Er ist neugierig. Er mag Vertrauen. Und er lässt anderen Raum. Auch deshalb ist GEORG KOFLER einer der erfolgreichsten Medienunternehmer. Ein Gespräch über pluralistische Demokratie und eine junge Generation voller Selbstvertrauen.

club!: Herr Kofler, ist es heute einfacher, Influencer zu sein?
Georg Kofler: Als ich damals in Wien Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert habe, war die Studentenschaft eher links orientiert. Ihre heftige Kritik am Begriff der Medienfreiheit war: Diese Freiheit bedeutet doch nur, dass einige wenige Verleger das drucken, was sie gerade für richtig halten. Das ist heute definitiv anders.

Inwiefern?
Wir haben durch den technischen Fortschritt eine Höchstform an pluralistischer Demokratie in den Medien. Jeder, der talentiert ist, über Ausdauer verfügt und fleißig ist, kann sich seinen eigenen Sender machen. Dieser historische Fortschritt ermöglicht es auch einer bis dahin eher schweigenden Mehrheit, sich öffentlich zu äußern, eine eigene Meinung zu verbreiten. In einer Massengesellschaft führt dieser Pluralismus allerdings auch dazu, dass sich die Menschen so zeigen, wie sie sind.

Und, wie sind Menschen?
Wir alle wissen, es gibt nicht nur edle und gute Charaktere. Was wir heute digital oder in den gedruckten Medien lesen, ist nur ausnahmsweise philosophisch oder politisch tiefsinnig. Häufig ist es einfach Blödsinn. Oder gefährlich. Aber so sind die Menschen eben. Sie bekommen die Medien, die sie verdienen. Oder anders formuliert, die Medien können nicht besser sein als die Menschen, die sie machen.

Was bedeutet Social Media für Sie als Medienunternehmer?
Direkten Kontakt, zum Publikum, zu den viel gesuchten Endkunden! Eigentlich das, wovon ich schon vor Jahrzehnten zu meiner Zeit bei ProSieben geträumt habe. Wir haben damals Werbeblöcke verkauft und damit große Öffentlichkeit für Produkte geschaffen. Zum Beispiel für meine Lieblingsmarke Mon Chéri von Ferrero. Ich war fasziniert von deren Marketingstrategie und habe gedacht: Wie aufregend wäre es, so ein eigenes Mon Chéri zu besitzen und mit unseren medialen Fähigkeiten diese Eigenmarke zu propagieren und, noch besser, sie direkt an die Endkunden zu verkaufen. Eine Reise in die USA brachte dann die Lösung.

„Medien sind nicht besser als die Menschen, die sie machen.“

Sie entdeckten Teleshopping, etablierten es hierzulande …
Es war die Chance, in meinem Heimatmedium, dem Fernsehen, Produkte zu platzieren, zu verbreiten und direkt an die Kunden zu liefern. Damals war das noch der Versandhandel. Dann kam der Onlinehandel hinzu, später die Sozialen Medien. Jetzt haben wir eine Kombination von sehr interaktiven Medien auf den Social Media-Plattformen plus einem etablierten Onlinehandel. In dieser Kombination kann die Social Chain …

Ihr Unternehmen …
… Eigenmarken über Social Media bewerben und über den Onlinehandel ausliefern. Mit dem Erwerb der DS Gruppe von Ralf Dümmel und deren zahlreichen Eigenmarken kam die perfekte Ergänzung hinzu. Jetzt bauen wir gemeinsam ein, wie ich finde, in dieser Vollständigkeit einzigartiges Multichannel- Vertriebsunternehmen, das mit den Medien und Vertriebskanälen von heute und morgen arbeitet.

Was genau sind die Medien von heute oder morgen?
Es wird immer eine Kombination geben. Als ich anfing, waren Kabel- und Satellitenfernsehen die neuen Medien. Sind das heute alte Medien? Ich würde sagen, nein. Die Technologie erlaubt mittlerweile das Streamen, also das zeitversetzte Anschauen nach eigener zeitlicher Planung. Und auch interaktives Fernsehen ist ein Medium von morgen. Ich glaube, man muss den Medienbegriff immer wieder neu justieren, wir erleben eine ständige, fließende Veränderung. Eines ist jedoch konstant: Es sind stets die Inhalte, auf die es ankommt. Die Leute schauen ja keine Technologie an, sondern Filme, Serien, Informationen. Dafür benutzen die Zuschauer eben die Technologie, die ihnen in ihrer jeweiligen Situation am komfortabelsten erscheint.

