Schon als Fußballprofi gehörte RENÉ ADLER zu jenen Sportlern, die über den Tellerrand schauen. Inzwischen studiert er und engagiert sich als Business-Angel. Ein Gespräch darüber, warum Futter für den Kopf in jedem Beruf wichtig ist.

club!: Herr Adler, nach Ihrem Karriereende 2019 als Profifußballspieler haben Sie sich eine zweijährige Orientierungsphase verordnet. Warum?
René Adler: Ich wusste, dass ich eine Art Übergang brauchte. Mein Tagesablauf, meine Woche, mein Jahr waren bis dahin durch den Fußball fest strukturiert. Als das wegfiel, musste ich mich erst einmal sortieren. Es ist nicht einfach, eine neue Identität für sich zu finden, wenn ein Lebensabschnitt zu Ende geht, über den man sich definiert hat und in dem man erfolgreich war.

Was genau bedeutet für Sie neue Identität?
Als Torhüter war ich in der Rolle René Adler, der Profifußballer. Das war 33 Jahre lang mein Leben, hat meine Persönlichkeit bestimmt, mir viel gegeben und mir viele Türen geöffnet. Danach war ich extrem froh, dass mein Leben nicht mehr nach Sieg oder Niederlage beurteilt wurde. Gut sein oder schlecht sein. Schwarz oder Weiß. So funktioniert das Geschäft auf und neben dem Platz. Das ist der Druck, den man im Fußball hat und dem man standhalten muss.

Und, fühlen Sie sich nun freier? Weniger unter Druck?
Nachdem ich beschlossen hatte, aufzuhören, fragte ich mich: Wer bist du, René Adler, außerhalb des Fußballs? Was willst du machen? Wer willst du sein? Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten und schon gar nicht mit Inhalt zu füllen. Das ist eine riesengroße Challenge. Viele Profis stehen nach der Karriere vor einem weißen Blatt Papier, das zu füllen ist. In meiner neuen Rolle als jemand, der sich an Unternehmen beteiligt, der als TV-Experte auftritt, Vorträge hält, ist mir eines schnell klar geworden: Zwar fällt die sofortige Bewertung weg, aber das kann auch stressig sein. Im Fußball ist das anders: Da weißt du immer, woran du bist.

„Ich fragte mich: Wer willst du außerhalb des Fußballs sein?“

Was waren Ihre Herausforderungen?
Ich musste erst einmal lernen, mich selbst zu organisieren. Das hört sich banal an. Aber plötzlich war niemand mehr da, der meine Reisen buchte, den Alltag so strukturierte, dass er für mich möglichst effizient und mit meiner Familie kompatibel war. Daraus erwächst für manchen eine gewisse Orientierungslosigkeit.

Ihnen habe stets das Lernen in Krisen geholfen, betonen Sie in Interviews. Derzeit studieren Sie bei der UEFA im Masterstudiengang für ehemalige Topathleten. Weltklassespieler wie Didier Drogba und Kaka sind Ihre Studienkollegen. Ist das Ihr neuer Krückstock fürs Leben?
So würde ich es nicht nennen. Aber ja, ich brauche Futter für meinen Kopf. Das war schon immer so. Ich habe es nicht immer umsetzen können, aber zumindest in meiner späteren Karriere hat mir die Konzentration aufs Lernen, der Wunsch nach Weiterbildung, sehr geholfen. Parallel zu Ihrer Fußballkarriere haben Sie schon 2015 die Prüfung zum Sportmanager gemacht. Ein ziemlicher Spagat.

Sie haben mit der Note eins bestanden …?
Das möchte ich nicht so hochhängen. Dieses Studium ist nicht mit einem Studienabschluss wie dem Bachelor zu vergleichen. Wir hatten viele Onlinevorlesungen, die ich gut in den Alltag als Profi integrieren konnte. Es hat Spaß gemacht, sich auf neuen Feldern zu beweisen. Als mein Karriereende nahte, habe ich mich bei der UEFA eingeschrieben. Ich brauchte eine neue Lernkurve. Wegen Corona konnte vieles an Studieninhalten nicht realisiert werden, auch die Präsenzseminare im Ausland. Ich hoffe, im November meine Masterarbeit abgeben zu können.

Was ist Ihr Thema?
Die Überprofessionalisierung im deutschen Nachwuchsbereich und die Folgen für die Persönlichkeitsentwicklung.

