Das Grundgesetz feiert in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag. Ein trefflicher Grund für den Journalisten OLIVER WURM, ein Hochglanzmagazin zu machen, das unsere Verfassung leicht lesbar und in modernem Outfit präsentiert.

70 Jahre Grundgesetz. Nun wird niemand behaupten, es hätte zu diesem Jubiläum nicht genügend prominente Gratulanten gegeben. Dazu viele Sondersendungen und Veranstaltungen in Rundfunk und TV und Diskussionen und Mahnungen im Internet. Die wirkungsvollste und wohl auch nachhaltigste Liebeserklärung aber entsprang einer verblüffend einfachen und geradezu nostalgischen Idee. „Ein gedrucktes Magazin?“, mögen einige etwas ungläubig fragen. „Ein Magazin für zehn Euro über das Grundgesetz, das doch Jahr für Jahr bis zu einer halben Million Mal kostenlos verteilt wird?“ „Nein, nicht über, sondern DAS GRUNDGESETZ als Magazin, Wort für Wort, alle 129 Artikel auf 124 Seiten Hochglanzpapier.“
Davon sind bereits 300 000 Exemplare gedruckt! Und das ist noch lange nicht das Ende. Unglaublich, dieser Erfolg.
Aber verständlich, wenn man das Heft in Händen hält und darin blättert. Allein die Seiten 14 und 15 – ein starkes, angriffslustiges Rot. Darauf in kraftvollen weißen Lettern: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der Artikel 1 – ein gedruckter Aufschrei als Mahnung. Oder eines der eindrucksvollen Bilder, die der Astronaut Alexander Gerst aus dem Raumschiff zur Erde beamte: Europa bei Nacht. Die Lichter der großen Metropolen als funkelnde Sterne. Und dazu sein Kommentar: „From space it‘s pretty clear that Europe belongs together.“ Auch so eine grafische Gefühlswallung, die Seite 20: Pechschwarz mit einem leuchtend weißen Kreis. Darin Artikel 3: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ So hatte man das vor 70 Jahren mit schlichten klaren Worten festgeschriebene Grundgesetz vorher noch nie in den Händen. Das Magazin, ein grafischer Augenschmaus, geschmückt mit eindrucksvollen Bildern, die zum Nachdenken zwingen.

OLIVER WURM

„Ich bin ein leidenschaftlicher Fan unserer Verfassung geworden.“

Der Mann, der gemeinsam mit dem Grafikdesigner Andreas Volleritsch das Grundgesetz zum Bestseller gemacht hat, brüht Kaffee auf. Seine Büroräume, groß und praktisch, hat Oliver Wurm mitten in der Schanzenstraße eingerichtet. Und die ist eine der lebendigen und kreativen Schlagadern der Hansestadt. Oliver Wurm, der umtriebige Medienentwickler, kam als Sportjournalist nach Hamburg, hat schöne Fußballhefte und auch schon das „Neue Testament“ als Magazin herausgebracht. Und – nach der Idee der Panini-Brüder – Bilder-Sammelhefte vor allem von Städten. Für das von Hamburg wurden übrigens 1,4 Millionen der Bildertütchen verkauft. Wie der 49-Jährige auf die Idee mit dem Grundgesetz kam, das ist eine sehr private Geschichte. „Neugierig gemacht hat mich Ranga Yogeshwar“, erzählt Oliver Wurm. „Der Wissenschaftsjournalist war Gast bei Markus Lanz. Und da hat er mich mit seiner Begeisterung für das Grundgesetz angesteckt.“
Das war im Oktober 2017, und nach Diskussionen mit Andreas Volleritsch entschieden die beiden: „Wir wagen zum Jubiläum ein Magazin.“ Da war ja noch Zeit. Dann kam Chemnitz! Im August 2018, ein Toter und zwei Asylsuchende als mutmaßliche Täter. Der beängstigende Aufmarsch von AfD, Pegida und Neonazis. Aber auch die Gegendemonstration „Wir sind mehr“. „Da bin ich hin, da war ich dabei“, sagt Oliver Wurm. „Und da lese ich das große Plakat: Die Würde des Menschen ist antastbar.“
Oliver Wurm schweigt – wird dann energisch. „In der Sekunde war mir klar: Wir dürfen nicht abwarten. Wir müssen uns wehren. Auch mit dem Magazin.“ Zurück in Hamburg war das Heft innerhalb von 14 Tagen druckreif. Nach einem Gespräch mit der Bank wagten sie, statt 4000 gleich 100 000 Exemplare auf den Markt zu bringen. Und dann ein Anruf aus Berlin, den sich Oliver Wurm am liebsten einrahmen würde. „Eine 84-Jährige bestellte acht Exemplare“, erzählt er. „Für meine Enkel“ sagte sie. „Die Oma ist ja irgendwann nicht mehr da – aber das Grundgesetz bleibt.“ Und noch so ein Nachhall von einer Berliner Schule, der Freude und Zuversicht brachte. „Schüler hatten mit Doppelseiten mehrerer Magazine einen Pfad durch die ganze Schule gelegt. Und am Anfang groß die Mahnung: Tritt das Grundgesetz nicht mit Füßen!“
Dabei ist das Grundgesetz-Magazin kein Jubiläumsheft. „Es ist ein Statement“, betont Oliver Wurm. „Wir haben unsere Verfassung auf die Straße getragen.“ Und leise fast fügt er hinzu: „Die Arbeit hat mich verändert. Ich bin ein leidenschaftlicher Fan unserer Verfassung geworden.“ Was das betrifft: In Hamburg wird in der Bezirksliga eine Fußballmannschaft auflaufen, auf deren Trikots Artikel zu lesen sein werden: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ – „Die ungestörte Religionsfreiheit wird gewährleistet.“ – „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Und natürlich „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

 

Text: Norbert Scheid