Künstliche Intelligenz kann im Zeitraffer Aufgaben erledigen, für die sich ein Mensch lange den Kopf zerbrechen müsste. Diese technologische Superkraft können Firmen für sich nutzen, um in Zukunft noch schneller und effektiver zu werden.

KI kann vieles. Programmcodes schreiben, zum Beispiel. Absatzprognosen erstellen. Oder wissenschaftliche Hausarbeiten verfassen. Gleichzeitig geht auf vielen Bürofluren die Angst um. Werden KI-basierte Maschinen uns Menschen in der Berufswelt schon bald ersetzen? Experten glauben, dass einige Tätigkeiten tatsächlich von KI übernommen werden. Gleichzeitig entstünden mit ihr aber neue Berufsfelder. Und Unternehmen hätten mit KI die Chance, noch effizienter zu wirtschaften.

Eine Firma, die Künstliche Intelligenz bereits aktiv nutzt und ihre Wirtschaftsleistung damit optimiert hat, ist die norddeutsche Bäckerei Junge. Der Filialist, der allein im Großraum Hamburg rund 1300 Mitarbeitende in 50 Läden beschäftigt, sammelt seit der Jahrtausendwende Verkaufsdaten über elektronische Kassen. Vermerkt werden dort alle Backwaren, Snacks und Getränke, die über den Tresen wandern. Seit einiger Zeit kommen weitere Daten dazu, die auf den ersten Blick rein gar nichts mit der Produktion und dem Verkauf von Gebäck und Co. zu tun haben. Wie wird morgen das Wetter? Wann sind Ferien,wann Feiertage? Liegen die Filialen in abgelegenden Gegenden oder in Touristenorten? Und gibt es dort Straßenbaustellen? Aus dieser immensen Datenmasse errechnet eine KI, welche Ware an welchem Tag, in welcher Filiale besonders gefragt sein wird. Die Prognosen sind erstaunlich präzise: Regnet es, verirren sich weniger Kunden in den Laden und kaufen Kuchen und Kaffee.

Bei der Bäckerei Junge gleicht Künstliche Intelligenz den Fachkräftemangel aus
„Wir können unsere Logistik so optimal planen, Retouren vermeiden und bedarfsgerecht produzieren“, erklärt Tobias Schulz, geschäftsführender Mitgesellschafter, das Konzept zum KI-Einsatz bei Junge. Mit Erfolg: „Wir haben mit der KI in den letzten Jahren nicht nur unsere Retouren gesenkt, sondern auch unseren Umsatz gesteigert.“ Die Sorge, dass Künstliche Intelligenz Arbeitsplätze wegrationalisieren könnte, sei – zumindest bei Junge – unbegründet, sagt Schulz. Denn in der Branche fehlten ohnehin Fachkräfte, die KIAutomatisierung sei für das Bäckereipersonal daher eher eine Erleichterung: „Früher musste jemand im Backoffice einer Filiale Routinetätigkeiten machen wie Bestelllisten schreiben. Weil es jetzt die Möglichkeit gibt, gewisse Verantwortungen an Maschinen abzugeben, haben unsere Mitarbeitenden mehr Zeit für menschliche Tätigkeiten, wie die Kundenberatung.“

Das Potenzial sei damit aber noch lange nicht ausgereizt, sagt Schulz. „KI hat eine ähnliche Tragweite wie das Aufkommen des Internets und kann in allen Bereichen eingesetzt werden. Beim Einkauf, der Werbung, der IT. Das gesamte Ausmaß für den Einsatz dieser Technologie ist heute noch gar nicht abzuschätzen.“

Beim ARIC laufen die Fäden der KI-Kompenzen aus der gesamten Metropolregion Hamburg zusammen
Für Unternehmer sei es daher „unheimlich wichtig“, jetzt an der KI-Entwicklung teilzuhaben und entsprechendes Wissen aufzubauen, meint Alois Krtil, Geschäftsführer und Gründer des Artificial Intelligence Centers Hamburg (ARIC). Ziel des Vereins, der 2019 aus der Taufe gehoben wurde, ist es, Kompetenzen rund um das Thema KI in der Metropolregion zu bündeln, sowohl von Seiten der Wissenschaft, als auch der Wirtschaft. „Insgesamt haben wir mehr als 80 Kooperationspartner, darunter Universitäten, Branchenverbände und staatliche Akteure wie die Stadt Hamburg“, sagt er. „Die Firmen, die bei uns als zahlende Mitglieder registriert sind, beschäftigen branchenübergreifend mehr als eine Million Arbeitnehmer.“

