Auch wenn in Hamburg die populären Sportarten wie Fußball oder Handball nicht ganz oben mitspielen, ist die Stadt bei GROSSEN SPORTEVENTS UND IM BREITENSPORT absolut angesagt.

Sadiq Khan (47) ist seit Mai 2016 Bürgermeister von London. Um die Hauptstadt des Vereinigten Königreiches, die alles hat, Königin, Prinzen, Popstars, Hochzeiten, Denkmäler, Sehenswürdigkeiten und Fußballklubs europäischer Spitzenklasse, weiter als Weltmetropole positionieren können, hat er beschlossen, noch mehr Spitzensport an die Themse zu holen. Sport, sagt das erste Londoner Stadt-oberhaupt islamischen Glaubens, sei das stärkste Medium, um globale Aufmerksamkeit zu wecken, ein strategischer Standortfaktor. Einen besseren gäbe es in der heutigen schnelllebigen Zeit kaum. Doch die Stadt, die im vergangenen Sommer (und auch in diesem) Spitzensport im Wochentakt präsentierte und zelebrierte, war Hamburg, Germany. Kein anderer Ort der Welt bot 2017 dem lokalen und globalen Publikum ähnlich hochklassige Events.
Mit den Amateurbox-Weltmeisterschaften endete vergangenes Jahr im September ein Sportsommer, wie ihn Hamburg noch nie erlebt hatte – und der mehr als zwei Millionen Zuschauer anlockte. Nach dem (Auf-)Galopp auf der Rennbahn in Horn folgten der Hamburg-Wasser-World-Triathlon, Tennis am Rothenbaum, Golf in Winsen, Segeln im Hafen, die Hamburg-Premiere des Ironman, der Basketball-Supercup, das Weltcup-Radrennen EuroEyes Cyclassics, das Beachvolleyball-Welttour-Finale und eben Boxen; hochklassige Wettkämpfe, meist mit den Besten der Welt. Zuvor hatten Ende April der Marathon und Mitte Mai das Deutsche Spring- und Dressur-Derby in Klein Flottbek auf die Serie der Topveranstaltungen eingestimmt. Für Nachhaltigkeit ist gesorgt: Bis auf die Box-WM und die Extreme-Sailing-Series wiederholen sich die Ereignisse 2018 und 2019. Hinzu kommen diesen August die Rollstuhlbasketball-WM in Wilhelmsburg, 2019 Ende Juni/Anfang Juli die Beachvolleyball-WM. Mit rund drei Millionen Euro unterstützt die Stadt dieses Jahr die Ausrichter.
Im Wettbewerb der Städte spielen Events, kulturelle wie sportliche, eine wachsende Rolle. Galt es früher, Industrieansiedlungen in die Städte zu holen, geht es jetzt darum, den Tourismus zu beleben, Gewerbe, Studierende und Hochqualifizierte anzuziehen. Sport und Kultur sind dafür bestens geeignet, sie mobilisieren auch ältere, einkommensstarke Besucher. Diese Klientel ist für Kommunen besonders attraktiv. Sport ist nicht nur die schönste Nebensache der Welt, sondern ein knallharter Faktor für die ökonomische Entwicklung der Stadt und deren Image.

