Lifestyle, Food oder Familie – Millionen Menschen verfolgen täglich via SOCIAL MEDIA, was ihre Lieblinge mit der Öffentlichkeit teilen. Wir stellen Hamburger vor, die ihre digitale Passion zum Beruf gemacht haben.

Traumjob oder Stressfalle? Marketing-Heilsbringer oder Hype mit Halbwertszeit? Wo früher Models und Prominente Magazincover und Werbekampagnen zierten oder über rote Teppiche großer Events liefen, sieht man immer mehr Influencer mit Celebrity-Status. Auf den einschlägigen Social Media-Kanälen wie YouTube, Instagram oder TikTok begleiten täglich Millionen von Menschen ihre Lieblinge zum Sport, interessieren sich für das, was sie essen oder verfolgen gespannt, welchen Lippenstift sie zu welchem Outfit wählen. Kaum eine große Marke mehr, die digitale Medien nicht in die Unternehmensstrategie integrieren würde – und damit auch diejenigen, deren Reichweite ihnen längst gesellschaftliche Relevanz verliehen hat.
Einige Top-Influencer kommen aus Hamburg. Leonie Hanne etwa, der aktuell etwa vier Millionen Menschen dabei zusehen, wenn sie in ihrem Hotelzimmer in Paris oder im Pool an der Amalfiküste Mode von Chanel oder Louis Vuitton inszeniert. Oder Caro Daur mit 3,5 Millionen Followern: Die ehemalige BWL-Studentin aus Seevetal wird zu den wichtigsten Fashionshows der Welt eingeladen, ist mit ihrem Fitnessprogramm „Daurpower“ erfolgreiche Unternehmerin und war schon mit Sarah Jessica Parker in einem Fendi-Spot zu sehen – genauso wie in der letzten Traumschiff-Folge. Bekannt ist auch Model und Künstler Toni Mahfud – mehr als drei Millionen Menschen verfolgen, welche Fotos der „Male Influencer“ von sich und seinen Bildern teilt. Doch egal, ob es sich um Lifestyle-, Food- oder Familienthemen handelt – was ist das Geheimnis derjenigen, die von ihren Posts, Videos und Co. leben können?

Authentizität entscheidet
„Erfolg haben nur diejenigen, die als authentisch wahrgenommen werden“ sagt Michael Fassl. Der Geschäftsführer der Agenturen „mf mgnt“ und „Bulls Management“ betreut seit mehr als neun Jahren exklusiv bekannte Models, darunter Betty Taube, Swantje Paulina Wördemann und Vincent von Thien. Den Begriff Influencer lehnt der Hamburger vehement ab – und spricht stattdessen lieber von „Talents“. „Nicht jeder, der 500 Follower hat, ist auch ein Influencer. Doch diejenigen, die eine große Reichweite haben und viel Interaktion auf ihren Seiten vorweisen können, zeichnen sich durch eine authentische Persönlichkeit und eine eigene Meinung aus.“ Dem Diplom-Kommunikationswirt ist wichtig, dass die Menschen, die er selbst unter Vertrag hat, vielfältige Begabungen und Leidenschaften vorweisen können. Denn dies

