Sie sind in den besten Jahren, gesund und leistungsstark. Und doch will sie keiner haben. Zahllose deutsche Mittelständler suchen derzeit vergeblich nach einem geeigneten Nachfolger an der Unternehmensspitze. Warum der Stabwechsel so schwierig ist – und wie er dennoch gelingen kann.
Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist in die Jahre gekommen. Zwar ist der deutsche Mittelstand noch immer der wichtigste Arbeitgeber der Republik, Garant für Wohlstand und Wachstum und nicht zuletzt Inhaber ungezählter Patente. Und doch hat er ein gewaltiges Problem. Vor allem an der Spitze. Tausende Unternehmen, aufgebaut und geführt von Unternehmerpersönlichkeiten des alten Schlages, suchen derzeit händeringend einen Nachfolger für die Chefetage. Allein in Hamburg stehen nach Schätzungen der Industrie- und Handelskammer bis zum Jahr 2014 etwa 3500 übernahmen an. Doch längst nicht alle werden gelingen. „Die Gefahr, dass ein prosperierender Betrieb geschlossen werden muss, weil der Nachfolger an der Spitze fehlt, ist groß“, warnt Brigitte C. Strunck, Gesch.ftsführerin der Inpuncto Personalleitung GmbH aus Hamburg. Schuld ist, wie so oft, der demografische Wandel. Bereits im Laufe dieses Jahrzehnts wird die Gruppe der Erwerbstätigen um etwa vier Prozent schrumpfen. Unternehmerischer Nachwuchs wird so zur Mangelware. „Die Suche würde vielen Unternehmern sicher besser gelingen, wenn Firmenchefs frühzeitig begännen, ihren eigenen Ausstieg zu planen“, sagt Expertin Strunck. „Und das ist leider eher die Ausnahme denn die Regel.“
Nachschub aus den eigenen Reihen
Selbst wer sich mit der Kandidatensuche nicht aufhalten muss, etwa weil er die eigenen Kinder von Anfang an zum Firmenchef erzogen hat, hat noch genügend Probleme. Zum einen müssen zahllose rechtliche, steuerliche und buchhalterische Fragen geklärt werden, Gesellschafts- und Poolverträge angepasst, Testamente errichtet sowie Erb- und Eheverträge abgeschlossen werden. Schon das würde genügen, um einen gestandenen Geschäftsmann erst einmal auszulasten. Und doch: Die größten Schwierigkeiten liegen meist anderswo.
„Wenn es um Zahlen, juristische Winkelzüge oder Finanzierungsfragen des Stabwechsels geht, legen die meisten Firmenchefs größte Akribie an den Tag“, sagt Strunck. Die Tatsache hingegen, dass man mit der Person, der man sein Lebenswerk anvertrauen will, auch menschlich zurechtkommen sollte, wird eher vernachlässigt. Die Folgen sind oft verheerend. „Selbst wenn ein Unternehmer einen fachlich geeigneten Interessenten für die Übernahme gefunden hat und alle rechtlichen und finanziellen Fragen geklärt sind, liegen die Chancen, dass der Stabwechsel klappt, bei gerade einmal 20 Prozent“, so die Erfahrung der Beraterin. „Vor allem wenn die Ideen des Neuen von den bewährten Traditionen des Patriarchen abweichen, ist Streit oft programmiert.“ Das gilt auch und gerade in Familienunternehmen, die von einem engagierten Gründer aufgebaut und groß gemacht wurden. „Hier kommt es immer wieder vor, dass der Seniorchef erst mit 60 Jahren – oder gar noch später – damit beginnt, über seine eigene Nachfolge nachzudenken“, sagt Meike Siemen, mit ihrem Unternehmen Brückenbogen Wirtschaftsmediatorin und Konfliktberaterin bei Unternehmensnachfolgen. Eine schwierige Aussgangsposition. Selbst wenn es Söhne und Töchter gibt, die bereits in den Startlöchern stehen: Eine gut organisierte Übergabe braucht in der Regel fünf bis zehn Jahre Vorbereitung. Eine Zeit, in der der Seniorchef unter anderem lernen muss, Verantwortung abzugeben und loszulassen. Das allerdings fällt mit zunehmendem Alter nicht unbedingt leichter – insbesondere, wenn der scheidende Geschäftsführer bislang fast ausschließlich für das Unternehmen gelebt und seinen Beruf als sein schönstes Hobby betrachtet hat.
Reden ist Gold
„Wer Zeit seines Lebens an vorderster Front gekämpft hat, für den ist es natürlich besonders schwer, zurückzustecken und einem Jüngeren das Feld zu überlassen“, so Siemen. Mitunter allerdings lässt sich aus der Not auch eine Tugend machen. „Gerade bei einer Übergabe innerhalb der Familie gibt es Fälle, bei denen auch eine Doppelspitze funktioniert“, so die Expertin. Voraussetzung: Die Beteiligten haben die Kompetenzen klar verteilt und der Tag des Ausstiegs steht.
