Medienunternehmer FRANK OTTO ist einer der einflussreichsten Produzenten der Kreativwirtschaft in der Stadt. Ein Gespräch über die Verantwortung von Reichsein,Mainstream-Nischen und Harleys, die ihre Spur markieren.

club!: Herr Otto, es gibt viele Beschreibungen über Sie: Musiker, Geschäftsmann, Mäzen, Umweltschützer, Anti-Atomkraft-Aktivist. Von Ihnen selbst kommen Spitzweg-Poet, aber auch uneinsichtig, trotzig, renitent. In welchen Beschreibungen finden Sie sich wieder?
FRANK OTTO: Na ja, der Renitenz kommt irgendwann die Altersmilde entgegen. Aber es ist schon noch so, dass ich Dinge beim Namen nenne, den Finger in die Wunde lege – wenn ich etwas völlig verkehrt finde und von der Sache etwas verstehe. Ich mische mich nicht in alles ein, sondern nur in Dinge, wo ich meine, eine gewisse Kompetenz erlangt zu haben. Ich versuche, Leute für Themen zu interessieren, die aus meiner Sicht zu wenig beachtet werden.

Sie gehen also bewusst in die Nische?
OTTO: In meinem Leben war es immer so, dass die Nischen nur bis zu dem Zeitpunkt Nischen waren, bis sie Mainstream wurden. Vieles, was ich in jungen Jahren angepackt habe, ist inzwischen nahezu selbstverständlich, beispielsweise die Endlichkeit von AtomkrafŠt. Der Ausstieg wurde im April vollzogen.

Sie sind als Unternehmer seit Jahrzehnten ein Aushängeschild der Kreativwirtschaft. Sie haben Radio- und TV-Sender besessen, die Tageszeitung Mopo gerettet und finanziert. Sie verkaufen Lautsprecher und Cannabisprodukte. In Ihrem Leben haben Sie bislang viel produziert und produzieren lassen.
OTTO: Wir Medienleute produzieren jeden Tag, sei es Radio, Zeitungen, Magazine, digitale Medien. Aber auch Architekten, die ein Haus planen, oder Theatermacher produzieren. Das Tolle an dieser Branche ist, dass man sich mit etwas beschäftigt, was es vorher noch nicht gab. Insofern hat es immer auch einen künstlerischen Anteil, egal ob es sich um Sprache, Gestaltung, Drei- oder Zweidimensionalität handelt. Es sind immer Dinge, die auch ein Überraschungsmoment haben, weil sie neu sind.

Passen Wirtschaft und Kreativität zusammen?
OTTO: Ich habe einmal meinen Vater auf einer Geschäftsreise begleitet. Der war ja eher für seine Affi’nität zur WirtschaŠt bekannt. Wir standen auf einer grünen Wiese, auf der er bauen wollte. Mein Vater wusste genau: dort kommt das Parkhaus hin und hier ist der Eingang. Ich fand das unglaublich. Der hatte so genaue Vorstellungen davon, was er wie bauen wollte. Insofern sage ich, auch Wirtschafft ist kreativ.

Sie sind auch Immobilieninvestor. Provozierend gefragt: Was sind Sie – Kreativer oder Kapitalist?
OTTO: Es gibt doch auch bei den Kapitalisten mehrere Sorten Menschen. Die einen sind geizig, missgelaunt, nur über Zahlen und Tabellen brütend. Ich kenne solche Leute und sie tun mir leid, weil sie sich als Menschen dadurch auszeichnen, dass sie sich nichts gönnen. Und wer sich selbst nichts gönnt, der gönnt auch anderen nichts. Und dann gibt es die aus dem anderen Extrem, die Großkotzigen, die andere die Aufräumarbeiten erledigen lassen. Ich habe ein Problem mit diesen Herren, die Elektroautos bauen, Raketen in den Weltraum schießen und mit deren CO2-Ausstoß das Öko-Image zerstören.

Aktuell verändert Künstliche Intelligenz die Welt wie vielleicht keine Erfindung zuvor. Sie werde die Menschen irgendwann beherrschen, prophezeien Pessimisten?
OTTO: Technologien sind so gut wie die Menschen dahinter. Ja, in gewisser Weise ist KI etwas Neues. Aber eigentlich fußt sie auf Dingen, die es schon immer gab. Auf Erfahrungen und auf Schwarmintelligenz, auch wenn ich dieses Wort nicht sehr mag. Intelligenz beim Schwarm finnde ich ein bisschen merkwürdig.

Also keine Bedenken?
OTTO: Ich kenne einen Unternehmer, der eine KI entwickelt hat. Der hat sein Unternehmen verkauŠt, weil er Herzklopfen bekam, als er bemerkte, was die Maschine alles kann und tut. Da war er an einem Punkt, an dem er befürchtete, dass die Maschine sich irgendwann auch gegen ihn wenden könnte. Insofern ist eine gewisse Skepsis berechtigt, vor allem, wenn man wie ich, so eine Reaktion von jemandem mitbekommt, der damit Geld verdient hat.

