Agenturhauptstadt und Pressehochburg – die Kreativ- und Werbebranche ist in der Hansestadt ein wichtiger Wirtschaftsmotor. In einer Zeit des Umbruchs geht es um digitale Transformation und jede Menge Content.

Ben Lashes ist von weit her nach Hamburg gekommen. „All the way from Hollywood, California“ bis ins Grünspan, Große Freiheit 58. Anlass seiner Reise: das ADC-Festival, eines der größten deutschen Treffen der Werbe- und Kreativszene. Nun steht der Amerikaner in branchen-beliebter Kleidung, schwarze Lederjacke, schwarzes Hemd, schwarz umrandete Brille, auf der Bühne und hält seinen Vortrag. Es geht um Katzen. Besser gesagt: um „Cat Content“.
„Grumpy Cat“ ist der Name des Internetphänomens, das Ben Lashes vermarktet. Eine Katze, die durch ihren extrem grimmigen Blick auffällt. Sie ist Filmstar, Shootingstar und Werbeikone zugleich. In den USA war sie schon in Talkshows zu Gast. Fans reißen sich um Fanartikel wie T-Shirts und Plüschtiere. Warum? Weil Ben Lashes sie gefilmt und die Clips ins Internet gestellt hat. „Grumpy Cat“, wie sie schnurrt, schläft oder einfach in die Gegend guckt. Innerhalb von 24 Stunden prasselten eine Million Klicks auf die Youtube-Seite. Die Katze ist damit „viral geworden“, ihre Vermarktung lukrativ. Als einige ihrer Videos auf der Leinwand im Grünspan ablaufen, lacht auch das anwesende Kreativpublikum. Dabei steht die Branche vor einem Rätsel. Warum Katzenvideos im Netz so unglaublich beliebt sind, kann kaum jemand erklären. Und auch wenn der Auftritt von Ben Lashes an diesem Freitagnachmittag ein klein bisschen an eine Comedy- Show erinnert, wird seine Botschaft ernst genommen. „Everything ist content“, predigt er im Grünspan und trifft damit in die Seele der Werbeschaffenden. Auch das ADC-Festival hatte in diesem Jahr mit dem Slogan „Content Heroes“ und einem gekrönten Katzenkopf als Titelfigur die Kreativelite nach Hamburg gelotst.
Einmal jährlich lädt der Art Directors Club Deutschland (ADC) zum großen Branchentreffen ein. Das ADCFestival ist Kongress, Kreativwettbewerb und Nachwuchsplattform in einem und versetzt die hiesige Kreativszene stets in helle Aufregung. Die Awards kommen in Form von Gold-, Silber- und Bronze-Nägeln daher und sind heiß begehrt. Auch wenn Auszeichnungen in der Branche generell als wichtige Währung für Erfolg gelten, schmückt man sich mit Nägeln besonders gern. Sie bringen auch international eine ordentliche Portion an Prestige. Laut einem Ranking des Gesamtverbandes der Kommunikationsagenturen GWA gehört das ADC-Festival zu den fünf Veranstaltungen weltweit mit den am höchsten bewerteten Auszeichnungen. Nach Award-Veranstaltungen in London (D&AD und LIA Award), New York (One Show Awards) und Cannes (Lions). In Hamburg fand das ADC-Event dieses Jahr bereits zum vierten Mal statt. Nach einigen Jahren in Berlin und drei Jahren in Frankfurt kam es 2013 in die Hansestadt. „Endlich“, meinen viele aus der Branche. Und der Gedanke liegt nahe, dass diese bundesweit wichtigste Leistungsschau der Werbebranche nun dort angekommen sein könnte, wo sie hingehört: in Deutschlands Werbemetropole Nummer ein.
Hamburg ist Agenturhauptstadt. Knapp 2000 Agenturen haben hier ihren Sitz, so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Mit rund 13 000 Beschäftigten in der Werbebranche erreicht die Stadt ebenfalls einen bundesweiten Spitzenwert. Zum Vergleich: München zählt rund 10 500 Beschäftigte, Berlin 9200. Innerhalb der Kreativwirtschaft mit ihren insgesamt elf Branchen verzeichnet der Werbemarkt mit 2,6 Milliarden Euro den zweithöchsten Umsatz in der Hansestadt, gleich hinter dem traditionell starken Pressemarkt. Dass Hamburg auch Pressehochburg ist, trägt entscheidend zu seiner starken Stellung als Kreativmetropole bei. So geht es auch aus einem Analysepapier der Handelskammer aus dem Jahr 2015 hervor. Neben einem sehr ausgeglichenen Branchenmix ist Hamburg „der wichtigste Standort für Presseerzeugnisse, Werbung und Design“, heißt es dort.