Für Unternehmer, die sich in Sachen KI weiterbilden wollen, bietet ARIC verschiedene Formate an, beispielsweise Einstiegskurse zum Thema generative KI – auch ohne feste Mitgliedschaft. „Wer bei uns Mitglied ist“, sagt Krtil, „hat außerdem die Möglichkeit, Ideen für KI-Cases mit uns gemeinsam zu besprechen
und daraus marktfähige Prototypen zu entwickeln.“

Auch Fehrmann hat schon mit ARIC zusammengearbeitet. Die Hamburger Firmengruppe vereint als Fehrmann Tech Group insgesamt fünf High-Tech/Deep-Tech-Unternehmen, die unter anderem Spezialfenster für Forschungsschiffe und Sicherheitsgussteile für Achterbahnen produzieren – und die schillernden Wendeflügel der Elbphilharmonie. Fehrmann Materials ist auf Aluminiumlegierungen spezialisiert. Bisher dauerte die Entwicklung einer solchen neuen Legierung mehrere Jahre. Unter der Leitung von Chief Digital Officer Dr. Achim Tappe hat ein achtköpfiges Expertenteam von Fehrmann Materials X, einem auf KI spezialisierten Zweig der Firma, nun eine Software entwickelt, die unter dem vorläufigen Namen MatGPT einen Paradigmenwechsel in der Materialentwicklung einläuten soll. „Mit diesem Tool können neue Materialien, etwa für den Fahrzeugbau, innerhalb weniger Wochen entwickelt werden“, sagt der Chemiker und promovierte Astrophysiker. MatGPT funktioniert ähnlich wie der Textroboter ChatGPT. Ein Autobauer kann etwa fragen, welche Legierung er braucht, um ein noch leichteres und robusteres Fahrzeug herzustellen.

MatGPT greift auf eine riesige Datenmenge, wie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Materialforschung, zu und erstellt daraus das optimale „Rezept“ für das neue Fahrzeug. „Das ist eine Revolution, weil Produkte so viel schneller hergestellt werden können als je zuvor“, sagt Tappe. Ein anderes Beispiel sei Titan: „Bisher kam viel Titan aus Russland nach Europa. Das geht jetzt nicht mehr. Mit Hilfe von KI könnten in großer Geschwindigkeit andere Legierungen entwickelt werden, die ähnliche Eigenschaften haben wie Titan und dieses Metall so in der Industrie ersetzen.“

Mit KI könnte die deutsche Wirtschaftsleistung laut Studie um bis zu 330 Milliarden Euro wachsen
Auch in anderen Branchen kann KI Prozesse beschleunigen und Ergebnisse optimieren. Anwälte können die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits schneller einschätzen, wenn eine KI Gerichtsurteile ähnlicher Fälle vorher zusammenfasst. Landwirte können mit KI den optimalen Zeitpunkt für ihre Ernte und den Bedarf an Pestiziden berechnen. In der Radiologie kann KI medizinische Bilder wie Röntgenaufnahmen analysieren und Auffälligkeiten entdecken, die für das menschliche Auge kaum zu identifizieren sind. „KI ist also ein echter Innovationstreiber“, sagt Achim Tappe. Er meint: „Wenn Firmen jetzt nicht mit der Zeit gehen und KI für sich nutzen, werden sie abgehängt.“

Wie groß das Potenzial dieser neuen Technologie ist, verdeutlicht eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts IW Consult im Auftrag von Google: Wenn Unternehmen verstärkt generative KI wie ChatGPT einsetzten, könnte die deutsche Wirtschaftsleistung um bis zu 330 Milliarden Euro wachsen. Außerdem könnten Arbeitnehmer durch KI jährlich um die 100 Arbeitsstunden einsparen. Dafür müsste aber auch mehr als die Hälfte der Unternehmen bereit sein, KI einzusetzen. Bisher täten dies nur 17 Prozent. In Hamburg sei das anders, so ARIC-Chef Alois Krtil: „Schätzungsweise 25 Prozent der Firmen nutzen KI bereits in irgendeiner Form. Und für zehn bis 15 Prozent ist KI bereits eine Kernkompetenz. Außerdem haben wir im September 2023 etwa 140 Hamburger Start Ups in der KI-Branche gezählt. Damit gehören wir sicher zu den Top-Drei-Städten in Deutschland.“

Doch wie können Unternehmer ihre KI-Kompetenzen gezielt aufbauen? Gerade im Bereich der generativen KI sei das gar nicht so schwierig, meint Prof. Dr. Tilo Böhmann, Vizepräsident der Uni Hamburg und Leiter der Forschungsgruppe IT-Management und Cosulting. „Wenn ich beispielsweise ein Angebot oder eine Broschüre erstellen möchte, kann mir der Co-Pilot bei Microsoft Office dabei helfen, aus Stichworten Inhalte zu formulieren.“ Mit Excel könnten Prognosen erstellt werden. „Solche kleineren Experimente kann wirklich jeder ohne viele Voraussetzungen schnell und einfach umsetzen.“ Allerdings habe jedes System Grenzen, betont Böhmann: „Man muss wissen, wo man KI sinnvoll einsetzen kann und man muss sicherstellen, dass die Verantwortung für das Ergebnis immer noch bei dem liegt, der die KI anwendet.

