Er ist seit 2015 Chefredakteur des „Spiegel“ und war 2016 Chefredakteur des Jahres. KLAUS BRINKBÄUMER sprach im Club über die Digitalisierung in den Medien, investigativen Journalismus sowie die Verschmelzung von Print und Online.

Da steht er, groß und schlank und kontrolliert, an dem Stehpult im Business Club. Der Gast redet langsam und nachdenklich, als lese er im Stillen Korrektur, bevor er seine Gedanken in das Mikrofon schickt. Klaus Brinkbäumer, 51, seit drei Jahren Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“.
Er kommt nicht allein. Mit ihm haben sozusagen in den vollbesetzten Stuhlreihen auch die Fragen Platz genommen: „Was wird denn nun aus dem Spiegel? Vor allem dem auf Papier? Und was bleibt im digitalen Sturm dieser Zeit überhaupt noch von unserer vertrauten Medienlandschaft übrig? Und was vom wachsamen Journalismus?“
Wobei „Print oder Online?“ – das war ja nie eine wirklich richtige Frage. Die gut erzählten, die erhellenden und aufklärenden Geschichten, die würde man ja selbst lesen, wenn sie mit dem Stock in den Sand geschrieben seien.
„Wir werden Spiegel und Spiegel online miteinander verschmelzen“, eröffnet Klaus Brinkbäumer seinen Blick in die Zukunft. „Die Basis bleibt der investigative Journalismus, die sorgfältig recherchierte, die spannend geschriebene Geschichte, an die sich der Leser noch lange erinnert, an der er hängen bleibt. Aber das neue Zusammenspiel zwischen Wort und Bild und Audio eröffnet uns Journalisten eine ganz neue Wucht und Kraft. Die Digitalisierung hat schon jetzt den Spiegel viel reichhaltiger gemacht. Das werden wir mit Spiegel Plus, unserem neuen digitalen Bezahlangebot, weiter verstärken.“
Wie zäh und stockend dieser Übergang besonders auch in Deutschland ist, bekräftigt der Spiegelchef mit zwei Zahlen. „Die New York Times hat für ihr verzahntes Print- und Online- Angebot mehr als drei Millionen Abonnenten. Wir sind mit unseren aktuell etwa 60 000 gar nicht so unzufrieden.“
Warum es so schwierig ist, für die so lange kostenlosen Online- Angebote jetzt auch Geld einzufordern, weiß jeder der Gäste im Business Club Hamburg. Über die speziellen Probleme des Spiegels bei dieser Eheschließung zwischen Print und Online redet Klaus Brinkbäumer ganz offen. „Wie Sie sicher wissen, gehören 51 Prozent des Verlages den Mitarbeitern“, sagt der mit Egon-Erwin-Kisch- und Henry-Nannen-Preis hochdekorierte Autor. „Aber das betrifft nur die rund 800 Mitarbeiter im klassischen Printbereich. Die 400 weiteren Kollegen aus der Online- Redaktion gehören nicht dazu.“ Das Konfliktpotenzial, das in dieser Information steckt, erkennt jeder Zuhörer auf Anhieb. Eher nebenbei erinnert der oberste Journalist des wichtigsten deutschen Nachrichtenmagazins daran, wie international die Arbeit längst geworden ist. „Mitten in New York sitzt ein Kubaner, der viele unserer Titel entwirft.“ Und damit die deutsche Seele und auch die deutschen Ängste trifft.
Große, immer häufiger internationale Rechercheteams und auch intern ein viel engeres Zusammenrücken prägen ohnehin die Zukunft des Journalismus. Bei Football Leaks, der Aufdeckung illegaler Millionengeschäfte im internationalen Fußball, haben über alle Grenzen hinweg fast 60 Rechercheure zusammengearbeitet. „Dazu mussten riesige Datenmengen geordnet, durchsiebt und eingeordnet werden“, sagt Klaus Brinkbäumer. „Das ist eine neue Spezialisierung in unserem Beruf. Andererseits, da können dutzende Leute über Monate recherchieren, wenn wir die Nachricht drucken, ist sie innerhalb von Minuten in der ganzen Welt. Mit Exklusivität können wir den Spiegel von heute, gedruckt oder online, nicht mehr zum Erfolg führen. Aber mit Teamarbeit, mit sorgfältig und aufwendig erarbeiteten und spannend erzählten Geschichten. Und zu einem stehe ich: Der Spiegel von heute ist differenzierter, ausgewogener, auch zweifelnder als der vor zehn oder 20 Jahren.“
Eines fällt auf: Der Chefredakteur von heute ist sachlich und offen und überzeugend. Der Applaus seiner Zuhörer hat das bekräftigt. Zur selben Zeit übrigens feierte Spiegel TV sein 30-jähriges Bestehen. Die Partygäste mussten drei Stunden auf den Chefredakteur der Printausgabe warten.

 

Text: Norbert Scheid Fotos: Martina van Kann