In der Hansestadt erleben Manufakturen derzeit einen Boom. Der Grund: Viele Kunden verpönen die industrielle Massenware und leisten sich lieber individuelle und per Hand hergestellte Produkte.

Es kann ein echter Glücksmoment sein, etwas Handgefertigtes in Augenschein zu nehmen. Vorsichtig das Material zu befühlen, Präzision zu bestaunen und vielleicht sogar noch genau zu wissen, welche Person diese Arbeit angefertigt hat. Der Begriff „Manufaktur“ (von lat. manus: Hand, facere: herstellen) wird in diesem Zusammenhang gern genutzt, nimmt der Kunde ihn doch unwillkürlich als eine Art Qualitätssiegel wahr. Dabei kommt es nicht unbedingt darauf an, ob es sich nun um ein Serienprodukt oder gar eine Einzelanfertigung handelt. Es geht vielmehr um Kompetenz, um die ehrliche Liebe zu Material und traditioneller Handwerkskunst, und in Hamburg gibt es viele Betriebe und sogar große Unternehmen, die den – mancherorts auch überstrapazierten – Titel Manufaktur zu Recht gern verwenden. Weil sie Produkte herstellen, die man nicht einfach nebenbei konsumiert. Sondern die man sich gönnt.
„Es geht nicht immer bloß darum, vieles zu besitzen, sondern dafür lieber das richtige Stück. Und dieses dann auch entsprechend zu schätzen und zu pflegen“, sagt Andreas Hentschel, der in seiner Eppendorfer Uhrenmanufaktur Sondereditionen und Maßanfertigungen herstellt. Er glaubt, dass das Selbstbewusstsein, sich einen ganz eigenen Geschmack zu leisten und dafür vielleicht auch mehr auszugeben, oft erst mit den Jahren wächst. Vorher sei häufig Markendenken und der damit verbundene Wunsch, dazuzugehören, mit im Spiel.

Die Regionalität gewinnt als Gegenpol zur Globalisierung immer mehr an Bedeutung.

