Wer sich selbstständig machen will, der benötigt eine Portion Mut und Stehvermögen. Für die EXISTENZGRÜNDUNG braucht man nicht nur eine gute Idee, sondern auch einen ausgeklügelten Plan.

Die Chancen stehen ganz und gar nicht gut. Die Dotcom-Blase ist kurz vorm Platzen, ein Internetunternehmen nach dem anderen muss seine Pleite vermelden – und ausgerechnet jetzt kommt Patrick Postel, 25 und frischer Absolvent der Technischen Informatik, auf die Idee, eine IT-Firma zu gründen. „Wir wollten uns nirgendwo anstellen lassen, wo wir nach ein paar Monaten eh wieder die Koffer packen müssen“, erinnert sich Clubmitglied Postel heute an den Februar 2000, „vor allem aber haben wir an die Branche geglaubt und haben uns deshalb entschlossen, selbst etwas auf die Beine zu stellen.“ Aus einer Idee wurde seine Firma Silpion IT-Solutions mit Sitz am Brandshofer Deich. Dabei hatten er und seine Geschäftspartner damals kurz nach dem Studium weder finanzielle Reserven noch Kontakte – dafür aber von einem ganz viel: Mut. „Wir sind wirklich bei Null gestartet“, sagt Postel, aber „wir haben uns von Anfang an zugetraut, dass wir es irgendwie hinbekommen, uns selbst zu finanzieren.“

Der Plan ist aufgegangen, inzwischen beschäftigt Silpion nach eigenen Angaben 125 festangestellte Mitarbeiter und verzeichnet 2014 bisher einen Honorarumsatz von rund elf Millionen Euro. Ein Erfolg, den Postel nun auch anderen IT-Experten ermöglichen will – und zwar ohne bei Null anfangen zu müssen. Mit der Software Allianz Hamburg (SAH), deren Mitgründer er ist, hat er Anfang September die Gründerwerft ins Leben gerufen, eine Initiative, die auf ein neues Start-up-Konzept setzt: Technologieunternehmen sollen dort quasi mit Netz und doppeltem Boden aufgebaut werden. Im Gegensatz zu klassischen Inkubatorkonzepten bekommen Gründer hier nämlich nicht nur Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Verfügung gestellt, sondern auch eine Festanstellungsgarantie im Falle des Scheiterns. „Viele Beinahe-Gründer schrecken am Ende aufgrund der existentiellen Risiken insbesondere hier in Deutschland zurück. Mit der Festanstellungsgarantie wollen wir diese Scheu vor Unternehmensgründungen minimieren, denn so lassen sich gerade diejenigen fürs Gründen begeistern, denen auch in großen Unternehmen alle Karrierewege offenstehen, die diese Gründungsimpulse dort jedoch nicht verfolgen können“, erklärt Postel das Konzept.

Während im kalifornischen Silicon Valley nahezu täglich neue IT-Buden gestartet werden, ist die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland rückläufig: Immer weniger Menschen wagen den Schritt in die Selbstständigkeit, wie eine Erhebung des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn zeigt: Nur 164 100 Existenzgründungen wurden im ersten Halbjahr 2014 verzeichnet, das ist ein Minus von 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Im ersten Halbjahr 2013 waren noch rund 174 000 Existenzgründungen angemeldet worden. Dieser Trend wird sich fortsetzen, schätzen die Wissenschaftler. Für das gesamte Jahr 2014 erwarten sie einen Rückgang auf rund 328 000 Existenzgründungen. Ursache dafür ist nach Angaben der Forscher vor allem die weiterhin hohe Fachkräftenachfrage. Auch Hamburg ist von diesem Negativtrend betroffen, wie die IFM-Statistik zeigt: Demnach wurden im ersten Halbjahr 2014 rund 10 500 Unternehmen angemeldet (5430 Existenzgründungen und 3350 Nebenerwerbsgründungen), das sind rund zehn Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Experten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) fürchten sogar, dass es in Deutschland bis 2050 zu einer Lücke von insgesamt einer Million Unternehmen kommen könnte. Grund dafür sei auch der demografische Wandel, heißt es im DIHK-Gründerreport 2014: Gründer seien im Schnitt zwischen 35 und 45 Jahre, einer Altersgruppe, die schrumpfe. „Gleichzeitig gehen vor allem in den Schwellenländern mehr gut qualifizierte Leute an den Businessstart. Das bringt in den kommenden Jahren den deutschen Mittelstand unter Druck. Damit Deutschland auch in den nächsten Jahren einen wettbewerbsfähigen Mittelstand hat, muss die Zahl der Unternehmensgründungen deutlich gesteigert werden.“

