Fußballexperte und Volkswirt: GERHARD DELLING ist der politische Kopf unter den Sportmoderatoren in Deutschland. Ein Gespräch über Olympia in Hamburg, große Sportereignisse an fragwürdigen Orten und sein Wunsch nach journalistischer Qualität.

Gerhard Delling beim Gespräch in Hamburg: Der 56-Jährige ist einer der bekanntesten Sportmoderatoren Deutschlands („Sportschau“, „Sportclub“). Von 1998 bis 2010 analysierte er zusammen mit Fußball-Ikone Günter Netzer die Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft und erhielt dafür den Grimme-Preis und den Medienpreis für Sprachkultur.

 

club!: Herr Delling, als sportbegeisterter Hamburger müssten Sie sich gefreut haben, dass Hamburg sich gegen Berlin durchgesetzt hat und nun für die Olympischen Spiele
bewirbt.

Gerhard Delling: Ich habe mich schon vorher gefreut, dass Hamburg überhaupt die Entscheidung für sich getroffen hat, in dieses Rennen einzusteigen. Das sorgt für einen Ruck in der Stadt, für Belebung. Ganz viele Dinge wachsen zusammen. Menschen und Unternehmen fangen über eigene Grenzen hinaus etwas Gemeinsames an. Und ich glaube, das geht jetzt erst richtig los.

Können Sie sich noch an die letzten deutschen Olympischen Spiele 1972 erinnern?
Ja klar, als Fan. Ich habe im Sport immer alles geguckt, was angeboten wurde. Und wenn bei uns nichts mehr lief, dann habe ich rübergeschaltet auf DDR eins und zwei. Meine erste nachhaltige Sporterinnerung beginnt aber schon viel früher, mit der Fußball-WM 1966.

Da waren Sie sieben!
Es gab ein einschneidendes Erlebnis. Zwei Tage vor dem Finale ging bei uns der Fernseher kaputt. Einen neuen kaufen oder nicht, das war die Frage. Meine Mutter war dagegen, mein Vater dafür. Ein Fernseher war damals eine echte Investition. Wir waren nicht auf Rosen gebettet. Samstagnachmittag stand er dann doch mit einem neuen Schwarz-Weiß-Gerät in der Tür.

Gab es Familienkrach?
Nein. Meine Mutter war nachher absolut happy. Bei solchen Sachen hat sie auch immer mitgefiebert. Aber es war eine andere Zeit. Heute geht man einfach los und kauft sich, was man haben möchte. Damals musste man eine Zeit lang sparen und dann hat man sich das Sofa, den Stuhl oder eben den Fernseher gekauft. Der Fernseher zum WM-Finale war also außer der Reihe.

Wenn wir in die Zukunft blicken: Werden wir die Olympischen Spiele 2024 überhaupt noch am Fernseher gucken?
Das weiß ich nicht. Ich bin aber sicher, dass alles, was dann in Hamburg oder einer anderen Stadt passiert, rund um die Uhr irgendwo als Bild abzurufen ist. Es wird auch noch Fernsehen geben, aber parallel dazu viele andere Angebote.

Stichwort digitale Revolution?
Ja. Die digitale Revolution bringt natürlich viel Stress und Fürchterliches mit sich, aber auch eine Menge Chancen. Meine Philosophie ist, dass der Fernseher, den wir alle im Wohnzimmer haben und den auch die Jüngeren früher oder später haben, in Zukunft die Plattform für alles sein wird. Da findet von YouTube bis ARD und ZDF alles statt; mit einem Zugriff. Was bedeutet das im Umkehrschluss? Alle, die auf dieser Plattform spielen, stehen in Konkurrenz zueinander. Und der Zuschauer entscheidet, auf welchem Kanal er was sehen möchte.

Wird dadurch das Angebot besser oder schlechter?
Wir werden mehr Trash bekommen. Aber es wird auch die Nachfrage nach verlässlichen Inhalten größer werden. Einige werden bei Sportereignissen nur bunte Bilder sehen wollen, aber es wird auch Menschen geben, die wissen wollen, wie der Athlet gelaufen ist, warum er so gelaufen ist, wie er sich auf den Wettkampf vorbereitet hat und was für eine Geschichte dahinter steht.

