Streit belastet, demotiviert Mitarbeiter und kostet Firmen eine Menge Geld. Ein gutes KONFLIKTMANAGEMENT hilft Führungskräften, Auseinandersetzungen im Team rechtzeitig zu erkennen, zu lösen – oder erst gar nicht entstehen zu lassen.

 

Das Objekt der Begierde ist kugelrund, etwa 150 Gramm schwer und stammt ursprünglich aus dem Fernen Osten: Eine Apfelsine, um die ein lebhafter Streit entflammte. Mit diesem beliebten Beispiel beginnt Helmuth Gramm seine Beschreibung eines Konflikts. Sie geht so: Zwei Kinder, beide wollen das orangefarbene Obst für sich behalten. Das Problem: Es ist nur ein Exemplar vorhanden. Zwei Partien, zwei Interessen – und keine Einigung in Sicht. Ein klassischer Konflikt.
Mit Situationen wie diesen kennt der 62-Jährige sich bestens aus. Seit mehr als 20 Jahren kümmert er sich darum, Konflikte zu lösen. Gramm ist psychologischer Berater, Mediator, Konfliktmanager und seit mittlerweile fast 20 Jahren Konfliktlotse an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. „In so vielen Jahren mit Konflikten erlebt man schon die außergewöhnlichsten Auseinandersetzungen“, sagt er – und fängt an zu erzählen. Einmal habe er etwa einen Mitarbeiter erlebt, der morgens das Büro betrat, die Tür aufschloss, sie hinter sich wieder verschloss, die Zeitung aufschlug, und den Tag über sich ergehen ließ. „Es wusste eigentlich niemand, was er genau gemacht hat“, sagt Gramm. Oder in einem Labor. Dort habe sich ein Mitarbeiter in einem stillen Eckchen sogar eine kleine Hängematte aufgehängt und mal mehr, mal weniger ausgedehnte Mittagsschläfchen gehalten. Die Kollegen hätten das natürlich gar nicht gern gesehen. „Und dann gibt es da noch diese vermeintlichen Kleinigkeiten“, sagt Gramm. „Der einen ist es im Büro zu warm, der anderen zu kalt. Die eine will lüften, die andere die Heizung aufdrehen. So geht es los. Und das Ende vom Lied: Streit.“
So unterschiedlich Konflikte sein können, eines haben sie gemeinsam: Sie belasten die gesamte Firma, demotivieren die Mitarbeiter und kosten richtig viel Geld. Da ist zum Beispiel der Faktor Zeit. Laut einer Studie des Hernstein-Instituts gehen deutschlandweit rund 15 Prozent der Arbeitsstunden für Konflikte drauf. Bei Führungskräften sind es sogar 30 bis 50 Prozent – also fast der halbe Arbeitstag. Das allein ist schon ein indirekter Kostenfaktor, denn wenn die Angestellten streiten, können sie schließlich nicht arbeiten. Außerdem sind streitende Mitarbeiter weniger leistungsfähig. In einer norwegischen Studie haben mehr als ein Viertel aller Befragten angegeben, dass Konflikte die eigene Leistung schmälern.
Noch viel schlimmer wird es jedoch dann, wenn der Streit die Gesundheit belastet. Und das tut er nicht zu selten. Die AOK hat in ihrem Fehlzeitenreport ausgerechnet, dass Konflikte, die zu Behandlungen und Ausfällen am Arbeitsplatz führen, die deutsche Volkswirtschaft mit Summen in Höhe von mehr als 40 Milliarden Euro belasten. 2,3 Milliarden Euro pro Jahr betragen allein die Kosten fürs Fehlen durch Mobbing. Nicht selten ziehen die Mitarbeiter in Folge von Streit auch die Reißleine und kündigen den Job. So beruhen mindestens die Hälfte aller Kündigungen seitens der Angestellten auf ungelösten Streitigkeiten. Das wiederum erhöht die Fluktuation – und damit einen weiteren Kostentreiber für Unternehmen, die diese Stellen dann aufwendig neu besetzen müssen. Das alles führt dazu, dass Konflikte in kleinen und mittleren Betrieben fast 20 Prozent, also ein Fünftel, aller Gesamtkosten verursachen.
Das muss nicht sein. Ein wirksames Konfliktmanagement kann dabei helfen, Streitigkeiten in Unternehmen schnell und einfach zu schlichten oder nach Möglichkeit sogar zu vermeiden. Aber wie sieht ein solches System aus, das wirklich funktioniert – und wie wird es aufgebaut?
Diese Fragen hat sich auch die HAW gestellt. Und Helmuth Gramm geholt, um die Antworten zu finden. 2003 war das, als gerade eine regelrechte Welle durch Hamburg schwappte, die ein Ziel hatte: Mobbing in der Verwaltung zu bekämpfen. Gemeinsam mit einer Kollegin aus der Personalabteilung ging er das Thema Konfliktmanagement an. Sie entwickelten ein Konzept und schrieben es auf. Erster wichtiger Schritt: „Ein Konfliktmanagement braucht normative Regelungen“, sagt Gramm. Also wurde das Konzept in eine Dienstvereinbarung übernommen.
Darin sind vier Dinge wichtig, sagt der Experte – sogenannte Säulen. Die erste Säule ist die Bekanntmachung. Dafür braucht es nach Möglichkeit gute Promoter. „Am besten Menschen, die sowohl etwas vom Fach verstehen als auch gut vernetzt sind im Unternehmen“, erklärt Gramm. Die zweite Säule ist das Personal. Gut ausgebildete Fachleute, die verstehen, wie man Konflikte wirksam moderiert. Die dritte Säule sind die ersten Beratungen. Hier brauche man ein wenig Glück, dass die Fälle gut gelingen. Schließlich sei eine erfolgreiche Probe aufs Exempel das beste Marketing. Und die vierte Säule ist die Rückendeckung aus der Chefetage. „Die Unternehmensführung muss komplett dahinterstehen“, sagt Gramm.
