Gute Mitarbeiter sind wichtig für den Erfolg einer Firma, noch wichtiger ist aber, dass sie gesund sind. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement hilft Unternehmen dabei, Mitarbeiter zu finden, zu binden und zu unterstützen.

Wer oft und lange im Büro arbeitet, der kennt das Problem: Rückenschmerzen. Die vielen Stunden am Schreibtisch, dazu wenig Bewegung. Das führt nicht selten zu langwierigen Erkrankungen. Bandscheibenvorfälle, Sehnenscheidenentzündung, Genickstarre. Diese Krankheiten aber sind nur das eine, sie zu behandeln das ganz andere Problem. Einen guten Orthopäden finden, auf einen schnellen Termin hoffen und dann ins Wartezimmer setzen. Die Überweisung zum Radiologen in die Computertomographie, kurz CT. Diagnose, Besprechung, Behandlung, vielleicht sogar eine Operation? Physiotherapeuten finden, Termine ausmachen – und wieder zur Kontrolle. Alles von vorn.
Axana Ungemach kennt diese Geschichten nur zu gut. Als Personalchefin der Event-Agentur Nord Event hat sie immer mal wieder mit solchen Fällen zu tun. Aber es gibt mittlerweile eine Lösung für diese Probleme. „Wir bieten unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit einer sogenannten PlusCard“, erklärt Ungemach: „Damit genießen auch Kassenpatienten Leistungen, von denen sonst nur Privatversicherte profitieren.“ Facharzt finden, Termin bekommen und eine gute Behandlung erfahren – kein Problem mehr für ihre Kollegen. Dank des Arbeitgebers.
Die PlusCard ist ein Angebot von „Wir für Gesundheit“, einem Gesundheits-Start-up aus Berlin, das auch in Hamburg vertreten ist. Mit mehr als 270 Kliniken und vielen hundert ambulanten Partnern ist es das größte deutsche Qualitätsnetzwerk für Gesundheitsdienstleistungen. Business Club-Mitglied und Geschäftsführer Silvio Rahr hat es 2014 mitgegründet. „Viele Arbeitnehmer können sich den Komfort eines Privatpatienten nicht leisten. Mit der PlusCard haben wir ein Tool entwickelt, mit dem Unternehmen ihren Mitarbeitern jedoch genau diesen Komfort ermöglichen können“, sagt er: „Damit tun sie Gutes für ihre Mitarbeiter und zeigen sich als engagierte und verantwortungsbewusste Arbeitgeber.“ Und genau damit trifft Silvio Rahr aktuell einen Nerv.
Immer mehr Unternehmen setzen mittlerweile auf ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das beobachtet auch Birgit Schweeberg. Sie leitet als stellvertretende Geschäftsführerin der Handelskammer Hamburg den Bereich Gesundheitswirtschaft und ist Geschäftsführerin der von Handelskammer und Gesundheitsbehörde getragenen Gesundheitswirtschaft Hamburg GmbH. In beiden Funktionen informiert sie Hamburger Firmen unter anderem zu Fragen rund um die Gesundheit der Mitarbeiter. Sie sagt: „Die Hamburger Wirtschaft nimmt diese Sache ernst.“ Schon in der bisher letzten Handelskammerstudie zu diesem Thema aus dem Jahr 2014 gab fast jedes dritte Unternehmen an, bereits ein betriebliches Gesundheitsmanagement eingeführt zu haben. Heute, ist sich Schweeberg sicher, dürften es sogar deutlich mehr sein.
Aber warum setzen sich Unternehmen überhaupt für das Wohl ihrer Mitarbeiter ein? „Die einfachste Erklärung: Weil es sich rechnet“, sagt Schweeberg – aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Gesunde Mitarbeiter bringen mehr Leistung und sind folglich seltener krank; beides sind wichtige Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg einer Firma. Aber es gibt auch eine emotionalere Sicht auf die Dinge. „Der Einsatz für die Gesundheit der Mitarbeiter hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun, er ist also ebenso eine soziale Leistung“, sagt Schweeberg. Die Folgen aber sind dieselben: auch zufriedene, wertgeschätzte Mitarbeiter leisten mehr.

Sport, Ergonomie oder Hilfe bei Behandlungen: Viele Wege führen zu mehr Gesundheit.

