Der Club bietet jährlich mehr als 100 Veranstaltungen zur Information, Inspiration, Diskussion und zum Netzwerken. 2019 startet eine neue kulturelle Reihe, bei der Musiker und Künstler auf der Bühne des Clubs spielen oder lesen. Den Anfang macht die Kultgruppe EXTRABREIT.
Es hat etwas ungemein Sympathisches, wenn ein Mann von 61 Jahren, erfolgreich als Schriftsteller und dann und wann auch Cartoonist, von Zeit zu Zeit noch auf den Spielplatz geht. Kay Schlasse macht das manchmal sogar wochenlang, fast so wie vor knapp 40 Jahren, als sein Kumpel Stefan Klein ihm in einer ausgelassenen Nacht den Namen Kai Havaii verlieh, den er bis heute trägt. Nur das „V“, sagt Schlasse, sei von ihm, um sich „wenigstens einen Hauch von Extravaganz zu verleihen“. Da ist ein kleines bisschen Koketterie im Spiel, zu der Havaii ansonsten gar nicht neigt. Denn mit seiner Band Extrabreit hat er damals das Pech gehabt, ob seiner deutschen Texte ins Strohfeuer Neue Deutsche Welle geworfen zu werden, wenngleich Songs wie „Hurra, hurra, die Schule brennt“, „Polizisten“ oder „Flieger, grüß mir die Sonne“ eher mit dem Punk flirteten.
„Ich denke ja“, sagt Havaii, „diese ganze bonbonbunte Szene, das waren wir nicht wirklich.“ Aber dann wurde eben die Moritat von der Penne in Flammen zwei Jahre, nachdem Extrabreit den Song aufgenommen hatten, nochmals veröffentlicht und gleich zum Hit. „Das lag zwischen Fluch und Segen, wir wurden überrollt und rutschten in eine Schublade, die uns gar nicht so behagte.“ Doch bekanntlich heilt die Zeit fast alle Wunden, „und heute hat sich das zurechtgerückt. Wer in unsere Konzerte kommt, der weiß schon, dass wir mehr sind als ein bisschen Synthesizer-Getute und eine Playback-Stimme.“
Dass es diese Konzerte überhaupt noch gibt, darüber wundert sich kaum jemand mehr als Kai Havaii. Eine jahrzehntelange Zukunft für Extrabreit, das war das Letzte, woran er und seine Bandkollegen damals geglaubt haben. „Wir haben ganz bestimmt nicht weiter als ein oder zwei Jahre gedacht“, sagt Havaii, „das war ja auch eine Zeit, in der das Leben derart intensiv war, dass uns eine Woche fast wie ein Jahr vorkam. Und so, wie wir uns damals unseren Erfolg nicht annähernd erträumt hatten, wäre es für uns noch weit unvorstellbarer gewesen, dass es die Band 40 Jahre später immer noch geben würde.“ Ein Satz, den eventuell auch Mick Jagger hätte sagen können. Havaii nickt, „es gab für solche Gedanken ja auch noch gar keine Vorbilder, alte Rockbands waren völlig undenkbar. Leute, die nach 40 Jahren immer noch ihre alten Songs spielen? Gar nicht dran zu denken!“ Aber jetzt sei es zum Glück anders gekommen, „und wir sind zum Glück noch fit genug und somit in der Lage, dem Ganzen standzuhalten“.
Das ist fast maßlos untertrieben, denn immerhin haben Extrabreit es mittlerweile bis zum nur ganz leicht fragwürdigen Titel einer Kultband geschafft. Woran Hamburg, die Wahlheimat des gebürtigen Hageners, durchaus seinen Anteil hat. Denn: Seit nunmehr 16 Jahren treten Havaii und seine Kumpane hier – zuerst im Logo, seit sieben Jahren in der Markthalle – stets am 30. Dezember auf und setzen ihre Fans schachmatt für die Silvesterparty. Auch er selbst sei danach „natürlich zwei Tage knüppelkaputt“, das sei aber echt egal. „Sowas macht süchtig“, sagt Havaii, „das will man einfach immer wieder erleben. Man steht wie in einer Zeitglocke, in der jeden Tag das Tolle immer wieder passiert, man spürt auch all die Zipperlein, die einen irgendwann anfangen zu plagen, fast gar nicht mehr. Alle Sorgen sind wie ausgeblendet, ohne irgendwelche ungesunden Substanzen, und da möchte man ungern drauf verzichten.“
Im Grunde wäre die Zeit jetzt reif für einen zweiten Frühling der Extrabreiten. Denn während andere damals 99 Luftballons in den Sommerhimmel schickten oder sich darüber freuten, dass ihr Maserati 210 Sachen macht, brachte Kai Havaii in seinen „Polizisten“ leise Untertöne an den Mann und die Frau: „Polizisten speichern, was sie wissen, elektronisch ein, alles kann ja irgendwann und irgendwie mal wichtig sein.“ Es stimme zwar, winkt Havaii ab, dass politische Statements von Extrabreit zu diesen Zeiten nicht weiter überraschen würden, „aber wir haben unsere Auseinandersetzung mit der Gesellschaft halt auch immer recht unterschwellig und subtil betrieben. Agitationssongs sind auch in Zukunft von uns eher nicht zu erwarten.“ Und wie brächte er einen komplett Unkundigen zum Besuch bei Extrabreit? „Ich würde sagen: Probier’s mal, bring gute Laune mit, glüh ein bisschen vor und lass dir von den anderen die Texte erklären.“ Hurra, hurra.