschen ist „Glück“ inzwischen der ultimative Erfolgsfaktor. Doch welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Eine aktuelle Studie kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.

Geld spielt keine Rolle
Die wichtigsten Glücksbringer sind aus Sicht der Deutschen: Gesundheit, Partnerschaft und Freunde. Als die schwersten Probleme gelten Scheidung, Tod des Partners und Arbeitslosigkeit.

Gemeinsam sind wir stark
Vertrauen und Lebenszufriedenheit hängen eng zusammen. Wer Vertrauen zu Mitmenschen hat, ist deutlich zufriedener, als argwöhnische Zeitgenossen.

Schöner wohnen, besser leben
Der Wohnort spielt für die Zufriedenheit der Deutschen eine entscheidende Rolle. Am wohlsten fühlen sich in ihrer Stadt die Hamburger – am unzufriedensten mit ihrem Umfeld sind die Menschen in Essen.

Alles für die Kleinen
Faktoren wie die innere Sicherheit oder die Finanzsituation der eigenen Heimatstadt sind für die Zufriedenheit der Bürger weniger wichtig als das Zusammengehörigkeitsgefühl oder die Angebote für Kinder und Familien.

 

Text: Catrin Gesellensetter     Illustration: Jasmin Nesch

Dr. Catrin Gesellensetter arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in München. Die gelernte Juristin hat eine ausgeprägte Vorliebe für Karrierethemen und alles, was Recht ist. Sie schreibt unter anderem für Capital, das Handelsblatt und die süddeutsche Zeitung.