Mit 29 Jahren beendete MARCELL JANSEN seine Fußballkarriere und wurde Geschäftsmann. In club! spricht er über seine Beziehung zum HSV, die ersten Versuche als Unternehmer, fehlende Risikobereitschaft von vermögenden Menschen und GymJunkies, die keine Bodybuilder sind.
Club!: Herr Jansen, als Sie 2008 zum HSV kamen, war er noch ein Spitzenklub. Nun ist er erstmals abgestiegen. Was bedeutet das für die Stadt?
Marcell Jansen: Dass der HSV in der zweiten Liga spielt. Vieles in der Sportstadt Hamburg kann besser werden. Trotzdem trägt die Stadt den Gedanken der Sportstadt pro-aktiv weiter. Für mich ist eine Sportstadt, wenn sie Sport mit breitgefächerten Möglichkeiten arrangiert. Das bietet Hamburg deutlich mehr als andere Städte.
Sie sind im März Aufsichtsrat beim HSV geworden. Geht es nach den Entscheidungen der letzten Monate trotz des Abstiegs wieder bergauf?
Wir haben einige Fakten geschaffen, die auch bei den Zuschauern und Fans ein gutes Feedback hatten. Damit darf man aber nie zufrieden sein.
Der alte und nun auch neue Vorsitzende Bernd Hoffmann hat gesagt, zur Euphorie bestehe kein Anlass, der Klub befinde sich in einer Krise.
Das kann man unterstreichen. Aber ich denke, wir haben einige gute Entscheidungen für die Zukunft getroffen. Sei es die Verlängerung mit Trainer Christian Titz, der fast noch ein Wunder geschafft hätte. Oder die Verpflichtung von Ralf Becker als Sportvorstand. Das Plus ist immer noch: Der HSV-Fan ist Fan in guten wie in schlechten Zeiten. Er hat trotz der vielen Abstiegskämpfe und viel Hohn von außerhalb die breite Brust, immer noch Fan zu sein. Das ist einzigartig.
Ein Grund des Abstiegs war wohl, dass es auch hinter der Mannschaft kein Team gab. Da regierten viele Eitelkeiten.
Ich habe im Moment das Gefühl, dass sich alle dieser Sache unterordnen. Schon vor dem sportlichen Tiefpunkt im Februar, März lief vieles besser. Zum Beispiel im Nachwuchs beim Campus, den Bernhard Peters mit seinem Team aufgestellt hat. Das ist der Weg, den man weiterverfolgen sollte.
Wie kam es eigentlich, dass Sie im Aufsichtsrat gelandet sind?
Ich bin vom damaligen HSV-Präsidenten Jens Meier angesprochen worden. Ich hatte ja schon vorher einige Tätigkeiten im Verein oder drum herum. Ich bin Mitglied bei der Stiftung „Hamburger Weg“, bin im Beirat beim Campus. Als ehemaliger Profispieler habe ich gemerkt, dass mir das am Herzen liegt. Und wenn es im Team abläuft, bin ich gerne dabei. Dieses Team sehe ich seit Monaten. Alle sechs Aufsichtsräte ziehen an einem Strang, auch wenn nicht immer alle einer Meinung sind. Es ist ein sehr guter Spirit da, sonst wäre es nicht möglich gewesen, überhaupt noch einmal etwas zu entfachen.
Was verbindet Sie sonst mit dem HSV?
Der Privatmensch Marcell Jansen ist ein überzeugtes Mitglied beim HSV e.V. Seit Jahresbeginn spiele ich in der dritten Mannschaft, die gerade aus der Oberliga abgestiegen ist. Das ist reiner Breitensport.
Aber Sie haben Ihre Karriere 2015 mit erst 29 Jahren nicht beendet, weil es zum Schluss nur noch Abstiegskampf gab?
Nein, natürlich nicht. Ich habe sie beendet, weil ich es zwölf Jahre gemacht habe und einen neuen Zeitabschnitt beginnen wollte.