Warum gerade dieses Thema?
Weil es für die Karrieretransformation immer um Persönlichkeitsentwicklung geht. Meine These ist, wir brauchen einen ganzheitlichen Erziehungsansatz auch im Fußball. Der Jugendbereich ist immer mehr zum ,Money Business’ geworden, wo die Toptalente wie Aktien gesehen werden. Mich beschäftigt die Frage, was und vor allem wie viel die Talente brauchen, um ihr volles Potenzial abzurufen. Dafür ist es unabdingbar, auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten einzugehen.

Wie meinen Sie das?
Gerade in der Ausbildung werden Werte und Persönlichkeiten entwickelt. Aktuell sind zu viele Jugendspieler im System satt, bevor sie etwas erreicht haben. Ich bin ein großer Befürworter, dass Spieler einen aktiveren Part in ihrer Karriere einnehmen. Sie sollen nicht alles selbst machen, aber zumindest alles im Blick haben und dafür Ownership übernehmen.

Haben Sie das sofort gekonnt?
Natürlich nicht. Ich war auch lange jemand, der vertraut hat, dass es andere besser können. Einer, der die unangenehmen Dinge weggeschoben hat. Aber das ist der falsche Weg. Inzwischen denke ich, mit den Erkenntnissen von heute, hätte ich viel früher meine Vielseitigkeit stärken sollen. Dirk Nowitzki, der ehemalige Basketball- Star, hat es da besser gehabt.

„Ich bin jemand, der zweifelt und probiert, aber auch reflektiert.“

Weil …?
…sein Trainer und Mentor Holger Geschwindner ihn ein Musikinstrument lernen ließ. Das beschreibt Nowitzki in seiner Biografie. Auf den ersten Blick klingt es abgefahren, aber es macht Sinn. Musik fördert das Rhythmusgefühl, das man im Basketball braucht. Ich glaube, auch ich habe zu eindimensional meinen Fußball gelebt.

Küchenpsychologisch gefragt, hat das etwas mit ihren vielen Verletzungen zu tun? Sie waren oft nicht fit, wenn es ums große Ganze ging, beispielsweise die WM 2010 in Südafrika.
Das ist mir als Erklärung tatsächlich zu einfach. Aber grundsätzlich ist es natürlich so, dass man innen und außen in der Balance sein muss. Nicht nur im Fußball. Das habe ich definitiv nicht immer geschafft. Ich bin ein Typ, der gern mal überpaced. Der sich manchmal kleiner macht, als er ist und glaubt, deshalb noch mehr arbeiten zu müssen. Damals fühlte ich die Erwartungshaltung von außen, vor allem aber von mir selbst und versuchte sie, um jeden Preis zu erfüllen. Ich habe monatelang mit Schmerztabletten weitergespielt. Es waren die Ärzte, die die Reißleine gezogen haben.

Haben Sie daraus etwas gelernt?
Man lernt bekanntlich vor allem aus Fehlern. Aber ich war und bin wohl auch immer noch jemand, der zweifelt, der grübelt, aber auch ausprobiert und vor allem reflektiert. Und der an seine Grenzen geht. Ließe man mich, würde ich auch heute noch versuchen, mich in allen Bereichen meines Lebens zu optimieren. So bin ich gepolt. Ein Beispiel: Ich mag es, Golf zu spielen. Aber ich gehe ungern auf die Driving-Range, um zu trainieren. Würde ich das anfangen, läge ich nachts garantiert wach und würde darüber nachdenken, wie ich meinen Schwung verbessern könnte. Und dann entsprechend intensiv üben. Eine entspannte Runde Golf wäre nicht mehr möglich. Ich habe schon als Torhüter nur Bücher gelesen, von denen ich hoffte, sie würden mich in meiner Technik und in meinem Selbstbewusstsein weiterbringen. Aber meine Frau hat mir in dieser Beziehung weitergeholfen.

„Lernen war für mich der Ausgleich zur körperlichen Arbeit.“

Erzählen Sie …
Lilli hat mich dazu gebracht, ein Buch nicht nur zur Weiterbildung sondern um des Lesens willen zu lesen. Oder Fernsehen zu gucken, einfach nur zur Entspannung. Das habe ich tatsächlich erst lernen müssen. Mein gesamtes Berufsleben bestand als Fußballprofi aus Leistung und Belohnung. Also Stammspieler. Oder aber Minderleistung und Bestrafung. Bank oder Ersatz. Ich habe nie gelernt, Dinge um der Dinge willen zu tun. Alles musste einem Ziel untergeordnet werden. Aus der Spirale wenn/dann muss man erst mal rauskommen.

