Egal ob selbstständiger Unternehmer oder angestellter Geschäftsführer: Der Chef macht die meisten Überstunden. Das muss nicht sein. Wie Zeitmanagement gerade in Führungspositionen dabei hilft, die Arbeitszeit effizienter zur nutzen.

Um die Welt zu beschreiben, in der wir leben, braucht Kristina Schreiber nur vier Buchstaben: VUCA. Diese Abkürzung steht für die englischen Wörter volatility, uncertainty, complexity und ambiguity, was übersetzt so viel bedeutet wie Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. Experten fassen damit die Schwierigkeiten der Unternehmensführung im Zeitalter der Digitalisierung zusammen: Viele Veränderungen verunsichern die Menschen. Aufgaben werden komplexer, Lösungen vielfältiger. Mit anderen Worten: „Wir leben in einer unsicheren, sich schnell wandelnden Welt“, sagt Schreiber – „wer dabei keine Prioritäten setzt, wird sich schnell verzetteln.“
Das auf der einen und ausufernde Arbeitszeiten auf der anderen Seite seien der Auslöser gewesen, warum sich die Content- Marketing-Strategin seit einiger Zeit intensiver mit dem Thema Zeitmanagement beschäftigt. Damit hat sie vielen ihrer Mitstreiter etwas voraus. Denn egal ob selbstständiger Unternehmer oder angestellter Geschäftsführer: der Chef macht immer noch die meisten Überstunden. So hat das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) herausgefunden, dass fast die Hälfte der Angestellten hierzulande im Job meist unter Zeitdruck steht. Für nahezu jeden vierten Arbeitnehmer hat das oft oder immer Überstunden zur Folge. Unter Führungskräften jedoch sind es mit insgesamt 60 Prozent sogar mehr als doppelt so viele. Am Ende ihres Berufslebens haben Verantwortungsträger im Schnitt 15 430 Überstunden auf der Uhr, also fast zwei Jahre länger gearbeitet, wie der Gehaltsdienstleister Compensation Partner im Arbeitszeitmonitor 2019 herausgefunden hat.
„Bei dieser Gruppe nimmt die Komplexität der Aufgabenbereiche zu“, sagt Alexandra Reiter: „Ich habe mehr Bereiche, die unter mir angesiedelt sind, und zusätzlich zu meinen operativen Aufgaben kommt auch noch das Thema Führen hinzu.“ Reiter differenziert jedoch ganz bewusst zwischen Unternehmern und Geschäftsführern. Denn während bei Selbstständigen häufig die enge Bindung zur Firma die Mehrarbeitszeit quasi emotional begründet, haben angestellte Geschäftsführer oft ein ganz anderes Problem: „Viele Führungskräfte haben noch nicht verstanden, dass sie delegieren dürfen und sollen“, sagt sie. Diese Erkenntnis sei der erste Schritt hin zu einem erfolgreichen Zeitmanagement.
Alexandra Reiter lebt seit 20 Jahren in Hamburg. Sie kommt von der Schweizer Seite des Bodensees und ist damals für ein Jobangebot bei Universal Music in den Norden gezogen. Seit 15 Jahren jedoch arbeitet sie als Business Coach und hilft ihren Kunden dabei, mehr Zufriedenheit bei der Arbeit zu finden. Das könne von Führungsthemen bis zur Selbstorganisation reichen. Schließlich gehe es nicht darum, Zeit zu managen, wie sie sagt – sondern darum, sich selbst zu managen. „Jeder Tag hat 24 Stunden, eine Woche hat sieben Tage: Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie Zeit. Daran kann ich nichts ändern, ich kann nur ändern, wie ich damit umgehe.“
Wie Menschen mit ihrer Arbeitszeit umgehen, hängt laut Reiter von drei Faktoren ab: der Persönlichkeit, äußeren Einflüssen und der Arbeit an sich. „Wobei die Persönlichkeit den größten Einfluss darauf hat, wie wir arbeiten“, sagt die Expertin. Sie teilt Menschen in verschiedene Gruppen ein. Da wären zum Beispiel die Perfektionisten. Das ist jene Gruppe, die sehr viel Zeit verschwendet, weil sie ihre Arbeit viel zu gründlich erledigt und das Ergebnis stets mehrfach kontrollieren muss. Hier hilft das nach dem italienischen Ökonom Vilfredo Pareto benannte Pareto-Prinzip. Demnach erzielt man mit 20 Prozent Einsatz schon 80 Prozent Ertrag. „Oft ist die Arbeit dann bereits zufriedenstellend erledigt“, sagt Reiter.
