Immer mehr Unternehmen erproben neue Arbeitsformen. Besonders beliebt: Arbeiten in KREATIVEN TEAMS. Warum sind agile Organisationsformen wichtig? Wie werden Projektteams wirksam eingebunden? Und welche Rolle spielt das Thema Führung?

Die neue Arbeitswelt ist verlassen. Leere Gänge, leere Räume. Wo eigentlich kreativ und agil gearbeitet wird, herrscht neuerdings triste Einsamkeit. Nur Christian Langrock winkt von seinem Schreibtisch aus. „Corona hat die meisten ins Homeoffice befördert“, sagt er. Das Virus der Gegenwart macht also auch vor der Arbeit der Zukunft keinen Halt.
Es ist ein historischer Ort, in den diese neue Arbeitswelt Einzug gehalten hat. Der Sprinkenhof ist ein Kontorhaus und Teil eines Weltkulturerbes. Und es ist ein klassisches Unternehmen, die Hamburger Hochbahn AG, die sich hier eingemietet hat. Aber wer den Eingang an der Altstädter Straße 6 betritt und mit dem Aufzug in den fünften Stock fährt, der wird beides schnell vergessen. Schon das Türschild mit der Aufschrift „Wandel und Innovation“ lässt erahnen, dass hier die Zukunft beginnt. Dahinter erstreckt sich die Welt von Langrock und seinem Team. Er ist Teil dieser Abteilung der Hochbahn. Innovationsmanager steht auf seiner Visitenkarte, er selbst versteht sich als Change-Maker, Veränderer.
Langrock war schon immer dort zu finden, wo sich Prozesse wandeln. Bei Siemens, bei Otto, bei Immonet. Und seit 2017 bei der Hochbahn. Das erste und wohl offensichtlichste Ergebnis seiner Arbeit: die neuen Räume im Sprinkenhof. Ein Flur mit bunten Graffiti an den Wänden führt zu zwei Workshop- und einem Konferenzraum. Darin steht aber keine lange Tafel, sondern eine Tribüne aus Holz mit Sofakissen; dazu Sessel und Sofas. Es gibt eine Lounge für Pausen und natürlich darf auch die Tischtennisplatte nicht fehlen. Hier erinnert nichts mehr an eine klassische Bürolandschaft. Und hier wird auch nicht mehr klassisch gearbeitet.
Stattdessen setzt die Hochbahn im Bereich Wandel und Innovation auf agile Teams. In ihrem Fall bedeutet das, sie lässt Mitarbeiter unterschiedlichster Abteilungen Lösungen für Probleme erarbeiten – immer aus Sicht des Kunden und meistens mit einem konkreten Prototypen zum Ziel. Design Thinking nennt sich diese Methode. Sie ist eine Errungenschaft der neuen Arbeitswelt, deren moderne Arbeitsformen immer mehr Unternehmen erproben. Schon jetzt wird jedes dritte unternehmerische Vorhaben mit Hilfe agiler Methoden umgesetzt, hat das Marktforschungsinstitut Lünendonk in einer Studie herausgefunden. Dazu haben zwei von drei Firmen in der Studie angekündigt, diese Arbeitsformen vorantreiben zu wollen.
Der Wandel geht also gerade erst los – und er sei bitter nötig, sagt Andreas Ollmann. „Es gibt keine Option, so weiterzumachen wie bisher.“ Ollmann ist Geschäftsführer der Ministry- Group und Experte für die Arbeitswelt von morgen. Er begleitet Unternehmen auf ihrer „Reise“ dorthin, wie er den Prozess bezeichnet. Seine These begründet er mit Hilfe des Cynefin-Modells des walisischen Beraters und Forschers Dave Snowden. Der teilt die Aufgaben und Probleme der Welt in vier Kategorien auf: einfach, kompliziert, komplex und chaotisch. Einfache Probleme sind einfach zu lösen, zum Beispiel ein offener Schnürsenkel. Bei komplizierten Aufgaben hilft Expertise. „Den Motor beim Auto wechseln“, sagt Ollmann. „Für mich ist das unmöglich, für einen Mechaniker aber kein Problem.“ Komplexe Probleme dagegen sind nie gleich. Daher gibt es für sie auch keine Standardlösung. „Sie treten immer da auf, wo Menschen beteiligt sind. Eine Gruppe von fünf Menschen ist nie identisch zu einer anderen Gruppe mit fünf Menschen“, erklärt der Experte. Es braucht also individuelle Lösungen. Aber anders als bei chaotischen Problemen könne man mit der Zeit zumindest auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Ein Beispiel für ein chaotisches Problem: Die Coronakrise. So etwas hat noch niemand erlebt.