Dies belegt auch ein weiteres Ranking. Laut einer Erhebung der Zeitschrift „Werben und Verkaufen“ (W&V), einem Wochenmagazin für die Kommunikations- und Medienbranche, haben von den zehn kreativsten Agenturen Deutschlands acht ihren Sitz in Hamburg. Angeführt von Jung von Matt finden sich in den Top Ten unter anderem Namen wie Kolle Rebbe, Scholz & Friends, Philipp und Keuntje und Thjnk. Mit dem zweithöchsten Umsatzplus von knapp 28 Prozent ist zudem die Hamburger Agentur Grabarz & Partner weiter auf Erfolgskurs und durfte sich 2015 mit dem Titel „Agentur des Jahres“ schmücken, der ebenfalls von W&V vergeben wurde.
Auch als Gastgeber zahlreicher Events sticht Hamburg hervor. Neben dem ADC-Festival finden die Lead Awards, der Deutsche Werbefi lmpreis und der Neptun Award für integrierte Kommunikation hier statt. Auch die „Klappe“, eine Auszeichnung für Werbe- und PR-Filme, wird an der Elbe verliehen. Zudem hat sich im digitalen Marketing die Plattform Online Marketing Rockstars etabliert.
Welche wirtschaftliche Kraft von der Werbebranche ausgeht, darüber sind sich die Verantwortlichen im Senat im Klaren. „Die Branche leistet einen substanziellen Beitrag zu Wertschöpfung und Beschäftigung in der Stadt“, sagt Konrad Hildebrandt, Vertreter des Amtsleiters vom Amt Medien, das 2011 in der Senatskanzlei eingerichtet wurde. „Hamburg ist Agenturhauptstadt und sich des Wertes der Branche für den Standort sehr bewusst.“ Entsprechend intensiv versucht das Amt Medien, sich mit der Branche auszutauschen und Gelegenheiten zur Vernetzung zu schaffen. In einem internen Text heißt es zudem fast schwärmerisch: „Früher war Kreativität die Domäne von Künstlern, heute gilt sie als Hoffnungsträger der Ökonomen. Bei den Hamburger Kreativ- und Werbeagenturen findet man beides: die Künstler und die Kaufleute. Das macht ihren Erfolg aus.“
Damit der Erfolg bleibt, fördert die Stadt auch den Ausbildungsbereich für junge Kreative. Im Jahr 2010 feierte der Mediencampus Finkenau in der ehemaligen Frauenklinik Eröffnung. Im vergangenen Jahr kam für knapp 24 Millionen zudem noch ein Erweiterungsbau hinzu. Der zentrale Campus für Kunst- und Medienausbildung beherbergt unter anderen Teile der Fakultät Design Medien und Information der Hochschule für angewandte Wissenschaften HAW, die Hamburg Media School sowie die renommierte Miami Ad School, eine private Ausbildungsstätte für Art-Direktoren, Werbetexter und Grafikdesigner mit Hauptsitz in Miami.
Deren Geschäftsführer Niklas Frings-Rupp kann seine Begeisterung bei der Standortfrage nicht verbergen. „Die Stadt wollte mit dem Mediencampus einen Schmelztiegel für kreative Geister schaffen“, erzählt er. „Das ist absolut gelungen.“ Er sieht die Hansestadt im weltweiten Kontext als „die exponierteste Stadt“ Deutschlands, mit den meisten Agenturnamen, die international auffallen. Nicht zuletzt natürlich dank des guten Ausbildungsangebotes an seiner Schule. Beim ADC-Nachwuchswettbewerb geht regelmäßig ein Großteil der Preise an Miami Ad School-Absolventen und trägt damit maßgeblich dazu bei, dass keine Stadt im bundesweiten Vergleich in Sachen Ausbildung Hamburg auch nur annähernd das Wasser reichen kann. Das belegt, wie sollte es anders sein, ein branchen-internes Ranking. Im ADC Kreativranking für Fach- und Hochschulen führt Hamburg mit meilenweitem Abstand das Feld an. Neben der Miami Ad School befinden sich hier zahlreiche weitere Bildungseinrichtungen der Branche.