Kein erstklassiger Fußball mehr in Hamburg
Das beweisen Zahlen wie diese: Das Beachvolleyball-Turnier im Tennisstadion am Rothenbaum generierte im vergangenen August einen kulminierten Werbewert von 177,9 Millionen Euro, heißt es im „Sechsten Hamburger Sportbericht“, den die „Zukunftskommission Sport“ (Vorsitzender: Dr. Michael Beckereit, ehemaliger Geschäftsführer Hamburg Wasser) am 28. Mai vorstellte. Weltweit 21,6 Millionen Fernsehzuschauer verfolgten die Sandspiele auf 22 Sendern, die zusammen 463 Stunden Liveübertragungen anboten. 610.000 User klickten an den sechs Turniertagen oft mehrmals den Livestream an, und nicht zuletzt war das Event in 2570 Artikeln in 526 Zeitungen und Zeitschriften nachzulesen. Die Beachvolleyball-Olympiasiegerinnen und -Weltmeisterinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst, die auch diesen Wettbewerb gewannen, in dieser Saison aber pausieren, sind in den vergangenen zwei Jahren mit zu den wichtigsten Botschaftern Hamburgs aufgestiegen.
Hamburg als eine führende Sportstadt Deutschlands zu bezeichnen, was gerechtfertigt wäre, fällt vielen wegen der Entwicklung in den hiesigen Mannschaftssportarten trotzdem schwer. Nach dem ersten Abstieg des HSV aus der Fußballbundesliga ist Hamburg in den fünf populärsten und umsatzstärksten Männer-Mannschaftssportarten nicht mehr erstklassig: im Fußball, Basketball, Eishockey, Handball und Volleyball. Unter den zehn der nach der Einwohnerzahl größten deutschen Städten ist das derzeit nur in Essen der Fall, Nummer neun dieses Rankings. Europaweit spielt in der zweitgrößten Stadt des jeweiligen Landes mindestens ein Verein in der höchsten Fußballklasse. Einzige Ausnahme bisher: die mittelenglische Großstadt Birmingham.
Hamburgs Weg in die Zweitklassigkeit begann Ende November 2015, nach der gescheiterten Olympiabewerbung für die Sommerspiele 2024/2028. Die Handballer, 2011 deutscher Meister, 2013 Champions League-Sieger, meldeten kurz danach Insolvenz an und sich im Januar 2016 als Tabellenvierter aus der Bundesliga ab. Die US-amerikanische Anschutz Gruppe zog fünf Monate später ihre Freezers nach 14 Jahren aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) zurück. Und das Volleyballteam Aurubis entschloss sich im Frühjahr 2016 nach dem lange zuvor angekündigten Ausscheiden seines Namensgebers zum Neubeginn in der Zweiten Frauen-Bundesliga.
Alle drei Teams hätten gerettet werden können. Partner aus der lokalen und regionalen Wirtschaft standen für eine Weiterführung des Spielbetriebs auf Erstliganiveau bereit, das Brillen-Imperium Fielmann beispielsweise für die Volleyballerinnen. Ihre Millionen waren jedoch nicht gewollt. In allen drei Fällen entschieden sich die Hauptgesellschafter oder die Eigner der Klubs für den Crashkurs. Auch der sportliche Niedergang des Hamburger SV hat wenig bis nichts mit Geld zu tun, vielmehr mit über Jahre fehlender Kompetenz auf allen Führungsebenen, Eitelkeiten, Intrigen, Machtkämpfen und einem Aufsichtsrat, der mehr kolportierte als kontrollierte.

Sponsoren gaben mehr als 50 Millonen Euro
Die gern wiederholte Behauptung, Hamburgs Wirtschaft, traditionell mehr der Kultur und dem Sozialen zugewandt, ließe den Spitzensport im Stich, stimmt deshalb in letzter Konsequenz nicht mehr. Seit Hamburgs Olympiabewerbung Anfang der 2000er Jahre für die Sommerspiele 2012 hat in den Chefetagen ein vorsichtiges Umdenken stattgefunden. In einer Umfrage des „Hamburger Abendblatts“ bei den 50 größten Unternehmen der Stadt hatte sich im Jahr 1999 noch ein ganz anderes Bild ergeben: Wir haben kein Interesse am Sportsponsoring, planen keine Bandenwerbung in Hallen oder Stadien, stellen keine Arbeits- oder Ausbildungsplätze für Sportler zur Verfügung, lauteten damals die Antworten. Ein Engagement im Spitzen- oder Breitensport war in den Konzernzentralen kein Thema. 19 Jahre und zwei gescheiterte Olympiabewerbungen später hat sich die Situation stark gewandelt. 2017 summierte sich das Sponsoring für Hamburger Vereine und Veranstaltungen auf mehr als 50 Millionen Euro. Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze stehen Spitzensportlern zwar immer noch nicht ausreichend, aber in zunehmendem Maße zur Verfügung. Dennoch: In der deutschen Stiftungshauptstadt Hamburg gibt es bis heute nur zwei Sportstiftungen.
Dass wiederum der 2014 gegründete Basketballzweitligaclub Hamburg Towers und der im April in die Zweite Bundesliga aufgestiegene Handball Sport Verein Hamburg bislang keine Hauptsponsoren fanden, dürfte einer anderen Wahrnehmung geschuldet sein: Beide Organisationen gelten als interessante Start-ups mit größerem Zuschauerpotenzial, ein höheres Investment wird von den Unternehmen jedoch noch als risikobehaftet bewertet.