Der Trend im Fernsehen zu leichter Unterhaltung ist dennoch unübersehbar. Wo sehen Sie die Gründe dafür?
Es gibt eine zu große Flut an Informationen. Es hat alles so eine wahnsinnige Schnelllebigkeit. Das sind die Gründe, warum tiefergehende Formate, bei denen man sich auch beim Zugucken Zeit nehmen muss, nicht mehr so einfach funktionieren wie früher. Aber es wird weiterhin eine große Nachfrage danach geben. Die öffentlich-rechtlichen Sender leisten sich diese Formate auch weiterhin. Und ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns das sogar noch häufiger leisten würden. Ich bin sicher, dass es nochmal eine steigende Nachfrage geben wird nach Wahrheit, nach Verlässlichkeit und vielleicht auch einmal ein bisschen Langsamkeit.

Ihre Karriere ist stark vom Journalismus geprägt. Täuscht der Eindruck, dass heutzutage bei der Auswahl von Fernsehmoderatoren das Hauptaugenmerk aufs Talent als Showtyp gelegt wird?
Nein, täuscht nicht. Heute muss alles hübsch verkauft werden. In meinen Anfangsjahren gab es zum Beispiel keine Quoten. Damals wurde nach jeder Sendung eine Kritik gemacht, was ich persönlich viel fürchterlicher fand. Da ist man manchmal mit Tränen in den Augen rausgegangen, bloß weil ein paar Ausdrücke nicht gesessen hatten. Heute ist das nicht mehr so relevant, weil die Zeit noch schnelllebiger geworden ist. Kaum einer hat mehr Zeit, sich so intensiv mit dem auseinanderzusetzen, was war. Und Unterhaltung ist ein Tagesgeschäft. Das passt meist.

Ihnen wäre es lieber, wenn es anders wäre?
Grundsätzlich finde ich die Entwicklung nicht schlimm. Pluralität ist wichtig, aber die reine Unterhaltung ist nicht so mein Feld. Das heißt nicht, dass ich mir nicht auch ein passendes Unterhaltungsformat vorstellen könnte, aber mein Hauptaugenmerk gilt weiterhin dem Journalismus.

Also statt „Wetten, dass?“ lieber „Tagesthemen“?
Auf jeden Fall. Ich könnte mir zwar beides vorstellen, aber das eine wäre dann ein reiner Vergnügungs-Sidestep, das andere ist meine Berufung.

Wie sieht Ihre Zukunft aus? Sind Sie 2024 bei Olympia in Hamburg dabei? Oder sind Sie „Tagesthemen“-Moderator?
Ich hoffe schon, dass ich 2024 in irgendeiner Funktion dabei bin, vielleicht ja auch für Hamburg. Olympische Spiele in der eigenen Stadt, da könnte ich mich nicht heraushalten, glaube ich.

Sie haben ja immer einmal wieder daran gedacht, neben dem Sport auch andere Themen zu bearbeiten. Ist das für Sie noch eine Option?
Auf jeden Fall möchte ich beim Sport dabeibleiben. Das ist mein Leben immer gewesen, das werde ich nicht mehr ändern. Aber vieles anderes interessiert mich sehr, vor allem was die Menschen anbelangt in dieser Welt. Die Schere zwischen Arm und Reich geht seit Jahrzehnten immer weiter auseinander. Mittlerweile kommen wir an Punkte, an denen das nicht mehr lange gut gehen kann. Es wäre wichtig, dass es eine Neuausrichtung gibt, wir können ja nicht immer so weitermachen. Solche Themen würden mich interessieren, aber eine Aufgabe in diesem Bereich müsste Sinn machen. Ich hätte keine Lust, irgendetwas zu tun, von dem ich sage, das musst du jetzt machen, damit du noch ein paar Groschen einsammeln kannst.

Im Unterhaltungsgeschäft Sport kommt es immer häufiger vor, dass die Besitzer eines Produktes auch gleich die ganze Inszenierung mitliefern. Liegt darin nicht eine Gefahr, wenn etwa das IOC die Olympia-Berichterstattung übernimmt, die Fifa das Monopol auf die Bilder von Weltmeisterschaften hat oder Spiele des FC Bayern nur noch im Bayern TV zu sehen sind?
Ja, klar. Wenn sie ein Monopol haben, ist es gefährlich, weil sie natürlich alles Mögliche erzählen können. Machen wir uns nichts vor, es ist ja heute schon so, dass bei ganz vielen Ereignissen versucht wird, ein paar Bilder nicht zu zeigen. Bei der ARD greift das zum Glück noch nicht. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir es weiterhin schaffen, uns diesem Dogma nicht unterwerfen zu müssen.

