Sie ist seit mehr als 50 Jahren Schauspielerin. Ihr neuer Film „Fack ju Göhte 3“ schoss in diesem Jahr an die Spitze der Charts. Im Interview spricht USCHI GLAS über hippe Rollen, Belästigungen im Job und wie glücklich sie das Engagement für Schulkinder macht.
club!: Frau Glas, Ihr neuer Kinofilm „Fack ju Göhte 3“ ist auf Platz eins der Kinocharts. Sind Sie überrascht darüber?
Uschi Glas: Das ist unglaublich. Ich habe es mir gewünscht, vor allem für Bora Dagtekin, den ich für einen hervorragenden Regisseur und für einen tollen Drehbuchautor halte. Er kann wunderbar Emotionen in seine Filme einbauen. Es gibt nicht nur Action oder freche oder banale Szenen, sondern der Film fasst dich irgendwo an und man ist berührt. Und er hat eine Aussage. Als ich die Preview des dritten Teils sah, hat mich der Film wirklich mitgenommen, obwohl ich das Buch und die Szenen kenne. Dass die Story am Ende gut ausgeht und diese jungen, vermeintlich gescheiterten Kinder, die aus ihren Umständen heraus chancenlos sind, eine Chance bekommen, das ist es doch, wovon wir alle ein bisschen träumen.
Sie sind seit dem ersten Teil dabei. Erinnern Sie sich, wie Sie an die Rolle gekommen sind?
Bora war als Kind ein großer Fan meiner „Lümmel-Filme“. Er kannte sie auswendig und hat zu seinen Eltern gesagt, dass er, wenn er groß ist, solch einen Schulfilm machen wird. Als er „Fack ju Göhte“ geplant hat, wollte er die Rolle der Lehrerin Ingrid Leimbach-Knorr gern mit mir besetzen. Seine Produzentin sagte: Das kannst du vergessen, das macht sie nie im Leben. Dann hat die Produzentin meine private Telefonnummer herausbekommen und mich angerufen. Der Name Bora Dagtekin sagte mir etwas, weil ich „Türkisch für Anfänger“ gesehen hatte und ich mir damals dachte: Das ist ein begabter Junge.
Aus welchem Grund?
Bei Komödie denken viele, ach ja, das ist so ein bisschen Boulevard. Aber man muss es erst einmal schaffen, die Leute zum Lachen zu bringen. Da ist er mir aufgefallen. Ich habe dann direkt mit ihm gesprochen. Er sagte, er würde sich wünschen, dass ich, die ehemalige Schülerin, jetzt als Lehrerin zurückkomme, die genervt und etwas durchgeknallt ist. Ich sagte, ich habe kein Problem, eine kleine Rolle zu spielen, aber ich brauche etwas zum Spielen und muss etwas erzählen können. Ich habe das Drehbuch gelesen und wir haben noch ein bisschen daran gearbeitet, um die Kurve ein wenig besser zu kriegen. Dann habe ich gesagt, dass ich es mache.
Nicht schlecht, wenn man nach 50 Jahren im Film immer noch hip ist, oder?
Es ist witzig, in einem so angesagten Film dabei zu sein. Was mich vor allem überrascht hat, ist, dass mich die Kinder und Jugendlichen, die mich normalerweise nicht kennen, weil sie kein Fernsehen schauen oder auch die alten Spielfilme mit Apanatschi nicht gesehen haben, jetzt erkennen. Wenn ich die Schulen besuche, rufen die Kinder: Boah, das ist ja die Leimbach-Knorr. Das ist wirklich lustig. Natürlich fahren die hauptsächlich auf Elyas M’Barek und Katja Riemann ab, die eine herrliche Direktorin spielt. Trotzdem bin ich sehr erstaunt, dass meine Rolle so wahrgenommen wird.
Hannelore Hoger hat im club!-Magazin gesagt, dass es schwierig ist, ab einem gewissen Alter gute Rollen angeboten zu bekommen?
Das ist absolut richtig. Ich habe einige Projekte, die aber nicht in Gang kommen. Ich denke, dass sich Männer leichter tun, weil der Mann – und das war schon immer so – im Alter als attraktiver wahrgenommen wird. Die Fernsehmacher finden grauhaarige Männer cooler, ihr Sexappeal nimmt im Alter auch nicht ab.
Ist die Rolle der frustrierten Lehrerin Leimbach-Knorr für Sie eine gute Rolle?
Ja. Für mich ist es vor allem eine ganz andere Rolle, weil ich stets Gewinnerinnen gespielt habe. Positive, kräftige Frauen, die anpacken, im Leben stehen und es allen zeigen wollen. Bei der Leimbach- Knorr ist es so, dass die schon morgens, wenn sie aufsteht, Beklemmungen hat, in die Schule zu gehen. Das ist eigentlich total „against me“. Aber ich kann es nachvollziehen. Ich war ja auch mal Schülerin und kann mich gut an Lehrkräfte erinnern, die schwach waren. Ich finde es gut, solch eine Rolle zu spielen.
