Für Unternehmer ist es oft schwierig, an Kapital zu kommen. Jetzt aber gibt es einen neuen Weg, Projekte und sogar ganze Unternehmen zu finanzieren: Crowdfunding. Alle machen mit – so kommen manchmal Millionen zusammen.

Maya ist klein, kompakt und sie hat ein großes Sicherheitsbedürfnis. Mehr als eine Million Euro ist das ihren Kunden insgesamt wert – jetzt bitte keine falschen Schlüsse ziehen. „Maya“ ist ein Computer, genauer: ein persönlicher Cloud-Speicherdienst, der Daten besonders gut schützen soll. Die Hamburger Firma Protonet hat „Maya“ entwickelt. Um das System produzieren zu können, sind die Macher bislang einen eher noch ungewöhnlichen Weg gegangen: Sie haben sich das Geld nicht etwa von einer Bank geliehen, sondern sie haben ihre Kunden um Unterstützung gebeten. Per Crowdfunding sammelten sie im vergangenen Juni über die Plattform Seedmatch.de 750 000 Euro ein – in weniger als eineinhalb Stunden. Weltrekord. Noch am selben Tag wurden es insgesamt 1,5 Millionen Euro. Protonet zeigt damit, wie erfolgreich Crowdfunding von Unternehmen genutzt werden kann, um Projekte zu realisieren.

Das Besondere am Crowdfunding: Eine Vielzahl von Menschen – die Crowd – unterstützt ein Projekt finanziell und macht es damit erst möglich („funding“). „Schwarmfinanzierung“ wird diese Methode deshalb auch genannt. Anfang der 2000er Jahre wurde sie zunächst von US-Bands genutzt, um unabhängig von großen Plattenfirmen Alben zu produzieren. Fans spendeten Geld, bekamen dafür die Platte und die Band konnte die übrigen Alben verkaufen. Mittlerweile werden auch Projekte, Produkte und Start-ups von der Crowd finanziert.

Als Mittler zwischen der „Crowd“ und dem „Funder“ dienen jeweils Onlineplattformen, über die das Geld gesammelt wird. Mehr als 100 solcher Plattformen gibt es inzwischen in Deutschland. Einige sind wie Seedmatch auf Start-ups spezialisiert, andere wie Startnext konzentrieren sich auf Kreative, Künstler, Erfinder und Gründer, dazu gibt es auch lokale Ableger, wie Nordstarter oder Finmar in Hamburg. Wie populär Crowdfunding inzwischen hierzulande ist, zeigen die enormen Wachstumsraten: 8,7 Millionen Euro wurden nach Erhebungen des Portals „Für Gründer“ 2014 über deutsche Crowdfunding-Plattformen gesammelt, was einem Zuwachs von 61 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. 1058 Projekte seien erfolgreich finanziert worden (2013: 922). Kickstarter, die weltweit agierende Plattform, verzeichnete im vergangenen Jahr sogar mehr als 22 000 erfolgreich finanzierte Projekte, die über eine halbe Milliarde US-Dollar einsammelten.

Zwei Jahre bevor Protonet den Weltrekord aufstellte, hatte das Unternehmen bereits positive Erfahrungen mit Crowdfunding gemacht. 200 000 Euro Kapital sammelten sie 2012 in nur 48 Minuten über Seedmatch ein für den Bau des Servers „Carla“, die große Schwester von „Maya“. Zwar haben die Protonet-Unternehmensgründer Ali Jelveh und Christopher Blum auch andere Wege genutzt, wie Förderungen und Business-Angels, doch für die Finanzierung der Server sei Crowdfunding die beste Möglichkeit gewesen, erklärt Unternehmenssprecher Philipp Baumgaertel: „Denn zusätzlich zu dem Geld ist Crowdfunding eine sehr gute Möglichkeit, um Publicity zu bekommen und in Kontakt mit potentiellen Kunden zu treten.“ Tatsächlich kann Crowdfunding auch stets als eine Art Markttest gesehen werden, erklärt Jörn André Le Cerf, stellvertretender Geschäftsführer der Handelskammer Hamburg. „Eine erfolgreiche Finanzierung kann ein positives Signal für den weiteren Erfolg sein, zumal auch die Geldgeber ein Interesse am Gelingen haben und sich oft als Kunden beziehungsweise ,Botschafter‘ für das Unternehmen engagieren. Für viele Unternehmen ist diese Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken und durch persönliche Empfehlungen ein wesentlicher Grund für die Wahl dieser Finanzierungsform.“