Einen Satz noch zum Profisport insgesamt. Stimmt es, dass es dort nur wenige Freundschaften, viel Druck und relativ wenig Freizeit gibt?
Das kommt auf den eigenen Typ an. Der Leistungssport nimmt viel Raum ein, da bleibt nicht so viel Zeit, besonders wenn man Nationalspieler ist. Aber es gibt die Lücken, die jeder nutzen kann. Mein Kopf brauchte das. Ich habe schon 2008 meine erste GmbH gegründet und ein T-Shirt unter die Leute gebracht.
Haben Sie auch solch einen Druck empfunden, wie ihn Per Mertesacker neulich beschrieben hat?
Beim Leistungssport geht es um Leistung, sonst wirst du ausgetauscht. Das ist natürlich Druck. Es ist gut, dass mit Per jemand Einblick ins Seelenleben gegeben hat, der daran nicht zerbrochen ist. So konnte er für viele andere sprechen, die vielleicht nur kurz in der Bundesliga waren und die sich dann verabschiedet haben, weil sie mit dem Hype, der Kritik oder dem Einfluss der Spielerberater nicht klargekommen sind. Per ist ein guter Typ. Ich konnte da sehr mitfühlen, auch wenn es bei mir nicht so stark ausgeprägt war.
Zurück zur Sportstadt Hamburg. Haben Sie eine Idee, weshalb nun alle publikumsträchtigen Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball, Eishockey, Basketball und Volleyball nicht mehr in der ersten Liga zu finden sind?
Ich habe den Verdacht, dass da die letzte Siegermentalität fehlt. Die Konkurrenz wird in Bayern oder im Rheinland, wo ich herkomme, schon im Jugendbereich ganz anders gelebt. Im Ruhrpott ist schon eine andere Dichte auf kleinstem Fleck, da ist Sport alles. In einer Stadt wie Hamburg oder Berlin hast du viele andere Möglichkeiten. Vielleicht hat der Absturz auch etwas Gutes, dass man jetzt wieder richtigen Ehrgeiz entwickelt.
Liegt das Versagen im Profisport auch an der Wirtschaft – abgesehen von den vielen Fehlern, die sich etwa die HSV-Fußballer jahrelang geleistet haben?
Einige Vereine hat man ja regelrecht vor die Wand laufen lassen.
Zum Beispiel das Eishockey-Team der Freezers.
Und das, obwohl da eine starke Kraft war. Ich wünsche mir manchmal eine deutlich höhere Risikobereitschaft. Die Risikobereitschaft bei vermögenden Menschen ist auch bei Start-ups sehr überschaubar. Den Mut, auch mal etwas scheitern zu lassen, was bei jungen Unternehmen oder im Sport passieren kann, gibt es wenig. Man versteckt sich hinter einem Businessplan und setzt eher auf Immobilien als auf Innovationen.
Die in die zweite Liga aufgestiegenen HSV-Handballer haben noch keinen Hauptsponsor …
Erstaunlich, weil man sich da supersympathisch präsentieren könnte. Dabei können große Unternehmen sogar viel von der Steuer absetzen. Eine Ausnahme ist da vielleicht die Otto-Gruppe. Die hat den Campus finanziert, gibt Geld für Stiftungen. Man hat mit der Online-Plattform „About you“ neue Wege beschritten, was zunächst viel Geld gekostet hat.
Was haben Sie gedacht, als die Hamburger in einer Volksbefragung 2015 die Olympia-Bewerbung ablehnten?
Es gab ja viele Pros und Contras. Die Menschen, die dort leben, haben das so entschieden. Das muss man akzeptieren.
Die Hamburger Politik ist aber nicht in Schockstarre verfallen. Das Projekt „Active City“ soll das zeigen.