„Erfolg haben nur diejenigen, die als authentisch wahrgenommen werden.“

Michael Fassl, Geschäftsführer der Agentur mf mgnt

macht sie nicht nur für bezahlte Kooperationen, sondern zudem für Shootings, TV-Auftritte, Panel-Talks oder Event-Auftritte interessant.
Auch die Vita von Michael Fassl ist bunt. Stationen beim Fernsehen sowie im Marketing- und Salesbereich großer Unternehmen, Ausbildung zum Business- und Lifecoach und schließlich die Etablierung einer der ersten Agenturen, die die Bedeutung digitaler Medien erkannte. „Angefangen haben wir damit, Marken mit bloggenden Models zusammenzubringen.“ 2014 kam langsam Instagram auf, und er habe gespürt, dass etwas Revolutionäres passieren würde. „Als wir damals unseren ersten Post für 50 Euro verkauften, haben wir uns gefreut, als hätten wir eine Million verdient.“ Innerhalb kürzester Zeit seien zahlreiche Werbebudgets von Print zu Social Media gewandert. „Ein Trend, den viele Model-, PR- und Werbeagenturen lange nicht ernst genommen haben“, so Fassl. Mit immer neuen Kanälen wie dem Videoportal TikTok kämen auch für seine Talente weitere Plattformen dazu, die bespielt werden wollen. Ob Facebook heute noch von Bedeutung sei? „Gemessen an den Werbeeinnahmen hat Facebook immer noch eine Daseinsberechtigung. Die Hauptzielgruppe ist nur älter inzwischen.“ Die Follower seien sich bewusst, dass ein Talent Geld für Werbung bekomme. „Viele realisieren jedoch nicht, welcher Aufwand dahintersteckt.“ Sofia Tsakiridou weiß das sehr genau. Die 28-jährige Wahl-Hamburgerin ist ebenfalls bei Michael Fassl unter Vertrag – ist Model, Yogalehrerin, Kochbuchautorin und hat zurzeit etwa 500 000 Follower auf ihrem Instagram-Account „matiamubysofia“. Kooperationen mit Unternehmen gehören für Sofia Tsakiridou zum Alltag. Sie präsentiert Produkte, die sie selbst auswählt, wirkt bei der Gestaltung von Festivals mit und entwirft eigene Yoga-Kleidung für About you. „Täglichen Input für Social Media zu gestalten ist zwar ein Traum, allerdings auch sehr viel Arbeit.“ Schließlich passiert auch im Hintergrund einiges: Verträge schließen, Beiträge zur Freigabe schicken und nach dem Teilen sogenannte Insights offenlegen. Sofia Tsakiridou hält wenig davon, ihren Beruf zu romantisieren. „Auch der mentale Druck mit steigender Followerzahl und der ständige, unbewusste Vergleich sind wichtige Aspekte, die man beachten sollte.“

Wie Unternehmen Social Media nutzen
Wie lange sind Follower den Menschen treu, die sie an ihrem Leben teilhaben lassen? „Wenn Influencer es schaffen, sich weiterzuentwickeln und Inhalte spannend zu halten, dann gibt es keine Halbwertszeit. Am Ende bauen sie eine sehr wertvolle Reichweite auf, die für eine unendliche Fülle an Themen genutzt werden kann“, sagt Lara Daniel. Die 33-Jährige ist Gründerin von Pulse Advertising – die Geschichte der Hamburger Agentur ist selbst eine Erfolgsgeschichte. Gemeinsam mit ihrem Partner gründete Lara Daniel 2013 ein Modelabel, das die beiden mit Hilfe von „Individuen mit großer Reichweite“ bekannt machen wollten. „Das Wort Influencer gab es damals noch nicht.“ Der Plan funktionierte so gut, dass das Paar auch für Freunde kleinere Kampagnen aufsetzte. „Daraus ist dann Pulse Advertising entstanden.“ Am Rödingsmarkt sind mittlerweile 50 Experten damit beschäftigt, Unternehmen die Notwendigkeit von Social Media Management, Social Advertising und Influencer Marketing nahe zu bringen – und kreative Kampagnen zu entwickeln. Noch einmal 100 Mitarbeiter sitzen in London und Mailand. Gemeinhin unterstellt man einem Influencer ab einer Follower- Zahl von 10 000 einen gewissen Einfluss. Wann genau eine Reichweite relevant sei, hänge laut Lara Daniel jedoch von der angesprochenen Zielgruppe ab und damit von dem Bereich bzw. der Nische, in der sich der Influencer bewege – oft plattformübergreifend. Je nach Nische und Thema seien die relevantesten Social Media-Netzwerke Instagram, YouTube, TikTok, das Live-Streaming- Videoportal Twitch und die Onlinepinnwand Pinterest. „Aber auch Podcasts oder LinkedIn sind nicht zu unterschätzen.“ Um einem Unternehmen die idealen Influencer empfehlen zu können, werde genau ausgewertet, was man über dessen Follower wisse. Wie alt sind diese? Wo leben sie? Für welche anderen Marken interessieren sie sich? „Am Ende ist der Erfolg einer Kampagne daran messbar, wie oft Inhalte angesehen wurden, und natürlich auch daran, wie viel verkauft wird.“ Zu den Kunden der Agentur gehören große Konzerne wie BMW und die Deutsche Telekom, aber auch ambitionierte junge Unternehmen wie Motatos oder Trade Republic. „Wer Gas geben und Millennials sowie die Generation Z erreichen will, der muss Social Media verstehen und entsprechend investieren“, so Daniel. Was die 33-Jährige an ihrem Business liebt, ist die Geschwindigkeit. Fasziniert verfolgt sie etwa die Entwicklungen rund um das Metaverse – eine digitale Welt, die von uns als echten Individuen geformt wird. „Wenn Instagram morgen nicht mehr da wäre? Dann gäbe es andere Netzwerke, die einen Benefit haben.“