Im Wesentlichen haben sich zwei Gestaltungsvarianten bewährt. Entweder der Senior zieht sich zu einem bestimmten Stichtag endgültig und unwiderruflich aus dem operativen Geschäft zurück oder er gibt zumindest formell seine Ämter auf, bleibt dem Junior aber noch eine Weile als Berater erhalten. „Welcher Weg für ein Unternehmen der richtige ist, hängt maßgeblich davon ab, wie die generationsübergreifende Zusammenarbeit klappt, welche Charaktere aufeinandertreffen – und wie die Beteiligten miteinander kommunizieren“, sagt Siemen. Der letzte Punkt, die Kommunikation, macht aber oft Probleme. „Gerade bei familieninternen Nachfolgemodellen fehlt häufig die gebotene Neutralität bei der Einschätzung der gegenseitigen Fähigkeiten und Defizite“, sagt Beraterin Strunck. Oft gingen die Beteiligten zu Unrecht davon aus, zwischen Vater und Sohn müsse eine Art Seelenverwandtschaft bestehen, die auch die unternehmerischen Fragen umfasse. „Stellt man dann fest, dass dem nicht so ist, sind die ersten Fehlentscheidungen meist schon getroffen und die Enttäuschung groß.“
Andererseits gilt: Wenn Vater und Sohn tatsächlich eine gemeinsame Werteskala besitzen und ein paar elementare Verhaltensregeln einhalten, können beide durch die Übernahme profitieren. Eines der schönsten Beispiele dafür ist der Fall der Hamburger Unternehmerfamilie Birkel. Sohn Christoph hat die Geschäftsführung im Jahr 2007 von seinem Vater Wolfram übernommen. Ein ganz natürlicher Vorgang, sei das gewesen, erzählt er. „Seit fünf Generationen wird unser Unternehmen innerhalb der Familie weitergegeben – warum hätten mein Vater und ich da eine Ausnahme machen sollen?“ Grabenkämpfe um Macht oder die richtige Unternehmensstrategie habe es nie gegeben. Im Gegenteil. „Allen Beteiligten war von Anfang an klar, dass ich nach meinen Lehr- und Wanderjahren zurückkommen und die Firma übernehmen würde“, erzählt Birkel. Genau so ist es dann auch passiert. Langsam aber stetig übertrug der Senior immer mehr Verantwortung auf den Sohn. „Ich habe das gar nicht richtig gemerkt – bis mein Vater dann plötzlich im Ruhestand war und mir bewusst wurde, dass ich das Unternehmen nun wirklich alleine leite.“
Wo gehobelt wird, fallen Späne
Völlig ohne Reibungsverluste allerdings läuft selbst die harmonischste Übergabe nicht ab. Vor allem in der Übergangszeit, in der alter und neuer Chef als echte Doppelspitze auftreten, bleiben kleine Hakeleien nicht aus. „Der eine oder andere Mitarbeiter musste in dieser Zeit doppelte Wege gehen: Gelegentlich gab es auch einmal widersprüchliche Anweisungen“, räumt Birkel ein.
„Das war für die Belegschaft mitunter schon nervig.“ Inzwischen allerdings sind die Fronten klar. Jeder in der Firma weiß: Der Sohn hat das Sagen, der Senior ist Privatmann. Und das mit jeder Menge Spaß: „Reisen, Segeln, Technik – mein Vater war schon immer ein vielseitig interessierter Mensch“, sagt der junge Unternehmenschef. „Langweilig wird ihm ohne die Firma sicher nicht.“ Und wenn es doch einmal anders kommen sollte? „Auch gut“, lacht Birkel junior. „Wenn mein Vater irgendwann einmal zurückkommen möchte, kann er das jederzeit gerne tun.“
So viel Zusammenhalt nötigt selbst erfahrenen Experten einigen Respekt ab – denn in der Praxis sind solche Glücksfälle eher die Ausnahme. „Selbst wenn Altchef und Nachfolger sich blendend verstehen – der Rest der Familie ist auch noch da“, weiß Expertin Strunck. „Und der kann massive Probleme machen.“
Der Klassiker: eine unliebsame Ehefrau, aufmüpfige Geschwister, die ihre Geschäftsanteile versilbern wollen – oder ein entfernter Neffe, der zwar ein großes Ego, leider aber keinerlei unternehmerischen Sachverstand besitzt. Strunck: „In solchen Konstellationen verhärten sich die Fronten oft. Spätestens dann sollten die Betroffenen einen erfahrenen Mediator oder externen Coach hinzuziehen. Mit dessen Unterstützung lassen sich oft doch noch interessengerechte Ergebnisse erzielen.“
Das weiß auch Unternehmer Birkel. Und er ist dabei, es zu minimieren. Zwar sind seine drei Kinder noch ziemlich klein. Irgendwann allerdings wird sich auch ihnen die Frage stellen, ob sie, wenn überhaupt, in die Fußstapfen des Vaters treten wollen. Um für diesen Fall vorbereitet zu sein, tüftelt Birkel schon heute an Verträgen, die sowohl der Familie als auch dem Unternehmen ein gutes Auskommen sichern. Wie das geht, hat er von seinem Vater gelernt.
Text: Catrin Gesellensetter Illustration: Tom Leifer Design
Dr. Catrin Gesellensetter arbeitet als freie Wirtschaftsjournalistin in München. Die gelernte Juristin hat eine ausgeprägte Vorliebe für Karrierethemen und alles, was Recht ist. Sie schreibt unter anderem für Capital, das Handelsblatt und die Süddeutsche Zeitung.