Auch die Hamburg Messe und Congress GmbH hat schwer unter den Corona-Jahren gelitten. Sind große Live-Messen heute schon von gestern? Ach was, sagt der Chef BERND AUFDERHEIDE – so machen er und sein Team ihr Haus zukunftsfit.

Sein Büro ist schlicht, aber angenehm persönlich eingerichtet. Hinter dem Schreibtisch stehen einige Schiffs- und Crew-Bilder, Bernd Aufderheide ist noch aktiver Marineoffizier der Reserve, Dienstgrad Fregattenkapitän. Und prominent aufgeschlagen ist ein Flipchart mit der Headline „Führungsgrundsätze Marine! 1. Führe durch Vorbild! 2. Achte auf deine Crew! 3. Lass keinen zurück! 4. Nimm dich nicht zu ernst!“ Die Marine habe ihn nie losgelassen, sagt Aufderheide, „und vieles von dem, was ich dort in punkto Führung gelernt habe, kann ich hier bei Hamburg Messe und Congress ebenfalls gut gebrauchen.“ Zum Beispiel? „Der Kommandant auf der Fregatte hat zwar das letzte Wort, aber der würde ’nen Deubel tun und sich nicht auf seine Spezialisten verlassen – und genau so arbeite ich hier auch.“

Wie sieht die Messe der Zukunft aus?
Denn Aufderheide, 63, ist ja nicht nur Marine-, sondern vor allem Messeveteran. 1987 landete der gebürtige Herforder als junger studierter Volkswirt mit einem zusätzlichen Magister Artium in angloamerikanischer Geschichte als Praktikant bei der Kölner Messe – und blieb dem ebenso spannenden wie herausfordernden Geschäft der internationalen Ausstellerei bis heute treu. Seit 2004 ist er in der Geschäftsführung der „Hamburg Messe und Congress“ (HMC), seit 2007 deren Vorsitzender und CEO. Der nun mitsamt seinem Team die große Aufgabe hat, nach zwei mega schweren Coronajahren für sein Business eine neue Zeit zu definieren, in der vermeintlich ewige Gewissheiten vom realen Leben auf den Kopf gestellt worden sind. Die Messe der Zukunft – ein Thema mit Zukunft?

Beginnen wir also mit dem Ist-Zustand des Spätsommers 2022. „Soweit zufrieden“, meldet der Messechef. Vor kurzem hat er die Halbjahreszahlen bekommen, „wir werden unseren Plan für dieses Jahr erreichen und mit Glück sogar noch ein bisschen darüberkommen.“ Allerdings sei „auch noch ein gewisser Corona-Abschlag“ eingepreist gewesen – bei einem angepeilten Jahresumsatz von 97 Millionen Euro, 70 Messen und Ausstellungen sowie 700 000 Besuchern. Gerade zu Jahresbeginn aber seien noch Veranstaltungen ganz ausgefallen oder wie etwa die internationale HMC-Leitmesse „Internorga“ auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden, der für viele Gastro-Aussteller nicht mehr gut zu realisieren war. „Die Besucherzahlen werden wir deshalb nicht ganz erreichen“, sagt Aufderheide.

Und natürlich war auch der unvorhersehbare Krieg in der Ukraine ein Schlag ins Handelskontor – mit einer Konsequenz ohne Wenn und Aber: „Solange dieser Krieg läuft, werden wir hier bei uns die russische Wirtschaft nicht mehr zulassen“, erklärt Aufderheide. Dennoch ist das 22er Ergebnis ein Quantensprung gegenüber dem Vorjahr, in dem die HMC bei einem Umsatz von 28 Millionen Euro ein Jahresergebnis von minus 47 Millionen einfahren musste, im Plan waren sogar minus 58 Millionen prognostiziert gewesen. Und noch schlimmer kam das erste Corona-Jahr 2020 daher, „das Gefühl war, als ob du mit Tempo 180 gegen eine Mauer knallst“, erinnert sich Aufderheide mit Schaudern. Das bis dato schöne, durchschnittliche Jahreswachstum von acht bis neun Prozent und damit laut Messechef „weit über dem Branchenschnitt“: quasi über Nacht komplett dahin.

Solche Großkrisen sind aber immer auch Lackmustest für eine Organisation – was läuft, was funktioniert plötzlich nicht mehr, woran hat man einfach nie gedacht. Für Aufderheide stellte sich im Rückspiegel dabei vor allem eine zentrale Erkenntnis heraus: „Die Themen interne Kommunikation und die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind uns im Krisenmodus viel transparenter geworden – da gab es Nachhol- und Veränderungsbedarf.“ So ist der Messechef happy darüber, dass er dank finanzieller Hilfe des städtischen Gesellschafters niemanden entlassen musste. 320 Mitarbeiter hat die Messe Stand heute, das entspricht rund 270 Vollzeitstellen. Homeoffice etwa ist jetzt großes Thema, 50 Prozent der Arbeitszeit kann schon von zuhause gearbeitet werden, Tendenz steigend. Die Messe möchte ein moderner Arbeitgeber sein, denn engagierte Mitarbeiter zu halten oder auch neu zu bekommen, sei eines der großen Zukunftsthemen auch für die HMC: „Gerade im Bereich IT ist es extrem schwer, gute neue Leute zu bekommen.“

