Corona hat die Arbeitswelt im Eiltempo verändert. Nun ist die Pandemie vorbei – aber es bleiben viele Fragen: Wie arbeiten wir künftig zusammen? Wie geht es weiter mit Homeoffiffce, Büropräsenz und Führungskultur? Ein Blick in die Zukunft der Arbeit.

Durch die Hamburger Büros weht ein frischer Wind. Und das liegt nicht etwa daran, dass in regelmäßigen Abständen stoßgelüftet werden muss, damit die womöglich virenverseuchten Aerosole in der Luft ausgetauscht werden. Sondern nach drei Jahren Pandemie sind nach und nach die Mitarbeiter zurückgekehrt in die Großräume, Bürozimmer oder Co-Working-Spaces. Seit etwas mehr als einem Jahr besteht keine Pflicht mehr zum Homeoffice und so stellen inzwischen viele Firmen wieder auf den Alltag um. Airbus ermöglicht den Beschäftigten zwar außerhalb produktionskritischer Bereiche nach wie vor Homeoffice, beobachtet aber eine Rückkehr in die Büros. Beiersdorf regelt mobiles Arbeiten in einer Betriebsvereinbarung: Bis zu 40 Prozentn steht der Belegschaft demnach zu. Aber der Arbeitsmittelpunkt soll im Betrieb verbleiben.

Homeoffice, Präsenz, mobiles Arbeiten: Es hat sich etwas verändert in Hamburgs Arbeitswelt. Auslöser dafür war und ist die Corona-Pandemie. Sie hat das Arbeiten in kürzester Zeit revolutioniert. Von heute auf morgen waren viele Menschen gezwungen, ins Homeoffice umzuziehen. Als ein „bundesweites Experiment der Digitalisierung von Arbeit und Kooperation, dessen Veränderungs- geschwindigkeit undenkbar schien“, bezeichnete Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO die Situation. Und tatsächlich: Für die meisten war der Wechsel an den Heimarbeitsplatz eine völlig neue Erfahrung. Während vor der Pandemie laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hierzulande nur vier Prozent der Beschäftigten von zu Hause gearbeitet haben, waren es während der Pandemie zeitweise mehr als siebenmal so viele. Insgesamt jeder dritte Arbeitnehmer würde sich wünschen, den Arbeitsort weiter flexibel zu wählen. Dreiviertel wollen sogar noch mehr mobilesArbeiten.

Im Homeoffice hat sich vieles besser angefühlt,als es tatsächlich war. Deshalb stellt sich heute, drei Jahre nach Beginn der Krise und wenige Wochen, nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Corona-Notstand und damit mehr oder minder auch die Pandemie für beendet erklärt hat, die Frage: Wie ist dieses Experiment ausgegangen? Was sind die Lehren daraus für die Zukunft? Und wie sieht sie aus, die Arbeitswelt von Morgen?

Danach gefragt, atmet Prof. Dr. Tabea Scheel erst einmal tief durch. Sie ist Arbeits- und Organisations- psychologin an der Europa-Universität Flensburg und hat eine geteilte Meinung zur Arbeitssituation während der Pandemie. „Corona hat das Land gespaltet“, sagt Scheel. Was sie damit meint: „Die einen fanden es cool, mit Kaffee auf dem Tisch und Laptop auf dem Schoß auf dem Balkon zu sitzen und zu arbeiten. Und die anderen haben Kinder.“ Vieles habe sich besser angefühlt, als es war. So sei die technische Ausstattung lange ein Problem gewesen, der Arbeitsplatz am Küchentisch alles andere als ergonomisch und der zwischenmenschliche Kontakt, der für das soziale Gefüge innerhalb der Mitarbeiterschaft so wichtig ist, weitgehend ausgefallen. „Unternehmen schaden sich also selbst, wenn sie ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zwingen“, sagt Scheel. Viel mehr mache es Sinn, Arbeiten von zu Hause als Option anzubieten.“

Eins habe die Corona-Zeit schließlich gezeigt: Zu glauben, dass sich die Angestellten am Heimarbeitsplatz verstecken und weniger arbeiten, ist nicht nur ein Trugschluss, sondern längst widerlegt. Bereits 2021 haben die Forschungsinstitute IGES und Forsa im Auftrag der DAKherausgefunden, dass 63 Prozent der Arbeitnehmer hierzulande in 2021 zu Hause produktiver gearbeitet haben als zuvor im Büro. Eine Sache hat die Extremsituation während der Pandemie also auf jeden Fall gestärkt: Das Vertrauen der Arbeitgeber in ihre Angestellten. Die Führungskultur dürfte sich also entwickelt haben.

