Hamburgs EM-Host PATRICK ESUME ist auch Deutschlands Gesicht des Footballs. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Profi, Trainer und Unternehmer darüber, wie wichtig Sport für die Gesellschaft und das Business der Zukunft ist.

club!: Herr Esume, eine Aufwärmfrage an den ehemaligen Footballprofi und Coach: Was macht Hamburgs Botschafter der Europameisterschaft 2024 sowie der Active City selbst noch an Sport?
PATRICK ESUME: Oha. Erwischt … Aufgrund meiner wenigen Freizeit gehe ich nur noch im Fitnessstudio auf den Crosstrainer, um mobil zu bleiben. Man wird ja leider nicht jünger. Ab und zu mache ich aus alter Verbundenheit noch ein bisschen Kraftsport und schwinge mal eine Hantel. Als Footballspieler ist man ja auch Kraftsportler.

Football oder Fußball spielen Sie gar nicht mehr?
ESUME: Mit dem aktiven Fußball war ich schon mit 18 durch. Da hatte ich alle Klassen von der F- bis A-Jugend hinter mir. Und als ich in der Landesliga bei den vermeintlich Großen aushelfen durfte, da hat mich der Kasten Bier danach abgeschreckt. Ich wollte leistungsbezogen spielen. Insofern war ich froh, als ich zufällig durch einen Freund in Kontakt mit dem Football kam. Eine Faszination für einen Sport, die mich bis heute nicht losgelassen hat. Alles sehr familiär und trotzdem absolut professionell mit viel kleinteiliger Analyse und mentaler Vor- und Nachbereitung. Aber Football ist eine Sportart für junge Menschen. Ab 40 spätestens sollte man es sein lassen. Und das tue ich …

Warum glauben Sie, sind Sie der Hamburger City Host für ein Fußballgroßereignis geworden?
ESUME: Diese Frage müssen Sie eigentlich der Stadt stellen. Aber meine Gedanken dazu: Nach den Gesprächen mit den Verantwortlichen war mir klar, was das Ziel ist. Der Claim der Euro 2024 ist ‚United by Football‘. Es soll über den Fußball hinaus wieder dieses Gefühl von 2006, das Sommermärchen WM-Gefühl, reproduziert werden. Es soll eine Großveranstaltung werden, die möglichst viele Menschen in Deutschland eint – unabhängig von Herkunft, Religion, sexueller Ausrichtung. Es wurde ein Botschafter gesucht, der für mehr steht als nur für Fußball.

Stichwort Diversität?
ESUME: Ich bin echter Hamburger – auch wenn meine Hautfarbe etwas anderes suggeriert. Mein Vater kam als Student aus Nigeria, hat hier meine Mutter kennengelernt. Und so kam ich 1974 als Hamburger Jung auf die Welt, habe nach der Schule auf dem Bolzplatz mit Freunden gekickt, bis meine Mama mich zum Abendessen gerufen hat. Fußball war auch bei uns zu Hause das große Thema. Voll das Klischee also!

Sie sind durch den Sport viel herumgekommen in der Welt. Wie sehen Sie Hamburg als Active City aus dieserPerspektive? Wenige Städte haben dieses Label.
ESUME: Hamburg ist von jeher eine sportliche Stadt. Wir haben unter anderem im Segeln, Rudern, Reiten, im Tennis und auch im Fußball eine sehr lange Tradition in unserer Hansestadt. Die Active-City-Initiative ist ja aus der Olympiabewerbung hervorgegangen. Ich finde sie schon gut, aber gut ist noch nicht gut genug. Die Politik und wir als Botschafter, als Mitbürger, müssen noch viel, viel mehr verstehen, dass ein bewegtes Hamburg ein gesünderes Hamburg ist. Und auch ein sozial verträglicheres Hamburg. Deshalb müssen wir als Stadt noch viel mehr in Bewegung und den Sport investieren, damit die nächste Generation davon profitiert. Es ist noch eine Menge zu tun.

Warum?
ESUME: Weil Sport nicht nur ein Abziehbild der Gesellschaft ist, sondern auch ihr Kitt. Auf dem Spielfeld, im Fitnesscenter, am Ruder sind alle gleich. Da interessiert nicht, ob du aus Mümmelmannsberg oder Blankenese kommst. Da zählen vor allem das Miteinander und manchmal auch die gemeinsam erbrachte Leistung.