Unterhaltung – und Verantwortung
Gerade in Pandemie-Zeiten haben viele Social Media-Nutzer einen Mehrwert daraus gezogen, dicht dran zu sein am Leben echter Menschen. Menschen wie Jenny Feldmann, die seit 2014 in ihre Wohnung am Fischmarkt „einlädt“. In diesem liebevoll gestalteten 65-Quadratmeter-Reich teilt sie nicht nur wunderbare Hamburg-Ausblicke, sondern auch Einrichtungs- und DIY-Tipps. „Elbgestoeber“ ist der Name von Interior-Blog und Instagram-Kanal – mit letzterem erreicht sie etwas mehr als 160 000 Menschen. Dass sich die Grenze zwischen Beruf und Privatleben längst aufgelöst hat, stört die 35-Jährige, die früher im Onlinemarketing gearbeitet hat und heute als Selbstständige in Sachen Social Media berät, nicht. „Die Follower müssen einen roten Faden erkennen können, sonst ist das, was man tut, einfach nur Werbung.“
Mittlerweile kreiert Jenny Feldmann für Otto ihre eigene Elbgestoeber-Kollektion und designt Schals zusammen mit einem Freund. „Vielleicht wird es irgendwann auch ein Studio geben, in dem ich Ikea-Hacks neben eigenen Produkten zeige. Und in dem ich Workshops anbieten kann.“ Die Zusammenführung von Leidenschaften – und digitaler und analoger Welt.
Die studierte BWLerin und Soziologin unterscheidet zwischen sich selbst als Privatperson und ihrem „Online-Ich“. Einem Online-Ich, das über die Jahre immer mehr Privates von sich preisgegeben hat. „Die Krankheit und den Tod meiner Mutter zu thematisieren war ebenso eine bewusste Entscheidung wie das Öffentlichmachen der Beziehung zu meiner Partnerin.“ Warum sie das getan habe? „Weil ich finde, dass Social Media durchaus auch etwas mehr Realität vertragen kann. Und weil diese Themen mich elementar geprägt haben und prägen.“