In „Fack ju Göhte“ geht es auch um Mobbing in der Schule. Sind Sie als Kind gehänselt worden?
Nicht in der Schule, da habe ich mich schon durchgesetzt. Aber als ich kleiner war, habe ich sehr darunter gelitten, dass die anderen mich als Negerlein ausgelacht haben. Ich hatte einen dunklen Teint und schwarze Locken und irgendwann hat sich ein anderes Kind ausgedacht, dass ich ein Negerlein bin und zudem auch noch evangelisch. Das kann man sich heute nicht vorstellen, aber damals war man ein Exot, wenn man evangelisch war. Mein Vater kam aus Franken, meine Mutter aus Schwaben und wir waren evangelisch. Wir galten als Fremde, und das habe ich natürlich mitbekommen. Ich habe angefangen, mich zu wehren, habe einen sehr starken Willen und lasse nichts auf sich beruhen. Irgendwann hat es mir gereicht, da habe ich mich auch mal geprügelt.
Zur Wehr setzen ist gerade das große Thema unter Schauspielern. Der Fall des Produzenten Harvey Weinstein hat eine Diskussion ins Rollen gebracht. Immer mehr Kolleginnen melden sich zu Wort, weil sie sexuell belästigt wurden. Haben Sie gedacht, dass das solch ein Ausmaß annimmt?
Nein, damit habe ich nicht gerechnet. Ich verstehe nicht, wenn es so massiv war, dass sich das so viele Frauen gefallen lassen oder es hingenommen haben. Das wundert mich schon. Dass es die eine oder andere Frau mitmacht, wenn es ohne Gewalt abläuft, ist zwar auch nicht okay, aber das kann ich mir vorstellen. Aber wenn Gewalt im Spiel ist, muss man es anzeigen.
Sexismus gibt es nicht nur in Hollywood, sondern auch in Deutschland. Sie haben in einer Talkshow erzählt, dass Sie im Job sexuell belästigt wurden. Was ist Ihnen passiert?
Ein Kollege, mit dem ich am Set war, sagte, er sei neu und kenne sich nicht so gut aus. Es gab eine Kussszene und er fragte mich, wie das laufen würde. Ich habe ihm gesagt, dass wir nicht privat unterwegs sind. Wir machen einen Filmkuss, okay? Für mich war alles besprochen. Aber er hat wohl gedacht, die Gelegenheit sei günstig und wollte einen Zungenkuss machen. Ich habe die Szene sofort abgebrochen und ihn vor der ganzen Mannschaft bloßgestellt.
Ist das häufiger passiert?
Nein. Ich glaube, es spricht sich schnell herum, wenn sich jemand wehrt. Zu mir hat einmal ein Regisseur bei einer Vorbesprechung gesagt: Ich muss Dich erst brechen, bevor Du mit mir arbeitest! Ich lasse mich nicht brechen, habe ich ihm geantwortet. Es ist eine Unverschämtheit. Wenn ich nur für die Rolle gut bin, wenn meine Persönlichkeit, mein Ich, gebrochen wird, dann verzichte ich darauf. Ich liebe meinen Beruf, aber ich lasse mich nicht brechen.
Warum haben sich Ihre Kolleginnen nicht getraut, die Belästigungen öffentlich zu machen?
Vielleicht, weil es zu lange her ist. Vielleicht wollten sie sich auch nicht hinstellen und alles in die Öffentlichkeit tragen. Mit jungen Kolleginnen führe ich keine Gespräche über das Thema, weil ich sie nicht gut genug kenne. Die würden ihr Herz auch nicht ausschütten. Aber aus der Zeit, als meine Kolleginnen und ich jung waren, kenne ich genügend Beispiele. Wir haben immer wieder darüber diskutiert, aber sie hatten Angst, etwas zu sagen. Man darf nicht vergessen, dass der Regisseur einen guten Stand hat und die Produktion dann lieber eine Schauspielerin, die Ärger macht, nicht engagiert.
Wäre es Ihnen egal, wenn Sie eine Rolle aus diesem Grund nicht bekommen?
Absolut. Ich finde es, ehrlich gesagt, widerlich. Stellen Sie sich vor, man erlebt die Gewalt oder man überlegt sich, dem zuzustimmen, damit man den Beruf ausüben kann. Das wäre furchtbar und würde mich anekeln. Dann kriegt man die eine oder andere Rolle eben nicht.