Doch wie wird der Schritt in die Selbstständigkeit wieder sexy? Beispielsweise, indem das Risiko zu scheitern, minimiert wird. So, wie es das Konzept der Gründerwerft vorsieht: In der Inkubationsphase bekommen die Gründer hier Paten von der Software Allianz Hamburg an die Seite gestellt, die sie begleiten und unterstützen. Im Falle des Scheiterns haben die Paten „Vorzugsrechte“ in der Einstellung der Gründer, da sie aus der praktischen Arbeit Nähe zu diesen haben, deren Kompetenzen, Stärken und Schwächen beurteilen können, und schließlich auch gezielt Geld und Personal in die Betreuung investieren. Sollten die „Vorzugsrechte“ nicht wahrgenommen werden, werden alle Mitglieder der SAH befragt. Hier wird dann im Konsens entschieden, wer die jungen Unternehmer übernimmt. Wenn es auch dort zu keiner Übernahme kommt sollte, übernimmt eine der drei Gründerfirmen der SAH (AKRA, Projekt Partners, Silpion IT-Solutions) das jeweilige Team. „Generell wird es kein Problem sein, die jungen Firmen im Falle des Scheiterns bei der SAH unterzubringen, diese besteht ja aus 22 IT-Firmen mit über 1500 Mitarbeitern und verfügt über deutlichen Personalbedarf“, versichert Oliver Hammerstein, Head of Management der Gründerwerft und Silpion-Geschäftsführer.

Das Interesse am Konzept der Gründerwerft ist „erfreulich“, bilanziert Hammerstein. Anfang September war zusammen mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz der Startschuss für den Bewerbungsprozess gegeben worden, bereits Anfang 2015 sollen die ersten Gründer in den Büros auf dem Gelände am Brandshof ihre Schreibtische einrichten. Bis zu zehn Gründerteams beziehungsweise bis zu 40 Einzelgründer sollen hier einen Platz finden. Der Fokus liegt bei der Auswahl der Start-ups auf den Kernkompetenzen der SAH, also der IT und Digitalisierung. Sechs bis zwölf Monate dürfen die Gründer im sicheren Hafen der Gründerwerft bleiben. Spätestens nach einem Jahr sollte die Tragfähigkeit der Geschäftsidee sichergestellt sein, erklärt Hammerstein. Doch nicht alle Existenzgründer können in so einem geschützten Ort wie der Gründerwerft wachsen und gedeihen.

Wer den Weg in die Selbstständigkeit wagen will, muss deshalb einige wichtige Schritte beachten (siehe auch Kasten). „Erst einmal muss sich derjenige fragen, ob er überhaupt eine Unternehmerpersönlichkeit ist“, rät Matthias Schumacher, der als Anwalt bei der Hamburger Kanzlei Brautlecht & Zacher auf die Beratung von Unternehmensgründern und Unternehmern spezialisiert ist. Wer Sicherheit und seinen Nine-to-five-Job schätze, solle eher nicht mit der Selbstständigkeit liebäugeln. Wer sich aber für eine Existenzgründung entscheide, müsse sich unter anderem mit Fragen nach der passenden Rechtsform auseinandersetzen, eine genaue Marktanalyse betreiben und vor allem auch den Kapitaleinsatz planen. „Leider kommt es immer wieder vor, dass an falschen Stellen Kosten gespart werden sollen, beispielsweise, bei der Beratung über die richtige Rechtsform. Oder indem die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus dem Internet zusammenkopiert werden. Das kann schnell nach hinten losgehen und teuer werden. Um sich vor einem Schadensfall zu schützen, ist es deshalb immer besser, sich beraten und auch juristisch begleiten zu lassen“, betont Schumacher. Ein solches Prozedere mag womöglich gerade auf junge Leute eher abschreckend wirken – aber genau diese Sorge will die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH) ihren Studenten nehmen. Sie darf sich seit 2013 „Gründerhochschule“ nennen, im bundesweiten Wettbewerb „EXIST-Gründungskultur“ hatte sie sich als eine von zwölf Universitäten in Deutschland durchgesetzt und bekommt in den kommenden fünf Jahren 2,7 Millionen Euro aus dem EXIST-Fördertopf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. „Unternehmertum in Forschung und Lehre zu fördern, ist der smarteste Weg des Technologietransfers“, sagt Ralf Grote, Leiter des TUHH-Präsidialbereichs.

