Wer nach seiner Ausbildung glaubt, alles für immer gelernt zu haben, liegt gründlich daneben. Nur wer das Prinzip des LEBENSLANGEN LERNENS entdeckt, bleibt auf der Höhe der Zeit.
Wenn Volker Liersch Unternehmen besucht, wundert er sich häufig, dass diese Frage immer noch kommt: „Wozu brauche ich einen weiteren Abschluss, wenn ich schon einen habe?“ Liersch, Regionalleiter Hanse bei dem Aus-, Fort- und Weiterbildungsanbieter TüV Süd Akademie, schüttelt insgeheim den Kopf und versucht zu erklären, was für ihn selbstverständlich ist: „Wer dauerhaft erfolgreich sein will, muss sein Leben lang lernen.“ Dass nach Schule, Ausbildung oder Studium nicht Schluss sein darf mit Lernen, wird immer mehr Arbeitnehmern und Arbeitgebern bewusst – auch bedingt durch die sich rasant ändernde Arbeitswelt. Arbeitsplätze sind heute unsicherer geworden, viele Anstellungen nur noch befristet, für manche Beschäftigte entsteht der Eindruck, schnell austauschbar zu sein, wenn sie nicht immer effizienter und besser werden. Folglich erfasst das Prinzip Selbstoptimierung damit längst nicht mehr nur den privaten, sondern zunehmend auch den beruflichen Bereich. Nie auszulernen, seine Fähigkeiten stetig zu erweitern, wird zum Lebensziel. Gleichzeitig wächst durch Globalisierung und Fachkräftemangel der Druck auf die Unternehmen, in ihre wichtigste Ressource zu investieren, um im Wettbewerb mithalten zu können: in ihre Mitarbeiter. Lifelong Learning, verstanden als lebensbegleitendes Lernen, rückt dadurch sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber immer mehr in den Fokus, wie eine Studie des Bundesbildungsministeriums zeigt, die im Frühjahr 2014 veröffentlicht wurde.
Mit 49 Prozent hat demnach fast jeder zweite Arbeitnehmer 2012 ein Weiterbildungsangebot in Anspruch genommen. Das ist die bisher höchste gemessene Teilnehmerquote seit 1979. Grund dafür sei vor allem ein größeres Engagement der Arbeitgeber: 2012 überwog der Anteil der betrieblich veranlassten Weiterbildungsaktivitäten erstmals gegenüber dem durch die Arbeitnehmer selbst initiierten. Auch würden die Unternehmen immer mehr Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen übernehmen – was für die Angestellten wiederum ein größerer Anreiz zum Mitmachen ist.
Doch leider profitieren nicht alle Arbeitnehmer in gleichem Maße von diesem Trend, wie eine Untersuchung der Bertelsmann- Stiftung zeigt. Denn es sind vor allem diejenigen, die ohnehin zu den höher qualifizierten Beschäftigten gehören, die an Weiterbildung teilnehmen. „Die, die es dagegen am nötigsten hätten, wie beispielsweise geringqualifizierte und atypisch Beschäftigte, aber auch Migranten, nehmen Weiterbildungsangebote deutlich seltener in Anspruch. So werden auch in der Weiterbildung soziale Ungleichheiten reproduziert“, erklärt Dr. Miika Blinn, der sich bei der Stiftung mit dem Thema Lifelong Learning beschäftigt. Deshalb verwundere es auch nicht, dass Deutschland trotz des zuletzt größeren Engagements sowohl auf Arbeitnehmer- als auch auf Arbeitgeberseite im europäischen Vergleich noch längst keinen Spitzenplatz beim lebenslangen Lernen belegt, wie der „European Lifelong Learning Index“ (ELLI) der Bertelsmann-Stiftung zeigt.