Für den Spagat zwischen Lernen und Fußball war das gut?
Ich kann Disziplin und ich habe viel Willen. Und ich bringe grundsätzlich zu Ende, was ich angefangen habe. Ich setze mich beispielsweise abends noch mal an den Schreibtisch, wenn unser Kleiner im Bett liegt und arbeite an meinem Masterthema. Und als ich noch Profifußballspieler war, fiel es mir relativ leicht, in der Freizeit zu lernen, weil ich meinen Kopf unbedingt beschäftigen musste. Das war für mich der notwendige Ausgleich zur körperlichen Arbeit als Fußballprofi.

Dann kann man sagen, Sie haben die Integration ins sogenannte normale Leben geschafft?
Ich bin mitten im Prozess. Bei allen meinen Entscheidungen vertraue ich am Ende neben den harten Zahlen überwiegend auf mein Bauchgefühl. Das ist eine wichtige Gabe. Und bei mir war es schon immer so. Deshalb kann ich auch relativ entspannt auf meine Karriere zurückblicken. Ich habe Fehler gemacht, aber auch vieles richtig. Und es war wichtig, dass mir recht früh klar war, dass ich mir für die Zeit danach etwas Neues aufbauen muss. Ich habe mit der Zeit ein Team um mich herum aufgebaut, das zu meiner Persönlichkeit passt, dem ich vertrauen kann, das mir hilft, die richtige Entscheidung zu treffen. Noch einmal zurück zu meinem Masterthema Persönlichkeitsentwicklung. Es gibt so viele Leute, die von der fehlenden Transparenz im Fußballbusiness profitieren und deswegen gar kein Interesse an Aufklärungsarbeit haben. Aber ich wollte irgendwann verstehen, wie gewisse Dinge im Fußball ablaufen und wollte derjenige sein, der am Ende im Drivers Seat sitzt und entscheidet.

Mit diesen Erkenntnissen könnten Sie auch dem Fußball weiterhelfen. Stattdessen fördern Sie junge Unternehmen, sich weiterzuentwickeln. Warum? Zurzeit sehe ich mich nicht im Fußball. Aber man soll nie nie sagen. Ich mache grundsätzlich nur, was ich verstehe und womit ich mich identifizieren kann. Und das ist im Moment mein Job als Business-Angel und als Investor. Wenn ich mich dazu entschließe, mich finanziell und mit Manpower zu engagieren, dann tue ich das aus vollem Herzen. Ihre Invests sind ziemlich unterschiedlich: die Match-Plattform „11TransFair“ für Profi s, die einen neuen Verein suchen. Den Namen ihrer Torwart-Handschuhe „T1tan“ mussten Sie in einem Rechtsstreit gegen Oliver Kahn verteidigen. Und Sie engagieren sich im Gesundheitsmanagement bei „Faktor Mensch“. Was ist der gemeinsame Nenner? Das Invest muss zu mir und meiner Haltung passen. Mir ist wichtig, dass Fußballprofi s eine transparente Möglichkeit haben, ihre Chancen im Markt zu sehen und zu bewerten, unabhängig von Dritten. Dabei hilft die App. Die Torwarthandschuhe sind von mir praxiserprobt. Und was das Gesundheitsmanagement angeht, ich finde, dass in Unternehmen noch zu wenig Wert daraufgelegt wird, den Mitarbeiter und seine Gesundheit als wichtigstes Kapital zu betrachten. Wenn der Mitarbeiter nur einen Tag weniger krank ist, hilft das schon dem Unternehmen. Und natürlich ist ein Mitarbeiter ganz anders motiviert, der weiß, dass er wichtig ist für den Betrieb. Deshalb engagiere ich mich bei „Faktor Mensch“. Das ist mein persönlicher Touch-Point, wie ich es nenne. Menschen zusammenzubringen, gemeinsam gute Sachen anzuschieben, das motiviert mich.

 

RENÉ ADLER, 36, aus Leipzig, beendete 2019 seine Karriere als Fußballprofi. Der ehemalige Nationaltorhüter spielte in der Bundesliga für Bayer 04 Leverkusen, den HSV und Mainz 05. Er ist verheiratet mit der Schauspielerin Lilli Hollunder, hat einen Sohn. Während seiner aktiven Zeit machte er den Abschluss zum Sportmanager. Derzeit studiert er bei der UEFA in einem Studiengang für Topathleten. Als Business-Angel und Investor ist er an diversen Unternehmen beteiligt: Er entwickelte die Torwarthandschuhe von „T1Tan“ ebenso wie die App „11TransFair“ zur Marke. Bei „Faktor Mensch“ engagiert er sich im Gesundheitsmanagement.

 

Gespräch: Martina Goy Fotos: Ivo von Renner, René Adler