Welche Rolle haben Sie in diesem Prozess??
ESUME: Als Active City-Botschafter ist es nicht nur mein Job, meine sozialen Netzwerke, meine Reichweite zu nutzen, um zu sagen, Active City ist toll, sondern in Gesprächen mit der Stadt auch mal klar zu machen: Vielleicht sind wir mit unserer Initiative noch nicht da, wo wir sein sollten. Denn das sind wir nicht. Noch lange nicht.

Warum nicht?
ESUME: Das liegt vor allem an der Politik. Verschiedene Menschen von verschiedenen Parteien haben verschiedene Agenden. Die unter einen Hut zu bringen ist schwierig. Vor allem innerhalb einer Legislaturperiode. Nur wenige Menschen sind so selbstlos, das eigene Wohl hinter das Allgemeinwohl zu stellen, obwohl der Politiker ja eigentlich ein Staatsdiener ist. Das ist keine Wertung, nur eine Feststellung.

2025 soll Hamburg abstimmen, ob sich die Stadt erneut um Olympia bewirbt. Ist das gut oder schlecht?
ESUME: Es wäre schade, wenn die Antwort negativ wäre. Die größte Sportveranstaltung der Welt ist eine Riesenchance. Natürlich kann man über Gigantismus, Knebelverträge und Korruption reden, aber Olympia bringt Arbeitsplätze, neue Sportstätten, Tourismus. Und auch für das ansässige Business bringt es Geld in die Kassen. Zudem kann die nachfolgende Generation die neu entstandenen Sportstätten nutzen. Für uns Hamburger ist es die ultimative Möglichkeit, direkten Einfluss auf die Geschicke unserer Stadt zu nehmen: wirtschaftlich, perspektivisch sportlich und damit auch gesellschaftlich.

Und im negativen Fall?
ESUME: Wenn wir die Gelegenheit verpassen, müssen wiruns nicht wundern, wenn es irgendwann viele Kinder gibt, die sich nicht mehr bewegen, nur noch zu Hause vor dem Computer sitzen, chronische Erkrankungen haben und übergewichtig sind. Das soziale Gefüge zerbröselt, weil die Schere immer weiter auseinandergeht, es keine Begegnungsmöglichkeiten mehr gibt. Sport ist eine Möglichkeit zur Begegnung. Da trifft das wohlsituierte Kind aus Blankenese oder Eimsbüttel auch mal auf das Kind mit Migrationshintergrund von der Veddel oder Mümmelmannsberg. Und stellt fest, Mensch, so schlimm war es gar nicht. Es sind die kleinen Begegnungen, die in Summe den Unterschied machen. Ich freue mich jedenfalls auf die Euro 2024. Sie ist eine großartige Chance, auch hier in Hamburg. Und ich werde alles dafür tun, jeden, der hierher kommt, davon zu überzeugen, dass Hamburg die schönste Stadt der Welt ist.

Braucht so eine Stadt Fußballbundesliga?
ESUME: Aber natürlich. Es ist absurd, dass die zweitgrößte Stadt Deutschlands mit soviel Tradition jahrelang zweitklassig ist. Wir wollen ja nicht nur Lokalderbys als Highlight, sondern europäischen Sport. Beim Football kommen Teams aus Paris, Zürich, Wien oder Prag, verbreiten einen Hauch von Champions League. Und wir nennen uns Weltstadt mit einem großen Hafen als Tor zur Welt – und ergötzen uns an Lokalderbys …?

Hamburg hat erstklassigen anderen Sport plus Cyclassics, Marathon, Triathlon, Tennis- und Reitturnieren.
ESUME: Diese Einzelevents sind cool, aber sie bedienen einmal im Jahr nur eine ganz spezielle Klientel. Nur Fußball bewegt die gesamte Gesellschaft. Und das ist wichtig. Über 50 Prozent der unter 18-Jährigen hier in Hamburg haben Migrationshintergrund. Das ist unsere nächste Generation. Davon sind die wenigsten Marathonläufer, Fahrradfahrer oder Tennisspieler. Aber 80 Prozent sind fußballaffin. Wie kriegst du also die nächste Generation? Wir müssen als Stadt auch dahin, wo es weh tut.

Das heißt?
ESUME: Wir müssen uns intensiver um die sozialen Brennpunkte kümmern. Das ist einer der Gründe, warum ich Active City-Botschafter bin. Weil die nächste Generation, auch gerade die aus den sozialen Brennpunkten, dann eher so aussieht wie ich.

Erfolgreichere Migration durch Sport?
ESUME: Perspektivisch müssen wir an das Thema ran. Sport ist ein so gutes Mittel, um die nächste Generation abzuholen. Das dürfen wir jetzt nicht verpassen. Man muss alle abholen. Wir dürfen nicht den anderen Teil von Hamburg vergessen, der auch dazu gehört.