Glauben Sie, dass sich jetzt etwas zum Positiven für die Frauen verändern wird?
Das ist nicht nur ein Problem in der Filmwelt. Das gibt es überall. Aber ich denke schon, dass Männer, die es etwas lässig nehmen, sich überlegen, ob sie es tun sollen oder nicht. Ein Klaps auf den Po ist schnell passiert. Leider wird dieses Thema viel zu sehr bagatellisiert.
Wo haben Sie sich am wohlsten gefühlt – in Kinofilmen, im Fernsehen oder auf der Theaterbühne?
Die Königsklasse ist für mich auf der einen Seite der Spielfilm und auf der anderen Seite das Theater. Es sind nicht zwei verschiedene Berufe, aber sie sind unterschiedlich anzulegen. Wenn ich Filme mache und ein Close-up habe, muss ich eine Reaktion zeigen. Ich muss ganz reduzieren und mich anders bewegen. Beim Theaterspielen muss ich den Bogen im Kopf haben. Ich spiele die Einleitung, dann kommt der Höhepunkt und dann geht es zum Ende. Da muss ich die Menschen zwei Stunden unter Spannung halten. Das Schöne beim Theater ist, dass man es selbst in der Hand hat, wie man das Publikum bekommt. Beim Film spielt man mit der Technik, das ist aufregend. Auch beim Drehen muss man eine Spannung erzeugen, man kann sie aber nur selber spüren bzw. der Regisseur oder der Kameramann. Wenn es gut war, sagen sie: Bingo, das war’s. Und man hört lange nichts mehr davon. Nach Monaten sieht man den Film endlich und entweder er wird erfolgreich oder nicht.
Spielen Sie noch Theater?
Ich habe vor sieben Jahren zuletzt auf der Bühne gestanden. Das hängt zum einen damit zusammen, dass ich viele Verpflichtungen und wenig Zeit habe. Zum anderen war bei den angebotenen Stücken keines dabei, das mich von den Socken gehauen hat. Außerdem ist es so: Wenn ich spiele, dann am privaten Theater. Das bedeutet, dass ich jeden Tag auf der Bühne bin, vielleicht am Montag frei habe. Ich muss die Rolle lernen. Das kann ich machen, wenn ich für brot- Zeit unterwegs bin. Dann habe ich sechs Wochen Probe und spiele ein paar Monate am Stück. Da kann ich weder nach Hamburg, Berlin, Leipzig oder Dresden fahren. Ich würde zu lange für brotZeit ausfallen. Das ist ein Grund, weshalb ich es im Moment nicht mache.
Haben Sie auch auf Hamburger Bühnen gespielt?
Ich war oft auf Tournee und habe auch auf vielen Hamburger Bühnen gespielt. Das waren aber eher kleinere Theater.
Hamburg gilt als Theaterhauptstadt Deutschlands. Hat die Stadt eine besondere Anziehungskraft für Schauspieler?
Hamburg ist eine sehr schöne Stadt. Ich habe hier einiges gedreht mit „Zwei Münchner in Hamburg“. Da habe ich die Stadt lieb gewonnen.
Haben Sie sich vorstellen können, dass der Verein brotZeit so große Beachtung erfährt?
Wenn jemand gesagt hätte, Uschi, wenn du damit anfängst, musst du 80 Prozent deiner Kraft in das Projekt investieren – überleg dir das. Dem hätte ich geantwortet: Das schaffe ich nicht. Aber man rutscht da so rein. Der Radiobericht war wie eine Schneeflocke und die ist zu einem Schneeball geworden. Und aus dem Schneeball ist eine Lawine geworden. Und jetzt sind wir mitten in der Lawine und kommen nicht mehr raus. Es kostet zwar Kraft und Energie, aber wenn ich sehe, was das mit den Kindern macht und dass langsam auch die Politik aufwacht und die Kommunen sagen, wir müssen etwas ändern, dann muss ich sagen, dass sich viel getan hat. Wir sind aber längst noch nicht da, wo wir sein wollen. Bis heute decken wir zehn Prozent aller Brennpunktschulen in Deutschland ab. Unser Ziel ist, dass wir alle Brennpunktschulen erreichen. In Kürze werden wir in Hamburg das erste Ziel erreicht haben.
Auf die Idee mit brotZeit sind Sie gekommen, nachdem Sie im Auto einen Bericht gehört haben, wonach es in München zwischen 3000 und 5000 massiv hungernde Grundschulkinder gibt. Was haben Sie in dem Moment empfunden?
Das hat mich mitten ins Herz getroffen. Das hat mich so aufgewühlt, dass ich – es hört sich kitschig an, aber es war so – geheult habe. Ich habe das nicht geglaubt. Ich bin nach Hause gefahren und habe das meinem Mann erzählt. Wir haben dann gemeinsam recherchiert und es hat sich herausgestellt, dass es stimmt.
