In Deutschland sind 45 Prozent aller Beschäftigten Frauen. Doch nur 29 Prozent befinden sich in Führungspositionen. FEMALE LEADERSHIP gehört längst noch nicht zur Normalität in den großen Unternehmen – das sollte es in Zukunft aber.
Morgens um 6:15 Uhr herrscht noch Ruhe in der Welt von Gillian Tans. Schnell macht sie sich selbst fertig, dann bereitet sie das Frühstück und die Vesper-Boxen für ihre drei Kinder vor, die kurz darauf wach werden; der allmorgendliche Trubel beginnt. Gemeinsam fahren sie zur Schule, selbstverständlich mit dem Rad, schließlich ist Tans Holländerin und lebt mit ihrer Familie in Amsterdam. Sind die Kinder weg, geht’s für Tans weiter zu ihrem nächsten Baby: Booking.com.
Gillian Tans, 46 Jahre alt, ist Chefin des weltweit führenden Hotelbuchungsportals mit mehr als 15 000 Mitarbeitern – und steht damit ziemlich einsam da. Nicht nur, weil speziell die Techwelt von Männern dominiert ist. Auch insgesamt sind Frauen in Spitzenpositionen solch großer Unternehmen weiterhin eine Seltenheit.
So stellen Frauen in Deutschland zwar 45 Prozent der Beschäftigten – aber nur rund 29 Prozent der Führungskräfte. Sie sind an der Spitze deutscher Unternehmen also deutlich unterrepräsentiert, wie eine Auswertung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) von April 2018 zeigt. Zwar hat Deutschland mit Angela Merkel (CDU) bereits so lange eine Regierungschefin, dass Kinder inzwischen fragen, ob auch Männer Kanzler können – doch noch immer wird kein einziges Dax-30-Unternehmen von einer Frau geführt.
„Female Leadership“ ist deshalb eines der großen Zukunftsthemen für die Wirtschaft. Muss es auch sein, allein aus ihrem Eigeninteresse, denn: „Gut ausgebildete Frauen werden heute dringender in den Konzernen benötigt denn je. Wer ihnen nicht entsprechende, attraktive Angebote machen kann, wird im Wettbewerb um Fachkräfte das Nachsehen haben“, sagt Ulrike Hasbargen, Partnerin bei der Unternehmensberatung EY, die kürzlich eine Studie über Frauen in Topetagen veröffentlicht hat. Demnach sind die Vorstände deutscher Unternehmen weiterhin eine Männerdomäne, obwohl mehr Frauen der Aufstieg in die Topetage gelingt. Der Anteil von Managerinnen in den Führungsgremien börsennotierter Unternehmen stieg zum Stichtag 1. Januar 2018 auf 7,3 Prozent (Vorjahr 6,5 Prozent).
In den 160 Unternehmen der Börsenindizes Dax, M-Dax, S-Dax und TecDax gab es erstmals insgesamt 50 Frauen im Vorstand. Das waren sieben mehr als vor einem Jahr. Ihnen saßen insgesamt 636 Männer gegenüber. Nach wie vor sind 73 Prozent der Vorstandsgremien den Angaben zufolge ausschließlich mit Männern besetzt. Lediglich in 27 Prozent der Unternehmen sitzt mindestens eine Managerin in der Topetage.
„Der Weg von Frauen in die Führungsspitzen der Unternehmen bleibt leider oft mühsam und steinig“, sagt EY-Partnerin Ulrike Hasbargen. Daran habe sich trotz freiwilliger Quoten und öffentlicher Debatten wenig geändert. Wenn es in dem Tempo wie im vergangenen Jahr weitergehe, werde es bis 2038 dauern, bis ein Drittel der Vorstandsposten mit Managerinnen besetzt sei.
Dabei sind Frauen die besseren Chefs, wie beispielsweise die Studie der Norwegian Business School von 2017 zeigt. Die Wissenschaftler analysierten dafür 2900 Führungskräfte, darunter 900 Frauen, auf die entscheidenden fünf Eigenschaften hin, die ein Spitzenmanager aus ihrer Sicht mitbringen muss: Stress aushalten, Initiative ergreifen, Innovationen fördern, andere unterstützen und Ziele effektiv erreichen können. Das Ergebnis: Die weiblichen Spitzenmanager schnitten besser ab. Die Frauen seien klarer in ihrer Kommunikation, offener für Innovationen, gewissenhafter und besser darin, Mitarbeiter zu unterstützen.
Warum aber rücken Frauen dann nicht auf? Die gemein-nützige Allbright-Stiftung verweist auf den sogenannten „Thomas-Kreislauf“: Fünf Prozent der Vorstandsvorsitzenden in deutschen Unternehmen hießen im März 2017 Thomas – und so gibt es mehr Vorstandsmitglieder, die Thomas oder Michael heißen (49), als es insgesamt Frauen gibt (46), denn: Der deutsche CEO umgibt sich demnach am liebsten mit Spiegelbildern seiner selbst. Dabei fallen dem Bericht der Stiftung zufolge nicht nur Frauen durchs Raster, sondern auch beispielsweise alle, die in Ostdeutschland ausgebildet sind: Sie machen weniger als einen Prozent der Vorstandsmitglieder aus. 93 Prozent sind Männer, 76 Prozent Deutsche, 71 Prozent Wirtschaftswissenschaftler oder Ingenieure. „So reproduzieren sich seit Jahrzehnten immer gleiche Führungsmannschaften, denen viel innovatives, aber auch selbstkorrigierendes Potenzial entgeht“, heißt es in der Studie.
