Sie ist jung, sie ist eine Frau – und fast Astronautin. Die Geophysikerin DR. CHRISTIANE HEINICKE lebte ein Jahr auf einer „Mars-Station“. Ein Gespräch über Wettkampfduschen, Mail-Monologe und den galaktischen Reisekatalog.

club!: Frau Heinicke, Sie haben in einer simulierten Mars-Station auf Hawaii das Leben auf dem roten Planeten geprobt. Wie fühlt es sich an, ein Jahr lang nicht auf der Erde zu leben?
Christiane Heinicke: Es ist eine ziemliche Umstellung. Die Ressourcen sind extrem eingeschränkt. Auf der Erde gibt es gefühlt unbegrenzt Wasser, aber auf dem Mars muss ich mit dem wenigen vorhandenen Wasser sehr sparsam umgehen. Ein konkretes Beispiel: Es gab die Richtlinie, nicht länger als acht Minuten in der Woche zu duschen. Wir haben daraus einen Crewinternen Wettbewerb entwickelt, wer am schnellsten mit dem Duschen fertig ist. Der Sieger schaffte es in 24 Sekunden. Außerdem ist man auf dem Mars allein, fernab von Freunden, Familie, oder schlicht anderen Menschen mit denen man sich unterhalten könnte, so von Angesicht zu Angesicht. Die Entfernung zwischen Erde und Mars beträgt zwischen 50 Millionen und 400 Millionen Kilometer. Wir haben den Extremfall simuliert, also 400 Millionen Kilometer. Bei der Entfernung beträgt die Signallaufzeit etwa 20 Minuten. Das heißt, wenn ich mit jemandem auf der Erde sprechen wollte, konnte ich nicht mal eben zum Telefonhörer greifen, weil ich nach 40 Minuten – 20 hin und 20 zurück – nicht mehr weiß, was ich gesagt habe.

Wie kann man denn überhaupt mit anderen Menschen kommunizieren?
Das einzige, was ich machen kann, ist E-Mails oder Daten schicken. Das läuft darauf hinaus, dass man in Monologen kommuniziert. Der eine spricht oder tippt einen Monolog, und dann antwortet der andere mit einem Monolog. Bei vielen Fragen ist das okay, aber es fehlt der direkte Ideenaustausch. Kommunikation ist aber nicht nur Informationsaustausch, sondern es gibt auch eine Beziehungsebene, und die Art von Kommunikation wird bei Langzeitmissionen oder Langzeitisolationen schlechter statt besser. Dazu kommt, dass man bei solch einer Mission auf der einen Seite isoliert ist von anderen Menschen, auf der anderen Seite ist man mit einer überschaubaren Anzahl von Menschen immer zusammen. Das hat durchaus seine Vorteile. Ich konnte am Ende des Jahres genau sagen, wer sich gerade wo aufhält und was er gerade macht. Der Nachteil ist, dass man auftretende Probleme zwar lösen kann, aber mit der Zeit summieren sie sich doch. Probleme, bei denen man zu Anfang denkt, dass man darüber hinwegschauen kann, werden immer schlimmer. Wenn man sie nicht löst, funktioniert es nicht.

Gab es also vor allem zwischenmenschliche Probleme bei Ihrer Mars-Simulation?
Man ist sehr aufeinander angewiesen. Wenn ich mich zum Beispiel heute mit der Crewärztin zerstreite und mir morgen ein Bein breche, könnte das zu einem Problem führen, wenn ich den Konflikt nicht beigelegt habe. Das gilt natürlich nicht nur bei der Ärztin. Wenn Konflikte oder Probleme auftreten, dann muss ich die so früh wie möglich und so friedlich wie möglich lösen.

Kann man aus der Konfliktbewältigung bei ihrem Mars- Projekt etwas für unsere Welt lernen?
Es ist natürlich einfach, pauschal Ratschläge zu geben. Aber wir haben gelernt, Probleme so schnell wie möglich zu lösen. Wenn die Emotionen erst hochgekocht sind, ist es viel schwieriger, etwas zu retten. Aber wenn man es rechtzeitig merkt und anspricht hilft das. Bei uns gab es zum Beispiel das Thema „Kaffeetasse“. Einer aus dem Team hat seine Kaffeebecher immer stehen lassen. Wir haben ihm irgendwann gesagt, dass uns das nervt. Das klingt simpel und trivial. Aber der Punkt ist, dass wir ihm das so rational wie möglich mitgeteilt haben, ohne ihm Vorwürfe zu machen. Es half, dass wir alle das gleiche Ziel hatten. Wir wollten die Mission zusammen durchstehen. Er hat dementsprechend reagiert und nur noch hin- und wieder eine Tasse stehen gelassen.

