Sie ist verantwortlich für 2200 Mitarbeiter und das mehr als 11 000 Kilometer lange Wassernetz der Stadt. Geschäftsführerin Nathalie Leroy von Hamburg Wasser über moderne Versorgungswege, Unternehmenskultur und starke Frauen.

Frau Leroy, Sie waren kaufmännische Leiterin bei den Babelsberger Filmstudios. Warum haben Sie die Kreativszene verlassen, um für einen Wasserversorger zu arbeiten?
Nathalie Leroy: Das Studio Babelsberg in Potsdam gehörte zum französisch- amerikanischen Konzern Vivendi. Zu dem gehörte auch die Wassersparte Deutschland, und damit hatte Vivendi eine Beteiligung an den Berliner Wasserbetrieben. Ich bin also zur Wassersparte gewechselt. Die Filmbranche klingt nach einem spannenden Geschäft. Für eine Kauffrau ist es jedoch eine Sache, die man schnell überblickt. Es ist immer die gleiche Projektarbeit. Bei der Wasserversorgung hat es mir gleich gefallen, denn alles läuft sehr langfristig. Entscheidend ist, die Systeme gut zu planen und gut zu erhalten, damit man sowohl technisch als auch kaufmännisch für die nächsten Jahrzehnte gut aufgestellt ist. Das ist für mich viel spannender.

Ein Job in der Wasserwirtschaft – das klingt nicht wirklich sexy.
Ich glaube, es findet ein Wandel statt. Das klassische Bild von „Wasserwirtschaft ist nicht so sexy“ ändert sich, weil wir mit unseren Themen der Daseinsvorsorge und des Umweltschutzes genau die Zielgruppe der jüngeren Generation ansprechen. Die jungen Leute sind auf der Suche nach dem Sinn in der Arbeit, die sie machen, und was ergibt mehr Sinn als die Versorgung der Bevölkerung mit dem wichtigsten Lebensmittel in einer entsprechenden Qualität? Wir merken, dass das etwas ist, was die jüngere Generation anspricht. Sinnstiftendes Arbeiten ist ein wichtiger Aspekt für die zukünftigen Beschäftigten. Damit verbunden ist das Thema Nachhaltigkeit. Auch ein Thema, das die jungen Menschen aus meiner Sicht zum Glück zunehmend beschäftigt.

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für die Wasserversorgung in einer Metropole wie Hamburg?
Es sind unterschiedliche Herausforderungen. Auf der einen Seite ist das Trinkwasser, auf der anderen Seite das Abwasser. Ein wesentliches Thema ist die Qualität des Trinkwassers. Das ist auch eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft, denn diese Ressource muss geschützt werden. Das zweite wichtige Thema bei der Trinkwasserversorgung ist das Wachstum der Stadt. Die zunehmende Einwohnerzahl in der Stadt führt zu einem steigenden Wasserversorgungsbedarf. Parallel dazu sorgt der Klimawandel für erheblich trockenere Sommermonate – wie zum Beispiel 2018. Das heißt, dass wir neben dem gesamten zusätzlichen Bedarf an Trinkwasser durch die zunehmende Bevölkerung einen gesteigerten Gesamtbedarf bei Spitzenzeiten haben.

Und wie ist Hamburg Wasser bei der Abwasserentsorgung aufgestellt?
Da beschäftigen uns vor allem die Starkregenereignisse, die durch den Klimawandel hervorgerufen werden. Gemeint ist, wenn enorme Wassermengen auf einen Schlag auf die Stadt herunterstürzen. Die Siele können zwar eine bestimmte Menge Wasser aufnehmen, aber wenn die Regengüsse zu stark und zu häufig in kurzen Abständen sind, dann wird es problematisch. Wir haben jedoch in den letzten Jahren große Investitionen getätigt, um die Kapazitäten unserer Siele stark zu erweitern.

Ist die City jetzt sicher vor überlaufenden Sielen?
Wir haben sogenannte Sielautobahnen gebaut, die unter der normalen Kanalisation verlaufen und mit deren Hilfe das Wasser bei Starkregen erheblich schneller abfließen kann. Das entlastet die Stadt. Dennoch sind wir der Meinung, dass wir dieses Problem nicht alleine lösen können. Es muss in der Gesellschaft darüber nachgedacht werden, wie man dafür Sorge tragen kann, dass das Regenwasser nicht automatisch in unseren Sielen landet, sondern direkt versickern oder auch woanders hinfließen kann.

