Das Deutsche Elektronen-Synchrotron ist ein anerkanntes Forschungszentrum. DESY-Chef Helmut Dosch erklärt im Interview, was dort erforscht wird, was man mit den Ergebnissen anfangen kann und welche Mission ihn antreibt.

club!: DESY ist ein Name, den die meisten Hamburger kennen. Aber wie erklären Sie einem physikalischen Laien, was Sie dort tun?
Dr. Helmut Dosch: DESY betreibt mit seinen modernen Beschleunigern im Grunde genommen hochempfindliche, hochauflösende Supermikroskope, die tief in die uns verborgene Nanowelt blicken können. In den Anfangszeiten von DESY hat man sich auf die elementaren Bestandteile des Universums konzentriert, wie den inneren Aufbau des Wasserstoffkerns, das Proton. Heute betreibt DESY mit den Großgeräten PETRA III und FLASH weltweit einzigartige Röntgen- beziehungsweise Röntgenlaserquellen, die einen völlig neuen Einblick in den molekularen Aufbau von Nano-strukturen, neuen Materialien und Wirkstoffen erlauben. Mit den gestochen scharfen DESY-Bildern aus der Nanowelt ist es möglich, Materialien und Wirkstoffe nach Maß zu bauen. Die modernen Messapparaturen erlauben es den Forschern auch, die Funktion der molekularen Bausteine zu beobachten, während der Werk- oder Wirkstoff in Funktion ist.

club!: Eine Anlage wie die von DESY ist nie fertig. Gibt es schon neue Projekte für die Zukunft?
Dosch: Das derzeit wichtigste Großprojekt von DESY ist der Europäische Röntgenlaser XFEL, der derzeit in internationaler Zusammenarbeit gebaut wird. Wenn alles nach Plan läuft, wird man von 2016 an mit diesem revolutionären Gerät eine Art Hochgeschwindigkeitskamera für die Nanowelt zur Verfügung haben, mit der man regelrecht Filme von der Bewegung von Molekülen und von (bio-)chemischen Reaktionen drehen kann. Dies wird zu einem nie dagewesenen Erkenntnisschub führen – etwa darüber, wie Materialien wirklich funktionieren und wie man Angriffe von Viren frühzeitig abwehren kann.

club!: Der normale Mensch kann sich unter der „Nanowelt“ nicht viel vorstellen. Was geschieht eigentlich in den Beschleuniger-Ringen?
Dosch: Wir haben da zum Beispiel den Elektronenspeicherring PETRA III. Das ist eine 2,3 Kilometer lange kreisförmige und größtenteils unterirdische Vakuumröhre, in der wir Elektronen mit sehr hoher Energie speichern. Auf einer vorgeschalteten Beschleunigerstrecke, die mit sechs Milliarden Volt betrieben wird, tausendmal mehr als die Spannung in Gewitterwolken, werden die Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit gebracht. Diese ultraschnellen Elektronen werden im PETRA III-Ring mit hochkomplexer Magnettechnologie auf einer Kreisbahn gehalten und strahlen dabei in Vorwärtsrichtung hochintensives, stark gebündeltes Röntgenlicht ab. Mit diesem Röntgenlicht, das heller ist als die Sonne, gewinnen wir die neuen Einblicke in die Nanowelt. In der gigantischen PETRA III-Messhalle sind 14 Messeinrichtungen aufgebaut, die alle gleichzeitig sieben Tage die Woche rund um die Uhr laufen und Forschern aus aller Welt zur Verfügung stehen. Die Nachfrage ist so groß, dass wir bereits zehn weitere Messplätze bauen müssen.

club!: Und was geschieht mit den Röntgenlasern?
Dosch: Das ist etwas völlig Neues. Hier werden die Elektronen nicht mehr auf eine Kreisbahn geschickt, sondern direkt nach der Beschleunigung auf fast Lichtgeschwindigkeit in eine spezielle Magnetstruktur geleitet, in der erstmals Laserblitze mit Röntgenstrahlen erzeugt werden. Dies geschieht mit FLASH, dem weltweit ersten Röntgenlaser, der heute eine der meistbegehrten Nutzeranlagen ist. Und dieses bei DESY erprobte Prinzip wird jetzt auch beim Europäischen Röntgenlaser realisiert, der mit einer Beschleunigungsspannung von 17,5 Milliarden Volt arbeitet. Dazu mussten wir einen schnurgeraden, unterirdischen Tunnel von DESY bis nach Schenefeld bauen. Derzeit wird gerade der supraleitende Beschleuniger von DESY installiert – alles mit dem seit 50 Jahren bewährten DESY-Strahlenschutz. Wir garantieren hier optimale Sicherheit.

club!: Welche unterschiedlichen Aspekte verfolgen die Forschungen bei DESY?
Dosch: Die Forschung bei DESY konzentriert sich darauf, die Struktur und die Funktion von Materie immer besser zu verstehen. Wir arbeiten im Bereich der Teilchenphysik mit dem CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung bei Meyrin im Kanton Genf zusammen. An unserem Standort im brandenburgischen Zeuthen haben wir einen Forschungsschwerpunkt in Astroteilchenphysik. Hier untersuchen wir mit ausgefuchsten erdgebundenen Detektoren hochenergetische Teilchen, die permanent aus weit entfernten Regionen des Alls auf die Erde prasseln und Aufschluss geben über das frühe Universum.