Sie haben gesagt, dass es für Sie ein Schicksalstag war.
Mein Leben hat sich total verändert, weil ich viel Zeit mit dem Verein verbringe und in Städte reise, mit Politikern, Schulleitern, Kindern oder Spendern über brotZeit rede. Wenn ich das nicht täte, dann würde ich viel mehr Energie in meinen Beruf investieren.
Spüren Sie eine neue Verantwortung in Ihrem Leben?
Ich empfinde eine große Verantwortung. Wir sind so tief drin, dass wir nicht mehr sagen können, es geht uns nichts an. Wenn man die Erfolge sieht, wie die Kinder ihr Sozialverhalten ändern, ihre Leistungen besser werden – dann kann man es nicht mehr hinschmeißen.
Der Verein versorgt Kinder mit Frühstück in der Schule. Aber das ist nicht alles. Die Senioren und Seniorinnen kümmern sich nach dem Unterricht auch um die Schüler. Wie sind Sie auf die Idee mit den Ehrenamtlichen gekommen?
Wir wussten nicht, wer das Frühstück morgens machen sollte. Studenten nicht, Eltern auch nicht. Dann kamen wir auf die Idee mit den Senioren und Seniorinnen. Ein Glücksfall. Es gab noch nie so viele junge Alte wie heute. Sie sind fit und wollen ihren Beitrag in der Gesellschaft leisten. Zuerst haben wir selbst versucht, engagierte Menschen zu finden. Doch wir haben gemerkt, dass das nicht funktioniert. Dann habe ich zufällig den Vorstand der Zeitarbeitsfirma Adecco bei einer TV-Talkshow getroffen und er hat sofort seine Hilfe angeboten. Mittlerweile ist in jeder Stadt, in der wir Schulen unterstützen, eine eigene Mitarbeiterin des Unternehmens, das heute DIS AG heißt, abgestellt, die nur für brotZeit Senioren sucht.
Die Senioren verspüren so etwas wie: gebraucht zu werden. Und die Schüler? Wie reagieren sie auf die „Alten“?
Die Kinder sind sehr dankbar und beten ihre Senioren an. Die sind für sie wie Oma und Opa. Wenn sie morgens in die Schule kommen, ist alles gedeckt, es duftet nach heißem Kakao und sie werden herzlich begrüßt. Als wir Schulen in Neukölln unterstützen wollten, war der damalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky skeptisch. Er sagte nur: Das mit den Senioren können Sie vergessen. Inzwischen sind wir in acht Schulen in Neukölln aktiv. Er hat sie besucht und die Schulleiter haben ihm berichtet, dass der Ton der Schüler sich geändert hat und sie höflicher geworden sind.
Was bedeutet die ehrenamtliche Arbeit für die Senioren?
Es ist schon eine tolle Sache, dass unsere Senioren jeden Tag, ob es stürmt oder schneit, pünktlich um 6.30 Uhr in der Schule sind, um das Frühstück zuzubereiten. Für die Arbeit bekommen sie eine finanzielle Aufwandsentschädigung von uns. Außerdem gibt es in jeder Stadt einmal im Jahr ein Dankeschön-Essen. Da spreche ich mit den Senioren. Sie sagen, dass sie die ehrenamtliche Arbeit sowieso gern machen, aber sie machen es auch, weil sie das Geld gebrauchen können. Sie erzählen, dass es ihnen besser geht, weil sie gebraucht werden. Es ist noch kein Tag an irgendeiner Schule das Frühstück ausgefallen. Das haben wir nur unseren Senioren zu verdanken. Immerhin haben wir bis heute rund sechs Millionen Frühstücke ausgegeben.
Was empfinden Sie heute, wenn Sie an eine Schule kommen, in der Ihr Verein die Kids unterstützt?
Wenn die Kinder in den Raum kommen und alles schön aufgebaut ist und ihre Augen strahlen, dann empfinde ich ein großes Glücksgefühl.
USCHI GLAS 73, wurde in Landau an der Isar geboren. Bereits in den 60er Jahren stieg sie zum erfolgreichen Leinwandstar auf. 1969 gab sie ihre Theaterpremiere in Düsseldorf. Große Erfolge feierte sie in TV-Serien wie „Zwei Münchner in Hamburg“, „Anna Maria – eine Frau geht ihren Weg“ sowie „Sylvia – eine Klasse für sich“. Seit 2008 engagiert sich die dreifache Mutter für benachteiligte Kinder in Schulen. Mit ihrem Ehemann Dieter Hermann gründete sie den Verein brotZeit, der Kinder in Brennpunktschulen mit Frühstück versorgt.