Neue Mitarbeiter sind schwer zu finden. Daher ist es wichtig, sie erfolgreich zu integrieren. Mit sogenanntem Onboarding sorgen Unternehmen dafür, dass sich neue Kollegen schnell wohlfühlen, gut arbeiten können – und lange bleiben.
Für Julian Tewes beginnt jeder Arbeitstag mit einer kleinen Überraschung. Denn wenn der Projektmanager morgens das Büro von Drees & Sommer an der Ludwig-Erhard-Straße Ecke Rödingsmarkt betritt, weiß er noch nicht, an welchem Schreibtisch er denn heute seine Arbeit verrichten wird. Desk-Sharing heißt diese besondere Form der Bürogestaltung, die seit kurzer Zeit auch bei den Immobilienberatern gelebt wird. Statt eines festen Arbeitsplatzes haben die Mitarbeiter nur noch ein Schließfach, in dem sie ihren Laptop verstauen und sich dann eben dort einrichten, wo gerade Platz ist. „Man muss sich schon daran gewöhnen“, gibt Tewes zu.
Seit Februar arbeitet der Property Management-Berater für Drees & Sommer und hilft seinen Kunden bei der Organisation des Facility Managements, sorgt also dafür, dass Immobilien gereinigt und technische Anlagen darin gewartet werden. „Ich wollte mich verändern und habe mehr oder weniger die Seiten gewechselt“, erklärt Tewes: „Früher habe ich für die Auftraggeber solcher Dienstleistungen gearbeitet, heute kümmere ich mich darum, dass sie durchgeführt werden.“ Nicht nur die Bürowelt, auch seine Arbeit hat sich verändert.
Neue Bürophilosophie, neue Aufgaben, neue Kollegen, neues Umfeld: Ein neuer Job bringt viele Veränderungen mit sich – fachlich, sozial und kulturell. Das wiederum stellt sich häufig als große Herausforderung heraus, sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber. Damit sich die neuen Mitarbeiter möglichst schnell wohlfühlen im neuen Unternehmen, legen immer mehr Betriebe ein besonderes Augenmerk auf die erfolgreiche Integration dieser Kollegen.
So auch Drees & Sommer. „Neue Mitarbeiter brauchen eine Orientierung. Sie haben nicht nur neue Aufgaben, sondern müssen sich auch in neuen Strukturen zurechtfinden“, sagt Maren Malmen, die als Human Resources Managerin bei Drees & Sommer die Integration neuer Mitarbeiter steuert und allein im letzten Jahr 89 neue Kollegen eingestellt hat, die integriert werden mussten. In der Wirtschaftswelt ist dieser Prozess heute als Onboarding bekannt. „Im übertragenen Sinne bedeutet das, genau wie in der Seefahrt, jemanden an Bord zu holen und bei seinen ersten Schritten in der neuen Organisation zu begleiten“, erklärt Malmen. Das würde also bedeuten: Der Mitarbeiter unterschreibt seinen Arbeitsvertrag und geht damit über die Gangway an Bord. „In dem Moment, in dem sich dann die Tür öffnet, beginnt das Onboarding“, sagt Malmen, „und die Kollegen am Standort, sein Pate und ich zeigen dem Mitarbeiter das ganze Schiff: das Sonnendeck und den Pool, die Kabine, die Brücke, wo der Kapitän steht, und den Maschinenraum, wo gearbeitet wird. Gleich zu Beginn lernt der Kollege seinen Arbeitgeber und Arbeitsplatz kennen.“
Was einfach klingt, wird in Wahrheit noch von vielen Unternehmen unterschätzt. Ein großer Fehler, wie folgende Entwicklung zeigt: Hamburgs Wirtschaft droht ein Fachkräftemangel. Dem Fachkräftemonitor der Handelskammer zufolge werden den hiesigen Unternehmen bis 2030 insgesamt 77 000 Fachkräfte fehlen. Wenn neue Mitarbeiter künftig noch schwerer zu finden sind, ist es umso wichtiger, sie erfolgreich zu integrieren – sonst beginnt die Suche von vorn. Noch gelingt das den Firmen in Deutschland nur bedingt. So denkt laut einer Umfrage der E-Recruiting-Plattform softgarden hierzulande jeder vierte Arbeitnehmer bereits während der ersten 100 Tage im neuen Job über Kündigung nach; 11,6 Prozent setzen dieses Denken sogar in die Tat um. Eine Lösung für dieses Problem kann ein erfolgreiches Onboarding sein.