Doch bevor es losgeht, muss zunächst die passende Crowdfunding-Form gewählt werden. Zwischen vier verschiedenen Modellen wird dabei unterschieden: Klassisches Crowdfunding, Crowdinvesting, Spenden-Crowdfunding und Crowdlending. Beim klassischen Crowdfunding erhalten die Unterstützer ein nicht-finanzielles Dankeschön wie beispielsweise das Album, für dessen Produktion eine Band Geld brauchte. Populär war zuletzt auch die Kampagne des Berliner Start-ups Einhorn, dass das erste faire und nachhaltig produzierte Kondom auf den Markt bringen möchte. Für 15 Euro gab es als Dankeschön beispielweise zwei Tüten mit je sieben Kondomen, für 50 Euro eine Kondomspende an den Verein Jugend gegen Aids und für 10 000 Euro eine Reise zur Kautschuk-Produktion nach Malaysia mit den zwei Einhorn-Gründern. Die Fundingschwelle von 50 000 Euro war bereits nach wenigen Tagen erreicht. Protonet nutzte dagegen das Crowdinvesting-Modell. Dabei bekommen die Unterstützer im Gegenzug für ihr Geld Anteile am Projekt beziehungsweise an dem Gewinn, der mit dem finanzierten Projekt gemacht wird. Auch die rund 1800 Einzelpersonen, die Protonet Geld für die Produktion von „Maya“ gaben, bekamen Gewinnanteile in Höhe der jeweiligen Unternehmensbewertung. 250 Euro mussten mindestens investiert werden.

Dazu hielt Protonet noch einen besonderen Anreiz bereit: Wer 2000 Euro oder mehr investierte, bekam „Maya“ ohne Zusatzzahlung dazu. 1399 Euro kostet der Server ansonsten im Onlineshop. Anders läuft es dagegen beim Spenden-Crowdfunding. Hier wird Geld gespendet ohne eine materielle oder finanzielle Gegenleistung – dafür aber gibt es das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. In Hamburg betreiben beispielsweise der HSV mit „Der Hamburger Weg“ und der FC St. Pauli mit den „Kiezhelden“ solche Spenden-Crowdfunding-Plattformen.

Ein Bereich, der aktuell besonders boomt, ist das Crowdlending. Dahinter steht die Idee eines P2P-Kredits (Privat zu Privat). Hier verleiht die Crowd Geld an die Initiatoren, die dieses dann verzinst zurückzahlen. Zahlen sind hier eher schwer zu ermitteln, die Plattform „Für Gründer“ geht aber nach Recherchen davon aus, dass 2014 mehr als 35 Millionen Euro an Kreditvolumen für Selbstständige und Unternehmen durch Crowdlending aufgebracht wurden. Auch der Hamburger Möbelladen Lokaldesign hat davon profitiert. Für einen Messeauftritt benötigte der Laden, der am Schulterblatt Produkte von talentierten Nachwuchsdesignern vertreibt, 12 000 Euro. über die Crowdfunding-Plattform Finmar.com sammelten die beiden Macherinnen Julia Oertel und Katharina Roedelius das Geld ein, im Gegenzug boten sie einen Zinssatz von sechs Prozent auf den jeweils investierten Betrag bei einer Laufzeit von 60 Monaten. Auch sie bekamen die benötigte Summe mithilfe von 24 Investoren zusammen. „Ich empfehle Crowdlending definitiv weiter und würde diese Form der Finanzierung künftig einer Bankenfinanzierung vorziehen, weil man damit relativ schnell und unbürokratisch Geld für ein bestimmtes Projekt bekommen kann“, sagt Roedelius. Was sie jedoch kritisiert, ist die Mindestinvestionssumme von 250 Euro, die bei Finmar, Seedmatch und auch anderen Plattformen üblich ist.