Dass diese Entwicklung etwas Gutes verheißt, da ist sich Prof. Dr. Dominik Enste sicher. Mit einem Team hat der Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomie und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft diese Entwicklung sogar untersucht. Er sagt: „Die empirisch fundierte Antwort für auch in Zukunft erfolgreiche Unternehmen lautet: Entwicklung einer glaubwürdigen Vertrauenskultur, die von einer mitarbeiterorientierten, ethischen Führung lebt und einer wertschätzenden Kontrolle begleitet wird.“ Zu der Erkenntnis kam er anhand einer Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft 2020 verö¢ entlicht hat. Ergebnis: „Höheres interpersonales Vertrauen sorgt unter anderem für mehr Wohlstand und Lebenszufriedenheit.“

Dieser Meinung ist auch Martin Permantier. Er ist Gründer und Geschäftsführer von short cuts, einer kleinen Markenagentur in Berlin. Außerdem beschäftigt ersich als Autor und Keynote Speaker schon lange mit der Entwicklung von Führung und Unternehmenskultur. Er sagt: „Corona war eine Fortbildungsmaßnahme für Führungskräfte zum Thema Vertrauen.“ So hätten viele Unternehmer erkannt, dass ihre Angestellten auch dann gute Arbeit liefern, wenn sie nicht permanent beobachtet und kontrolliert werden. „Wir sind weg von der alten Erzählung: Der Chef muss rumlaufen und allen auf die Finger gucken, hin zu: Mensch, die können ja eigenverantwortlich arbeiten“, sagt Permantier. Mitarbeiter genießen also auf der einen Seite mehr Freiheit und Flexibilität seitens der Arbeitgeber, tragen auf der anderen Seite aber auch mehr Verantwortung für ihr Tun. Eigenverantwortung.

Hybride Teams, Freelancer-Kultur und neue Vergütungsmodelle
Bei short cuts führe dieser Weg schon lange zum Erfolg, berichtet Permantier. Seine Teams organisieren sichselbstständig. Einmal am Tag wird sich ausgetauscht – egal ob physisch im Büro oder digital über Videochat. Und es funktioniert. Eine Erkenntnis, die viele Chefs in den vergangenen Jahren gewonnen haben: „Homeoffice? Oh, das geht ja!“, sagt der Experte: „Es macht zwar jeder, was er will – aber es geht.“ Er meint: Durch das mobile Arbeiten würden sich viele Mitarbeiter den Arbeitstag flexibler gestalten. Während die einen lieber früh aufstehen und anfangen zu arbeiten, sind andere eher später dran, arbeiten dafür aber abends länger. Hauptsache, die Ergebnisse stimmen. Corona werde daher nicht nur die Arbeitswelt, sondern insbesondere das Thema Führung verändern – und zwar langfristig: Führung wird weniger Kontroll- mechanismen haben, dafür aber agiler und verteilter sein“, glaubt Permantier.