Die Consultants von d.vinci haben den Bedarf erkannt. „Wir helfen Unternehmen dabei, neue Mitarbeiter onzuboarden“, sagt Sarah Marson. Als Consultant hat die 27-Jährige täglich damit zu tun und weiß, worauf es ankommt. „Onboarding muss, wenn es gelingen soll, auf drei Ebenen stattfinden: der fachlichen, der sozialen und der kulturellen Ebene“, erklärt Marson. Auf der fachlichen Ebene bekommen die neuen Mitarbeiter alle Informationen, die mit ihrer Arbeit zu tun haben – wer sind die Kunden? Was sind die Preise? Wie laufen die Prozesse? Auf sozialer Ebene geht es um die ungeschriebenen Regeln – wann ist Mittagspause? Gehen die Kollegen gemeinsam essen? Wer räumt den Geschirrspüler ein? Und auf der kulturellen Ebene werden die Werte vermittelt, die im Unternehmen gelebt werden – wird sich geduzt oder gesiezt? Hemd und Krawatte, T-Shirt oder egal? Was sind die Unternehmensziele?
Wie ein Unternehmen einen eigenen Onboarding-Prozess entwickelt, wie er aussieht und abläuft, das ist immer individuell, sagt Marson: „Wir beginnen mit Employer Branding.“ Hierbei wird in einem Workshop die Frage geklärt, wofür das Unternehmen als Arbeitgeber eigentlich steht. Daraus wiederum entstehen Maßnahmen, aus denen ein Prozess zusammengesetzt wird. Dieser Prozess, sagt Marson, könne dann auf einzelne Zielgruppen angepasst werden – vom Azubi bis zur Führungskraft.
Das Onboarding selbst erfolgt in vier Phasen und beginnt bereits mit dem ersten Kontakt. „Ab hier ist es wichtig, dass der Prozess gut abgestimmt ist“, sagt die Consultant. Schließlich wolle der neue Kollege den guten Eindruck des ersten Kontaktes später auch im Unternehmen wiedererkennen. Die zweite Phase bezeichnen die Experten als Preboarding. „Das ist die Phase von der Vertragsunterschrift bis zum ersten Tag“, sagt Marson. Hier sei es wichtig, den Kontakt zum neuen Mitarbeiter nicht abreißen zu lassen, ihn zu Veranstaltungen oder Team-Events einzuladen oder schon mal den Kollegen vorzustellen. Darüber hinaus werde in dieser Zeit alles für den ersten Tag vorbereitet – dem Beginn der dritten Phase.
Damit der erste Tag gelingt, sollten alle Involvierten Bescheid wissen, dass ein neuer Kollege kommt. Dazu gehört zumindest, dass der Empfang informiert ist und die IT-Abteilung den Arbeitsplatz eingerichtet hat, sagt Marson. Für genau diese Maßnahmen hat d.vinci eine Softwarelösung entwickelt und Anfang des Jahres auf den Markt gebracht. Sie wird in der Regel von der Personalabteilung, der Führungskraft oder einem persönlichen Betreuer – „Buddy“ genannt – gepflegt, verbindet sie über ein Portal mit dem neuen Mitarbeiter und erinnert alle Beteiligten mit Angabe der Dringlichkeit an Termine, Aufgaben oder Maßnahmen, die im Onboarding-Prozess zu erledigen sind – vom Erstkontakt bis zur Mitarbeiterbetreuung, der letzten Phase des Onboarding-Prozesses. „Auch hier gilt: Eine Regel, wann diese Phase genau beginnt, gibt es nicht und ist daher individuell festzulegen“, sagt Marson, „meistens wählen die Unternehmen hierfür allerdings das Ende der Probezeit nach sechs Monaten.“
So hält es auch Sascha Schneider, Executive Vice President Human Resourcces bei Montblanc. „Wir holen uns nach sechs Monaten ein umfassendes Feedback zum Onbording ein“, sagt er. Wirklich abgeschlossen sei der Prozess nach einem Jahr, „wenn alle Routinen einmal durchlaufen wurden“. Für ihn gehe es auf dieser „Candidate Journey“, wie er dazu sagt, um zwei Dinge: „Die Kollegen schnell arbeitsfähig machen und dafür sorgen, dass sie sich wohlfühlen.“ Damit beides gelingt, hat Montblanc diesen Prozess überarbeitet. So bekommt seitdem jeder neue Mitarbeiter eine Box mit den wichtigsten Utensilien: Regenschirm, Kaffeebecher, Notizheft. „Alles, was man so braucht“, sagt Schneider augenzwinkernd. Darüber hinaus steht jedem neuen Mitarbeiter ein „Buddy“ zur Seite, ein Ansprechpartner für alle wichtigen Fragen. Das sind die kulturellen Maßnahmen. Um auch die fachliche Integration zu schaffen, erhält jeder neue Mitarbeiter einen sogenannten Einarbeitungsplan, zugeschnitten auf die jeweiligen Aufgaben, den er sich schon vor dem ersten Tag über ein digitales Tool ansehen kann. Auch Infos über das Unternehmen und die eigene Abteilung sind über die Software abrufbar.