In 27 EU-Staaten sind hierfür 36 Indikatoren erstmals auch außerhalb von klassischen Bildungsinstitutionen untersucht worden, also beispielsweise das Lernen am Arbeitsplatz und in der Freizeit. Spitzenreiter beim lebenslangen Lernen ist dabei Dänemark, aber auch die Niederlande und die skandinavischen Länder Schweden und Finnland belegen vordere Plätze. Deutschland hingegen schafft es mit Platz 14 nur ins Mittelfeld – und das liege nicht nur an den Schwächen im betrieblichen Weiterbildungsbereich bezogen auf Teilnahmequoten und das finanzielle Engagement der Unternehmen. Nachholbedarf werde vor allem auch bei der formalen Bildung offenbart. Besser sehe es beim nonformalen und informellen Lernen in der Freizeit aus. Hier punkte Deutschland vor allem mit einer guten Lern-Infrastruktur, die für das lebenslange Lernen von zentraler Bedeutung sei.
Was also müssen Arbeitgeber, -nehmer und Infrastrukturanbieter tun, damit Deutschland beim Thema Lifelong Learning auf die vorderen Plätze rückt, die Bundesregierung 2015 ihre gesetzte Benchmark von 50 Prozent bei der Teilnahmequote erreicht? Im Hinblick auf geringqualifizierte Beschäftigte und Migranten fordert Miika Blinn zunächst eine bessere Beratung und einen potenzialorientierten Blick: „Was kann jemand? Was bringt er schon mit? Viele haben wertvolle Kompetenzen, scheitern aber an formalen Voraussetzungen. Hier müssen wir in Deutschland noch offener und flexibler werden.“ Dadurch könne auch vermieden werden, dass bei der Weiterbildung soziale Ungleichheiten reproduziert würden. Denn wie der Bildungsbericht 2014 zeige, werden diejenigen, die an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen haben, eher zu „Wiederholungstätern“: „Sie wissen um die Vorteile des lebenslangen Lernens. Folglich nehmen sie wieder teil und haben bessere Chancen darauf, ihre Erwartungen zu verwirklichen, als Personen aus bildungsfernen Gruppen mit den geringeren Teilnahmehäufigkeiten“, erklärt Dr. Blinn.
Ziel muss es sein, möglichst viele Arbeitnehmer zu „Wiederholungstätern“ zu machen. Das Bundesbildungsministerium bietet deshalb eine „Bildungsprämie“ an. Seit dem 1. Juli werden damit Erwerbstätige gefördert, die das 25. Lebensjahr vollendet haben. Der Bund übernimmt dabei die Hälfte der Veranstaltungsgebühr für Maßnahmen, die maximal 1000 Euro kosten. In Beratungsstellen wird über die individuellen Voraussetzungen informiert.
Gefordert sind aber auch die Arbeitgeber – sie sollten alleine aus Eigennutz in die Weiterbildung der Mitarbeiter investieren, betont Blinn. „Zufriedene Mitarbeiter sind in der Regel produktiver. Es zeigt sich aber auch, dass gerade Unternehmen, denen es finanziell gut geht und die viele hochqualifizierte Mitarbeiter beschäftigen, deutlich mehr in die Weiterbildung investieren als andere.“ Das kann auch Business Club-Mitglied Volker Liersch von der TüV Süd Akademie bestätigen. Zunehmend würden Firmen erkennen, dass eine Investition in ihre Mitarbeiter immer auch eine Investition ins Unternehmen ist: „Sie schaffen sich dadurch nicht nur einen Wettbewerbsvorteil in der Personalgewinnung, weil sie als attraktiverer Arbeitgeber wahrgenommen werden. Sondern sie sind auch insgesamt besser aufgestellt, weil die Mitarbeiter durch Fort- und Weiterbildung mehr leisten können.“ Rund 500 Seminare aus den Bereichen Management, Technik und Gesundheit umfasst das Programm der TÜV Süd Akademie, die nach eigenen Angaben Marktführer beispielsweise im Bereich Managementsysteme ist. In Anspruch genommen würden die Angebote von Beschäftigten auf allen Hierarchieebenen, sagt Liersch. Er kann einen Trend bestätigen, den auch die Bertelsmann-Stiftung ausgemacht hat: In den Fokus der Unternehmen rückt verstärkt die Weiterbildung älterer Mitarbeiter, wohl auch, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, der durch den demographischen Wandel verstärkt wird. So zeige der Bildungsbericht, dass bei den 50- bis unter 65-jährigen Beschäftigten der größte Anstieg in der betrieblichen Weiterbildung zu verzeichnen ist. „Um bis zum Ende des Berufslebens erfolgreich zu sein, ist eine kontinuierliche Weiterbildung notwendig“, so Liersch.