Eine zweite Gruppe nennt sie die Helfertypen: „Das sind die Menschen, die nicht Nein sagen können.“ Ihre Hilfsbereitschaft führe häufig dazu, dass diese Mitarbeiter auf einmal mehr Arbeit für ihre Kollegen übernehmen, als eigene Aufgaben zu erledigen. Um dem entgegenzuwirken, rät die Expertin dazu, über mehrere Wochen ein Stundenprotokoll anzulegen und die Arbeit zu dokumentieren. So könne man erkennen, was in der Zeit wirklich erledigt wurde, was eigene Arbeiten und was Hilfeleistungen für die Kollegen waren. Das lockere die gefühlte Überforderung.
Schnell überfordert sind auch die Menschen, die alle ihre Aufgaben gleichzeitig erledigen wollen. „Die haben dann auf einmal ganz viele Baustellen und kriegen keine richtig geschlossen“, sagt Reiter. Sie verlieren den Überblick und gewinnen das Gefühl, die Arbeit nie schaffen zu können. „Dagegen hilft: abends zehn Minuten hinsetzen, schauen, was morgen dran ist und die Aufgaben priorisieren. Dann kann man sich gedanklich auch viel besser von der Arbeit verabschieden“, rät die Expertin.
Die Lösung für dieses Problem ist ein Schlüsselelement im gesamten Zeitmanagement: Prioritäten setzen. Lernen, eins nach dem anderen abzuarbeiten. Wer damit Schwierigkeiten hat, dem hilft zum Beispiel das Eisenhower-Modell. Demnach werden Arbeiten in Kategorien eingeteilt – von wichtig, was zuerst erledigt wird, bis unwichtig, was notfalls vernachlässigt werden kann. „Man muss selektieren; nach Priorität, aber auch nach Dringlichkeit“, sagt Reiter. Wichtige Arbeit solle man selbst erledigen, was dringlich ist, könne weitergeben werden. Stichwort: delegieren.
Auch Sebastian Keil hat gelernt, Prioritäten zu setzen. Der Geschäftsführer der PR-Agentur AntTrail, einer Tochter der Ministry-Group, hat lange Zeit für eine große Hamburger Netzwerkagentur gearbeitet – oft weit mehr als 40 Stunden die Woche. Dann wurde er Vater. Der Versuch, die Familie mit dem zeitintensiven Job zu vereinbaren, scheiterte krachend. Also wechselte er zu AntTrail und organisierte seine Arbeit komplett neu. „Priorisierung ist dabei sicher mit das Wichtigste“, sagt er. Seine einfache Methode: Er schreibt sich jeden Tag drei Dinge auf, die er auf jeden Fall erledigen muss – und beginnt mit dem, wovor er sich am meisten sträubt. Darüber hinaus schreibt er seine wichtigsten Aufgaben in seinen Kalender und lässt sich mit etwas Vorlauf daran erinnern. Überhaupt ist der Kalender sein unentbehrlichster Helfer. „Was nicht im Kalender steht, findet auch nicht statt“, sagt er. So hält er es mit dem Job, so hält er es mit der Familie. Neulich habe er mal einen Arzttermin seiner Tochter verpasst, weil er die Erinnerung falsch eingestellt habe. Seinen digitalen Helfer hat er immer im Blick. Im Büro beginnt jeder Arbeitstag damit, etwa zehn Minuten lang die anstehenden Aufgaben zu besprechen und den Tag zu planen – mit Hilfe des Kalenders. Seine Mitarbeiter wissen dann, welche Termine anstehen und wann der Chef verfügbar ist. Alle weiteren Zeitfresser hat Keil aus seinem Arbeitstag verbannt: Er schaut nicht in seinen privaten Facebook-Account, macht keine Raucherpausen oder verschwindet stundenlang zum Kaffeeholen. Mittagessen geht er, wenn, dann nur mit dem Team oder mit Kunden. „Dadurch geht bei mir wenig Zeit verloren“, sagt er.
