Ernst Ferstl, österreichischer Dichter, 1955

„Wie wertvoll die Gesundheit ist, erkennt man bereits daran, dass es sehr viele Krankheiten, aber nur eine Gesundheit gibt.”

Gesundheit ist ein hohes Gut. Je älter wir werden, desto wertvoller wird sie. Wie sehr wir uns bemühen, zeigen Kleinigkeiten: Jeder Dritte hat hierzulande einen Fitnesstracker, der Schritte zählt oder die Herzfrequenz misst oder den Schlaf überwachen kann. Die Menschen wollen nicht nur alt werden, sie wollen gesund alt werden. Damit folgen wir einem Trend, den die höchste Instanz in Sachen Gesundheit, die Weltgesundheitsbehörde bereits im Jahr 1946 (!) definiert hat: „Gesundheit”, so legte die WHO kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs fest, „ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens.” Ein wunderbares Ideal mithin, das deutlich mehr umfasst als die bloße Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist demnach ein Multi-Tasking-Geschehen, das auch und vor allem von Faktoren aus unserer Umwelt bestimmt wird.
Da liegen die Trümpfe in Hamburg. Die zweitgrößte deutsche Stadt zählt zu den „Wohlfühl-Metropolen”, wie der „Spiegel” 2011 titelte. Britische Forscher hatten Gesundheitsversorgung, Infrastruktur und Bildung auf der ganzen Erde verglichen und dabei schälte sich Hamburg als eine der Cities mit der höchsten Lebensqualität weltweit heraus. Von 140 Metropolen des Globus’ schaffte es die norddeutsche Hansestadt auf einen beachtlichen 14. Rang und ließ dabei die anderen deutschen Städte – Berlin (22.) oder München (29.) – hinter sich.
Schön für die 1,6 Millionen Hamburger, die ohnehin zu wissen schätzen, dass es sich hier ungemein gut leben lässt. Doch immer mehr registrieren auch, dass Gesundheit nicht von ungefähr kommt, dass man für sein Wohlbefinden in großen Teilen selbst verantwortlich ist. Professor Klaus-Michael Braumann, Präsident des Deutschen Sportärztebundes und seit vielen Jahren Leiter des Instituts für Psychologie und Bewegungsmedizin in Hamburg, betont in seinem Buch „Die Heilkraft der Bewegung”, dass wir heute nicht mehr an Infektionskrankheiten sterben, sondern an chronischen Krankheiten. „Diese Zivilisationskrankheiten haben wir uns selbst eingebrockt.” Laut Braumann sei längst erwiesen, dass wir Diabetes, Bluthochdruck und Co. durch regelmäßige körperliche Aktivität nicht nur verhindern, sondern auch therapieren könnten. Wie gut, dass das Institut seit Jahren sportmedizinische Check-ups anbietet. Seit den 60ger Jahren kommen die Spitzensportler, dann die Freizeitathleten, die ihren Körper auf Herz und Nieren und die Muskeln auf Dysbalancen untersuchen lassen, nun sind es auch die Älteren und Kranken, die Bewegung als Therapieform schätzen lernen. Sich um die Gesundheit zu kümmern, ist zur Aufgabe des Einzelnen geworden und Bestandteil unseres Alltags.
Aber es ist nicht nur für das Individuum schön, gesund zu sein. Das Geschäft mit der Gesundheit ist lukrativ. Gesundheit ist einer der wenigen Wachstumsmärkte. Mehr noch, die Gesundheitswirtschaft ist eine der größten Branchen der Wirtschaft insgesamt, seit 2007 wächst sie jährlich um 3,5 Prozent und damit deutlich schneller als die Wirtschaft insgesamt (2,4 Prozent). Ausgaben für die Gesundheit beliefen sich im Jahr 2013 auf stolze 315 Milliarden Euro. Das entspricht 3910 Euro je Einwohner. Damit macht der pekuniäre Posten Gesundheit 11,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. 70 Prozent dieser Ausgaben gehen auf das Konto der sozialen Sicherungssysteme. Doch der sogenannte zweite Gesundheitsmarkt, alles jenseits von Arzt und Apotheke, expandiert noch gewaltiger. Vor allem in Hamburg.