72 000 OMR-Gäste an zwei Tagen
Doch IT und digital muss sein – gerade angesichts der Learnings aus der Pandemie. So ist etwa der überragende Publikumserfolg der ureigenen Hamburger Messe „Online Marketing Rockstars“ OMR aus dem Mai nicht nur mit der Freude des jungen Publikums zu erklären, nach zwei Jahren Corona abends mal wieder flirrendes Festival-Feeling zu (er)leben. Sondern auch, weil es OMR-Gründer Philipp Westermeyer und sein hippes Team geschafft haben, ihre Veranstaltung neben spannend erzählten inhaltlichen Stories durchaus mit den Faktoren Glamour und Sexyness zu überzuckern, auch dank internationalen Aushängeschildern wie Starregisseur Quentin Tarantino und Schauspieler Ashton Kutcher als Gästen. Die OMR hat es zudem hingekriegt, über die Monate zuvor mit einer geschickt gespielten Social-Media-Kampagne reichlich Neugier aufs Event zu entfachen – so kamen am Ende stolze 72 000 Zuschauer in die Messehallen, 2019 vor Corona waren es zuletzt 54000. „Ich glaube,

in diesen Bereichen können auch traditionelle Messen zulegen“, sagt Westermeyer im großen Gespräch mit dem Business Club Magazin, allerdings ohne dabei, darauf legt er größten Wert, „hier irgendwie den Besserwisser spielen zu wollen“. Bei Messechef Aufderheide, mit dem er ohnehin im ständigen Hintergrundaustausch ist für und über alle möglichen Projekte, fühlt sich Westermeyer denn auch bestens aufgehoben: „Ich bin Hamburg und der HMC extrem dankbar für die guten Möglichkeiten, die uns hier über all die Jahre eingeräumt worden sind.“ Von Westermeyer lernen heißt also für die Zukunft lernen – das hat auch die Hamburg-Messe begriffen.

„Wir müssen es schaffen, Messestories spannender zu erzählen und deutlich über die eigentliche Zeit einer Messe hinaus zu verlängern“, sagt Aufderheide heute. „Storytelling“ heißt deshalb ein neues Zauberwort: Neugier und Lust wecken auf ein Ereignis mit digitalen Appetithappen, plus nach dem Event intensive Nachbereitung auf ebensolchem Wege. So dass Gäste, die nicht dabei waren, sich zum einen ebenso gut informiert wie auch unterhalten fühlen, aber eben auch das Gefühl entwickeln, etwas verpasst zu haben – und beim nächsten Mal unbedingt persönlich dabei sein wollen. Natürlich hat auch die Messe der Not gehorchend genug hybride Formate entwickelt in den Jahren der Pandemie, aber dabei auch gelernt, dass diese als alleinige Variantevon der Kundschaft nicht übermäßig goutiert werden – es kommt halt wenig Gefühligkeit auf. Die Überlebenskunst der Messe wird es deshalb sein, neue Formate zu entwickeln, die im Idealfall inspirierende Mischformen sein werden zwischen digitalen Überraschungsei-Präsentationsteasern sowie dem tatsächlichen Live-Event vor Ort:

„Wir sind ein Stück weit dabei, uns neu zu erfinden,“ staunt auch Aufderheide. Doch eines, so fühlt es der mit allen Messewassern gewaschene Kapitän, gilt auch im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts: „Messen waren immer offene Plattformen, Stätten der persönlichen Begegnung und des freien internationalen Handels ohne Restriktionen. Und wir bekommen immer wieder zurückgespielt, wie sehr unsere Kunden, aber auch unsere Gäste das Live-Erlebnis Messe vermisst haben.“

Lust auf jüngere Ideen und fordert im Interview mit dem Business Club von den Messemachern „Offenheit und Mut zum Ausprobieren: Wir müssen mehr wagen“. Aufderheide ist dazu bereit: Gerade jetzt hat man eine junge externe Agentur im Haus, die mit einem „Strategy Lab“ die Bedarfe der Zukunft ermitteln und dafür auch den kreativen Schatz der Mitarbeiter-Ideen heben will – in vielen Unternehmen eine völlig unterschätzte Ressource. Die Ergebnisse sollen im Spätherbst vorliegen und werden dann Teil der bereits gestarteten „Road to 2025“ – der Agenda der Messegeschäftsführung in eine prosperierende Zukunft. Denn das ist Aufderheides unbedingtes Ziel: „In fünf, sechs, sieben Jahren wollen wir hier wirklich Geld verdienen – vor Corona waren wir schon auf einem guten Weg dahin, wollten 2020 eine schwarze Null schreiben.“ Deswegen muss der Messechef nach den finanziell kontaminierten Corona-Jahren nun auch „noch sehr viel stärker auf die Themen der Wirtschaftlichkeit schauen“. Ein Bremsklotz für wagemutige, neue Formate, die wie die OMR (gestartet 2011 mit 200 Gästen) ihr Gesicht und ihr Publikum ja oft erst über Jahre finden müssen?