Das ist auch die Aufgabe von Politik, Dinge trotz allem voranzubringen, auch bei Gegenwind. Ich selber nehme das so wahr, dass Hamburg eine Sportstadt ist.
Wobei es den Eindruck macht, dass Hamburg zunehmend zur Sport-Event-Stadt wird. Mit hochklassigen Veranstaltungen wie den Cyclassics, Marathon, Triathlon, Beach-Volleyball oder Boxabenden. Ist das vielleicht noch wichtiger als Erstliga-Fußball?
Auf jeden Fall ziehen diese Events Leute an. Das ist wichtig für das Image der Stadt abseits des Fußballs. Parallel muss man schauen, wie die Infrastruktur ist. Viele Mannschaften haben keine guten Bedingungen, es fehlen Trainingsplätze und Hallen. Da haben wir in Hamburg immer noch großen Nachholbedarf, besonders im Breitensport. Das Footballteam der Huskies muss teilweise mit 60 Leuten in einer kleinen Halle trainieren oder im Stadtpark.
Wobei sich der Breitensport auch wandelt, weil nicht nur Fitness-Center außerhalb der Vereine Angebote machen.
Die Fitness-Studios werden nicht alle proppevoll sein, man kann ja auch draußen gut Sport machen. Zum Beispiel „Cross fit“, wo Parcours aufgebaut sind. Es muss mehr in Richtung Interaktion gehen, das ist die Zukunft. Wichtig wäre außerdem, mit Leuten aus der Stadt etwas aufzubauen. Wie zum Beispiel mit Michael Stich, der aber den Turnierdirektorposten beim Tennis am Rotherbaum auf Wunsch des DTB abgeben wird.
Hatten Sie schon früh einen Plan, nach der Fußballkarriere eine Unternehmerkarriere einzuschlagen?
Nein, hatte ich nicht. Es war aber so, dass ich mir mit 18 Jahren zwei Jahre Zeit geben wollte, um zu sehen, ob es mit dem Profifußball klappt. Sonst hätte ich nach dem Fachabitur ein Studium oder Ähnliches angefangen. Aber schon nach einem Jahr wurde ich Nationalspieler, war beim Sommermärchen 2006 dabei und wechselte nach drei Jahren bei Borussia Mönchengladbach zum FC Bayern.
Sie haben also bewusst auf Zweigleisigkeit verzichtet?
Ja, das ist zwar aller Ehren wert, aber bei den HSV-Spielern Matti Steinmann und Jann-Fiete Arp hat man gesehen, wie schwer das ist. Ich habe mit 22 Jahren meine erste GmbH gegründet. Das war mein erstes kleineres Geschäft abseits des Fußballs. Irgendwann ist dann mein Kumpel Roberto Curto aus Mönchengladbach nach Hamburg gekommen, da haben wir das Projekt „City Jumpers“ angeschoben. Dabei ging es um Aufkleber für Autos. Inzwischen sind sechs Gesellschaften entstanden zum Thema Lifestyle und Gesundheit. Die haben alle etwas mit meiner eigenen Geschichte zu tun.
Sie haben eine Menge von dem, was Sie als Fußballprofi verdient haben, in die Start-ups gesteckt. Zum Beispiel auch in das Sanitätshaus „Renovatio“ (Hauptladen am Stephansplatz) oder das Restaurant „Ben Green“ in Köln. Dort kreiert der bekannte Hamburger TV-Koch Steffen Henssler gesunde Küche für Leute, denen ein naturgemäßes Leben wichtig ist.
Ja, das habe ich reinvestiert. Wir sind Gründer und nicht reine Investoren. Insgesamt haben wir bestimmt schon 50 Arbeitsplätze geschaffen.
Ihr neuestes Projekt heißt „Picue“, eine App für Gruppen. Wie geht das?