Wie gehen Sie als Journalist damit um, auch von sportlichen Großereignissen an politisch fragwürdigen Orten zu berichten; etwa von den Olympischen Winterspielen in Sotschi oder demnächst von der Fußball-WM in Katar?
Das ist ein schmaler Grat. In Sotschi habe ich mich zunächst einmal gefreut, dass wir über Sport berichtet haben. Denn die Leute gucken, weil sie wissen wollen, was da sportlich los ist. Aber natürlich muss man auch zeigen, was am Rande passiert. Denn wer vor Ort ist, kriegt einen anderen Eindruck.

Welche Erkenntnisse haben Sie von dort mitgebracht?
Mir ist klar geworden, dass wir unsere Meinung nicht eins zu eins auf ein anderes Land übertragen dürfen. Wenn wir sagen: Wir wissen, was Demokratie ist, wie sie funktioniert und dass sie gut ist, dann kann es ja sein, dass es für uns und aus unserer Sicht das Beste ist. Man könnte sie aber trotzdem nicht eins zu eins etwa nach Russland übertragen.

Warum nicht?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Ich habe junge Menschen getroffen, die total begeistert waren von ihrem Land. Wir haben denen gesagt: Es kann doch nicht angehen, dass Menschen wie die Sängerinnen von Pussy Riot vor laufender Kamera aufs übelste verprügelt werden. Dann haben die uns angeguckt und uns nicht verstanden. Weil sie anders denken als wir. Das macht die Sache nicht besser, aber es zeigt, dass wir an so gravierende Differenzen anders und langfristig herangehen müssen.

Aber muss man nicht trotzdem den Finger immer wieder in die Wunde legen?
In jedem Fall. Das haben wir in Sotschi ja auch gemacht. Aber wir dürfen nicht davon ausgehen, dass unsere Muster immer auf alle ad hoc übertragbar sind. Vielleicht sind sie für alle richtig, aber in diesem Moment vielleicht gerade nicht. Oder noch nicht. Eine Demokratie kann man nicht auf Rezept verordnen, das ist mir sehr klar geworden. Natürlich muss man immer darauf drängen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Insofern passiert bei solchen Ereignissen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften immer etwas, was man nicht unterschätzen sollte: Es gibt Annäherungen, vielleicht nur auf der kleinsten Ebene, aber sie sind da. Das ist die Stärke des Sports.

War eigentlich der Sport in Ihnen drin von Anfang an?
Ja. Sobald ich laufen konnte, wollte ich auch laufen. Und als einigermaßen gewährleistet war, dass der Ball mich nicht einfach nur umwerfen würde, wollte ich auch gegen den treten.

Sport plus Journalismus gleich Sportjournalismus. Wann hat sich abgezeichnet, dass Sie diesen Job machen würden?
Sehr früh, sobald ich ein bisschen schreiben konnte, was ehrlicherweise wieder gar nicht so früh war. Ich wollte immer Sport machen, da blieb wenig Zeit zum Schreiben und zum Lesen. Aber irgendwann kam ein Junge, der ein Jahr jünger war als ich, zu mir und schrieb seinen Namen. „Was machst Du denn da?“, fragte ich ihn. Er sagt: „Ich schreibe meinen Namen.“ Bei mir war es anders. Ich wusste, wie ich heiße, aber ich konnte meinen Namen nicht schreiben. Von da an wollte ich das auch können. Später habe ich dann alles Mögliche geschrieben, Gedichte zum Beispiel, einen Roman habe ich auch angefangen.

Und wann haben Sie eine Redaktion zum ersten Mal gesehen?
Mein damaliger Fußballtrainer berichtete für die Schleswig-Holsteinische Landeszeitung über Fußball. Jedes Wochenende zwei Seiten. Irgendwann hat er das zeitlich nicht mehr geschafft und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte mitzumachen. Dann haben wir uns das geteilt. Zehn Pfennig pro Zeile, Vorberichte immer am Freitag und Sonntag, wenn wir selbst ein Spiel hatten, hinterher aufs Fahrrad, acht Kilometer in die Redaktion und die Berichte geschrieben.

Wie kamen Sie zum NDR?
Das Leben ist ja entweder Zufall oder vorbestimmt. Das ist auch eine kuriose Geschichte. Ich hatte das Angebot, mich einmal beim Funkhausdirektor in Kiel vorzustellen. Ich fahre also hin, aber er ist nicht da. Das ist wirklich dreimal passiert. Beim dritten Mal war die Sekretärin so ratlos mit mir armem Tropf, dass sie sagte: Dann lassen Sie Ihre Unterlagen mal hier. Eine Woche später ging das Telefon. Am anderen Ende war der Sportchef und fragte mich, ob ich Lust hätte vorbeizukommen, er hätte meine Sachen gesehen und die hätten ihm gefallen.