Hamburg ist im Breitensport spitze
Der Abstieg des HSV wird auch ökonomische Folgen haben. Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) errechnete kürzlich den Einkommens- und Beschäftigungseffekt des HSV in der Ersten Bundesliga auf rund 100 Millionen Euro oder 700 bis 800 Arbeitsplätze. HWWI-Direktor Prof. Henning Vöpel erwartet im ersten Zweitligajahr jetzt einen Verlust von 30 Mio. Euro Wertschöpfung für den Verein und die Stadt, in einer eventuellen zweiten Saison einen von 50 Millionen. Ursachen hierfür wären: erheblich weniger TV-Gelder, Zuschauerschwund bei niedrigeren Eintrittspreisen, geringere Gehälter für Vereinsangestellte und Profis, rückläufige Verkaufszahlen im Merchandising und abspringende Sponsoren.
Mag dem Hamburger Sport derzeit die Leistungsspitze fehlen, im Breiten-, Freizeit- und Gesundheitssport bewegt sich einiges. Die im November 2015 gescheiterte Olympiabewerbung hat Hamburg nicht in sportliche Schockstarre versetzt, sie hat im Gegenteil neue Kräfte losgetreten: zum Beispiel den Masterplan Active City (MPAC) oder die erfolgreichen Bemühungen, weitere hochkarätige Veranstaltungen in die Stadt zu holen. Im Frühjahr 2016 entschied der Senat, seine sportpolitischen Aktivitäten und Ambitionen fortzusetzen. Das wäre schon allein dem Fakt geschuldet, hieß es aus dem Rathaus, dass die Stadt zu den sportlichsten Metropolen der Republik zählt; nach einer Studie aus dem Jahr 2010 wäre sie sogar die sportlichste. Rund 80 Prozent der Bewohner sind demnach regelmäßig aktiv, Frauen und Männer in gleichem Maße, auch Ältere treiben in Hamburg öfter Sport als anderswo.
Die Planungsmanagement & Projektberatung Albert Speer & Partner, 2015 als „Arge 2024“ für die Erstellung der Dokumente der Hamburger Olympiabewerbung verantwortlich, empfahl daraufhin, 150 der einst 900 für Olympia geplanten Maßnahmen sollten im Interesse der Stadtentwicklung auch ohne die Spiele als „olympisches Erbe“ weiterverfolgt werden. Auf der Agenda von Sportsenator Andy Grote (SPD) stehen momentan 32 Projekte, rund 50 Millionen Euro dürfte ihre Umsetzung kosten. Aktuell werden in allen sieben Hamburger Bezirken Bewegungsinseln errichtet, nicht-kommerzielle sportliche Angebote für jedermann.
Dass Hamburg trotz der sportpolitischen Rückschläge weiter an seinem Bewegungsprofil arbeitet, wird nicht nur im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) wohlwollend registriert. Auch die Tafisa, The Association For International Sport for All, so etwas wie die Breitensportabteilung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), nimmt Hamburg inzwischen als Sportstadt wahr. Im Oktober soll der Stadt in Buenos Aires während der Olympischen Jugendspiele das Label „Global Active City“ verliehen werden. Das ist der Plan. Auch Liverpool, Lillehammer, Richmond und Ljubljana bewerben sich derzeit um diese Auszeichnung.
Im ersten Durchlauf hat Hamburg dank des Masterplans Active City bereits zwei der fünf Zertifizierungskriterien erfüllt. Inspektoren der Tafisa werden zudem in den nächsten Monaten vor Ort überprüfen, ob die Stadt, in der rund 80 Prozent der Erwachsenen Sport treiben und die 822 Vereine über 600 000 Mitgliedschaften zählen, auch die übrigen drei Anforderungen erfüllt – wovon auszugehen ist.
Fitness mit all seinen Wellnessverzweigungen ist bei den sportlichen Aktivitäten der Hamburger die klare Nummer eins. Fast eine halbe Million Menschen trainieren laut Mitgliederstatistiken Bauch, Beine, Po, Rücken, Nacken, Arme und Brust im Verein oder einem der etwa 300 Studios und kommerziellen Einrichtungen. Das sind rund 28 Prozent der Bevölkerung, der mit Abstand höchste Wert eines Bundeslandes. Deutschlandweit liegt die Quote bei geschätzten 20 Prozent.
Eine Auswertung des Videoportals YouTube ergab für das Jahr 2017, dass das Suchinteresse nach „Fitness“ in Hamburg am höchsten war. Baden-Württemberg und Bayern folgten, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern belegten die letzten Plätze. Mögliche Konsequenz daraus: Hamburger forschen auf YouTube mit am wenigsten nach „Abnehmen“ (Platz zwölf), Schleswig-Holsteiner und Rheinland-Pfälzer liegen in dieser Kategorie vorn. Das ist absolut erstklassig und macht Hamburg bei allen Zweifeln und Zweiflern zu einer täglich gelebten Sportstadt.

 

Text: Rainer Grünberg Foto: Hamburg Tourismus, Meridian Spa, Hardt