„In der Industriegesellschaft, in der wir leben, schienen bisher alle Probleme kompliziert zu sein“, sagt Ollmann. Daher hätten Unternehmen standardisierte Prozesse entwickelt, mit denen sie diese Aufgaben effizient bewältigen können. „Durch Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung merken wir aber auf einmal: Mist, die Welt ist nicht nur kompliziert, sie ist auch noch komplex“, erklärt der Ministry-Chef. Die digitale Transformation sorge dafür, dass sich Veränderungen nicht mehr genau vorhersagen lassen und ihre Geschwindigkeit immer größer wird. „Die Lösungswege komplizierter Aufgaben allein werden uns deshalb nicht mehr helfen“, meint Ollmann. „Wir müssen Prinzipien anwenden, mit denen wir schneller werden.“ Ein solches Prinzip sieht der Unternehmer in kreativen Teams: „Sie lösen komplexe Probleme.“
Die Lösung komplexer Aufgaben erfordert individuelle, kreative Ideen – dieser Meinung ist auch Hato Nordeck, Business Club-Mitglied und Gründer der Firma Nordeck IT + Consulting. Sein Unternehmen entwickelt Software und agile Organisationsformen. Demzufolge sieht auch der Chef die komplexen Probleme der neuen Arbeitswelt am besten gelöst mit Hilfe agiler Methoden. Aber er sagt auch: „Agilität ist kein Selbstzweck.“ Was er damit meint: Nicht immer ist ein selbstorganisiertes Team auch die passende Lösung für eine Aufgabe. „Wo Standardlösungen gefragt sind, sollten auch weiterhin standardisierte Prozesse zum Einsatz kommen“, erklärt Nordeck.
Da stellt sich zurecht die Frage: Wo können kreative Teams überhaupt eingesetzt werden? Nordecks einfache Antwort: „Überall dort, wo es nicht um Produktion geht, sondern Wissen die Basis der Wertschöpfung ist.“ Diese Bereiche gebe es in jeder Firma, allen voran in der Entwicklung neuer Produkte. Um sie ausfindig zu machen, sei es wichtig, den ganzen Weg zu betrachten, den ein Produkt bis zur Fertigstellung zurücklegt, erklärt Nordeck. Ein nützliches Hilfsmittel: Das Flight-Level-Modell, das der Autor und Berater Klaus Leopold in seinem Buch „Agilität neu denken: Warum agile Teams nichts mit Business-Agilität zu tun haben“ beschreibt. Konkret geht es um die Frage: Welche Ebenen der Organisation bieten welchen Hebel für die Verbesserung? Dabei werden drei Ebenen, Flight-Level genannt, untersucht: Die operative Ebene, Flight-Level 1, welche für die tägliche Arbeit zuständig ist. Die Koordination, Flight-Level 2, die zeigt, wie alle am Produkt beteiligten Abteilungen einer Firma zusammenarbeiten. Und das strategische Portfoliomanagement, Flight-Level 3, wo schließlich alle Komponenten zusammenlaufen – das Herzstück eines jeden Unternehmens. „Nur wenn ich den Wertschöpfungsprozess kenne und transparent mache, können alle Teammitglieder gute Ideen dafür entwickeln“, sagt Nordeck. „Transparenz ist die Grundlage für den Erfolg agiler Teams.“
Wie diese Teams funktionieren, weiß David Cummins. Er ist, wie Ollmann, Geschäftsführer bei Ministry – und dort der Experte für kreative Organisationen. Er sagt, kreative Teams zusammenzustellen, sei sehr individuell und daher von Fall zu Fall unterschiedlich. Wichtig sei jedoch, dass immer zuerst das Ziel klar ist und das Team danach ausgesucht wird. „Denn grundsätzlich ist ein Team eine Gruppe von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgt“, sagt er. Dieses Vorgehen wiederum verändert das Verständnis von Führung in den Firmen fundamental. Denn während eine Führungskraft in der klassischen Arbeitswelt dazu da war, Mitarbeiter anzuweisen, was zu tun ist, sind sie in der Arbeitswelt von morgen viel mehr als Wegweiser. Sie geben das Ziel vor, aber den Lösungsweg erarbeitet sich das Team selbst. Und dafür schafft das Management die Voraussetzungen. Es muss Freiraum lassen für neue Ideen, aber genauso müssen Ziele klar definiert und Rollen klar verteilt werden. So wird Führen viel mehr zu Navigieren. „Dieses klassische ‚Ich denke, du machst’ – diese Zeiten sind endgültig vorbei. Das ging in der langsamen Welt“, sagt er.