Wie umfangreich ist das Sielnetz der Stadt?
Es gibt rund 11 000 Kilometer Leitungen, 5500 für Trinkwasser und 5600 für Abwasser. Damit Sie eine Größenordnung haben: 11 000 Kilometer entspricht der Distanz zwischen Hamburg und Buenos Aires. Das ist beachtlich, und es ist eine große Aufgabe, das Leitungsnetz instand zu halten. Die älteste Leitung besteht seit über 150 Jahren, aber das Trinkwassernetz ist dennoch ein relativ junges Netz, im Durchschnitt 41 Jahre alt. Damit sind wir gut aufgestellt. Wir haben Verluste durch das Rohrnetz im Schnitt von 4 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 6,5 Prozent.

Sie sind als Geschäftsführerin zuständig für den kaufmännischen Bereich. Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe?
Für mich als Geschäftsführerin ist die wichtigste Aufgabe, das Unternehmen strategisch weiterzuentwickeln. Ich muss ein Team zusammensetzen, das in der Lage ist, unser Unternehmen in die richtige Richtung zu entwickeln. Ich bin der Meinung, eine Geschäftsführung ist mitnichten ausreichend, um das Unternehmen in die richtigen Bahnen zu lenken. Wichtig sind die richtigen Führungskräfte an den richtigen Stellen mit den richtigen Kompetenzen, die auch als Team miteinander agieren und sich ergänzen.

Wie sieht Ihre Strategie für die Zukunft des Unternehmens aus?
Für uns sind die wichtigen Themen der Zukunft der Klimawandel und die Digitalisierung. Eine weitere Herausforderung für das Unternehmen ist, verbunden mit dem demografischen Wandel, eine starke Veränderung der Belegschaft. Bis 2030 werden uns knapp 1000 Mitarbeiter verlassen. Das sind ca. 40 % der Mitarbeiter, die derzeit bei uns beschäftigt sind. Das bedeutet eine große Veränderung für das Unternehmen und für seine Kultur. Wir müssen das vernünftig begleiten, damit die älteren Kollegen nicht verloren gehen und gleichzeitig die jüngeren gut ankommen.

Eine berufliche Karriere ist bei jungen Mitarbeitern heute nicht zwingend im Fokus. Work-Life- Balance ist das Stichwort. Wie kann man Arbeitsplätze und -modelle so interessant und attraktiv gestalten, dass man gute und engagierte Mitarbeiter gewinnt?
Es gibt heute schon eine große Vielfalt an Möglichkeiten. Wir bieten zum Beispiel familienfreundliche Arbeitsplätze mit der Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten. Bei uns arbeiten explizit auch Führungskräfte in Teilzeit – nicht wenige sogar. Viele Männer machen auch Elternzeit, zum Teil mehr als nur die zwei Monate, die üblich sind. Arbeiten im Homeoffice gehört auch dazu. Es ist eine große Palette an Angeboten. Wir haben im letzten Jahr sogar für unseren größten Bereich, den Bereich Netze mit über 600 Mitarbeitern, eine geteilte Leitung eingeführt. Dort teilen sich nun eine Frau und ein Mann die Führungsposition und können dadurch Beruf und Familie besser miteinander in Einklang bringen. Das funktioniert sehr gut.

Die Unternehmenskultur ist ein wichtiges Thema bei der Jobauswahl, und sie scheint Ihnen besonders am Herzen zu liegen.
Es liegt mir tatsächlich sehr am Herzen. Das beginnt mit der Führungskultur. Ich fühle mich dafür zuständig, das richtige Team aufzustellen, und das müssen alle anderen Führungskräfte auf ihrer Ebene genauso tun. Das ist wichtig, damit wir alle ein gemeinsames Verständnis dafür entwickeln, was unsere Unternehmenskultur ist, nach welchen Werten wir uns ausrichten und wie wir zukünftig für die jüngeren Mitarbeiter attraktiv sein wollen. Deshalb ist es wichtig, sich von einem veralteten Führungsmuster (der Chef sagt, wo es langgeht) zu verabschieden und stattdessen zu einer Arbeitsweise zu kommen, bei der man die Mitarbeiter einbinden kann. Erstens fordert das die junge Generation. Zweitens ist es gut, wenn man die Mitarbeiter Dinge machen lässt oder sie fragt, wie man ihre Arbeit besser gestalten kann. Man muss sie ernst nehmen und mit ihnen reden. Das ist mir sehr wichtig, weil wir mit einer kontinuierlichen Anpassung dieser Führungskultur für das Unternehmen ein großes Potenzial freisetzen können.