Nach Zählungen der Handelskammer ist die Zahl der Unternehmen, die sich in Hamburg mit dem Thema Gesundheit beschäftigen, auf 6906 gestiegen. Das bedeutet allein für die Jahre von 2010 bis 2013 ein Plus von 15 Prozent. Der zweite Gesundheitsmarkt ist dagegen mit einem Anstieg von 36 Prozent regelrecht explodiert. In Hamburg beschäftigen sich mehr als 162 000 Menschen beruflich mit gesunden Themen, folglich ist das jeder siebente Erwerbstätige – bundesweit jeder achte. Seit dem Jahr 2005 wurden innerhalb der Hamburger Gesundheitsbranche mehr als 23 000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Gesundheit ist damit auch ein Beschäftigungsmotor: In Hamburg arbeiten mehr Menschen im Gesundheitsbereich als in der traditionell so starken Hafenwirtschaft. Die Prognose: Im Jahr 2030 wird gar jeder fünfte Arbeitsplatz aus der Gesundheitsbranche stammen. Nach oben keine Grenze in Sicht.
Im Gegenteil. Gesundheit wird weiter boomen. Daran hat zum einen der demografische Wandel mit der älter werdenden Bevölkerung seinen Anteil. Hinzukommt, dass der Trend der Hamburger, in die eigene Gesundheit zu investieren, anhält.
Schon der Eingangsbereich wirkt einladend. Hohe Türen, lichtdurchfl utet, bestsanierter Jugendstil: Fliesen an den Wänden, geschwungenes Treppenhaus, welches das großbürgerliche Leben aus dem vorherigen Jahrhundert erahnen lässt. In diesem historischen Gebäude hat sich ein ganzes Netz von Ärzten angesiedelt: In jeder Etage prangt ein unterschiedliches Facharztschild. Zwei Zahnarztpraxen, Allgemeinmediziner, Hautarzt, Frauenarzt, Orthopäde, Neurologe, HNO, Augenarzt und noch viele mehr sowie natürlich die Apotheke im Erdgeschoss, klar. Das „Ärztehaus an der Oper”, direkt hinter der Staatsoper, vereint medizinische Fachkompetenz unter einem historischen Dach. Für den Patienten macht das Sinn. Beste Versorgung, hohe Qualität, kurze Wege, kurzum: medizinische Dienstleistung äußerst kundenfreundlich.
Das ist der Trend. Bundesweit wie auch in Hamburg, wo die Vertragsarztdichte stetig zunimmt. Versorgte 1998 noch ein Arzt 580 Einwohner, waren es 2007 nur noch 541 Einwohner pro Arzt. Hamburg hat mit Berlin und Bremen die höchste Arztdichte. In der Hansestadt praktizieren über 10 000 Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten. Die Gesundheitsbehörde führt das auf die Metropolfunktion Hamburgs zurück, Hamburger Ärzte werden auch von Patienten aus umliegenden Bundesländern aufgesucht. Im Schnitt kommt es jährlich zu elf bis zwölf Millionen Behandlungen in Hamburgs Arztpraxen.
Der Trend der Fachärzte, sich als feste Praxis-Gemeinschaften oder als losen Verbund wie an der Oper zusammenzutun, ist ungebrochen. Laut „Ärztezeitung” gab es Ende 2014 hierzulande bereits 2073 sogenannter Medizinischer Versorgungszentren, in denen im Schnitt 6,5 Ärzte arbeiten und den Patienten doppelte Wege ersparen, wenn sich beispielsweise Radiologe, Orthopäde und eventuell sogar noch Physiotherapeut die Räume teilen.