An der HAW gab es diese Rückendeckung. Auch, weil das Konzept überzeugte. Mit seiner Kollegin hat Gramm auf sogenannte Konfliktlotsen gesetzt. Sie fungieren als Anlaufstellen für Mitarbeiter mit Streitproblemen. Diese Konfliktlotsen sind zwar selber auch Mediatoren, haben aber zunächst eine andere Funktion: Sie sollen die Mitarbeiter mit ihren Problemen an die Stelle weitervermitteln, die sie lösen kann. Meistens an andere Mediatoren. Warum sie diese Konflikte nicht einfach selbst moderieren? Dafür gibt es einen einfachen Grund: „Als Mediator sollte man zuvor möglichst gar keinen Kontakt zu irgendeiner Streitpartie gehabt haben, um komplett unbefangen in die Gespräche gehen zu können“, erklärt Gramm. Mit zwei Konfliktlotsen ist das Projekt 2003 gestartet. Im ersten Jahr gab es zwei Fälle bei rund 1000 Mitarbeitern. Heute ist die Abteilung auf fünf Konfliktmanager angewachsen, die mit etwa 35 Auseinandersetzungen pro Jahr zu tun haben. Nicht, weil heutzutage mehr gestritten, sondern, weil sich mittlerweile um diese Angelegenheiten gekümmert wird.
Wie sich um diese Angelegenheiten gekümmert wird, geschieht meist nach einem ähnlichen Muster: „Die Menschen abholen, Themen und Interessen in den Mittelpunkt stellen, Lösung gemeinsam erarbeiten und den Prozess neutral moderieren“, sagt Gramm. Zunächst hören sich die Mediatoren beide Streitparteien an – um zu verstehen: Was ist überhaupt los? Eine Art Bestandsaufnahme. Am Beispiel der Apfelsine wäre das die Situationsbeschreibung: Es gibt zwei Konfliktparteien, beide wollen das Obst für sich. Wenn das Problem komplexer ist, kann der Fall auch komplizierter werden. Um im Bild zu bleiben: Es ist Sonntag, die Supermärkte sind geschlossen, und eine Tankstelle ist viel zu weit weg. Es gibt also keine Möglichkeit, eine zweite Apfelsine zu kaufen. Wenn keine Lösung auf der Hand liegt, werden beide Streitparteien an einen Tisch gesetzt. Dort geht es darum, gemeinsame eine Lösung zu finden. Können sich die beiden Kinder die Apfelsine teilen? Kann ein Kind bis morgen warten?
Wenn auch das Gespräch keine Lösung herbeigeführt hat, geht der Konflikt in die nächste Instanz. An der HAW gibt es dafür beispielsweise einen Konfliktrat. Der besteht zum einen aus dem Mediator, zum anderen aber auch aus einem Mitglied der Personalabteilung und des Betriebsrates sowie der nächsthöheren, am Konflikt unbeteiligten Führungskraft. Auch diese Beteiligten lassen sich die Situation schildern und erarbeiten Lösungsvorschläge. Die nächste Instanz kann aber auch auf einen Prozess im Arbeitsgericht hinauslaufen. Damit wäre der Konflikt eskaliert.
Damit es gar nicht erst soweit kommt, gilt es, Konflikte zu bekämpfen, bevor sie entstehen. Aber geht das überhaupt? „Hier empfiehlt es sich, realistisch zu bleiben“, sagt die Konfliktberaterin Andrea von Graszouw. „Konflikte sind einfach unvermeidbar, da Menschen sind, wie sie sind – nämlich unterschiedlich.“ Deshalb gehe es vielmehr darum, eine Kultur zu entwickeln, in der Konflikte als etwas Alltägliches begriffen werden und der Umgang mit ihnen vorsorglich geregelt wird. Als Mediatorin und Business Coach hilft sie ihren Kunden dabei, genau das zu tun – seit mehr als 30 Jahren.
Regel Nummer eins auf diesem Weg ist die Stimmung im Unternehmen, sagt sie. „Schaffen Sie ein Betriebsklima, in dem sich Mitarbeiter wohlfühlen und gern zur Arbeit kommen.“ Dazu zählt zum Beispiel eine Kommunikationskultur, die Meinungsverschiedenheiten erlaubt, weil sowohl die Meinung der Führungskraft als auch die der Mitarbeiter gehört wird. Deshalb sollten Führungspositionen immer mit Menschen besetzt werden, die über soziale Kompetenz verfügen. „Dabei hilft Unterstützung von außen, durch eine externe Vertrauensperson, um Führungskräfte in Betrieben zu entlasten“, erklärt die Konfliktmanagerin.
Auch die Organisation der Arbeit kann, obwohl gut gemeint und zielführend gestaltet, dazu führen, Konflikte im Team zu erzeugen. Eine Errungenschaft der neuen Arbeitswelt beispielsweise sind flache Hierarchien und Teams, die sich in eigener Regie führen. Beides nährt jedoch Konfliktpotenzial, weil immer mehr Mitarbeiter mitreden. Dann wird aus Co- Working plötzlich K.o.- Working. „Deshalb sollten die Rollen in den Teams immer klar verteilt sein“, sagt von Graszouw, die darüber hinaus noch einen wichtigen Tipp für Führungskräfte hat: „Überprüfen Sie von Zeit zu Zeit ihr eigenes Konfliktverhalten.“ Denn Führungskräfte sind immer auch Vorbilder. Ihr Verhalten ist der Maßstab für Mitarbeiter und wird bewusst oder unbewusst im täglichen Miteinander nachgelebt. Wie beim Konfliktmanagement gilt also auch bei Prävention: Der Chef gibt die Richtung vor.
Der Chef kann Konflikte sogar für sich und das Unternehmen nutzen, wenn sie sich schon nicht gänzlich vermeiden lassen, sagt der erfahrene Konfliktlotse Gramm. „Konflikte zeigen auf, wenn irgendwo Sand im Getriebe ist“, sagt er. Sie deuten auf Fehler hin und helfen dabei, sie zu beheben. Sie ermöglichen Unternehmen auf diese Weise sogar Wachstum. „Und Wachstum“, sagt Gramm, „tut eben manchmal weh. Selbst bei Kindern, wenn die Knochen wachsen“.
Apropos Kinder. Wie geht die Geschichte mit der Apfelsine eigentlich aus? „Es stellt sich heraus“, sagt Gramm, „dass das eine Kind backen und das andere sich einen Saft pressen will. Das eine Kind braucht also die Schale zum Reiben, das andere das Fleisch zum Auspressen.“ Viel Streit um nichts also. Und ein Konflikt, den es eigentlich gar nicht gibt.