In der neuen, komplexen Welt gilt es, Hierarchien abzuflachen und Silos abzubauen – weg mit dem Denken in Abteilungen. „Ich muss die Gesamtheit der Firma anzapfen, um kreatives Potenzial auszuschöpfen“, sagt Cummins. Silos sorgen für viele Experten in ihren jeweiligen Bereichen, aber die Aufgaben sind nicht mehr kompliziert, deshalb brauchen Unternehmen eine Struktur, die Experten verschiedener Bereiche zusammenbringt. Ein Entwickler beispielsweise hat auf eine Aufgabe einen anderen Blick als ein Designer, ein Buchhalter oder ein Verkäufer. „Der Austausch setzt Innovationskraft frei“, sagt Cummins. Spezialwissen zusammentragen und im Team bündeln, das wiederum Lösungen für komplexe Probleme findet, auf die eine Abteilung alleine vielleicht nie gekommen wäre – in der neuen Arbeitswelt gibt es für diese Konstellation eine bestimmte Bezeichnung. Es ist die Rede von interdisziplinären Teams.
Auch die Hochbahn setzt auf diese Methode. So bestehen ihre Teams keineswegs nur aus Mitarbeitern der Abteilung „Wandel und Innovation“, sondern aus Busfahrern, Projektmanagern, PR-Strategen, Disponenten; eben aus Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Hochbahn, die ihre Abteilung für die Zeit der Projektarbeit verlassen. Neben dem Fachwissen spielt die Persönlichkeit eine Rolle, sagt Change-Maker Langrock. „Sind nur extrovertierte Menschen dabei, drohen möglicherweise Konflikte. Sind die Mitglieder alle eher introvertiert, kommt ein reger Austausch eventuell nur schwer in Gang. In jedem Fall macht Vielfalt Sinn, um unterschiedliche Kompetenzen im Team zu haben.“ Ziel sei daher immer eine heterogene Mischung, erklärt Langrock.
Weil die Kollegen also reguläre Mitarbeiter und keine New Work-Experten sind, war es zunächst wichtig, sie für die andere Arbeitswelt zu begeistern. Neben den neuen Räumen ist das durch Schnupperworkshops gelungen, in denen Langrock und das Transition Team die Methoden vorgestellt haben. Das war Ende 2017. Zehn Gruppen und viele individuelle Projekte haben die Coaches seither begleitet. Mit sichtbarem Erfolg, denn ein Prototyp steht noch immer im Konferenzraum: Der Fahrkartenautomat. Pardon! Das Selfserviceterminal. Es soll den Ticketkauf erleichtern.