Noch einen großen Schritt weiter geht Dunja Rühl. Als Texterin und Content-Marketing-Expertin hat sie sich auf die neue Arbeitswelt spezialisiert und hält Vorträge rund um die Themen von New Work. Eines davon: hybride Teams. „Anforderungen an einzelne Teams werden immer diverser und ändern sich immer schneller“, sagt sie. „Die Antwort auf diese Herausforderung ist eine sogenannte Hybrid Workforce.“ Diese könne sowohl aus festen als auch aus freien Mitarbeitern bestehen, die von überall arbeiten, erklärt die Expertin. Hybrid ist hier also in zwei Dimensionen zu verstehen: der räumlichen und der strukturellen.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Während die Kompetenzen einer festen Belegschaft vor Ort sehr starr und gesetzt sind, können hybrid aufgebaute Teams immer neu aufgestellt werden – je nach Art und Umfang einer Aufgabe. Außerdem können Impulse von außen auch gut für die Arbeit im Team sein. „Freelancer arbeiten mit verschiedenen Kunden an vielseitigen Projekten“, sagt Rühl: „Ihre Erfahrung kann wertvolle Impulse liefern und dem Team neue Sichtweisen eröffnen.“ Aber nicht nur inhaltlich, auch organisatorisch können Betriebe von hybriden Teams profitieren: So bieten sie durch ihre dynamische Zusammensetzung ein hohes Maß an Flexibilität – mit Blick auf die Kosten, aber auch auf etwaige Kündigungsfristen, die es bei Freelancern nicht gibt. Unternehmen hatten das bereits vor der Pandemie erkannt: So ergab 2018 eine Studie von SAP Fieldglass, dass 44 Prozent der Ausgaben für Arbeitskraft an externe Dienstleister und Freelancer überwiesen wurde. Durch die Corona-Pandemie und den Wunsch nach Flexibilität ist dieser Anteil
mittlerweile vermutlich gestiegen, glaubt Rühl.

Eine Firma benötigt heute rund 20 Prozent weniger Bürofläche als vor Corona
Entwicklungen wie diese zeigen, dass auf dem Weg in die neue Arbeitswelt auch traditionelle Arbeitsverhältnisse auf dem Prüfstand stehen. Eine Diskussion darüber ist bereits in Gang. Zu erkennen etwa an der Debatte zur Vier-Tage-Woche. Auch Entlohnung an sich ist ein Thema, findet Prof. Dr. Barbara Prainsack. Die Politikwissenschaftlerin der Universität Wien fordert sogar ein ganz neues Modell „Wir müssen weg von der Vergütung pro Stunde“, sagt sie und empfiehlt stattdessen, das Arbeitsergebnis oder die Arbeitsqualität zu bezahlen. Was die Arbeitszeit angeht, so seien sechs Stunden pro Tag optimal für die Produktivität und das Wohlbefinden der Beschäftigten. Unternehmen würden davon profitieren, schließlich seien die Angestellten erholter und fokussierten und dadurch konzentrierter, schneller, flexibler.

Macht es dann überhaupt Sinn, sie wieder zurück ins Büro zu holen, wie es bei Airbus oder Beiersdorf gerade passiert? Absolut, findet David Cummins. Für den einen von vier Geschäftsführern der Ministry Group, die Firmen auf dem Weg in die neue Arbeitswelt begleitet, geht es nicht um die Frage: Homeoffice oder Präsenz? Entscheidend sollte sein, wo welche Arbeit am besten erledigt werden kann. Wenn ein Entwickler im Büro nur 30 Prozent von dem schafft, was er zu Hause schaffen könnte – warum sollte er dann im Büro arbeiten? Und wenn ein Team beim Brainstorming im Büro viel produktiver ist als im Videochat – warum sollte es sich dann digital treffen? Gleichwohl ist auch der soziale Austausch wichtig. „Wer sich auch mal über andere Dinge als den Job unterhält, wird schnell feststellen, dass er auf Ideen kommt, die ihm nie eingefallen wären, wenn er stumpf seine Agenda abgearbeitet hätte“, sagt Cummins. Diese Gespräche seien zwar auch digital möglich, aber längst nicht so fruchtbar wie eine persönliche Unterhaltung vor Ort.

In jedem Fall wird sich das Büro verändern. Schon deshalb, weil viel weniger Platz nötig sein wird, wenn die Mitarbeiter zeitweise von zu Hause arbeiten. Auch das hat die Pandemie gezeigt. Eine Firma braucht heute im Schnitt rund 20 Prozent weniger Fläche als vor Corona.Das hat Sven Wingerter von Eurocres ausgerechnet, einer Strategieberatung für Büroinfrastruktur. Ein Fünftel klingt wenig. Auf 380 Millionen Quadratmeter Bürofläche im ganzen Land umgerechnet, ergeben diese 20 Prozent aber ein Minus von 80 Millionen Quadratmetern. Das entspricht etwa der Fläche aller Büroimmobilien in Bayern. In Hamburg würde der Flächenbedarf demnach von zehn auf acht Millionen Quadratmeter zurückgehen. Allein dadurch hätten die Firmen gut 42 Millionen Euro Miete gespart.