Wohin geht die Entwicklung von Social Media?
Die individuelle Ausdrucksweise wird noch stärker, professioneller, fantasievoller werden. Allein wie sich Livegaming entwickelt hat. Da wird es immer neue Features geben. Und dann kommt das Metaverse, der kollektive, virtuelle Raum von Meta hinzu. Auch das wird eine Medienwelt der Zukunft. Andererseits muss man sehen, die Menschen werden ja nicht neu konstruiert. Ihre DNA bleibt weitgehend unverändert. Wir haben ein Bedürfnis nach Realität, nach physischen Treffen. Das kann man gerade beim Homeoffice beobachten. Vielen fällt die Decke auf den Kopf. Sie sehnen sich nach realen sozialen Kontakten.

Die Erkenntnis daraus?
Egal wie viele Metaverses es gibt, unser Tag hat nur 24 Stunden. Das wird sich auch mit einem 50-fachen Medienangebot nicht ändern. Ich habe es selbst im Fernsehgeschäft erlebt, als ich ProSieben gegründet habe. Als ich mit meinen Plänen vorstellig wurde hat man mir gesagt, Herr Kofler, es gibt doch schon die ARD, das ZDF, die Dritten Programme, RTL und Sat1. Wer soll denn ihren Sender noch schauen? Die Leute haben doch schon so viel Programm. Ich habe mich damals sehr geärgert und gesagt, Na ja, etwas mehr Wettbewerb und Auswahl wäre für das Publikum und die Werbeindustrie nicht so schlecht. (lacht)

Dann hatte das Kabelfernsehen in den USA großen Erfolg …
Aber Studien zeigten früh, dass etwa 80 Prozent der Nutzer ihre Zeit mit durchschnittlich fünf bis sechs Sendern verbringen, nicht mit 30 oder 50. Und wenn Sie heute die Leute auf Instagram beobachten, wem folgen sie? Am Anfang vielleicht 20, 30, manchmal 200 Leuten. Aber wie willst du 200 Leuten permanent folgen? Dann kannst du kaum noch etwas anderes machen. Die physische Begrenzung unserer Lebenszeit, unsere alltäglichen Prioritäten führen dazu, dass sich in den neuen Medienwelten eine überschaubare Zahl von großen Unternehmen, großen Influencern, großen Entertainern herausbildet.

„Ich will nicht der beste Instagramer oder YouTuber werden“

Wer verdient das meiste Geld?
Meta und Google sind riesige Werbeunternehmen geworden, deren Einnahmen weit über denen der TV-Industrie liegen. Mit Social Media lässt sich unfassbar viel Geld verdienen, viel mehr als mit herkömmlichen Medien. Aber auch die Kardashians oder Ronaldo sind Influencer, die viel verdienen. Über die Inhalte kann man unterschiedlicher Meinung sein.

Sie posten auch …?
Auf Twitter bin ich hier und da mit politischen Aussagen unterwegs. Ich habe mich sehr bewusst und aktiv zu meiner Parteispende für die FDP bekannt. Ich finde, dass man seine politischen Ansichten in einer Demokratie auch proaktiv bekennen soll. Wir können alle die demokratische Willensbildung beeinflussen.

Wieviel Zeit investieren Sie?
Nach meinem Spendenpost hatte ich plötzlich Tausende Follower und Diskussionen. Ich habe ein halbes Jahr mitgemacht, bis zur Wahl. Dann wurde es mir zu viel. Ich bin hauptberuflich Unternehmer. Für die erfolgreichen Influencer ist das ein Fulltime-Job, weshalb viele auch ein redaktionelles Team dabei haben, die routinemäßige Vorgänge erledigen. Auch diese neue Generation von Medienmachern ist nicht automatisch erfolgreich. Der Erfolg ihrer Arbeit ist abhängig vom Talent und Engagement.

Verändert sich durch Social Media das Kaufverhalten?
Ich glaube schon. Die Leute lassen sich eher zu Produkten inspirieren, die sie gar nicht auf der Agenda hatten. Dadurch ändert sich auch die Relevanz der Vertriebskanäle. Medien ergänzen sich gegenseitig, neue Medien haben noch nie die alten umgebracht. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass Leute Podcast hören? Das ist ja eigentlich das immer wieder totgesagte Radio ohne Musik. Oder nehmen Sie den Onlinehandel. Er wird den stationären Handel nicht umbringen. Aber er fordert ihn heraus, attraktiver zu werden, wettbewerbsfähiger.

In Ihrem Unternehmen arbeiten viele junge Leute. Wie finden die den Chef? Sehen sie in Ihnen den erfolgreichen Macher, der schon Dinge getan hat …
… als sie noch gar nicht auf der Welt waren? Ach, wissen sie, das sehe ich ganz entspannt. Ich will gar nicht der beste Instagramer werden oder der bessere YouTuber. Aber ich habe ein Sensorium, ein Gefühl, ihre mediale Ausdrucksweise, ihre Energie, ihr Bedürfnis nach Darstellung zu verstehen. Und ich respektiere ihren Erfolg, weil ich weiß, dass Medienerfolge mit viel Arbeit und Kreativität verbunden sind.