Der klassische Weg des Quereinsteigers?
Es war schon etwas anders. Heute kommt man in eine Redaktion und darf und muss sofort in allen Bereichen dabei sein. Damals musste man ein Segment nach dem anderen kennenlernen. Und erst, wenn es wenigstens einigermaßen gut war, durfte man das nächste anfangen. Wenn man also Kaffee kochen konnte, dann durfte man Meldungen vom Ticker abreißen. Wenn man
Meldungen abreißen konnte, durfte man mal einen kleinen Bericht machen. Wenn man einen kleinen Bericht gemacht hatte, durfte man mal ein Interview machen. So habe ich fast zwei Jahre lang von der Pike auf eine Ausbildung bekommen.

Und nebenbei Ihr Studium der Volkswirtschaft finanziert?
Man durfte als freier Mitarbeiter 6000 Mark verdienen; leider nur pro Jahr. Ich hatte aber so viel gearbeitet, dass ich den Betrag nach vier Monaten zusammenhatte. Dann habe ich gesagt, zahlt mir die Hälfte, dass wir wenigstens in den Dezember kommen. Wenn ich nur drei Monate arbeite und dann ein dreiviertel Jahr raus bin, dann klappt das nie. Dann lerne ich ja nichts. So war ich durchgehend im Geschäft. Aber ich hatte immer Glück. Ich durfte immer überall dabei sein. Und was wahrscheinlich für meine berufliche Entwicklung noch wichtiger war: Ich hatte Beschützer, die gesagt haben: Das machst du noch nicht, weil du es noch nicht kannst.

Erzählen Sie mehr.
Ich habe dazu eine kleine Geschichte. Irgendwann sollte ich zusammen mit der Radiolegende Kurt Emmerich zum Europapokalspiel des HSV nach Sofia. Mein damaliger Chef Armin Hauffe lehnte die Anfrage ab. Delling hat keine Zeit, der kann nicht, hieß es. Natürlich hatte ich Zeit. Erst einmal war ich natürlich beleidigt. Aber nachher war ich dankbar, dass er mich davor bewahrt hatte, neben dem gestandenen Profi unterzugehen. Gleichzeitig habe ich mir natürlich auch gesagt, das passiert dir nicht noch einmal. Beim nächsten Mal willst du, dass der sagt, Delling muss da hin.

Kann man aus Ihrer Entwicklung ablesen, wie man eine Karriere am klügsten plant?
Nein. Ich habe nichts geplant. Als ich später von Kiel aus zum Südwestfunk nach Baden-Baden ging, habe ich zu meiner damaligen Freundin gesagt: Wenn ich in vier Jahren nicht bei der Sportschau richtig dazugehöre, komme ich zurück. Dann bin ich zu blöd dazu, dann hat es keinen Sinn. Das ist das einzige, was ich gesagt habe.

Sie haben zwölf Jahre lang zusammen mit der Fußballlegende Günter Netzer in der ARD die Länderspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft begleitet und dabei, man darf es so sagen, Kultstatus erreicht. Wie hat das Ihre Karriere beeinflusst?
Von der Popularität her war es das i-Tüpfelchen. Dabei hatte sich für mich nie so viel verändert. Ich gebe nicht viel auf Popularität. Die ist nämlich heute da und morgen weg; das ist nichts, was man selber beeinflussen kann. Für mich ist aber  interessant, was man selber beeinflussen kann und dass man etwas macht, was einen beseelt. Für Netzer und mich war der Vorteil, dass wir uns nicht verstellen mussten. Dass es gut ankam, war dann einfach Glück.

Vor fünf Jahren ist das Duo sozusagen in Rente gegangen. Spüren Sie seitdem, dass Ihre Popularität sinkt?
Nein, im Gegenteil. Danach hat sie sogar noch zugenommen. Irgendwie sind wir zu einem guten Zeitpunkt abgetreten. Für die meisten Leute ist es eine positive Erinnerung, das stelle ich jeden Tag fest. Und darüber hinaus arbeite ich ja noch weiter. Ich bin immer noch im selben Umfeld. Ich mache jetzt einfach da weiter, wo ich vorher aufgehört habe.