Abgesehen davon hat sich Gesundheit in der Bevölkerung zu einem Trend-Thema entwickelt. Viele Menschen achten heute immer stärker darauf, wie sie leben, was sie essen, wie sie sich bewegen. Da liegt es nicht allzu fern, dass sie auch bei der Wahl ihres Arbeitgebers schauen, was dieser für ihre Gesundheit unternimmt. „Egal ob präventive Angebote oder umfassende Hilfe im Krankheitsfall: ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist vor allem auch Trumpf beim Buhlen um die immer schwerer zu findenden Fachkräfte“, sagt Schweeberg.
Damit punktet auch die Event-Agentur Nord Event. „Wir bieten die PlusCard im Basic-Tarif jedem Mitarbeiter an, der mindestens ein Jahr lang im Unternehmen arbeitet. Wer mehr als zehn Jahre dabei oder als Führungskraft angestellt ist, für den gibt es den Premium-Tarif“, sagt Axana Ungemach, die Mitarbeiterin der Personalabteilung. Fachkräfte finden und Führungskräfte binden ist also auch hier einer der Gründe für diese besondere Form des betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Eine Investition, die allerdings auch ganz konkrete Vorteile bringt – nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für deren Familien, die über die PlusCard günstig mitversichert werden können. Muss der PlusCard-Inhaber ins Krankenhaus, wird er – je nach Tarif – vom Chefarzt behandelt und verbringt die Zeit im Ein- oder Zweibett-Komfortzimmer, damit er schnell wieder gesund wird. Der Facharzt-Terminservice koordiniert zudem schnelle Termine beim Spezialisten. Wer will, kann so auch eine medizinische Zweitmeinung einholen – für alle Diagnosen. Darüber hinaus gehören Sonderkonditionen wie vergünstigte Mitgliedschaften in Fitnessstudios, Rabatte auf Sportgeräte und Sportausrüstungen sowie Preisnachlässe in bestimmten Gesundheitsresorts und Hotels zu den Leistungen.
Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, können Unternehmen einfache Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern. Zum Beispiel: ergonomische Arbeitsplätze einrichten. Burkhard Remmers ist Experte auf diesem Gebiet. Er leitet die PR-Abteilung beim Büromöbelhersteller Wilkhahn, hält Vorträge an Hochschulen und arbeitet seit fünf Jahren am höhenverstellbaren Schreibtisch. „Alles wird effizienter – und die Menschen immer kranker“, sagt er und kennt die Ursache: zu wenig Bewegung. „Die Digitalisierung nimmt uns Arbeit ab. Wir müssen uns kaum noch bewegen.“ Die Folgen sind Muskel-, Skelett- oder depressive Erkrankungen, Zivilisationskrankheiten, wie Remmers sie nennt, die für 36 Prozent aller Fehlzeiten sorgen.
Wer verstehen will, wie es dazu kommen kann, muss wissen, wie der menschliche Körper funktioniert. „Der wichtigste Indikator für Gesundheit ist der Stoffwechsel, und der wird beeinflusst durch drei Faktoren: Bewegung, Ernährung und Psyche“, erklärt Remmers. Wer sich wenig bewegt und schlecht ernährt, wird Muskeln verlieren und an Fett zulegen. Das führt wiederum dazu, dass Menschen fettleibig werden oder an Diabetes erkranken. Mit der Psyche ist es noch sensibler. „Wenn wir unter Stress stehen, schüttet der Körper Hormone aus wie Adrenalin, was uns wiederum in Hochspannung versetzt“, sagt der Experte: „Wird der Körper dann nicht durch Bewegung gelockert, verkrampft er, was wiederum zu Rücken- und Kopfschmerzen führt.“ Die bekanntlich häufigsten Symptome für Stresskrankheiten.
Um dem entgegenzuwirken, beschäftigt sich Wilkhahn schon seit Ende der siebziger Jahre mit dem Thema Ergonomie am Arbeitsplatz. „Wir wollen vielfältige Bewegungen so oft wie möglich in die Arbeitswelt integrieren“, erklärt Remmers. Die neueste Lösung heißt Kinematik, auch bekannt als „free-to-move“-Beweglichkeit. Hierbei werden die Bürostühle so gebaut, dass der Körper bereits durch kleinste Bewegungen in eine Rotation versetzt wird. Dadurch wird das Becken mobilisiert und die tiefe Rückenmuskulatur gestärkt. Zudem führt der Körper durch die Rotation viel mehr Bewegungen aus, als kognitiv angestoßen werden. Und meistens enden diese erzwungenen Bewegungen auch noch im Stehen. „Das ist eine gute Erinnerung für alle, die, wie ich, immer mal wieder das Aufstehen vergessen“, sagt der 60-Jährige.