Denken Sie manchmal aus dieser Erkenntnis heraus, dass die Menschen bei Problemen grundsätzlich eher und mehr miteinander reden müssen?
Ja, aber man muss natürlich aufpassen, welche Menschen involviert sind. Wir wurden gezielt danach ausgesucht, dass wir gut mit Konflikten und Stress umgehen können. Es macht einen Riesenunterschied, ob ich mit jemandem zu tun habe, bei dem ich weiß, der ist kompromissbereit oder ob ich mit einem zu tun habe, der einfach nur sein Ego präsentieren will. Aber wenn ich mit Personen zu tun habe, die an einer sachlichen Lösung interessiert sind, dann sollte man so frühzeitig wie möglich miteinander reden. Für viele Konflikte, nicht nur auf politischer, sondern auch auf wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene findet sich ganz häufig eine Lösung.

Haben Sie mit den Erfahrungen der Mission einen anderen Blick auf die Welt?
Nachdem ich aus dem Habitat gekommen war – in den ersten Tagen, Wochen, Monaten – konnte ich manche Gepflogenheiten und Probleme auf der Erde nicht nachvollziehen. Am allerersten Tag durften wir auf Hawaii zur Belohnung in den Pool gehen und in der Sonne brutzeln. Ich hatte Probleme in diesen Pool zu steigen. Ich habe mich gefragt: Ist da mehr oder weniger Wasser drin, als wir im ganzen Jahr unserer Mission verbraucht haben? Ich musste die Relation erst einmal verarbeiten, mich wirklich aktiv davon überzeugen, dass es völlig okay ist, in diesem Pool mit sauberem Wasser zu baden.

Fühlen Sie sich eigentlich als Astronautin oder ist man das nur, wenn man wirklich im All geflogen ist?
Die technische Definition des Astronauten ist, wenn man in einer Höhe von 100 Kilometern über der Erde gewesen ist. So fühlen wir uns nicht, wir waren auch nicht in Schwerelosigkeit. Von der psychologischen Seite ist es dagegen schon so, dass die Isolation, die wir erfahren haben, vergleichbar ist mit der, die Astronauten auf der Raumstation erleben und die Astronauten auf dem Mars haben werden. Die Gefahren auf dem Mars kann man nicht zu hundert Prozent simulieren, aber es ging bei dem Projekt darum, diese eine psychische Komponente einer Mars- Mission zu simulieren – die Isolation. Und die war sehr real.

Leben Sie jetzt anders als vor dem Experiment?
In mancher Hinsicht ja. Ich bin inzwischen extrem schwer aus der Ruhe zu bringen. Die psychische Belastung während dieser Mission war enorm hoch. Auf dieses Level müsste ich erstmal wieder hochkommen. Das geht nicht so einfach, schließlich hat es sich da über ein ganzes Jahr aufgebaut. Das ist das eine. Das andere ist das Thema Ressourcen. Ich habe vor einiger Zeit einen Vortrag gehalten und darin ein Foto unserer ersten eigenen Tomatenernte gezeigt. Es waren Minitomaten und jeder hatte eine einzige auf seinem riesengroßen weißen Teller. Es war unsere erste Gemüseernte nach knapp fünf Monaten und sie hat super geschmeckt. Am nächsten Morgen stand ich mit einem Zuhörer am Frühstücksbüfett und sah, wie er sich den Teller voller Essen lud und am Ende die Hälfte davon liegen gelassen hat. Es war auch eine Handvoll Tomaten dabei. Das hat mir weh getan.

Was macht den Mars so reizvoll für Sie?
Es ist ein anderer Planet. Eine Landschaft, die noch niemand vorher betreten hat, oder wie in unserem Fall nur wenige Menschen betreten haben. An einem Ort zu sein, an dem noch nicht so viele andere Mensch waren oder kein anderer Mensch gewesen ist, finde ich faszinierend. Und aus wissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage: Wie ist die Erde entstanden? Hat es dort jemals Leben gegeben? Wir können vom Mars ganz viel über die Entstehungsgeschichte der Erde lernen.