Clemens Burkert von „Pack & Smooch“ konstatiert gar eine allgemeine Überforderung vieler Kunden: „Das Warenangebot ist eine Flut, die über uns schwappt. Dieses unüberschaubare Angebot ruft deshalb wieder den Wunsch nach wichtigen Werten wie Qualität, Herkunft und Art und Weise der Herstellung in uns hervor.“ Gerade auch der Faktor Regionalität als Gegenpol zur Globalisierung gewinnt an Bedeutung. Burkerts Team stellt in seiner Wandsbeker Werkstatt Taschen und Hüllen für Geräte wie Laptop oder Handy her – und verbindet damit quasi beide Pole: das Massenprodukt in einem individuellen Kleid.
„Dinge mit Identität“, danach sehne sich der von Industriewaren, deren Ursprung er meist nicht kenne, umgebene Mensch. Sagt Autorin Petra Schwab, die unter anderem das Buch „Design in Hamburg“ herausgegeben hat und sich zudem um die Pressearbeit der „Koppel 66“ in St. Georg kümmert. Auf dem Areal hinter der Langen Reihe sind die unterschiedlichsten Gewerke versammelt und der hauseigene Weihnachtsmarkt zieht Jahr für Jahr Menschen an, die genau das suchen, was man mit dem Begriff Manufaktur assoziiert. „Es kann ein großer Mehrwert sein, etwas über denjenigen zu erfahren, der ein Teil gefertigt hat – vor allem, weil man von ihm auch kleine Kniffe und Geheimnisse zu Material und Machart erfahren kann.“
Eine Mieterin in der „Koppel 66“ ist Hutmacherin Teresa Gaschler. „Wir leben in einer Zeit starker Individualisierung“, sagt die 34-Jährige. „Hierzu passt das Verlangen des Kunden nach individueller Beratung, Betreuung und Herstellung. Der Kunde erhält durch den persönlichen Kontakt zum Hersteller das Gefühl, dieser sei nur für ihn da. Er erwartet allerdings auch, dass dieser immer für Qualität steht.“ Nicht selten lässt sich der Hanseat den Preis eines Produktes erst ganz genau erklären – entwickelt sich dann jedoch zum treuen Kunden.
Wer Wert auf Produkte aus der eigenen Stadt legt, hat vielleicht auch schon das benachbarte „Kaufhaus Hamburg“ an der Langen Reihe für sich entdeckt, dessen Alleinstellungsmerkmal eben das lokale Angebot ist. Hinter dem Slogan „Alles Gute aus der Stadt“ verbergen sich Design-Produkte genauso wie Lebensmittel, die von Jung und Alt gekauft werden. „Dadurch, dass bei jungen Leuten ein Do-it-yourself-Trend sehr präsent ist, sind sie sozusagen programmiert auf individuelles Design und aufwendige Handarbeit“, weiß Expertin Petra Schwab. Immer mehr junge Leute tummelten sich deshalb auch auf Kunsthandwerker-Messen, selbst wenn die hochwertigen Stücke am Ende eher von betuchteren älteren Besuchern gekauft würden.
Man muss sich ein besonderes Stück auch nicht unbedingt selbst leisten können, um die Qualität anzuerkennen – und vielleicht einfach glücklich darüber zu sein, dass es jemanden gibt, der dieses herzustellen in der Lage ist. „Manufakturen stehen für gelerntes Handwerk und haben zudem oftmals Traditionsberufe in ihren Werkstätten“, sagt auch Waltraud Bethge, deren eigener Name seit mehr als 35 Jahren für erlesene Schreibkultur und feinste Papeterie steht. In der hauseigenen Druckerei am Fischmarkt gehen Fachkräfte der Kunst des Siebdruckes nach. Ganz traditionell entstehen dort auch sehr moderne Papierkreationen. Laut Handwerkskammer Hamburg gibt es im hiesigen Handwerk grundsätzlich einen hohen Fachkräftebedarf. „Das liegt an der anhaltend guten Handwerkskonjunktur“, sagt Sprecherin Ute Kretschmann. Im Ausbildungsjahr 2015 habe es erneut ein Plus bei den Ausbildungsanfängern gegeben. Das „Neugründungsklima“ habe sich hingegen etwas abgekühlt. „Wer einen guten Job hat, bleibt zunächst einmal dort.“
In vielen Manufakturen mit Geschichte ist die Identifikation mit dem eigenen Betrieb ohnehin außerordentlich hoch. „Wir haben kein Problem, Nachwuchs zu finden. Es gibt grundsätzlich kaum Fluktuation“, erzählt so Sabine Höpermann,Hamburger Sprecherin des weltberühmten Unternehmens Steinway. „Wer hier lernt, der bleibt oft bis zur Rente.“ Am hiesigen Standort werden seit 1880 Flügel und Klaviere gebaut. Und es kommt immer wieder vor, dass gleich mehrere Generationen aus einer Familie zum Mitarbeiterstamm gehören. „Das hat sehr viel mit dem Produkt zu tun“, sagt Sabine Höpermann. „Man schafft gemeinsam etwas, das später Teil einer Familie wird.“ Immer wieder gibt es Kunden, die an einer Führung durch die Manufaktur teilnehmen. Und mitunter falle erst bei einem solchen persönlichen Besuch die finale Kaufentscheidung.
Ein weiterer – Hamburger – Beweis dafür, dass dieses Verständnis von Werten und Wertarbeit auch zur Marken-DNA eines international agierenden Unternehmens gehören kann, ist Montblanc. „Der Manufaktur-Gedanke ist tief im Erbe von Montblanc verankert“, sagt Managing Director Oliver Goessler (eigentlich: Managing Director Montblanc Germany, Austria & Benelux). Seit bald 110 Jahren fertigt Montblanc all seine Schreibgeräte in der Hansestadt. „Die Kunden wissen, dass sie einen lebenslangen Begleiter in der Hand halten.“ Dass in einem derart geprägten Unternehmen nicht immer alle Nachfrage bedient werden kann, sieht Oliver Goessler nicht als Nachteil, sondern eher als Bestätigung für die Marke an.
Die Nachfrage bedienen kann zurzeit auch Achim Wittrin kaum. In der „Kleinen Letternpresse“ in Eppendorf sieht man ihn, wie er mit Farbe, Blei- und Holzbuchstaben an alten Maschinen hantiert. Seit er Workshops anbietet, wächst die Warteliste stetig. Weil es immer mehr Menschen gibt, die nicht bloß zuschauen, sondern auch verstehen wollen, wie man mit eigenen Händen etwas herstellen kann. Und die den Wert einer Manufaktur, die diesen Namen auch verdient, danach noch mehr zu schätzen wissen.

 

 

Text: Alexandra Maschewski