„Wir haben in Deutschland zwar viele kluge Köpfe, aber leider noch zu wenig unternehmerisch denkende Köpfe.“ Das habe er erst zu Beginn des aktuellen Wintersemesters festgestellt. Bei der Begrüßung seien die rund 1300 neuen Studenten gefragt worden, wer von ihnen schon einmal über eine Unternehmensgründung nachgedacht habe, nur etwa zehn Prozent der Erstsemester hätten sich gemeldet. „Der Arbeitsmarkt für Ingenieure ist derzeit zu gut. Da haben die Studenten wenig Anlass, über Alternativen wie die Existenzgründung nachzudenken“, vermutet Grote als Grund für das geringere Interesse. Das soll sich mit dem sogenannten „Startup Dock“ der TUHH nun ändern. Entrepreneurship wird für alle Studierenden Pflichtfach und das bereits im Bachelorstudiengang. „Jeder unserer Studierenden muss sich damit zumindest einmal mit den Fragen rund ums Unternehmertum auseinandersetzen“, so Grote.

Wer auf den Geschmack kommt, wird im Zentrum für Innovation und Entreprenuership von einem zwölfköpfigen Team unterstützt, vom Erstellen des Businessplans bis hin zum öffentlichkeitswirksamen Marketing. 20 Gründerprojekte werden derzeit bereits bearbeitet, Kapazität gibt es für rund 40 Projekte. Hinzu kommen außercurriculare Veranstaltungen, wie beim diesjährigen Reeperbahn-Festival. Beim Pitching-Event im Club Grünspan hatte die TUHH alle interessierten Studierenden und Wissenschaftler aus den Hochschulen der Metropolregion Hamburg eingeladen, um gemeinsam zu lernen, sich zu vernetzen und zusammenzufinden. Ziel des „Startup Docks“, das die Privatwirtschaft aus der Region in den nächsten fünf Jahren mit mehr als einer Million Euro fördert, ist eine Verdoppelung der Ausgründungen ab 2017 und eine Verdreifachung bis 2022 in den Kompetenzfeldern „Green Technologies“, „Life Science Technologies“ sowie „Aviation and Maritime Systems“.

Grote hofft, dass mit Initiativen wie dem „Startup Dock“ auch ein kultureller Wandel in Deutschland einhergeht: „Wir dürfen nicht zu viel in Sicherheiten denken, sondern müssen mehr wagen, damit Gründen wieder attraktiver wird. Selbstverständlich kann nicht aus jeder Idee eine erfolgreiche Firma werden, aber wir müssen uns hierzulande mehr eine ,So what‘-Haltung angewöhnen, wie sie auch im Silicon Valley typisch ist.“ Das sieht Patrick Postel ähnlich: „In unserem Verständnis ist Scheitern eine Chance, ein Paradigma, das wir aus den USA als selbstverständlich in der Start-up-Szene kennen.“ Auch er hätte damals mit seiner Idee für Silpion scheitern können angesichts der schlechten Aussichten für die IT-Branche. Dennoch hat er den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und damit den größten Fehler vermieden, der beim Thema Existenzgründung nach Ansicht von Ralf Grote überhaupt gemacht werden kann: „über eine Unternehmensgründung erst gar nicht nachzudenken.“

 

Text: Sonja Álvarez     Illustration: Carsten Lerch

Sonja Álvarez schreibt für den Tagesspiegel in Berlin und das Handelsblatt in Düsseldorf – dank moderner Kommunikationstechnik ist der Standort der Redaktion aber kaum von Bedeutung.