Trotz solcher positiven Erfahrungen, wie sie Protonet und Lokaldesign gemacht haben, warnt Michael Gebert, Experte und Gründer des inzwischen 280 Mitglieder Crowdsourcing-zählenden deutschen Crowdsourcing-Verbands, davor, den Aufwand einer Crowdfunding-Kampagne zu unterschätzen: „80 Prozent des Erfolgs macht eine gute Vorbereitung aus und die sollte mindestens sechs Monate vorm Start der Kampagne beginnen.“

Neben der Auswahl der richtigen Plattform gehöre beispielsweise auch die Entwicklung einer Social-Media-Kampagne dazu, Videos müssten gedreht und Homepages bestückt werden. Nach dem Start gebe es dann oft einen Hype unter Investoren, der aber schnell wieder abebbe. „Hier müssen die Gründer dann dranbleiben und über Marketing und Pressearbeit versuchen, weitere Investoren zu gewinnen“, sagt Gebert.

Wer eine Crowdfunding-Kampagne startet oder in eine solche investieren möchte, muss sich auch über mögliche Risiken im Klaren sein. „Der Unternehmer haftet gegenüber der Öffentlichkeit und seinen Geldgebern mit seiner persönlichen und unternehmerischen Reputation. Das kann sich insbesondere dann nachteilig auswirken, wenn sich die Erträge nicht plangemäß entwickeln und man Probleme mit der Tilgung hat. Von daher sollte ein Unternehmen sich nicht ausschließlich auf Crowdfunding verlassen, sondern auch um Zugang zu anderen Finanzquellen bemühen“, warnt Le Cerf von der Handelskammer.

Um Unternehmen mit eher geringen Erfolgschancen vorab auszusieben, müssen die Start-ups bei Seedmatch beispielsweise zunächst einen Bewerbungsprozess durchlaufen, bevor die Kampagne freigeschaltet wird. Die Auswahl ist streng. Nur drei Prozent der interessierten Start-ups würden es am Ende auf die Plattform schaffen. Kosten für die Nutzung der Plattform fallen für die Gründer nur bei erfolgreichem Crowdfunding an, das Honorar beträgt zwischen fünf und zehn Prozent der gefundeten Summe. Bei Startnext bestimmen die Unternehmer dagegen nach einer erfolgreichen Kampagne selbst, mit welchem Betrag sie die Plattform unterstützen möchten. Das gilt allerdings nur für Crowdfunding, bei Crowdinvesting erhebt Startnext eine Gebühr von 595 Euro.

Aber nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Investoren tragen ein Risiko. „Bei jedem Investment ist ein Totalverlust des Kapitals möglich“, so Seedmatch auf seiner Homepage. Startups seien junge Unternehmen, noch auf der Suche nach einem nachhaltigen Geschäftsmodell. Die Wahrscheinlichkeit, das Geld zu verlieren, sei deshalb größer, als eine Rendite auf das eingesetzte Kapital zu erzielen. Investiert werden sollte deshalb nur so viel Geld, wie der Investor bereit sei zu verlieren. Er trage das unternehmerische Risiko des Start-ups in Höhe seines Investments.