Für die Absolventen der Schulen wird die Werbewelt, in der sie arbeiten, allerdings eine andere sein, als sie es für die meisten ihrer Ausbilder einmal war. Denn die Branche ist im Umbruch. Das Schlagwort „digitale Transformation“ schwebt wie eine virtuelle Wolke über den Kreativköpfen dieser Welt und ist dabei, die Stellung und Aufgaben von Werbeschaffenden zu verändern. Es entsteht eine Welt, in der Content vom Kunden selbst gemacht wird, Feedback innerhalb von gefühlten Millisekunden im Netz aufploppt und Katzen als Onlinestars gefeiert werden. Durch die neuen Möglichkeiten digitaler Kommunikation werden zudem zahlreiche Kommunikationsleistungen nicht mehr an Agenturen vergeben, sondern in den Unternehmen selbst erbracht. Für den Kreativnachwuchs bedeutet das: Die Spannweite an potenziellen Arbeitgebern vergrößert sich, wird vielfältiger. Optionen sind nicht mehr nur die klassischen Werbeagenturen, sondern Unternehmen wie Google, Facebook oder Twitter. Diese böten oft ein ebenso kreatives Arbeitsumfeld und Entwicklungsmöglichkeiten, meint Niklas Frings-Rupp. Allerdings: „Dieser dynamische Prozess vollzieht sich mit einem wahnsinnigen Tempo. Da bedarf es großer Flexibilität des Jobprofils.“
Es sei der „größte Wandel seit dem Siegeszug des TV-Spots“, glaubt auch Andreas Fischer-Appelt, Vorstandsvorsitzender der Creativ Content Group fischerappelt. „Agenturen, die sich nicht stark digitalisieren, werden vom Markt verschwinden oder gekauft werden“, meint der Experte. Deutschland ist als Markt derzeit attraktiv. Zahlreiche ausländische Unternehmen versuchen hierzulande und vor allem in Hamburg einzusteigen, Agenturen zu übernehmen. Das Problem: „Die Margen sind im Sinkflug“, sagt Fischer-Appelt. Es gibt zwar viel zu tun, zahlreiche Pitches. Gleichzeitig muss jedoch immer mehr Geld investiert werden. Die Stundensätze der Agenturen nehmen kontinuierlich ab. Die Folge: Viele Agenturen haben zu kämpfen. Auch in Hamburg.
So ist die Anzahl der Unternehmen im Hamburger Werbemarkt in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Betroffen sind vor allem kleinere Agenturen und Selbstständige. Das Ende der einen ist der Anfang von Neuem. Von Social Media bis zur Content Agentur – „es ist spannend zu sehen, was an neuen Agenturtypen nachkommt, die in keine Schublade passen“, sagt Fischer-Appelt.
Die größte Gefahr, die es in diesen Zeiten des Wandels für die Werbewirtschaft und besonders auch in Hamburg gibt, heißt Stillstand. „Man darf sich nicht auf dem Gedanken ausruhen, dass hier ja alles so toll ist“, warnt Andreas Fischer-Appelt. Er kritisiert veraltete Förderprogramme und zu wenig Experimentierfreude. Vor allem Berlin hat der Hansestadt einen wichtigen Aspekt voraus: mehr Subkulturen, mehr Vielfalt. Das mache die Hauptstadt attraktiver für Ausländer, meint der Experte.
Um Hamburg fit zu machen für die digitale Zukunft, hat der Senat mit dem Verein Hamburg@work und der Hamburgischen Gesellschaft für Wirtschaftsförderung sowie einigen Unternehmen und Persönlichkeiten eine Standortinitiative gegründet: die nextMedia.Hamburg. „Die Zukunft liegt in der Entwicklung erfolgreicher digitaler Geschäftsmodelle an der Schnittstelle von Inhalten und Technologie“ erklärt Konrad Hildebrandt vom Amt Medien. „Unsere Standortinitiative fokussiert sich darauf, diese digitalen Transformationsprozesse aktiv zu fördern und zu begleiten.“ Ob das ausreicht, um Hamburgs Spitzenposition als Werbe- und Medienmetropole zu sichern, wird sich zeigen.
Fest steht: Was in den Kreativschmieden in Hamburg, Berlin und der ganzen Welt in Zukunft Thema sein wird, ist der „Battle of Content“, der Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Und da ist ein einfaches Katzenvideo manchmal mehr wert als der größte Werbeetat.

 

Text: Nina Schwarz