Die Vorgehensweise ist dabei stets gleich. Jedes Team startet mit einem Problem, das von sogenannten Investoren eingereicht wird. Im Fall des Fahrkartenautomatens war es das Tarifsystem. „Für unsere Experten ist dieses Tarifsystem vielleicht einleuchtend. Aber ganz ehrlich: Nicht mal ich verstehe es – und ich arbeite hier“, sagt Langrock und lacht. Also musste eine Lösung für die Frage her: Wie können wir es Kunden erleichtern, am Automaten das passende Ticket zu lösen? Das für diese Fragestellung zusammengestellte Team versetzte sich also erst einmal in die Rolle der Fahrgäste. Problem verstehen und beobachten sind die Schritte eins und zwei im Design Thinking- Prozess. Danach legt die Arbeitsgruppe einen eigenen Standpunkt fest und sucht nach neuen Ideen. In dieser Phase werden die Wände der weitgehend in Weiß gehaltenen Workshopräume mit bunten Post-it-Zetteln der einzelnen Schritte vollgeklebt. Am Ende entwickelt das Team einen Prototyp und lässt ihn von Anwendern testen. Im besten Fall schafft es die Idee bis zum Produkt. So, wie aus dem Fahrkartenautomat das Selfserviceterminal wurde, das Kunden in einigen Bahnhöfen bereits nutzen können.
Der Prototyp dagegen wird seinen Platz im Sprinkenhof noch eine Weile sicher haben. Solange Corona die Kollegen ins Homeoffice zwingt, steht er auch niemandem im Weg – und dient so weiter als ein Zeuge für die Arbeitswelt der Zukunft.

 

LEADERSHIP LERNEN: 7 TIPPS FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE AGILER TEAMS

    1. SCHRITT FÜR SCHRITT GEHEN
      Agiles Arbeiten gelingt nicht von heute auf morgen. Auch ist es nicht notwendig, eine komplette Abteilung oder das ganze Unternehmen umzukrempeln. Daher beginnt die Transformation immer in der Theorie – und mit der Frage: Wo ist Agilität wirklich sinnvoll? Kleiner Tipp: Das Projekt in mehrere Einzelteile zerlegen und dann in kleinen Schritten immer neu bewerten.
    2. EINFACH MAL ETWAS AUSPROBIEREN
      Welche Methode passt zum Projekt? Das herauszufinden, ist oft gar nicht so einfach. Mal sind es nur kleine Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, mal braucht es ganz neue Konzepte. Hier hilft, Ideen in kurzen Etappen einfach zu testen und zu bewerten. Wie heißt es so schön? Learning by doing.
    3. DEN WANDEL SICHTBAR MACHEN Wie ist der Stand?
      Was sind die Aufgaben? Wie sehen die nächsten Schritte aus? Um die Mitarbeiter auf der Reise nicht zu verlieren, sollten die Projekte transparent organisiert werden. Das heißt: Den Stand der Dinge regelmäßig mit dem Team teilen. Egal ob über digitale Tools oder klassisch an einer Pinnwand.
    4. MITEINANDER REDEN
      Kommunikation ist das A und O bei der Arbeit in agilen Teams. Deshalb sollten sich Führungskräfte immer wieder mit ihren Mitarbeitern über das Projekt austauschen; am besten täglich. Nur so kann flexibel auf kurzfristige Entwicklungen reagiert werden.
    5. FEHLER MACHEN
      Es klingt skurril, aber Fehler gehören absolut dazu. Beim Testen neuer Prozesse ist es völlig normal, dass auch einmal etwas schief geht. Wichtig ist es, diese Fehler als wertvollen Bestandteil der Veränderung zu erkennen und auch zu nutzen. Denn es heißt nicht umsonst: Aus Fehlern lernt man.
    6. DIE PERSPEKTIVE WECHSELN
      Nicht nur der Blick ins Team ist wichtig, auch die Sicht von außen kann helfen, ein Projekt nach vorne zu bringen. Wie denkt eigentlich der Kunde über mein Produkt? Dieser Perspektivwechsel unterstützt, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
    7. HIERARCHIEN ABBAUEN
      Eine schwierige Aufgabe, gerade für Führungskräfte: Im Team zählt der Wir-Gedanke und damit der Umgang miteinander auf Augenhöhe. Für Hierarchien ist kein Platz. Das ändert nichts an der Position, sondern an der Haltung. Der Chef wird ein Teil des Teams. Das stärkt auch die Motivation der Mitarbeiter.

 

Text: Alexander Siebert Illustration: Stephan Kuhlmann