Für eine kurzfristige Geldanlage sind Investitionen in Crowdinvesting-Kampagnen nicht geeignet. „Wir sprechen von Langzeitinvestments. Was anderes würde für Start-ups wenig Sinn ergeben. Junge Unternehmen brauchen Zeit, um sich zu entwickeln“, erklärt Seedmatch-Sprecherin Sabine Drotbohm. Investorenseitig könne der Investmentvertrag nach fünf Jahren gekündigt werden, von Seiten der Start-ups nach acht Jahren. Wann der Investor das Geld zurückerhalte, sei im Investmentvertrag zwischen Start-up und Investor geregelt. „Darin sind auch die Rückzahlungsmodalitäten definiert. Das Darlehen wird aber üblicherweise nach Kündigung oder Exit zurückgezahlt“, sagt Drotbohm. Selbstverständlich erhalte der Investor wie auch beim Crowdlending-Modell während der Laufzeit des Vertrags Zinsen auf sein investiertes Geld. Neben einem jährlichen Basiszins gebe es noch einen gewinnabhängigen Bonuszins und einen einmaligen Bonuszins im Fall eines Exits oder einer Kündigung.

Neben den Risiken, die die Investoren tragen, betont Seedmatch jedoch auch, wie wichtig Investments in Start-ups seien – „für die Wirtschaft, denn Innovationen sind der Motor für die Leistungsfähigkeit unseres Landes. Und für die Start-ups selbst.“ Ein Crowdinvestor bringe mit seinem Geld eine neue Gründergeneration voran und leiste somit nicht nur einen finanziellen, sondern auch einen volkswirtschaftlichen Beitrag.

 

1.) Wer kann Crowdinvestor werden?
Grundsätzlich kann jedermann über 18 Jahre Crowdinvestor werden. Viele Plattformen fordern, dass ein deutsches Bankkonto vorhanden sein muss.

2.) Wo finde ich Start-ups, die Investoren suchen?
Mehr als 100 Crowdfunding-Plattformen gibt es in Deutschland. Eine sehr gute übersicht bietet die Webseite www.Crowdfunding.de.

3.) Muss für die Nutzung der Plattformen gezahlt werden?
Nein, die Nutzung der Crowdinvesting-Plattformen ist für Investoren in der Regel kostenlos.

4.) Gibt es einen Mindestbetrag, der investiert werden muss?
Die Höhe des Investments variiert von Plattform zu Plattform. Anbieter wie Seedmatch oder Finmar geben einen Mindestbetrag von 250 Euro vor.

5.) Wer entscheidet, an welche Start-ups das Geld fließt?
Investoren können sich auf den Plattformen ihre Lieblings-Start-ups aussuchen. Die jungen Unternehmen präsentieren sich hier mit einem Portfolio und ihrem Businessplan. Oft können den Gründern auch direkt Fragen gestellt werden.

6.) Was bekommt der Investor für sein Geld?
Der Investor ist in der Höhe seines Investments an den Gewinnausschüttungen des jeweiligen Start-ups und vor allem langfristig am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen beteiligt, betont Seedmatch. Dazu halten viele Start-ups für ihre Investoren besondere Rabatte bereit.

7.) Welche Rechte haben die Investoren?
Rein rechtlich sind mit einem Investment durch das patriarchische Nachrangdarlehen keine Mitspracherechte verbunden. Dennoch schätzen viele Gründer den Austausch mit ihren Investoren. Die Informationsrechte werden dagegen vertraglich genau definiert.

8.) Welches Risiko gibt es?
Ein Investment in Form des patriarchischen Nachrangdarlehens ist ein Risikodarlehen, bei dem der Totalverlust des Investments möglich ist.

9.) Was passiert, wenn das Fundingziel des Start-ups nicht erreicht wird?
In einem solchen Fall bekommen die Investoren ihr Geld zurück.

10.) Kann der Investmentvertrag vorzeitig gekündigt werden?
Crowdinvesting ist langfristig orientiert, damit sich die Start-ups entwickeln können. Deshalb gibt es wie bei Seedmatch in der Regel eine Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren.

 

Text: Sonja Álvarez