Gesundheit wird mehr und mehr zum Dienst am Kunden. Sehr gut zu beobachten auch am „Spectrum” auf dem UKE-Gelände. Der sechsstöckige Ziegelpavillon wurde im Oktober 2014 neu eröffnet. 38 Millionen Euro wurden in dieses bundesweit einzigartige Projekt investiert: Auf 10 000 Quadratmetern Fläche wird hier eine Vielfalt nicht nur aus Gesundheit und Medizin, sondern auch aus dem Handel geboten. Neben 20 bis 25 Praxen, einer Stimmklinik, einem Schlaflabor, Hörgeräteakustiker, Reha-Centrum und klinischem Forschungslabor können Patienten, aber auch die Studenten der Uni, die über 9700 Mitarbeiter am Universitätsklinikum (UKE) sowie die Besucher Einkäufe in Supermarkt, Drogerie oder einer Bäckerei erledigen. Es geht in dieser medizinischen City in Eppendorf so lebendig zu wie in einer echten City-Lage. Und „Spectrum” ist erst der Anfang. Es ist Teil der großen Vision eines „Gesundheitsparks” auf dem insgesamt 350 000 Quadratmeter großen Areal des Hamburger Universitätsklinikums.
Auch Know-how kommt nicht von ungefähr. Ohne Technik gäbe es in der Medizin keinen Fortschritt. In Hamburg wird dieses interdisziplinäre Zusammenspiel seit Jahren engmaschig geübt. „Life Science Nord” nennt sich der Verbund, der bereits 2004 aus der Taufe gehoben wurde mit dem Ziel, Hamburg und dem norddeutschen Raum ein Profil für innovative Medizin zu verleihen. Gesellschafter sind die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein sowie der von Unternehmen der Branche getragene Förderverein „Life Science Nord Management” mit über 180 Mitgliedern. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sollten verzahnt werden. Davon bekommt der Hamburger auf der Straße wenig mit, aber natürlich profitiert auch er davon, wenn Medizinwissenschaftler des UKE und Ingenieuren der TU Hamburg Harburg zusammenarbeiten und Erkenntnisse der Forscher in die Wirklichkeit eingebettet werden. Auf diese Weise entstehen Therapien wie die neuartige Stammzelltherapie oder Medizingeräte, wie z.B. verbesserte diagnostische Bildgebungsverfahren oder optimierte Implantate.
Mitunter weiß der normale Hamburger gar nicht, wie gut es um die Gesundheitsversorgung in seiner Stadt bestellt ist. Einige Hamburger Mediziner und Kliniken sind echte Aushängeschilder. So gibt es in der Hansestadt den bisher einzige Anti- Aging-Lehrstuhl Deutschlands. Professor Christoph Bamberger bietet in seinem Medizinischen PräventionsCentrum (MPCH) Vorsorge-Check-ups an. Sein Credo: „Besser leben, länger leben.” Ebenso einzigartig: Frank Sommer. Er ist weltweit der erste Professor für Männergesundheit. Der Urologe und Sportmediziner arbeitet im UKE und zählt zu den führenden Ärzten auf dem Gebiet der mikrochirurgischen Refertilisierung, einer OP-Methode, bei der die Zeugungsfähigkeit des Mannes wieder hergestellt wird.
Ein Beispiel für die Magnetfunktion der Gesundheitsmetropole ist auch die Helios-Endo-Klinik. Sie ist Europas größte und weltweit die zweitgrößte Spezialklinik für Knochen-, Gelenk- und Wirbelsäulenchirurgie mit mehr als 6000 endoprothetischen Eingriffen. Prof. Dr. Thorsten Gehrke, Ärztlicher Direktor der Klinik, gilt als Spezialist für die einzeitige Prothesenoperation, bei der in nur einem Eingriff die alte Prothese herausgenommen, womöglich infektiöses Gewebe entfernt und gereinigt sowie ein neues, künstliches Gelenk wieder eingesetzt wird. Diese Operationsmethode ist ziemlich revolutionär. Im Jahr kommen deshalb etwa 350 ausländische Ärzte, um sich hier in der Endo-Klinik auf St. Pauli fortzubilden. Nur noch die Mayo-Klinik in Rochester/USA wendet dieselbe Technik an. Kompetenz und Einzigartigkeit geben ein perfektes Doppel ab. Sie machen die Klinik zu einer „medizinischen Institution von Weltruf”, sagt Professor Gehrke nicht ohne Stolz.