Künstliche Intelligenz wird unsere Arbeitswelt auf den Kopf stellen – vor allem da, wo es langweilig ist
Auf die Frage, ob der KI massenweise Jobs zum Opfer fallen werden, antwortet Achim Tappe von Fehrmann: „Ich denke nicht, dass die KI die Menschen verdrängen wird. Sondern dass Menschen, die KI nutzen, diejenigen ablösen werden, die das nicht tun. Der Mensch bekommt mit der KI ein Tool an die Hand, das ihn drei bis fünf Mal produktiver macht.“

Auch Tilo Böhmann ist „eher weniger“ zukunftspessimistisch: „Die Angst, dass Arbeitnehmer wegrationalisiert werden, die hat es auch schon in früheren Automatisierungsprozessen gegeben, man denke an die ersten Computer. Ich glaube, dass es eher Tätigkeiten sein werden, die wegfallen und anders organisiert werden.“ Würden infache Routinetätigkeiten durch Automatisierungsprozesse abgelöst, bestehe die Herausforderung aber darin, dass die verbleibenden, komplexeren Tätigkeiten ein höheres Qualifikationsniveau voraussetzten.

ARIC-Chef Alois Krtil ist ebenfalls der Meinung, dass sich Stellenprofile mit allen technologischen Entwicklungsschritten, die die Wirtschaft bis dato gemacht habe, etwa im Zuge der Digitalisierung, verändert hätten. „Genau das wird auch passieren, wenn sich Künstliche Intelligenz in unserer Arbeitswelt etabliert.“ Zwar könnte es passieren, dass einzelne Berufszweige den neuen Technologiesprung nicht überleben. „Dafür werden mit der KI gleichzeitig auch viele neue Arbeitsfelder geschaffen.“

Was sich mit KI definitiv verändern werde sei, dass wir Menschen monotone und langweilige Routineaufgaben an Maschinen übergeben und uns stattdessen verstärkt
den Tätigkeiten widmen könnten, bei denen es Kreativität brauche, um neue Ideen zu entwickeln. Und die Intuition, dass diese auch erfolgreich sein werden. Am Ende, davon ist der KI-Experte Krtil überzeugt, seien Menschen immer noch soziale Wesen: „Um gut zusammenarbeiten zu können, brauchen wir Empathie und Nähe. Und das wird auch Künstliche Intelligenz nicht ändern.“

SO LÄUFT’S MIT KI – 5 PRAKTISCHE TIPPS

  1. KI VERSTEHEN LERNEN
    Wer Künstliche Intelligenz in Unternehmensprozesse einbinden will, der muss diese auch verstehen. Wozu ist KI in der Lage und wo liegen ihre Grenzen? Workshops,
    Seminare und Vorträge liefern Impulse.
  2. ZIELE DEFINIEREN
    Bevor eine KI-Strategie im Betrieb eingeführt wird, sollten Ziele definiert werden. Was möchte man konkret erreichen? Worum geht es kurz-, mittel- und langfristig? So werden Anwendungspotenziale erkannt und priorisiert.
  3. AUSREICHEND DATEN SAMMELN
    Damit ein KI-System funktioniert, muss es zunächst trainiert werden. Um beispielsweise Prognosen erstellen zu können, braucht die KI ähnliche, relevante, aktuelle und korrekte Daten, die vorher in ausreichender Menge gesammelt werden müssen.
  4. IN DIE INFRASTRUKTUR INVESTIEREN
    Um eine KI-Lösung in den aktuellen Workflow zu integrieren, braucht ein Unternehmen leistungsstarke Computer und Speicher. Weil sich die KI immer weiterentwickelt, sollte das System regelmäßig gewartet und evaluiert werden.
  5. MITARBEITER INS BOOT HOLEN
    Mitarbeiter sollten in die KI-Weiterentwicklung einbezogen werden. Neben Schulungen sind Feedbacks wichtig: wie gut klappt es mit den neuen KI-Tools im Arbeitsalltag?
Text: Lena Johanna Philippi Illustration: Nguyet Cu