 

DIE FÜNF SCHRITTE DER MEDIATION

  1. EINLEITUNG
    Das Gespräch findet in einer angenehmen, vertrauensfördernden Atmosphäre statt. Alle Beteiligten werden darüber informiert, wie das Gespräch abläuft, dass der Mediator den Ablauf gestaltet, die Konfliktparteien selbst jedoch die Experten für den Konflikt sind. Sie entscheiden, ob und wie der Konflikt gelöst wird.
  2. SICHTWEISE DER BETROFFENEN
    Die Kontrahenten stellen ihre Sicht des Konflikts dar – und zwar ohne, dass die Gegenpartei sie unterbricht. Der Mediator hört aktiv zu und stellt, wenn nötig, Verständnisfragen. Wichtig: Alle relevanten Informationen werden in dieser Phase gesammelt.
  3. KONFLIKTERHELLUNG
    In dieser Phase werden die Gefühle, Interessen und Hintergründe aufgedeckt. Die eine Seite fasst die Aspekte des jeweils anderen zusammen. Auf diese Weise werden Missverständnisse vermieden und der Weg zu den Wünschen und Bedürfnissen des anderen wird aufgezeigt.
  4. LÖSUNGEN SAMMELN UND ENTWICKELN
    Alle Beteiligten überlegen in einem kreativen, moderierten Prozess gemeinsam, wie sie ihre Meinungsverschiedenheiten beilegen wollen. Für die Lösung des Konflikts tragen demnach alle gemeinsam die Verantwortung.
  5. ÜBEREINKUNFT
    Die Konfliktparteien einigen sich auf die Lösungsvorschläge, die ihnen am meisten zusagen. Bei Bedarf hält der Mediator die Vereinbarungen schriftlich fest und lässt sie von allen Betroffenen unterschreiben. Die Umsetzung wird geregelt oder gegebenenfalls auf ein weiteres Gespräch vertragt.

 

Text: Alexander Siebert Illustration: Stephan Kuhlmann