In Oberbillwerder sollen mit dem ,grünen Loop‘ diverse Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und bezahlbarer Wohnraum entstehen. Ist das der richtige Weg?
ESUME: Es ist ein guter Weg. Und ich begrüße ihn natürlich. Aber es wäre toll, den Schwung einer Euro 24 zu nutzen, um ein paar Bolzplätze mehr zu bauen, Sportstätten zu kreieren, Finanzen im Haushalt für den Schulsport frei zu räumen. Und vielleicht kann man andere Sportarten mehr in die Pflicht nehmen, ihnen zumindest Zutritt zu den Schulen gewähren. Wir von der EFL würden uns sofort mit der Stadt zusammensetzen, um Football in den Schulen anzubieten. Der FC St. Pauli, der HSV könnten Schulprogramme unterstützen, ihre Profis und Fußballlehrer vorbeischicken. Meine Botschafterkollegen wie Marcell Jansen und Laura Ludwig sehen das genauso.

Warum macht es Sinn, auch mit Football an die Schulen zu gehen, einer amerikanischen Sportart?
ESUME: Das fängt mit dem Alter an. Unsere Fans sind im Durchschnitt jung, zwischen 14 und 39 Jahren. Das ist in vielen anderen Sportarten wie beispielsweise Handball oder Golf zumeist anders – und kein gutes Zeichen. Zudem können wir einiges von den Amerikanern lernen. Natürlich ist dort nicht alles Gold, was glänzt, bitte nicht falsch verstehen. Aber Sport wird in Amerika politisch, wirtschaftlich und regional anders genutzt als bei uns. Davon könnte man sich durchaus einiges abgucken.

Beispielsweise?
ESUME: Diversität. Frauen als Schiedsrichter oder an der Spitze von Unternehmen sind selbstverständlich. Einmal mehr aufstehen als hinfallen ist gelebte Praxis. Dazu die Erkenntnis, dass der Sport jungen Menschen hilft, außerhalb von Elternhaus und Schule Struktur ins Leben zu bringen. Im Sport lernst du, mit Niederlagen umzugehen, dich zu motivieren, wenn es mal nicht so gut läuft und – durchzuhalten.

Auch stolz auf sein Land zu sein …?
ESUME: Es ist nicht verwerflich zu sagen, ich bin stolz darauf, in einem Land zu leben, wo Diversität alle Freiheiten hat, die sie verdient. Ja, man muss vorsichtig sein, im Umgang mit dem Wort Nationalstolz. Aber man darf es sich auch nicht klauen lassen von denen, die es missbrauchen. Gerade die vielen Menschen mit Migrationshintergrund sollten sagen, ich bin stolz darauf, einen deutschen Pass zu haben. In Hamburg haben zudem die Rechtsaußen-Parteien die wenigsten Wählerstimmen. Viele Menschen gehen für Diversität und Freiheit auf die Straße. Deshalb ist Hamburg besonders. Darum liebe ich diese Stadt, bin stolz, sie repräsentieren zu dürfen, auch als Unternehmer.

Wie meinen Sie das?
ESUME: Gerade als Unternehmer habe ich eine Verantwortung, mich für die nächste Generation zu engagieren. Und das geht am effektivsten durch Sport. Ich manage eine professionelle Sportliga, bin also schon im Sport involviert. Aber ich hoffe, dass noch mehr Hamburger Unternehmer den Sport als Investitionsmöglichkeit identifizieren. Und da rede ich weder von Herrn Kühne noch von Herrn Otto, die mit Geld den Sport schon unterstützen. Ich rede von Unternehmen, die erkennen, dass Business nur dann möglich ist, wenn eine Gesellschaft funktioniert. Am Ende hängt alles immer am Geld. Aber wenn ich erkenne, dass Sport in Verbindung mit meinem Produkt, mit meiner Marke, einen wichtigen Abstrahleffekt hat, dann kann ich es auch und gerade als Business nutzen. Für uns als Stadt und Botschafter sage ich, es wäre toll, wenn jemand sagt, ich möchte ein Sportprogramm, das unsere Stadt sportlich nachhaltig bewegt, unterstützen. Ich sage, ,be my guest‘, gehen wir zur Stadt, machen wir was. Gerade für und in den sozialen Brennpunkten – um nicht noch mehr Menschen an irgendwen oder irgendetwas zu verlieren.

Gespräch: Martina Goy  Fotos: Fabian Vuksic