„WENN ES KEINE VEREINBARUNG GIBT, GIB ES AUCH KEIN RECHT AUF HOMEOFFICE.“
Martin Krömer ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. In club! gibt er Antworten auf Rechtsfragen zur neuen Arbeitswelt

  1. club!: Herr Krömer, gibt es ein Recht aufs Arbeiten im Homeoffice?
    MARTIN KRÖMER: Nein. Die Corona-Ausnahmen sind ausgelaufen, deshalb gilt wieder das sogenannte Direktionsrecht: Arbeitgeber müssen ihren Betrieb nach ihren Vorstellungen organisieren können. Wer Homeoffice möchte, muss entsprechende Vereinbarungen treffen. In Unternehmen mit Betriebsräten ist das beispielsweise die Betriebsvereinbarung. Wenn es keine Vereinbarung gibt, gibt es auch kein Recht auf Homeoffice oder mobiles Arbeiten.
  2. Kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer ins Büro zurückkehrt?
    Wenn es keine anderen Regeln gibt, gilt das Direktionsrecht: Der Arbeitgeber bestimmt, dass im Betrieb gearbeitet wird. Wieviel der Arbeitgeber davon aufgibt, indem er Regelungen zum Homeoffice im Arbeitsvertrag trifft oder mit dem Betriebsrat dazu Betriebsvereinbarungen macht, muss er entscheiden.
  3. Gibt es einen Unterschied zwischen Homeoffice und mobilem Arbeiten?
    Ja, allerdings regeln Unternehmen oft nur noch mobiles Arbeiten und lassen die Regelungen für jeden Arbeitsort zu, also auch für das Homeoffice. Befindet sich dieser Arbeitsort
    jedoch im außereuropäischen Ausland, gelten die europäischen Datenschutzregeln nicht.
  4. Können Mitarbeiter im Videomeeting gezwungen werden, die Kamera einzuschalten?
    Der Arbeitgeber kann das im Rahmen seines Direktionsrechts verlangen. Es geht in so einem Moment ja nicht um das Recht am eigenen Bild, sondern um die Zusammenarbeit mit den Kollegen. Wie die funktionieren soll, bestimmt der Arbeitgeber. Im Konferenzraum im Büro, also ohne Homeoffice und ohne mobiles Arbeiten, stülpt sich ja auch keiner eine Papiertüte über den Kopf. Wird eine Konferenz aufgezeichnet und der Mitschnitt dauerhaft gespeichert, empfi ehlt es sich aber, die Mitarbeiter vorher über diese Aufzeichnung zu informieren.
  5. Hat der Arbeitgeber das Recht, seine Angestellten im Homeoffice aufzusuchen?
    Das hat er in aller Regel nicht. Dafür müsste der Arbeitgeber Rechte, die er am Arbeitsplatz im Betrieb hat, auf die Wohnung seines Arbeitnehmers erweitern können. Aber genau das kann er nicht. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist vom Grundgesetz geschützt. Gegen den Willen des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber dort nicht hinein.
  6. Wie wird festgelegt, wann Arbeitnehmer erreichbar sein müssen?
    Das ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag. Ein Arbeitgeber kann aber kaum erwarten, dass ein Arbeitnehmer in acht Stunden Vollzeitarbeit zu jeder Zeit beim ersten Klingeln ans Telefon geht. Auch im Betrieb ist der Arbeitnehmer ja nicht immer am Platz. Dennoch: Homeoffice-Zeit ist Arbeitszeit – und während dieser muss der Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.
  7. Wie sieht es mit der Erfassung der Arbeitszeit im Homeoffice aus?
    Homeoffice-Arbeit ist normale Arbeitszeit. Ob im Homeoffice oder in der mobilen Arbeit wird als erstes stets auf die vorhandenen Regeln geschaut. Allerdings durchleben Arbeitgeber und Arbeitnehmer unruhige Zeiten: Die Zukunft der Zeiterfassung ganz allgemein steht in Frage. Im September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht dazu entschieden. Seit April 2023 befindet sich ein Gesetzesentwurf des Arbeitsministeriums in der Abstimmung der Bundesregierung. Hier wird in den nächsten Monaten viel geschehen und in der Praxis dann zu klären sein.
Text: Ansgar Riese Illustration: Nguyet Cu