Messegelände in bester Innenstadtlage
Dafür, dass die Hamburg-Messe tatsächlich gestärkt aus der Krise hervorgehen wird, spricht nach Meinung der Verantwortlichen dennoch einiges. Da wäre zum einen das für eine knappe Viertelmilliarde Euro frisch generalüberholte Congress Centrum CCH, das ein internationaler Anlaufpunkt werden soll. Etwa für hochwertige Medizinkongresse mit entsprechend zahlungskräftiger Klientel, die man sehr gerne in der Hansestadt sieht. Tatsächlich seien im neuen CCH durch die Umgestaltung der Einlasssituation jetzt „mit höchster Flexibilität“ sogar drei parallele Großveranstaltungen möglich für über 12 000 Gäste gleichzeitig – und auch der Rahmen digitaler Präsentationsmöglichkeiten, sagt Aufderheide, „ist absolut state of the art“. Die ersten Praxiserfahrungen aus diesem Jahr mit der neuen Spielstätte waren ermutigend, es gibt bereits Buchungen sogar für die 30er Jahre.

Für Hamburg spricht zudem, dass die Zeit des „size matters“, was pures Quadratmeter-Raumangebot anbelangt, nach Corona wohl endgültig Vergangenheit ist. 87 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche hat Hamburg Messe nach eigenen Angaben im Angebot – wenig im Vergleich zu Messe-Großstandorten wie Frankfurt oder Hannover, aber laut Aufderheide werden in Zukunft andere Parameter an Wichtigkeit gewinnen. Dabei an Nummer eins für ihn: das weltweite Großthema Nachhaltigkeit – und da, sagt Aufderheide, „sind wir schon jetzt hervorragend aufgestellt und wollen bis spätestens 2040 klimaneutral sein“. Genau das führt auch zum dritten großen Standortvorteilsfaktor, den Hamburg für sich ausgemacht hat: die ressourcenschonende Zentralität der großen Messestätten, ihre mühelose und oft sogar fußläufige Erreichbarkeit untereinander und das alles in extrem attraktiver Innenstadtlage in einer der schönsten Städte Europas – das wird ein Pfund sein, mit dem die Hamburg Messe und Congress GmbH kräftiger trommeln wird.

Gerade jetzt im Juni habe man die Großtagung des internationalen Messeverbandes UFI hier in Hamburg zu Gast gehabt, erzählt Aufderheide, rund 100 Messe-CEOs aus beinahe aller Welt, und wirklich alle seien sehr begeistert gewesen von dem, was die Freie und Hansestadt als Messe- und Kongressstandort im Paket anzubieten habe. „Bloß“, sagt Aufderheide, „etwa 60 Prozent der
Gäste hatten von Hamburg vorher noch nie etwas gehört. Und das ärgert mich.“ Denn aus seiner Sicht gehe noch so viel mehr, gerade wenn man das Thema Hamburg Messe eventiger und gemeinsamer denken wolle.

Aufderheides Vision: „Wir wollen, dass ganz Hamburg an einem Strang zieht und den einenden Stadtgedanken noch viel weiter vorantreibt.“ Deshalb arbeite er auch so gerne mit OMR-Head Westermeyer zusammen: „Ich schätze Philipp und seine Crew sehr, sie haben Hamburg im Kopf und im Herzen – das ist genau der Spirit, den wir brauchen.“ Und so seien in unmittelbarer Messenähe nicht nur kreative und für Gäste spannende Stadtviertel wie Karo, Schanze, St. Pauli oder auch die Uni im Blickfeld der kooperativen Messemacher, sondern auch attraktive und Hamburg-prägende Locations wie etwa das Café Seeterrassen im Park Planten und Blomen oder auch der Fernsehturm (den übrigens die OMR gemeinsam mit der HMC und dem Hamburger Bauprojektentwickler „Home United“ im Jahr 2020 über 25 Jahre gepachtet haben, für zukünftige Nutzung). Aber da mahlen die Mühlen trotz großer Macher-Lust langsam, viele Interessen wollen gehört und berücksichtigt sein, das zieht sich. Aufderheide, dessen Fünfjahresvertrag noch bis Mitte nächsten Jahres läuft und der einer letztmaligen Verlängerung nicht abgeneigt wäre („Ich würde diesen jetzt angestoßenen Wandel gerne noch begleiten bis alles auf einem guten Weg ist“) ist sich gleichwohl auch so sicher: „Hamburg hat große Chancen, perspektivisch einer der der top drei Messestandorte in Deutschland zu werden.“

ZAHLEN UND FAKTEN
Hamburg Messe
Gesamtausstellungsfläche: 97 000 qm
Anzahl Messehallen: 11
Konferenzräume: 30

CCH – Congress Centrum Hamburg
Gesamtausstellungsfläche: 36 000 qm
Kapazität: 12 000 Personen
Räume und Säle: 50

 

Text:  Jochen Harberg