club!: Und welchen Schwerpunkt haben Sie bei Ihren Forschungsarbeiten hier in Hamburg?
Dosch: Hier auf dem Hamburger DESY-Campus geht es um die Erforschung der Materie, die uns im Alltag umgibt: Wie sieht die exakte Molekülstruktur von neuen Materialien aus? Welche Oberflächenstruktur hat ein neues Grippevirus oder der HIV-Virus? Aber auch: Wie funktionieren die Platin-Nanostrukturen auf Katalysatoren auf molekularer Ebene und wie verändern sie sich, während der Katalysator in Betrieb ist? All diese Informationen sind heute essentiell, um neue maßgeschneiderte Hochleistungswerkstoffe und Impfstoffe zu synthetisieren und sie zu verbessern.

club!: Viele Dinge hören sich sehr theoretisch an. Was ist Grundlagenforschung und was hat einen absehbaren Nutzeffekt für die Menschen?
Dosch: Die Forschung, die wir machen, ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft. Wir schaffen die Wissensbasis für die Technologien von morgen und übermorgen, also für die Welt unserer Kinder und Enkel. Ein Unterschied zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung liegt für mich lediglich in der Zeit, wie lange eine Erkenntnis zu einer sichtbaren Anwendung führt. Bislang hat noch jede Grundlagenforschung tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Zivilisation gehabt. Vor 100 Jahren war Einsteins allgemeine Relativitätstheorie der Stoff für Science- Fiction-Romane, heute ist es Ingenieursalltag beim Design von GPS-Geräten. Die Erforschung der Atome begann vor ziemlich genau 100 Jahren und galt als Spielerei einiger eigenartiger Physiker. Ohne diese Arbeiten gäbe es heute keine moderne Kommunikation, auch kein iPhone. Natürlich wird von unseren neuen Röntgengeräten und den Messmöglichkeiten erwartet, dass sie kurz- und mittelfristig zu Innovationen führen. Tatsächlich arbeitet DESY eng mit der Industrie zusammen und will dies in Zukunft noch weiter ausbauen.

club!: Wie ist DES Y in die Hamburger Forschungslandschaft eingebunden? Gibt es Kooperationen mit anderen Forschungseinrichtungen?
Dosch: Wir haben seit der Gründung von DESY 1959 eine enge Kooperation mit der Universität Hamburg, die 2011 mit der Gründung der strategischen Partnerschaft PIER nochmals neuen Wind hinter die Segeln bekommen hat. Mit der HAW führen wir zusammen duale Studiengänge durch. Eine besondere Erfolgsstory ist das neue Zentrum für Freie-Elektronen-Laser- Forschung, das in Bahrenfeld entstanden ist. Eine Kooperation zwischen DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg. Wir konnten in dieses neue Forschungszentrum, das künftig stark unsere neuartigen Röntgenlaser nutzen will, Spitzenforscher locken, von Oxford, Chicago, Lawrence Livermore, dem MIT und Toronto. Der futuristische Neubau, den man auch von der Luruper Landstraße aus bewundern kann, ist eines unserer neuen Wahrzeichen. Im Augenblick bauen wir ein weiteres interdisziplinäres Forschungszentrum auf, das sich dem wichtigen Thema Infektionsforschung widmen wird – das Centrum für Strukturelle Systembiologie, gefördert vom Bund, der Stadt Hamburg und Niedersachsen. Hier werden alle bekannten Infektionszentren im Norden Deutschlands zusammen mit dem Europäischen Labor für Molekularbiologie, mit dem wir seit Jahrzehnten eng zusammenarbeiten, ihre unterschiedlichen Kompetenzen bündeln.

club!: Wie kann die internationale Spitzenstellung des Zentrums in Zukunft behauptet werden?
Dosch: Bei DESY werden die grundlegenden Zusammenhänge von Struktur und Funktion der Materie auf höchstem internationalen Niveau erforscht und damit die notwendige Wissensbasis zur Lösung der großen und drängenden Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft geschaffen. Wir haben den Ehrgeiz für diese Mission, unsere internationale Vorrangstellung als Beschleunigerzentrum auch künftig zu festigen und zu einem weltweiten Mekka der Forschung mit Röntgenlasern zu werden. Mit unseren neuen Großgeräten und den neuen interdisziplinären Kompetenzzentren haben wir dafür alles in der Hand. Wir wollen unsere Vernetzung innerhalb der Metropolregion noch weiter vorantreiben und unseren Beitrag leisten, dass neben Hafen und Handel ein drittes „H“, nämlich Hightech, in die Zukunftsstrategie der Elbmetropole eingeht.

 

Helmut Dosch wurde 1955 im bayerischen Rosenheim geboren. Er studierte Physik an der Ludwig- Maximilians-Universität in München und promovierte 1984 in München. Er lehrte unter anderem an der Universität von Wuppertal und war Ordinarius für Festkörperphysik an der Uni Stuttgart. Zwölf Jahre war Dosch Direktor am Max-Planck-Institut für Materialforschung. Seit dem 1. März 2009 leitet er als Vorsitzender des DESY-Direktoriums die Geschicke des Forschungszentrums. 2010 wurde ihm für seine Forschungsarbeit die „Röntgen-Plakette“ verliehen.