Auch die Forschung ist darüber uneins…
OTTO: Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einem Forscher, der fragte: Was regt ihr euch über eine KI auf, die vielleicht  irgendwann irgendwie etwas Böses tut? Der Mensch tut doch auch Böses. Die ersten KI’s beispielsweise waren rassistisch und frauenfeindlich. Woran das lag? Das lag natürlich an den Programmierern.

Für junge Menschen ist Karriere nicht mehr alles, Stichwort Work Life Balance. Was früher Älteren vorbehalten war, fordern die Jungen.
OTTO: Die Kids werden unser Leben total verändern, wenn die Entwicklung so weiter geht wie bisher. Auch die Pandemie hat dazu beigetragen. Ich kenne eine Musikerin, die während Corona eine Ausbildung zur IT-Fachfrau gemacht hat. Jetzt hat sie ein gesichertes Einkommen, kann sich ihrer Musik ganz anders widmen. Andere haben ihr Gartenhaus gestrichen oder Saxophon spielen gelernt und sind dabei zu neuen Erkenntnissen gelangt. Die Haltung zu Arbeit oder Wichtigkeiten, die in unserer Generation weit oben standen, hat sich verändert – wie sich immer alles verändert.

Stichwort Statussymbol Auto. Junge Leute wollen sharen, das Klima retten und vegan essen. Dafür gehen sie sogar auf die Straße.
OTTO: Das Auto war noch nie vernünftig. Ich erinnere mich an Zeiten, da gaben Autobesitzer ihren Autos Namen. Und von vorn haben Autos Gesichter. Für mich hat es immer schon gemenschelt. Als ich noch klein war, habe ich meine Mutter gefragt: ,Was macht ein Auto, wenn es jemanden juckt? Es kann doch nicht kratzen.’ Wenn es um PS geht, dann meinen Menschen eher sinnliche Dinge: Geräusch und KraŠft des Motors. Ein Chef von Harley Davidson wurde gefragt, warum Harleys Öl verlieren. ‚Harleys verlieren kein Öl‘, antwortete er. ‚Harleys markieren‘.

Was sagen Ihre Kinder zu diesem Thema?
OTTO: Meine Kinder lehnen Autos ab. Parkraummangel, sich kümmern-müssen ist nicht ihr Thema. Mag sein, dass sie darüber anders denken würden, wenn sie auf dem Land lebten. Oder wie meine Tochter in Los Angeles, wo sie natürlich ein Auto braucht. In Großstädten mit gutem öffentlichen Verkehrsnetz ist Autobesitz kein Thema für Junge, sondern Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde.

Auch für Sie?
OTTO: Nachhaltigkeit, grüne Energie – jetzt ist die Zeit, wo diese Themen auch wirtschaftlich vernünftig werden. Man wird mit dieser Haltung nicht mehr als Spinner hingestellt. Wenn Pensionsfonds nach solchen Investments suchen, ist Nachhaltigkeit ein gutes Geschäft.

Ist das kein Widerspruch?
OTTO: Als es die ersten Bio-Bäcker gab, hieß es, wer soll denn bei diesen bärtigen Typen einkaufen? Aber der Trend zu Bio hat sich durchgesetzt. So so wird es mit vielem anderen sein. Veränderungen brauchen Zeit. Die Gesellschaft ist ein schwerer Tanker. Es dauert, bis sich die Richtung ändert. Aber es passiert. Das sieht man am Beispiel der Stadt  Hamburg.

Wie meinen Sie das?
OTTO: Der Schlepp-Anker, den wir als Kaufmannsstadt hinter uns herziehen, wiegt schwer. Aber das ist relativ. Schaut man sich die Hamburger Geschichte an, sieht man, wie beweglich alles ist. Es ging los mit dem Freibrief von Barbarossa 1189. Danach hatten wir den Zugang zum Meer. Dann kam Störtebeker. Der fragte nicht, der nahm sich. Wir Hamburger sind gut gerüstet für Veränderungen.

Dennoch lernen wir wenig aus der Geschichte. Kriege, Hungersnöte, alles wiederholt sich.
OTTO: Der Mensch an sich ist nicht nur schlecht. Wir unterliegen einem zivilisatorischen Prozess. Und die Learnings, die wir machen, das Tempo, das wir vorlegen, ist rasant. Wir nehmen das nur nicht so wahr. Wenn man sich anguckt, wie es vor 100, vor 200 oder 400 Jahren war, dann haben wir Menschen Riesenfortschritte gemacht.

Sie stammen aus einer der reichsten Familien, sind selbst ein reicher Mann. Wie setzen Sie Ihr Geld ein?
OTTO: Ich bin wohlhabend, ja. Meine Sichtweise ist dennoch anders. Gerade weil ich aus dieser Familie komme, habe ich mir andere Gedanken machen müssen. Beispielsweise, was passiert mit meinem Geld? Was bedeutet Verantwortung? Was erlaube ich, was passieren darf? Und da ich an vielem im System recht früh Kritik hatte, habe ich mich entschieden, es selbst in die Hand zu nehmen. Ich bin in Sachen reingegangen, wo ich dachte, da muss etwas getan werden, und zwar so, dass ich es verantworten kann. Es gibt in unserem System nun mal Wettbewerb. Da kann man nicht so tun, als wäre man nicht da.