Wie verändert sich der Blick, wenn man vom Mars oder einem anderen Planeten auf die Welt schaut?
In der Geophysik beschäftigt man sich viel mit Naturkatastrophen. Für uns Geophysiker ist die Frage nicht so sehr ob die nächste größere Katastrophe passiert, sondern wann. Ganz gleich, ob das jetzt ein Asteroideneinschlag, ein Super-Vulkanausbruch oder ein Megabeben ist. Wir Menschen neigen dazu, innerhalb unserer Generation zu denken. Wir haben keinen Super-Vulkanausbruch erlebt, also wird so etwas nicht allzu oft passieren. Wenn ich aber in die Geologie schaue und mir die Sedimentablagerungen ansehe und entdecke mehrere dicke Aschablagerungen, weil vor langer Zeit in 100 Kilometer Entfernung ein Vulkan ausgebrochen ist, dann kann ich mir gut vorstellen, dass es noch mal einen Super-Vulkanausbruch geben wird. Es ist nur die Frage, wann das sein wird und ob wir das erleben. Im Prinzip ist es mit Pandemien auf der Erde das Gleiche. Das hat zwar mit Geophysik nichts zu tun, aber größere Epidemien hat es schon immer gegeben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine Pandemie kommen würde.

Wie haben Sie die Coronakrise mit ihrem Wissen als Geophysikerin und den Erfahrungen in der Isolation erlebt?
Auch für mich ist das natürlich etwas Neues. Die Isolation oder die Quarantänemaßnahmen durch Social Distancing funktionieren für eine gewisse Zeit, aber was sind die Nebeneffekte? Für uns war die Isolation ein Experiment und wir haben uns darauf eingelassen. Das Social Distancing in den Alltag zu integrieren, ist eine ganz andere Herausforderung. Ich finde es zum Beispiel schwierig, mit Menschen zu kommunizieren, die eine Maske tragen. Man sieht nur das halbe Gesicht, viele Gesichtsausdrücke gehen verloren, weil man sie unter der Maske nicht sieht. Wenn man das ein oder zweimal macht, ist das nicht dramatisch, aber über einen längeren Zeitraum verändert sich die Kommunikation. Es verändert sich auch das Zwischenmenschliche und das hat langfristig auch Auswirkungen auf einen selbst.

Glauben Sie, dass COVID-19 unser Leben verändert?
Das ist die Frage. Als der Lockdown verkündet wurde, war ich dafür. Wenn man die Ausbreitung der Krankheit verhindern möchte, dann darf man sich schlicht nicht mehr in großen Mengen treffen. Auf der anderen Seite hat sich für viele von uns durch die Maßnahmen das Alltagsleben stark geändert. Die langfristigen Auswirkungen und mögliche Kollateralschäden können wir im Moment noch gar nicht richtig abschätzen. Ich hoffe, dass wir irgendwann einen guten Überblick über die Auswirkungen haben werden und beim nächsten Mal – wenn er denn auftritt – besser reagieren können.

Durch die Reiseeinschränkungen werden uns andere Länder und Menschen immer fremder. Viele sagen, da sind die bösen Amerikaner und dort die miesen Chinesen. Aber wenn man in die Länder reist, dann merkt man, dass die Menschen ganz anders sind.
Durchaus. Ich befürchte, dass sich dieses Wir-in-der-Heimat gegen Die-da-draußen durch die Reisebeschränkungen in der Pandemie noch verstärken wird.

Wie realistisch ist eigentlich ein Flug zum Mars. Kann es in drei Jahren losgehen oder ist es ein Projekt für Jahrzehnte oder eher Jahrhunderte?
Die Größenordnung ist Jahrzehnte. Die meisten Technologien, die man dafür braucht, gibt es in irgendeiner Form bereits. Und die, die uns noch fehlen, sind in der Kategorie „Wir wissen was wir machen müssen, aber es muss getestet werden, ob alles so funktioniert“. Ein großes Thema ist das Wasser. Man könnte den gesamten Vorrat für eine zweieinhalbjährige Mission mitnehmen. Doch es ist wahnsinnig viel und unglaublich teuer. Ein Kilogramm in Richtung Mars kostet bis zu 50 000 Euro. Man könnte stattdessen ein schweres Wasseraufbereitungssystem mitnehmen, mit dem eine geringere Menge Wasser immer wieder aufbereitet werden kann. Oder man baut eine Anlage, mit der man Wasser vor Ort gewinnen kann. An solchen Sachen wird geforscht, um eine Mars-Mission günstiger und realistischer zu machen. Das Problem ist nicht die Technik, sondern eher politischer und finanzieller Natur. Aus technischer Sicht wäre eine Station auf dem Mond in fünf bis zehn Jahren machbar, der Mars könnte 10 bis 20 Jahre später folgen.