Das ist das erste „Group Story Network“ der Welt. Eine Art Instagram für Gruppen. Zum Beispiel kann ich damit der Mannschaft des HSV III folgen oder den GymJunkys, eine von meinem Freund Roberto Curto entwickelte Marke für gesunde, ernährungsbewusste Fitness. Da können alle eine Geschichte erzählen. Das Produkt ist schon auf dem Markt, und wir haben eine sehr gute App Store-Bewertung. Derzeit planen wir gerade das Marketing und haben gute Begegnungen mit möglichen Partnern, zum Beispiel mit Bundesligaklubs. Für die macht das Tool besonders viel Sinn. Da hat man dann das Gefühl, mitten dabei zu sein bei einer Mannschaft.
Auch mit Renovatio haben Sie noch etwas vor.
Wir werden uns außer am Stephansplatz auch rund um das UKE-Gelände orientieren und haben ein Geschäft in Wedel. Jeder, der zu uns kommt, kann über die gleichen Hilfsmittel wie Nationalspieler verfügen. Das gilt auch für Kassenpatienten. Wir wollen alle Menschen gleich behandeln. Unseren Namen werden wir demnächst noch einmal ändern und einige Weiterentwicklungen präsentieren.
Und wie entstand die Idee mit „Ben Green“?
Das war auch so eine gemeinsame Idee mit Roberto, der sich schon lange gut ernährt. GymJunkies sind keine Bodybuilder, sondern Leute, die neben Sport und Lifestyle auch sehr viel Wert auf Ernährung legen. Warum gibt es keine Anlaufstellen für Leute, die sich gesund ernähren wollen? Jeder Dritte in Deutschland ist übergewichtig. Man schüttet viel Ungesundes in sich hinein, aber ins Auto kommt nur das teuerste Öl. Aber es wächst eine neue Generation heran, die sehr kreativ und cool ist.
Und wie kamen Sie auf Steffen Henssler?
Ich glaube, dass man ihm abnimmt, dass er gesund kocht. Wir sind uns zum ersten Mal beim „Hamburger Weg“ begegnet. Wir wollen eine Art System etablieren gegen das Gesetz der Industrie, die auf lange Haltbarkeiten und viele Zusatzstoffe baut. Es gibt nicht nur Salate, bei uns kommt das vollwertige Essen hinzu. Am Flughafen Köln-Bonn ist das Pilotprojekt, und ich bin guter Dinge, dass bald weitere Restaurants entstehen – auch in Hamburg.
Welches Business bringt Ihnen derzeit am meisten Spaß?
Picue ist gerade meine Hauptaufgabe. In den anderen Unternehmen sind geschäftsführende Gesellschafter. Ich bin mehr im Vertrieb und Marketing. Bei Picue bin ich selber in der Geschäftsführung.
Wer wird eigentlich Fußballweltmeister 2018?
(Ohne Zögern): Deutschland. Die letzten zwölf Jahre geben Anlass dazu.
Und wenn doch nicht?
Spanien und Frankreich sind als Verdächtige immer dabei. Und die Brasilianer, denn die spielen jetzt endlich wieder guten Fußball. Bei dem politischen Druck im eigenen Land 2014 waren sie meilenweit entfernt von ihrer Form. Der ganze Spaß am Fußball war weg. Als sie damals nach Siegen geweint haben, waren das nicht Tränen der Freude, sondern Tränen des Drucks.
Kribbelt es bei Ihnen noch? Schließlich waren Sie 2006 und 2010 dabei und 2014 hat nur eine Verletzung verhindert, dass Sie Weltmeister wurden?
Es kribbelt immer, mitzufiebern mit den Jungs. Ich kenne ja noch die Abläufe in der Vorbereitung. Ich bin dankbar, dass ich zwölf Jahre die Erfahrung machen durfte. Wenn es vom Kribbeln zum Jucken wird, bin ich beim HSV III. Ich hoffe, wenn sich mein neues Leben sortiert hat, dass ich in der neuen Saison das eine oder andere Spiel mehr mit meiner Mannschaft machen kann.