Und umgekehrt?
Vielleicht mögen mich die jungen Leute, weil ich ein humorvoller Mensch bin. Und unkonventionell. Menschen mit Humor um sich herum zu haben, egal, ob jung oder alt, ist immer nett. Und ab und zu sage ich auch mal was Intelligentes.

Sanja Stankovic (Pressesprecherin): Darf ich mich ausnahmsweise einmischen? Ich finde, Georg ist ein Visionär, aber das gibt er nicht vor. Er schafft Raum dafür. Es gehört Mut dazu, an neue Themen, an die Menschen zu glauben, in sie zu investieren. Er hat oft bewiesen, dass er das gut kann. Deshalb kann er uns auch gut motivieren, selbst unternehmerisch zu denken und das Haus der Unternehmer, also die Social Chain, voranzutreiben. Egal, ob angestellt oder als Geschäftführer eines Tochterunternehmens.

Kofler: Das hast du schön gesagt Sanja …

Was sind die Eigenschaften dieser neuen, jungen Macher?
Sie denken nicht in Strukturen, sondern lassen die Dinge auf sich zukommen, schaffen eigene Strukturen. Als ich das erste Mal in Manchester war, dort, wo die Social Chain als Social Media Agency ihren Anfang hatte, da habe ich gesehen, dass diese jungen Leute zwischen 18 und 25 Jahren unternehmerischer, inspirierender und innovativer sind, als viele Generationen vor ihnen. Die lassen sich nicht so leicht etwas sagen. Dass sie über Social Media früh ihre eigene Meinung artikulieren, macht sie selbstständiger im Denken, ihren beruflichen Orientierungen. Wir erleben eine Explosion an unternehmerischer Kreativität durch die Digitalwirtschaft.

Was sind Ihre Kriterien für Deals: Bauchgefühl oder Daten?
Das wichtigste ist für mich definitiv das Bauchgefühl für die Menschen, die Verantwortung tragen. Ich bin ein emotionaler, impulsiver Mensch. Ich lasse mich schnell begeistern. Im Nachhinein muss ich manchmal sagen, oha, da habe ich zu schnell vertraut. Aber ich kann mit Misstrauen nur schwer leben, weil mir die Zusammenarbeit dann keine Freude macht. Ich muss Menschen vertrauen können oder mich von ihnen trennen. Hätte ich Ralf nicht gemocht, wäre die Idee der Zusammenarbeit nicht entstanden. Vertrauen ist für mich die Grundlage aller Geschäfte. Aber natürlich ist eine kaufmännische Sorgfaltsprüfung unerlässlich, wenn man ein Geschäftsmodell für die Zukunft entwickeln will.

„Social Media befriedigt die Sehnsucht nach Zugehörigkeit.“

Was genau planen Sie?
Irgendwann möchte ich mit Ralf einen Livestream veranstalten mit Hunderten Leuten vor Ort, aber Tausenden, die online zuschauen. Unseren eigenen Onlinesender, eigene Marken mit jeweils eigener Community, der Menschen folgen und sich austauschen. Die Marken der Zukunft werden auf Basis von Social Media und Social Commerce aufgebaut. Davon bin ich überzeugt.

Wie konsumieren Sie Informationen?
Kürzlich habe ich zwei Zeitungen zum Wochenende gekauft. Normalerweise habe ich Digitalabos. Ich nehme also die Zeitung in die Hand – und es überkommt mich innere Ruhe. Ein angenehmer und erstrebenswerter Zustand. Man blättert durch, sieht Dinge, die man nicht gesucht hat, die einem nicht aufgedrängt werden. Das Handy ist ein irrlichterndes Wesen, das ablenkt, die Aufmerksamkeitsspanne verkürzt, Unruhe auslöst. Das Lesen einer Zeitung, eines Buches, beruhigt.

Erzählen Sie das jungen Leuten …
Jede Generation hat ihre Medien, Moden, ihren Zeitgeist. Ich will nicht sagen, was besser oder schlechter ist, aber die sozialen Medien befriedigen die Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Und man kann viel leichter Menschen kennenlernen. Liebesbeziehungen sind so hundertmillionenfach entstanden – ein großes Geschenk. Und: Junge Leute schreiben total viel. Wer hätte gedacht, dass die Schreibkunst ein omnipräsentes Alltagsprodukt sein würde.

 

Gespräch: Martina Goy Fotos: Fabian Vuksic