Zumindest was den Frauenanteil angeht, könnte eine Quote helfen, um diesen ewigen „Thomas-Kreislauf“ zu durchbrechen. Dass sie wirkt, zeigt die verbindliche Quote für Neubesetzungen in den Aufsichtsräten. Seit Anfang 2016 sind 101 börsennotierte, voll mitbestimmungspflichtige Firmen verpflichtet, bei Neubesetzungen im Aufsichtsrat sicherzustellen, dass mindestens 30 Prozent der Posten von Frauen besetzt werden. Dies ist dank der Quote bereits erreicht: Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten stieg von 27,4 Prozent in 2016 auf 30,1 Prozent in 2017. Der positive Trend könnte sich fortsetzen, weil einige Firmen die gesetzliche Vorgabe übererfüllen, andere hingegen noch nachziehen müssen.
Der Blick auf die Vorstände dagegen zeigt: Kein Zwang, kaum Bewegung. Unternehmen seien gut beraten, Managerinnen zu fördern und ihnen die Chance auf entsprechende Vorstandsposten zu geben, sagt Hasbargen: „Ansonsten dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis wir auch dafür eine gesetzliche Quote bekommen.“
Unternehmen weisen dagegen oft die Schuld von sich. Aus ihrer Sicht gibt es schlicht nicht genügend Frauen, die für die höchsten Führungsebenen qualifiziert sind. „Vorstände großer Unternehmen müssen jahrelang 500 oder 1000 Mitarbeiter geführt haben, internationale Erfahrung und interkulturelle Kompetenz mitbringen“, sagte Frank Beyer, der als Personalberater von LAB & Company Kandidaten für solche Posten sucht, der „Süddeutschen Zeitung“. Seine Wunschkandidatinnen würden ihre Absagen häufiger als Männer damit begründen, dass beispielsweise Umzüge und Pendeln mit ihrem Familienmodell nicht vereinbar seien. Doch ein Frauenanteil von 15 bis 20 Prozent sollte aus Sicht des Personalsuchers auch unter den aktuellen Bedingungen erreichbar sein.
Aus Sicht von Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft, beweist der geringe Anteil von weiblichen Bewerbern um Führungspositionen dagegen, dass politische Quotenforderungen am Ziel vorbeigehen. „Stattdessen sollte man das Augenmerk darauf legen, Hindernisse zu beseitigen, die Frauen möglicherweise von einer Bewerbung abhalten“, sagt er. In erster Linie gehe es dabei um eine bessere und flächendeckende Kinderbetreuung, von der Frauen nach wie vor besonders profitieren würden. Zudem können flexible Arbeitszeitmodelle dabei helfen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern. Auch wenn in der Regel die zeitlichen Anforderungen mit zunehmender Verantwortung steigen, werden in manchen Firmen Führungspositionen auch in Teilzeit ausgeübt. Nach den Daten des IW-Personalpanels trifft dies auf ein Fünftel der Unternehmen zu. „Um das Potenzial möglicher Führungskräfte voll auszuschöpfen, sind kreative Lösungen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiger Ansatz“, erklärt Stettes.
Auch die Booking.com-Chefin Tans setzt sich für mehr weibliche Führungskräfte ein. Deshalb reagiert sie auch nicht genervt auf die Frage, die männliche Spitzenmanager mit Familie fast nie, sie dagegen regelmäßig beantworten muss: „Wie schaffen Sie das nur: Kinder und Karriere?“
Sie weiß, wie wichtig Vorbilder für andere Frauen sind und erzählt deshalb gerne von ihren Karriereschritten: „Am Anfang meiner Karriere ging es mir wie vielen Frauen: Ich war schüchtern, wenn ich als einzige Frau zwischen Männern in Sitzungen saß. Es hat mich Überwindung gekostet, meine Meinung zu sagen“, erinnert sie sich in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Frauen bräuchten da vielleicht ein bisschen länger, bis sie in solchen Umgebungen Selbstvertrauen entwickeln würden. „Mir wurde diese Zeit gegeben. Wichtig war für mich auch, dass unsere Unternehmenskultur von Anfang an Fehler erlaubt hat. Dadurch konnte ich viel ausprobieren und habe mich leichter aus der eigenen Komfortzone rausbewegt.“
Unternehmen würden automatisch von einem höheren Frauenanteil profitieren, da „gemischte Teams am Ende immer erfolgreicher sind“. Aber es sei schwieriger, die Frauen zu halten – aus verschiedenen Gründen. „Deswegen muss man sich mehr um sie bemühen. Wir haben zum Beispiel einen Hackathon für Frauen organisiert, damit Frauen ihre Programmierfähigkeiten zeigen können. Ich glaube, dass es wahnsinnig wichtig ist, dass es auch weibliche Vorbilder in der Techszene gibt“, betont Tans.
Booking.com habe einige Frauen in Führungspositionen, beispielsweise die Personalchefin und die Chefin des Geschäftskundenbereichs. Auf technischen Positionen seien es 20 Prozent. „In den Niederlanden engagieren wir uns deshalb sehr dafür, dass Kinder – und auch Mädchen – schon früh in der Schule programmieren lernen. Unser Schulsystem muss sich auf die neuen Berufsprofile einstellen.“
Als sie selbst mit dem ersten Kind schwanger war, habe sie große Bedenken gehabt, es ihrem Chef zu sagen. Aber der habe nur geantwortet: „Das ist okay, du wirst eine bessere Managerin werden.“ Sie habe damals nicht genau gewusst, was er meinte, aber er habe recht gehabt. „Mütter organisieren sich deshalb gut, weil sie auch Zeit für die Familie haben wollen“, erklärt Tans. Beispielsweise, um die Kinder morgens mit dem Rad zur Schule zu bringen.