Neben der Persönlichkeit spielen auch Einflüsse von außen eine große Rolle beim Gestalten der Arbeitszeit. Das größte Problem sind viele Termine – meistens in Form von Meetings. „Das sind die größten Zeitfresser“, sagt Coach Alexandra Reiter. Und die Statistik gibt ihr recht. Im Schnitt verbringt eine Führungskraft rund zwei Tage die Woche in Meetings. Das hat die internationale Managementberatung Bain & Company herausgefunden, indem sie das Zeitmanagement in 17 Konzernen untersucht hat. Mit Vorbereitung, Besprechung und Folgemeetings kommt das Management dieser Unternehmen auf rund 300 000 Stunden im Jahr. Das sind umgerechnet fast elfeinhalb Jahre. „Aber sehr viel Zeit davon ist vergeudet“, sagt Expertin Reiter. Zum Beispiel, weil Meetings schlecht vorbereitet, ohne konkretes Ziel gehalten und nicht gut moderiert werden. „Dann wird viel geredet und es kommt wenig dabei rum.“ Daher sei eine Zielsetzung ebenso wichtig wie ein Moderator, der übrigens nicht immer auch der Chef sein muss. Zudem solle sich jeder Teilnehmer fragen, ob er bei dem Meeting zwingend dabei sein muss oder ob vielleicht eine Telefonkonferenz genügt.
Ein weiterer Einfluss sind Unterbrechungen, zum Beispiel durch E-Mails. Laut der Bain-Studie erhalten Führungskräfte rund 30 000 E-Mails pro Jahr. In den 70er Jahren mussten sie gerade mal 1000 Nachrichten bearbeiten. Wenn das so weitergeht, werden Manager bald mehr als einen kompletten Arbeitstag pro Woche mit elektronischer Kommunikation beschäftigt sein.
Was Ablenkung für Folgen auf die Arbeit hat, erklärt Alexandra Reiter am sogenannten Sägeblatt-Modell. „Wenn ich mich in eine Aufgabe hineinarbeite, konzentriere ich mich und irgendwann bin ich voll drin“, sagt sie: „Dann kommt ein Mitarbeiter und stellt eine Frage – und ich bin wieder raus.“ Das Einarbeiten beginnt von vorn. Dann kommt eine Mail. Zurück an die Aufgabe. Dann klingelt das Telefon. „Rein in die Arbeit, rausgerissen aus der Arbeit.“ Verglichen mit einem Sägeblatt sind das konzentrierte Arbeiten die Spitzen – und das Hineinarbeiten und Herausgerissenwerden die Auf- und Abgänge dazwischen. Das Ergebnis: Zwischen den einzelnen, kleinen Spitzen entstehen die deutlich größeren Zwischenräume. „Das ist die vertane Zeit“, sagt Reiter.
Auch für dieses Problem gibt es einfache Lösungen. Zum Beispiel die regelmäßige „Stille Stunde“. Das bedeutet, für ein bis drei Stunden ungestörte Arbeitsphasen ohne Unterbrechungen zu sorgen – also Anrufbeantworter an, Maileingang stummschalten und gegebenenfalls auch ein „Nicht stören“-Schild an die Tür hängen.
Auch Sebastian Keil hält es so. Gerade, wenn er mit seinem vierköpfigen Team wieder auf einen Pitch hinarbeitet. „In dieser Zeit blocke ich mir schon mal zwei Stunden am Tag“, sagt er – natürlich in seinem Kalender. Allerdings, sagt er, habe er als Geschäftsführer weniger Arbeiten, die drei Stunden Konzentration am Stück erfordern, dafür aber gleich mehrere Aufgaben, für die er jeweils eine Viertelstunde konzentriert sein muss. Das Prinzip jedoch bleibt dasselbe: zwei Stunden Ruhe, um konzentriert abzuarbeiten.
Die Arbeit an sich zu verändern, der dritte Faktor beim Thema Zeitmanagement, das ist das schwierigste Unterfangen. „In der Regel gelingt das nicht“, sagt Reiter. Aber wie man arbeitet, das könne man sehr wohl verändern. Zum Beispiel rät die Expertin dazu, regelmäßig Pausen zu machen, um sich von der Arbeit zu erholen. Das wiederum habe Auswirkung auf die Effektivität bei der Arbeit. Mit anderen Worten: Es schafft mehr, wer ausgeruht ist. „Ganz ehrlich: Die Arbeit nimmt nie ein Ende. Und ohne Pausen machen wir uns kaputt“, sagt Reiter.