Kein Wunder, dass Hamburg als Stadt zum Reiseziel im noch jungen Geschäftsfeld Gesundheitstourismus wird. Zwar pilgern auch die Deutschen ins Ausland: nach Thailand, um sich die Brüste vergrößern zu lassen, nach Polen, um sich Implantante oder Kronen aufbringen zu lassen. Der Grund: Behandlungskosten sparen. Doch Gesundheitstourismus geht auch andersherum. In Richtung der medizinischen Kompetenz. Auf 4000 Quadratmetern, mit Blick über St. Pauli und den Hafen, wurde im neunten und zehnten Stock das Endo Reha-Zentrum mit Medizinischer Trainingstherapie eingerichtet, das ein Novum ist: Denn es bietet eine Reha für die frisch Operierten, die in 244 Betten stationär in der Endo Klinik weilen, plus 34 Betten aus der Helios Privatklinikt, genauso wie für alle, die ambulant in der Klinik behandelt werden wollen. Laut Mit-Initiator Jens Duve kommen 70 Prozent der Patienten aus der Metropolregion, 25,9 davon direkt aus Hamburg, 15 Prozent aus NRW und 2,15 sind international.
Ein herkömmliches Wartezimmer gibt es nicht. Der Flur endet an einer großen Fensterfront, auf dem Sims davor laden Kaffee, Tee, Obst zum Verweilen ein. Extra hohe, orthopädische Sitzbänke sind stark frequentiert, im neunten Stocks Helios-Endo Reha Zentrums ist immer was los. Wer eine Weile hier sitzt, kommt sich so vor wie im Transitbereich: Sprachengewirr, osteuropäische, englische, viele arabische Laute dazwischen. Araber, so weiß Duve, „sind geneigt, nur das Beste für ihre Gesundheit nachzufragen”. Sie flogen auch schon früher nach Hamburg, doch dann flogen sie mit einem künstlichen Hüftgelenk nach Hause – ohne Reha und mit schlechterem Ergebnis. „Heute können wir ihnen eine erstklassige OP plus Reha als Komplettpaket offerieren”, sagt Duve. Etwa 15-20 Prozent der Patienten stammen aus Kuwait, Dubai oder Saudi-Arabien. Bereits 2007 ließen sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp 71 000 Patienten aus dem Ausland in deutschen Kliniken behandeln, 2011 waren es schon 79 000 aus 171 Ländern. Die Zahlen der ambulanten internationalen Patienten beliefen sich auf 123 000. Die Erlöse schätzt der „leading medicine guide” auf über eine Milliarde Euro jährlich.
So ist es wohl durchaus vorausschauend, dass die Klinikgesellschaft Asklepios und ihr Haupteigentümer Bernard große Broermann im Dezember 2014 das Hamburger Nobel-Hotel Atlantic erwarben. „Synergie-Effekte” erhoffe man sich, denn gerade im Luxussegment seien die Grenzen fließend – zwischen Urlaub und Reha, Krankenhaus und Hotel. Das Atlantic soll künftig aus der gut betuchten Klientel internationale Patienten rekrutieren. Auslandspatienten bedeuten für jede Klinik gut verdientes Geld, das sie zusätzlich zum Budget erwirtschaftet und nicht mehr mit den Krankenkassen abrechnen muss.
Kurzum: Gesundheit lohnt sich. Für jeden. In vielen Facetten.

 

Text: Corneila Heim