Dr. Sebastian Gerling entwickelt als Chief Digital Officer für die Universität Hamburg Konzepte zur TRANSFORMATION IN DIE ZUKUNFT. Ein Gespräch über die Herausforderungen einer digitalen nachhaltigen Exzellenzstrategie.

 

club!: Herr Gerling, angenommen, die Pandemie ist bald überwunden, das öffentliche Leben – also auch die Universität – nimmt den uneingeschränkten Betrieb wieder auf. Was wird sich für Studierende in Bezug auf digitale Medien geändert haben?
Sebastian Gerling: Digitale Medien werden ein noch größerer und alltäglicher Bestandteil des universitären Lehrens und Lernens sein. Die neuen digitalen und hybriden Lehr- und Lernformen ermöglichen individuelle, flexible, asynchrone und ortsungebundene Lernsettings. Dabei ist es wichtig, den richtigen und bewussten Umgang sowie Einsatz in unserem oft schnellen und digital teilweise überladenen Alltag zu fördern. Das gilt sowohl für die Studierenden, als auch für die Lehrenden. Grundsätzlich haben wir bei digitalen Medien gerade drei Bereiche im Fokus: die digitale Infrastruktur für die Lehre, Digitalisierung im Kontext der Lehrdidaktik sowie digitale Methoden und Tools im Bereich der Lehrinhalte.

Wie wird der Alltag eines Studienanfängers, sagen wir, im Jahr 2030 aussehen?
Das ist gerade bei den vielen verschiedenen Entwicklungen gar nicht so leicht vorherzusagen. Am einfachsten ist es im Kontext der Verwaltungsabläufe im Studienbereich: Die große Mehrzahl der Prozesse wird digital ablaufen. Hierzu trägt zum Beispiel das Onlinezugangsgesetz OZG bei, das besagt, dass bestimmte Verwaltungsdienstleistungen in Deutschland digital zugänglich sein sollen. Insbesondere User Experience, One Stop und Once Only sind Prinzipien, von denen auch die Studierenden profitieren werden, und die bereits heute bei den internen Uni-Prozessen fortlaufend umgesetzt werden. Alles sollte leicht, schnell, sicher und an einem Ort, beispielsweise in einer App verwaltet werden können. Im Hinblick auf den Lernalltag wird es sicherlich weiterhin Präsenzformate geben, die Zahl und Möglichkeiten der digitalen Tools und Methoden wird aber immens angestiegen sein. Durch Virtual Reality, 3D-Druck, und unterschiedlichste digitale Lernformate können ganz neue Lernsettings geschaffen und Inhalte, die sich natürlich auch stetig weiterentwickeln, auf neue, kreative und anschauliche Art und Weise vermittelt werden.

In Sachen Digitalisierung hinkt Deutschland vielen seiner Nachbarn weit hinterher. Trifft das auch auf den universitären Bereich zu?
Die Universitäten haben, wie viele andere öffentliche Bereiche auch, noch Nachholbedarf. Aber es gibt auch große Unterschiede zwischen den Hochschulen im nationalen Vergleich. Universitäten mit größerem Fokus auf Spitzenforschung stehen hier in der Regel besser da als andere. Daher positioniert sich auch die Universität Hamburg im nationalen Vergleich schon ganz gut – auch, weil sie das Thema frühzeitig strategisch angegangen ist. Aber wir stehen natürlich in vielen Bereichen der digitalen Transformation auch noch vor großen Herausforderungen. Die UHH hat mit ihrem Rechenzentrum und den Strukturen, die nicht zuletzt im Rahmen der Exzellenzstrategie geschaffen wurden, eine gute Basis für eine ganzheitliche und nachhaltige digitale Transformation erarbeitet.

Wo besteht noch Verbesserungsbedarf, was ist in der Umsetzung realistisch?
Im universitären Bereich sind die Herausforderungen an vielen Stellen nicht anders als an anderen Stellen im öffentlichen Dienst. Für die digitale Transformation benötigt es zum Beispiel Fachkräfte, um die wir mit der Wirtschaft konkurrieren – die Wirtschaft hat hier aber ganz andere Möglichkeiten der Bezahlung. Da muss man ganz klar sagen, dass wir in Großstädten und Ballungsräumen für den öffentlichen Dienst auf Idealisten hoffen müssen. Eine marktübliche Bezahlung ist tarifrechtlich kaum darstellbar. Dazu kommt, dass Veränderungsprozesse wie die digitale Transformation auch die (Arbeits-) Kultur verändern: Wir leben und arbeiten in immer kürzeren Innovations- und Technologiezyklen. Veränderung sind das neue „Normal“. Hierauf müssen wir uns einstellen, und das geht nicht von heute auf morgen.