Während Kollegen auf Wilkhahn-Stühlen förmlich zu Schwung am Schreibtisch gezwungen werden, hat das Start-up wheasy geschafft, Mitarbeiter seiner Kunden völlig freiwillig in Bewegung zu versetzen. „wheasy“, das ist eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen workplace und health system, was übersetzt so viel bedeutet wie betriebliches Gesundheitsmanagement. „Das ist unsere Geschäftsidee“, sagt Jirko Kampa, der wheasy mit seiner Kollegin Melina Lauk vor drei Jahren gegründet hat und jetzt Unternehmen dabei unterstützt, ein Gesundheitsangebot zu integrieren.
Die beiden Gründer kennen sich aus dem Studium der Ökotrophologie. Dass Kampa diesen Fachbegriff erklären muss, ist er gewohnt: „Ernährungswissenschaften“, sagt er. Die Idee zur Gründung reifte bei den beiden schon im Hörsaal, wurde aber erst durch einen Hilferuf so richtig konkret: „Melinas Vater führt ein großes Hafenunternehmen und hat sich über die hohen Fehlzeiten seiner Angestellten beklagt – ob wir da als Experten nicht etwas machen könnten“, erinnert sich der 30-Jährige. Sie konnten. Am Firmensitz der Walter Lauk-Gruppe auf der Hafeninsel Steinwerder wurden kurzerhand ein Büro und ein Raum für Fitnessgeräte freigeräumt und mit Sportangeboten gefüllt. Neben Fitnesskursen haben Kampa und Lauk den Mitarbeitern Tipps gegeben, wie sie sich gesünder ernähren und darüber hinaus besser auf ihre Gesundheit achten können. Und die Fehlzeiten wurden weniger.
Das funktioniert so natürlich nicht immer. „Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein sehr individuelles Thema“, sagt Kampa – jede Firma ist anders. Daher findet er zunächst raus, was für Maßnahmen zum Betrieb passen. Was gibt es schon? Was wollen die Kollegen? Und was sind überhaupt die Anforderungen an ein erfolgreiches Gesundheitsmanagement? So müsse zum Beispiel der Büroarbeiter lernen, mit Stress fertig zu werden und sich mehr zu bewegen, während der Handwerker, der ohnehin den ganzen Tag körperlich arbeitet, eher eine Massage gebrauchen kann oder Entspannungsübungen für den Rücken. Auf Basis dieser Analyse stellt Kampa Maßnahmen zusammen, führt sie im Unternehmen ein und lässt sie regelmäßig durch die Mitarbeiter bewerten. Je nachdem, was dabei herauskommt, wird das Angebot angepasst.
Dieses Prinzip hat wheasy auf namhafte Kunden übertragen wie Eurogate, die Buss-Gruppe oder die Hamburg Port Authority (HPA). „Wir sind im Hafen zu Hause, und hier braucht man uns am dringendsten. Denn hier gibt es keine Fitnessstudios oder Restaurants“, sagt Kampa. Aus dem lokalen Fokus ist das Netzwerk „Gesunder Hafen“ entstanden. Dessen Ziel ist es, die Gesundheitsinteressen der Firmen zu verknüpfen. Also finden regelmäßig Vorträge und Workshops statt, werden Koch- Events organisiert oder gemeinsame Sportkurse angeboten. Den wheasy-Fitnessraum können die Mitglieder des Netzwerks ebenfalls kostenlos nutzen.
Besonderes Highlight dieses Jahr war jedoch der Hamburg- Triathlon. Hier hat der „Gesunde Hafen“ 20 Staffeln über die Sprintdistanz und insgesamt mehr als 100 Teilnehmer ins Rennen geschickt. „Das wurde richtig gut angenommen“, sagt Kampa. Also steht der Termin für 2020 schon jetzt fest im Veranstaltungskalender, und die Mitarbeiter des Netzwerks werden fleißig animiert. Positiver Nebeneffekt: Ein Jahr lang auf den Triathlon vorbereiten heißt, ein Jahr regelmäßig Training und Bewegung. Das ist auch und vor allem gut für die Gesundheit.

 

Text: Alexander Siebert Illustration: Stephan Kuhlmann