Teilhabe am Leben anderer
Als eine Art „Ersatzfreundin“ sieht sich Giulia Groth. Weil sie weiß, dass sie andere durch ihre positive Art inspirieren kann. Noch als Schülerin fing die heute 27-Jährige an, eigene Videos für YouTube zu produzieren. Präsentierte ihre Shoppingausbeute oder teilte Reiseerlebnisse – und baute sich später neben dem Studium nach und nach eine treue Fangemeinde auf. „Das technische Wissen habe ich mir komplett selbst angeeignet und anfangs einfach alles so gemacht, wie ich es selbst recherchiert hatte.“ Videos an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten hochladen etwa. Mittlerweile hat die Hamburgerin nicht bloß 287 000 Follower auf YouTube, wo es um Rezepte und andere Lifestyle-Themen geht, sondern auch ein eigenes Management. Obwohl Social Media fester Bestandteil ihres eigenen Lebens sei, stünden Gleichaltrige dem Beruf „Influencer“ oft kritisch gegenüber. „Viele können es sich nicht vorstellen, ständig präsent zu sein. Und manche denken wohl, alle Influencer seien reich und abgehoben.“ Sie selbst wisse, dass man ihren Beruf keineswegs bloß nebenbei ausüben könne.
Umso stolzer ist sie auf das eigene Kochbuch „Love at First Bite“, das gerade erst auf den Markt gekommen ist. „Damit wird der Erfolg zum ersten Mal ein wenig greifbarer.“ Nancy Barop kann sich noch immer ganz genau an den Namen ihrer allerersten YouTube-Abonnentin erinnern. Vor neun Jahren, damals in der Elternzeit mit dem zweiten Kind, lud die Juristin ihr erstes Video hoch, in dem sie zeigte, wie sie sich für den Valentinstag schminkt. „Alle Youtuber, die damals angefangen haben, haben es aus Leidenschaft und als Hobby gemacht. ,Ziel‘ war es, sich zu verschiedenen Themen auszutauschen.“ Bei ihr habe es etwa drei Jahre gedauert, bis sie mit Unternehmen zusammengearbeitet habe. Heute – zwei weitere Kinder und unzählige fröhliche Beiträge aus dem Familienalltag später – hat „Mamiseelen“ allein auf YouTube 850 000 Follower. Als Content Creator – ein Begriff, der ihr besser gefällt – dreht und schneidet die Hamburgerin immer noch jedes einzelne Video selbst. Übrigens auch, um die Kontrolle zu haben, was genau zu sehen ist und was nicht. Vom Babybauch, dem Weihnachtsfest oder dem Hausumbau. Und zwischendurch immer mal wieder vom Produkt, das vorgestellt oder verlost wird. Auf der Mamiseelen-Website gibt es auch einen Shop, in dem man T-Shirts kaufen kann. Eigene Produkte sind in Planung. Nancy Barops ehrliche Begeisterung scheint ansteckend zu sein: Mittlerweile haben auch ihr Ehemann, von Beruf Arzt, und die beiden größeren Kinder eigene YouTube- und Instagram-Kanäle.

Mit Strategie und Leidenschaft
Die Bedingungen im Netz haben sich in den vergangenen Jahren verändert – auch für die Influencer selbst. Sorgfältig verwenden sie beliebte Hashtags und kommentieren fleißig auf anderen Accounts, um stetig neue Reichweite zu generieren. Die Algorithmen von Instagram und Co. sind jedoch selbst für Insider schwer durchschaubar. „Heute muss man sehr strategisch vorgehen, wenn man das Ziel hat, hauptberuflich Content Creator zu sein“, sagt Johanna Pinkepank, die bereits seit zehn Jahren Bloggerin ist. Ihr Instagram- Kanal „pinkepanki“ gewährt momentan rund 88 000 Followern persönliche Einblicke in den Alltag der dreifachen Mutter.

„Wer die Generation Z erreichen will, der muss Social Media verstehen und investieren.“

Lara Daniel, Gründerin der Agentur Pulse Advertising

Um Menschen zu erreichen, müsse man sich gezielt an dem orientieren, was die jeweilige Plattform gerade „pushe“ – Reels, die kurzweiligen Videos auf Instagram zum Beispiel. „Trotzdem glaube ich fest daran, dass man sich auch selbst treu bleiben und nicht jeden Trend mitmachen sollte“, sagt die 36-Jährige. Das Verhältnis zwischen Creator und Community vergleicht sie mit einem Tanz. In den vergangenen Jahren sei der Ton jedoch leider sehr viel schärfer geworden. „Es gibt Menschen, die es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht haben, Influencern und Influencerinnen oder wie auch immer man sich selbst bezeichnet, das Leben schwer zu machen.“ Trotzdem finde sie es wichtig, auch Themen Raum zu geben, mit denen man sich angreifbar mache. Was sie nach einem Jahrzehnt Erfahrung denen mit auf den Weg geben würde, die jetzt starten? „Schreibt über Themen, für die ihr brennt. Versucht nicht, eine Nische zu besetzen, nur weil sie vielversprechend wirkt. Setzt auf gute Fotos, gute Texte, zeigt eure Ecken und Kanten, und vermeidet es zu versuchen, ein perfektes Bild zu inszenieren. Vernetzt euch und habt Spaß!“

 

Text: Von Alexandra Maschewski