Sind Sie so etwas wie ein wohlhabender Linker?
OTTO: Ich hatte das Glück, dass ich als junger Mann oft unterschätzt wurde. Bums, war ich erfolgreich. Aber das hat immer irgendwem weh getan, was ja nicht meine Absicht war. Das ist die Schattenseite dieses Systems. Aber ich bin immer vom dem überzeugt, dass das, was ich mache, gut ist. Also habe ich immer nur denen geschadet, die es nicht so gut hinkriegen. Damit bin ich eigentlich ganz zufrieden. Zumal sich ja auch Dinge ändern. Und ich bin auch nicht derjenige, der sich an etwas festkrallt.

So wie bei der existenzbedrohten Mopo, die Sie 1999 gekauft, saniert und dann wieder verkauft haben?
OTTO: Ich bin Hamburger, und die Mopo ist für mich ein Stück Hamburg. Die Rettung war also eine Herzensangelegenheit für mich. Ich hatte ein paar Ideen, was man besser
machen kann, und dann habe ich das mit meinem damaligen Partner Hans Barlach durchgezogen. Die Mopo hat danach wieder schwarze Zahlen geschrieben und die Mitarbeiter waren total stolz. Ich habe mich damals vor die BelegschaŠt gestellt und gesagt, ihr müsst das nicht alles mit mir diskutieren. Ich mische mich hier nicht ein. Dass wir schwarze Zahlen schreiben, habt ihr erwirtschafŠtet. Lasst euch von keinem mehr was sagen. Das fanden die cool. Ich wollte kein Verleger sein, ich habe einfach nur das Blatt gewendet und zum guten Ergebnis geführt.

Sie haben mal gesagt, dass Sie kein Machtmensch sind. Und in Ihrer Biografie steht schon im Titel Verantwortung und Rebell. Wie passt das zusammen?
OTTO: Ja, mit Macht kann man ein bisschen verändern. Aber ich sehe das anders. Das eine ist, wie guckt man: Das andere ist, was tut man. Im Gucken bin ich mehr der Rebell.
Im Tun bin ich eher von Verantwortung geprägt. Und dann versuche ich, das mit mir in Einklang zu bringen. Grundsätzlich glaube ich, dass man aus der Position der Stärke nicht mehr so viel sieht. Man wird träge.

Sie haben aber auch gesagt, wer in unserem Wirtschaftssystem bestehen will, der muss wachsen?
OTTO: Das ist der Mechanismus für Unternehmen. Für mich habe ich es früh anders deniert: Es reicht, wenn ich nicht ärmer werde.

Wie ist Ihre Rolle für Hamburg?
OTTO: Mein Blick auf die Stadt ist der Reflex, Ihr könnt nicht nur der Hochkultur ein Denkmal setzen, sondern auch der Subkultur: Elbphilharmonie und Beatlesplatz, Symphonieorchester und Clubleben. Ich sehe mich da als Korrektiv von außen. Ich werde als Hamburger stark wahrgenommen, habe dazu beigetragen, dass sich das Bild
von Unternehmern und Unternehmen geändert hat. Die Stadt ist eben nicht nur Übersee Club, Hafen Club sondern es gibt auch das Club Kombinat – was ich sensationell finde. Eine solidarische Clubszene, wo Leute, die eigentlich im Wettbewerb zueinanderstehen, zusammenhalten. Das ist etwas, was man in der Form früher hier nicht kannte.

Sie unterstützen als stiller Teilhaber auch Benjamin Adrion und sein Viva con Aqua. Ein ehemaliger St. Pauli-Spieler, der 2006 die Non-Profit-Organisation gegründet hat. Greift da die St. Pauli-Connection?
OTTO: Dass ich glühender St. Pauli-Fan bin, ist in der Stadt bekannt. Aber was Viva con Aqua weltweit in Sachen Trinkwasserversorgung leistet, das ist einfach großartig. Und es hat mit Verantwortung zu tun. Ich musste damals nicht lange überlegen.

Muss man als wohlhabender Fußballfan seinem Verein nicht auch qua Amt helfen?
OTTO: Mein kleiner Bruder war HSV Aufsichtsratschef. Ich würde das bei St. Pauli niemals machen. Ich werde überhaupt in keinen Fußballverein eintreten. Da habe ich nichts verloren. Ich bin ein Fan.

Bedeutet Verantwortung nicht auch, sich zu binden, zu bekennen?
OTTO: Natürlich kann ich meine Entscheidungen jederzeit rechtfertigen. Und Verantwortung übernehmen heißt nicht nur, sich langfristig zu binden. Ich tue, was ich für richtig halte und so lange, wie ich es für richtig halte. Mir ist es egal, was die Leute, die ich nicht persönlich kenne, von mir denken.

Gespräch: Martina Goy  Fotos: Fabian Vuksic