Neben den technischen spielen aber auch die zwischenmenschlichen Aspekte eine wichtige Rolle, sagt Schneider. So sei es bei Montblanc gewünscht, dass sich Führungskraft und neuer Angestellter auch in der Zeit zwischen Vertragsunterschrift und erstem Arbeitstag in Kontakt sind. „Es geht darum, den Schwung der Vertragsunterschrift – die ‚Honeymoonphase‘ – nicht abreißen zu lassen“, sagt Schneider, der in dieser Phase seines Onboardings zu Weihnachten einen sehr langen, handgeschriebenen Brief seines zukünftigen Chefs erhalten hatte. „Das war schon beeindruckend“, sagt er.
Heute, zehn Jahre später, verantwortet Schneider das Onboarding bei Montblanc, an dessen Firmensitz in Hamburg insgesamt 1000 Menschen arbeiten und jedes Jahr rund 50 neue Mitarbeiter dazukommen. Was die Aufgabe zusätzlich besonders macht, sagt er, ist die Integration neuer Mitarbeiter aus dem Ausland. „Elf Prozent der Menschen, die hier arbeiten, kommen nicht aus Deutschland, sondern aus 32 verschiedenen Ländern“, sagt der Vorstand. Für sie hat Montblanc den Pizza-Round-Table eingeführt, bei dem sich alle drei Monate deutsche und ausländische Mitarbeiter in lockerer Runde zum Abendessen treffen und, neben beruflichen Dingen, über das Leben in Hamburg sprechen. „Das hilft den neuen Kollegen dabei, in der neuen Heimat anzukommen“, sagt Schneider.
Angekommen ist auch Julian Tewes. Seinen Schritt zu Drees & Sommer, sagt er, habe er zu keiner Sekunde bereut. „Ich wollte mich beruflich verändern und bin zufrieden damit“, erzählt er und ist sich sicher: Das liegt auch am Onboarding. Wenn auch kein Arbeitsplatz eingerichtet werden musste – Stichwort Desk-Sharing – so war darüber hinaus alles für den Start vorbereitet. „Mein Laptop stand bereit, ich habe einen Einarbeitungsordner bekommen und auch gleich in ersten Schulungen erfahren, wie die Ordnerstrukturen und die Netzwerke funktionieren“, sagt der Projektmanager. Wie für alle neuen Kollegen standen zudem eine Begrüßung durch die Geschäftsführung sowie ein Gang durch die Hamburger Dependance auf dem Programm. Auch ein Tag am Stammsitz des Unternehmens in Stuttgart gehört zum Onboarding, dazu gab es nach 100 Tagen ein erstes Feedbackgespräch mit der Führungskraft.
An die neue Arbeitsplatzphilosophie hat sich Tewes ebenfalls gewöhnt. „Es war schon eine Umstellung, aber es hat auch seine Vorteile, weil man zum Beispiel nicht mehr so viel Papier ansammelt“, sagt er. Und dem kleinen Überraschungseffekt am Morgen kann der studierte Real Estate Manager auch etwas abgewinnen – schließlich habe er immer andere Kollegen um sich herum. „So lernt man auch schnell die anderen Mitarbeiter kennen“, sagt er. Und was das Onboarding betrifft? Die Probezeit jedenfalls hat Tewes seit August hinter sich.