Welchen Anteil haben die Erfahrungen durch Corona am Entschluss der Universität, einen eigenen Chief Digital Officer einzustellen?
Die Entscheidung der Universität, einen Chief Digital Officer einzustellen, fiel schon vor der Pandemie und ist größtenteils durch das Konzept der Exzellenzstrategie der Universität Hamburg motiviert. Der Ausbau und die Weiterentwicklung digitaler Infrastrukturen als Basis für Spitzenforschung gehören zu den Vorhaben im Rahmen des Exzellenzantrages.

Wie sind Sie administrativ eingebunden, und welche Mittel stehen Ihnen zur Verfügung, um Ihre Vorstellungen einer digitalen Universität umzusetzen?
Organisatorisch ist das Digital Office dem Vizepräsidenten für die Forschung zugeordnet. Mit einem kleinen Team, ab Oktober bestehend aus drei Referentinnen und Referenten, entwickeln wir eine ganzheitliche Digitalisierungsvision und -strategie. Eine besondere Rolle im Hinblick auf die Digitalisierung spielen gerade auch die neue Stabsstelle Smart Administration sowie das Regionale Rechenzentrum (RRZ). Das Budget für die Digitalisierung werden wir kontinuierlich weiterentwickeln, die dauerhaften Aufwendungen für digitale Technologien und Dienste werden in Zukunft steigen, aber es gibt im Rahmen der Transformation auch viele temporäre Kosten. Grundsätzlich betrifft die Digitalisierung hier als Querschnittsthema alle Bereiche der Universität.

Digitale Kommunikation setzt viele Kompetenzen voraus. Wie können Sie darauf einwirken, diese Kompetenzen zu gewährleisten?
Ich sehe dies nicht beschränkt auf die digitale Kommunikation, wir benötigen vielfältige Digitalkompetenzen und arbeiten hier an übergreifenden Konzepten. Zusätzlich stellt, wie bereits angesprochen, das Recruiting von IT-Fachkräften in den Rahmenbedingungen des öffentlichen Dienstes eine Herausforderung dar. Wir entwickeln gemeinsam mit den relevanten Stakeholdern eine Fachkräfte- und Weiterbildungsstrategie. In diesem Rahmen evaluieren wir verschiedenste Optionen, um die Weiterentwicklung dieser Kompetenzen, die bei weitem nicht nur technologiebezogen sind, an der Universität zu unterstützen. Dazu gehören Themen der digitalen Kommunikation, aber auch der Einsatz weiterer Tools und Methoden beispielsweise im Bereich der Kollaboration, die den „digitalen Arbeitsplatz“, den Mitarbeitende und Studierende in ähnlicher Weise benötigen, betreffen. Die Universität setzt darüber hinaus aktiv darauf, Data Literacy-Kompetenzen zu vermitteln, also die Fähigkeiten für einen adäquaten Umgang mit den dringend benötigten digitalen Daten – sowohl für Studierende als auch für Lehrende. Neben dieser Kompetenzentwicklung ist es aber auch unsere Aufgabe, einfache und intuitiv nutzbare Lösungen – also Lösungen mit „exzellenter Usability“ – zur Verfügung zu stellen.

Digital zu kommunizieren heißt auch, Verlust zu akzeptieren: den Rückgang analoger Kommunikation: Eine Zoom-Konferenz ist etwas anderes als ein Seminar oder eine hitzige Debatte. Wie stehen Sie dazu?
Ich spreche in dem Kontext ungern von Verlust, das ist mir zu negativ und schürt unnötig und in meinen Augen unbegründet Ängste. Unsere Kommunikation verändert sich, das ist richtig. Aber verlieren wir wirklich etwas? Neue Wege zu gehen ist etwas Großartiges und bietet die Chance, Zukunft mitzugestalten. Wir sollten unsere Erfahrungen mitnehmen und mündig darauf die Zukunft aufbauen. Gerade die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation bieten viele Chancen und Vorteile – wie es sich auch in der Pandemie gezeigt hat. Zeit- und Kostenersparnis sowie Teilhabe sind nur einige davon. Auch ein digitaler Austausch kann sehr bereichernd und inspirierend sein. Daher sind digital und analog für mich komplementär und sollten ergänzend und synergetisch genutzt werden, sodass man die Vorteile beider Wege hat.

DR. SEBASTIAN GERLING
hat Informatikan der Universität des Saarlandes studiert. Nach seinem Master-Abschluss promovierte er dort im Bereich Informationssicherheit. Ab 2011 war er daran beteiligt, das „CISPA – Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit“ aufzubauen, eines der heute weltweit führenden Forschungszentren für Informationssicherheit. Seit dem 1. Januar 2021 ist er der erste Chief Digital Officer (CDO) der Universität Hamburg.

 

 

FOTO: SEBASTIAN GERLING, UNIVERSIITÄT HAMBURGTÄT HAMBURG