Hamburg Wasser sieht sich wie eine große Familie: familiär, zukunftsorientiert, verantwortungsbewusst. Sind das die wesentlichen Aspekte eines mitarbeiterfreundlichen Unternehmens?
Ja, das spielt eine große Rolle. Die Mitarbeiter von Hamburg Wasser fühlen sich tatsächlich wie in einer großen Familie. Nur sehr wenige verlassen uns. Das zeigt, dass sie sich wohlfühlen, und es beweist gleichzeitig eine Treue zum Unternehmen, zu seinen Werten, zur Sinnhaftigkeit der Aufgaben. Genau diese Kultur zu erhalten ist mein Ziel. Vor allem, weil in Zukunft die Gefahr besteht, dass uns doch Mitarbeiter verlassen und die Fluktuation wegen des Fachkräftemangels zunehmen wird. Die Unternehmenskultur ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Faktor für unseren Erfolg.

Umweltsenator Jens Kerstan hat mit Stolz betont, dass mit Ihnen erstmals in einer deutschen Metropole eine Frau an die Spitze eines öffentlichen Wasser- und Abwasserunternehmens gerückt ist. Ist die Position für Sie etwas Besonderes?
Ich habe schon das Gefühl, dass ich heute an der richtigen Stelle bin. Mir macht die Aufgabe großen Spaß. Aber es ist immer ein Zwiespalt, in solch einer Position zu arbeiten. Natürlich bin ich stolz darauf, die erste Frau als Geschäftsführerin bei Hamburg Wasser zu sein. Gleichzeitig schwebt immer der Gedanke mit, als Quotenfrau abgestempelt zu werden. Das ist wenig schmeichelhaft. Beides gehört aber dazu. Die Diskussion, dass Frauen in Führungspositionen kommen, hat in der Gesellschaft stark zugenommen. Wir sind mehr in den Fokus gerückt, und gleichzeitig wünscht sich jede Frau, dass sie eine Wertschätzung erhält, wenn sie gute Arbeit leistet. Ich bin schon über diesen Punkt hinweg, denn ich wäre nicht so lange in entsprechender Position, wenn ich nicht das abgeliefert hätte, was man von mir erwartet.

In Ihrem Heimatland ist die intensive Vorbereitung auf Führungsaufgaben ein wichtiger Teil des Studiums. Haben Sie die Karriere als Führungskraft schon früh geplant?
Ja, schon. Ich bin Kauffrau, aber durch mein Studium in Frankreich wurde ich vor allem auf Führungsaufgaben vorbereitet. Der Fokus lag auch mehr darauf als auf den klassischen Fächern des Wirtschaftsstudiums. Ich habe die Karriere als Führungskraft tatsächlich angestrebt. Gerade am Anfang meiner beruflichen Laufbahn musste ich mich behaupten, aber das war eher ein Ansporn. Gerade weil ich es als Französin selbstverständlich fand, dass man Kinder haben und erfolgreich arbeiten kann. Das war zu der Zeit, als ich Kinder bekam, in Deutschland noch völlig exotisch. Da hieß es, entweder man ist für die Kinder da oder man macht Karriere. Beides ging nicht.

Kommen Frauen in Frankreich leichter in Führungspositionen als in Deutschland?
Es ist normaler für Frauen, in Führungspositionen zu kommen, weil es seit langer Zeit in Frankreich eine Tradition in der Kinderbetreuung gibt. Was in Deutschland heute zunimmt, früher aber nicht so ausgeprägt war. Deswegen ist es für französische Frauen völlig normal, dass sie, wenn sie Kinder haben, auch arbeiten. Und es ist für sie ebenfalls normal, in Führungspositionen zu arbeiten. Es gab niemals so eine starke Abgrenzung wie in Deutschland. Aber natürlich gibt es in Frankreich auch deutlich mehr Männer in Top-Führungspositionen als Frauen.

Sie sagen, dass Karriere und Familie kein Widerspruch sein dürfen. Wie haben Sie das mit Ihrer Familie hinbekommen?
Ich habe das dank meines Mannes Unterstützung geschafft. Er hat komplett auf seine berufliche Entwicklung verzichtet. Er hat aufgehört zu arbeiten und sich um die Kinder gekümmert. Wir haben also das klassische deutsche Modell der damaligen Zeit umgesetzt – in umgekehrter Besetzung. Nur deswegen war meine berufliche Karriere möglich. Dessen bin ich mir bewusst. Ich hätte niemals den gleichen Karriereweg gehen können, wenn mein Mann mir nicht den Rücken freigehalten hätte.