Wofür braucht man ein teures Habitat auf dem Mars? Ist es nicht effizienter, man gibt das Geld für Gesundheits- oder Klimaforschung auf der Erde aus?
Viele haben die Vorstellung, dass das Geld für die Raumfahrt im Orbit verschwindet. Aber tatsächlich ist es so, dass das, was in die Raumfahrt gesteckt wird, zum einen ganz real auf der Erde Arbeitsplätze finanziert und zum anderen viele Entwicklungen hervorbringt, die auch hier auf der Erde gebraucht werden. Zum Beispiel Wasserwiederaufbereitung, Energieversorgung, Energiespeicherung und Kommunikationstechnik. Das sind alles Dinge, die wir auf der Erde auch benötigen. Es ist nicht so, dass wir für den Mars irgendetwas entwickeln, das dann keiner mehr gebrauchen kann. Viele Inspirationen vom Mars können der Erde auch zugutekommen. Manchmal ist es ja nicht einmal so, dass etwas ausschließlich für den Mars entwickelt wird, sondern dass der Mars nur die Inspiration ist. Natürlich kann die Raumfahrt nicht alle Probleme der Erde lösen, aber sie kann dafür sorgen, dass Probleme schneller gelöst werden, vielleicht mit einem neuen Blickwinkel. Und umgekehrt kann sie Entwicklungen antreiben, von denen man heute noch gar nicht weiß, dass sie nützlich wären.

Wir haben Perry Rodan gelesen und Star Wars gesehen. Für normale Menschen ist eine Mars-Mission Science Fiction. Können Sie sich als Wissenschaftlerin ernsthaft vorstellen, dass Menschen auf einem anderen Planeten leben können?
Ich lese gern Andreas Eschbach, der beschäftigt sich auch mit dem Thema. Seine Geschichten führen uns sehr weit in die Zukunft, und er geht davon aus, dass Menschen über mehrere Galaxien verteilt sind. Es gibt Leute, die sagen heute: Zum Mars fliegen geht nicht. Manche sagen, es geht, ist aber schwierig und nicht ganz ungefährlich. Ich denke, dass es in 100 oder 200 Jahren vollkommen normal ist, zum Mars zu fliegen.

Welche Planeten könnten dann noch im galaktischen Reisekatalog stehen?
Man könnte über Merkur und Venus nachdenken. Venus ist schwierig, weil die Atmosphäre extrem säurehaltig und es extrem heiß ist. Spannend wäre noch die andere Richtung zu den Jupitermonden. Der Jupiter ist ein Gasplanet. Man kann dort nicht landen, weil es keine feste Oberfläche gibt. Aber einige Jupitermonde, wie zum Beispiel Europa, wären interessant.

Was macht die Erforschung des Weltraums für Sie so spannend?
Zum einen, dass man den anderen Blick auf die Erde bekommt und sieht, was wirklich wichtig ist. Gerade beim Thema Klimaforschung und dem Schutz unserer dünnen Atmosphäre. Zum anderen natürlich auch die technische Herausforderung.

Wer ist besser für die Raumfahrt geeignet – Männer oder Frauen?
Frauen natürlich (lacht). Nein. Es gab tatsächlich Argumente, dass für Flüge zum Mond und Mars Frauen besser geeignet seien, weil sie weniger Essen benötigten. Frauen würden tendenziell weniger essen, wären kleiner und leichter. Deshalb müsse auch weniger Masse transportiert werden. Das ist aber sehr einseitig. Aus gruppenpsychologischer Sicht ist es jedenfalls so, dass gemischte Teams am stabilsten und effektivsten sind. So wie in jedem Unternehmen auf der Erde auch.

CHRISTIANE HEINICKE, 35, aus Bitterfeld, studierte in Ilmenau und Uppsala Physik. Sie forschte in Finnland über Meereis. Ab Sommer 2015 lebte sie ein Jahr lang in einem von der NASA finanzierten Forschungsprojekt: Sechs Wissenschaftler, drei Frauen und drei Männer, simulierten auf Hawaii in einer „Weltraumstation“ das Leben auf dem Mars. Über ihre Erlebnisse schrieb sie ein Buch. Danach entwickelte die Geophysikerin vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen ein Habitat als Wohn- und Arbeitsraum für den Einsatz außerhalb der Erde.

 

Gespräch: Achim Schneider, Andreas Eckhoff Fotos: Ivo von Renner