Dass ihre Arbeit Früchte trägt, zeigt die Geschichte von Kristina Schreiber. Die Kommunikationsexpertin arbeitet als Content-Marketing- Strategin und hilft Datenunternehmen, Medienhäusern und Tech-Start-ups bei den Themen Marketing und PR. „Ich habe zwar immer schon sehr strukturiert gearbeitet, hatte aber vor allem auf Aufgaben, Themen, Qualität und Termine geschaut – und weniger auf mich selbst“, sagt sie. Das zu ändern, dabei hat ihr Coach Alexandra Reiter geholfen. „Der Eingriff hat gewirkt, wenn auch nicht von jetzt auf gleich“, sagt Schreiber. So habe sie sich im Laufe der Zeit antrainiert, schnell zu kategorisieren: was ist jetzt wichtig und muss heute oder sogar sofort erledigt werden? Was wird neu terminiert oder was kann sogar ganz gestrichen werden? „Oft priorisiere ich einmal morgens und einmal abends“, sagt sie. Darüber hinaus organisiere sie ihre Arbeit in Blöcken. Wenn sie beispielsweise Texte schreibe, schalte sie ihre Kommunikationskanäle auf stumm – um Unterbrechungen zu vermeiden. Auch auf das Pareto-Prinzip greift Schreiber zurück: Gerade mit Start-ups und Datenunternehmen setze sie ihre Arbeit bereits dann in die Praxis um, wenn sie erst zu 80 Prozent fertig ist. Die letzten 20 Prozent – laut Pareto der aufwendigste Teil der Arbeit – werden dann in enger Abstimmung mit allen Beteiligten umgesetzt und „am offenen Herzen“ getestet. Das spare enorm viel Zeit, erfordere aber auch die Bereitschaft, den Mut und die Offenheit aller Beteiligten für iteraktive Prozesse.
„Mein Ziel ist es, in einem festgelegten Zeitrahmen möglichst erfolgreich zu arbeiten“, fasst Schreiber zusammen. Sie will herausragende kreative Ergebnisse erzielen, dabei den Fokus nicht verlieren und ihr geplantes Pensum ohne Nacht- und Wochenendschichten bewerkstelligen. „Mittlerweile“, sagt sie, „gelingt mir das gut.“

Zeitmanagement mit der Ivy-Lee-Methode: In fünf Schritten zu mehr Ordnung im Arbeitstag

  1. Brainstormen
    Es ist nicht immer einfach, bei all der Arbeit den Überblick zu behalten. Brainstormen ist dabei jedoch eine gute Hilfe. Einfach am Abend vorher die sechs wichtigsten Dinge aufschreiben, die am nächsten Tag erledigt werden müssen. Und dabei beachten, dass größere Projekte in kleinere, an einem Tag schaffbare Etappen aufgeteilt werden.
  2. Sortieren
    Im zweiten Schritt müssen die zuvor im Brainstorming erfassten Arbeiten nach Wichtigkeit sortiert werden: An die erste Stelle gehört die bedeutendste Aufgabe, die unbedingt an diesem Tag erledigt werden muss. Auf Platz sechs steht wiederum der am wenigsten wichtige Arbeitsschritt, der dann auch nicht mehr so viel Konzentration erfordert.
  3. Umsetzen
    Wenn der nächste Arbeitstag beginnt, nicht erst Mails checken oder bei Facebook schauen, sondern direkt mit der ersten Aufgabe beginnen und sie komplett abschließen. Erst dann geht es mit der nächsten Arbeit weiter. Kleiner Tipp: währenddessen alle Benachrichtigungen auf „stumm“ schalten.
  4. Aufräumen
    Wenn von den sechs erfassten Aufgaben die eine oder andere liegengeblieben ist, muss das kein Problem sein. Sie kommen einfach auf die Liste für den nächsten Tag, die so weit aufgefüllt wird, bis dort wieder sechs Aufgaben stehen.
  5. Routine
    Es bringt nichts, diese Methode einmalig anzuwenden und dann wieder ins gewohnte Arbeitsmuster zurückzufallen. Einmal umgesetzt, muss daraus eine Routine und jeder einzelne Arbeitstag so organisiert werden. Dann hat die Methode Erfolg.

Text: Alexander Siebert Illustration: Stephan Kuhlmann