Sie haben die perfekte Lösung gefunden.
Einerseits ja. Aber andererseits finde ich gut und wichtig, wie sich die Diskussion in Deutschland entwickelt. Dass es gut ist, wenn jeder das Modell wählen kann, das er möchte. Die Wahrheit ist ja, dass wir uns damals für das klassische Modell entschieden haben. Einer musste beruflich kürzertreten oder ganz aufhören, sonst hätten wir das nicht hinbekommen. Ich finde gut, dass Mann und Frau es sich heute besser aufteilen können, bessere Kinderbetreuung und mehr Teilzeitmodelle angeboten werden. So kann man sich das Modell aussuchen, das für einen passt.

Der Anteil an Frauen in Führungspositionen in großen Unternehmen ist überschaubar. Haben Sie eine Idee, wie man das ändern kann?
Wir müssen schauen, welche Frauen gut in ihrem Verantwortungsbereich sind, und sie dazu animieren, sich weiterzuentwickeln. Sie müssen vielleicht auch stärker ermutigt werden, weil ihnen noch die Vorbilder fehlen. Ich erlebe das sehr häufig, wenn wir eine bestimmte Position ausschreiben und ich Frauen sehe, von denen ich denke, dass sie den Job machen könnten. Sie sind dann völlig überrascht, wenn ich sie darauf anspreche.

Fehlt den Frauen das Selbstvertrauen, das anzupacken?
Die stellen sich gar nicht die Frage, ob sie sich das zutrauen. Für Männer ist es selbstverständlich, sich Gedanken über solch eine Position zu machen, wenn sie gefragt werden. Die haben eher den Reflex und denken: Das ist für mich interessant. Ich glaube, bei Frauen kommt dieser Reflex nicht, weil es so wenig Vorbilder gibt. Nicht, dass sie es nicht könnten. Es ist vielmehr nicht geübte Praxis. Ich persönlich habe von der Förderung durch meine männlichen Vorgesetzten profitiert, die mir etwas zugetraut und mich unterstützt haben.

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?
Die Liebe hat mich nach Deutschland geführt. Ich habe mein letztes Studienjahr in Spanien verbracht, im Erasmus-Programm. Dort habe ich einen Deutschen kennengelernt, der jetzt mein Ehemann ist, und dem bin ich nach Berlin gefolgt. Ich konnte zwar englisch und spanisch sprechen, aber deutsch nicht. Dann habe ich eineinhalb Jahre die Sprache gelernt, und als ich sie halbwegs konnte, habe ich angefangen zu arbeiten.

Die deutsche und die französische Lebensart und Kultur unterscheiden sich sehr. Wie sind Sie damit zurechtgekommen?
Der Kulturschock war für mich zu Anfang recht groß. Aber das lag vor allem daran, dass ich die Sprache nicht beherrschte. Die Sprache ist eine große Hürde, um sich in einem Land zu integrieren. Als ich deutsch sprechen konnte, war vieles einfacher. Ich lernte die Kultur kennen und verstand die Menschen besser.

Gibt es etwas, dass Sie vermissen?
Die Wahrheit ist: nein. Ich würde auch nicht zurückgehen wollen. Inzwischen habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und fühle mich sehr wohl hier.

Bis auf das Wetter. Das mögen Sie in Hamburg nicht.
Es ist mir zu kalt und zu dunkel. Daran werde ich mich nie gewöhnen.

 

Nathalie Leroy, 47, wurde in der Nähe von Paris geboren. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. Die Diplomkauffrau studierte in Bordeaux, Nantes und Bilbao die Fächer Finanzen und Controlling. Seit 1996 lebt sie Deutschland, arbeitete für KPMG, das Filmstudio Babelsberg und die Veolia Wasser GmbH. 2013 wurde Nathalie Leroy kaufmännische Geschäftsführerin bei Hamburg Wasser, zuständig für die Bereiche Finanzen, Personal, Vertrieb, IT, Recht, Revision, Kundenbetreuung und Konzernkommunikation. Seit 2018 ist sie außerdem Sprecherin der Geschäftsführung.

 

Gespräch: Achim Schneider Fotos: Ivo von Renner