Radikaler formuliert es Joachim Diercks, der als Geschäftsführer der Cyquest GmbH zusammen mit seinen 22 Mitarbeitern auf Rekrutierungsprozesse spezialisiert ist, beispielsweise Online-Assessments für Unternehmen entwickelt sowie Berufs- und Studienorientierung anbietet. „Wenn jemand aufhört zu lernen, ist er nicht weit entfernt von dem Zeitpunkt, ab dem es für ihn keine Verwendung mehr gibt“, so der 42-Jährige. Insgesamt aber hat er über die Generationen hinweg ein größeres Interesse am Lifelong Learning ausgemacht. Schon Kinder würden sich beispielsweise in Form von Pixi-Büchern mit Berufen und den dafür erforderlichen Fähigkeiten beschäftigen und so früh an das Thema Lernen und Weiterbildung im Job herangeführt, das sich dann durch das Erwerbsleben hindurchziehe – und mit der Rente nicht beendet ist, wie auch das wachsende Interesse der Senioren zeige, die als Gasthörer wieder zur Universität gehen. Auch wenn sich Unternehmen heute stärker im Bereich Weiterbildung engagierten, sieht Diercks Verbesserungsbedarf. So ist es gerade in Zeiten schwacher Konjunktur sinnvoll, in die Weiterbildung der Mitarbeiter zu investieren. „Statt in solchen Leerzeiten Mitarbeiter zu entlassen, sollten diese vielmehr genutzt werden für Fortbildungsmaßnahmen. Umso gestärkter wird ein Unternehmen dann aus Krisenzeiten hervorgehen“, ist sich Diercks sicher.
Wie aber sollen Unternehmen vorgehen, um das größtmögliche Potenzial bei den Angestellten auszuschöpfen? „Auf keinen Fall nach dem Gießkannenprinzip“, warnt Thomas Streveld, 51, Direktor bei der Unternehmensberatung Mercuri Urval, die Management Consulting für den Bereich Human Ressources anbietet. „In Ziel- und Jahresgesprächen sollte mit dem Mitarbeiter jeweils individuell herausgearbeitet werden, in welchen Bereichen Förderung gewünscht und sinnvoll ist.“ Denn nichts sei für einen Arbeitnehmer frustrierender, als wenn er begeistert von einem Seminar zurückkomme und dann feststellen müsse, dass das Gelernte keine Anwendung finden könne. „Weniger Sinn macht es allerdings, sich durch Weiterbildung in einem einzelnen Bereich wie beispielsweise Zeitmanagement perfektionieren zu wollen. Zielführender ist eher, sein Spektrum an Kompetenzen zu erweitern“, sagt Streveld, der als Coach auch Führungskräfte berät. Eines gibt er seinen Coachees dabei stets mit auf den Weg: „Wer glaubt, er weiß schon alles, ist bereits dabei, sich zurückzuentwickeln. Nur wer neugierig bleibt, wird dauerhaft Erfolg haben.“
Text: Sonja Álvarez Illustration: Carsten Lerch
Sonja Álvarez schreibt für den Tagesspiegel in Berlin und das Handelsblatt in Düsseldorf – dank moderner Kommunikationstechnik ist der Standort der Redaktion aber kaum von Bedeutung.