Sorry, Leute. Mit dem Titel „Die Stadt der Zukunft“ wird’s nix mehr. Der ist dieses Jahr vergeben worden, und so viel Zukunft wie dort auf einmal stattfindet, kann Hamburg nie und nimmer packen. Nein, wir reden natürlich nicht von Berlin – DIE Stadt der Zukunft entsteht in Saudi-Arabien. Sie heißt Neom, ist 150 Kilometer lang, einen Kilometer breit und führt von der Küste des Roten Meers schnurgerade bis in jene Berge, in denen hin und wieder der einzige Schnee Arabiens fällt. Neom hat Null Vergangenheit und etwa genausoviel Gegenwart; also 100 Prozent Zukunft.
Total autofrei, total CO2-neutral, alle alltäglichen Ziele in fünf Minuten zu Fuß erreichbar: Das versprechen die Saudis allen, die auf den Strich, äh, in „The Line” ziehen wollen. Womit sie der Tradition von Plan- oder Retortenstädten folgen, die jeweils all das bieten wollen, was gerade hip und teuer ist. So wie 1938 die autogerechte „Stadt des KdF-Wagens” (heute Wolfsburg), 1950 die realsozialistische „Stalinstadt” (heute Eisenhüttenstadt), so wie die von Le Corbusier inspirierten funktionalistischen Planstädte Zlin in Tschechien und Chandigarh in Indien, die Rentnerstadt Sun City in Arizona und die Casinostadt Sun City in Südafrika.
Ein weiteres Element, das alle diese Zukunftsstädte gemeinsam haben: So richtig hip sind sie nie geworden. Irgendwie scheinen die Menschen doch lieber in Häusern zu wohnen als in Konzepten. Und wenn es auch noch so praktisch für Stadtplaner und Bauherren ist, mit geraden Straßen und rechtwinkligen Gebäuden zu arbeiten – eine Kurve hier, ein Umweg da, ein Schnörksel dort erfreuen das Auge und die Menschen. Man muss die gerade Linie nicht gleich für gottlos halten, wie der Wiener Maler-Architekt Friedensreich Hundertwasser, aber in der Natur kommt sie tatsächlich nur selten vor.
Wie macht man denn sonst eine Stadt zukunftsfähig? Also vor allem jene Städte, die nicht mehr von Grund auf geplant werden können, weil es sie nämlich schon gibt? Mit Hunderttausenden oder Millionen von Einwohnern, und mit all jenen Narben, Runzeln und Schmuckstücken, die sich im Lauf der Jahrhunderte oder gar Jahrtausende ergeben haben? Das macht man mit Superblocks, heißt eine der derzeit spannendsten Antworten. In Barcelona wurde dieser Ansatz entwickelt, bei dem mit Autofreiheit und Straßenmöblierung ein Wohngebiet den Menschen zurückgegeben wird.
„Den Durchbruch brachten die Picknicktische”, sagt einer der Superblock-Macher aus Barcelona. Als diese Tische dort aufgestellt wurden, wo vorher noch eine Kreuzung war, wurde der einstige Straßenraum plötzlich als Platz der Begegnung verstanden und angenommen. Manche könnten ja dennoch der Meinung sein, dass mediterrane Lösungen nicht unbedingt zum hanseatischen Lebensgefühl passen – aber wenn sich sogar der Bergmannkiez in Berlin-Kreuzberg als Superblock aufbrezeln will, müsste das in Hamburg ja wohl auch möglich sein.
Autofrei, CO2-neutral, alle alltäglichen Ziele in fünf Minuten zu Fuß erreichbar: So kann das Superblock-Stadtviertel der Zukunft aussehen. Also eigentlich genauso wie sich die saudischen Planer ihre Neom-Zukunftsstadt vorstellen. Nur eben ohne 500 Milliarden Dollar dafür ausgeben zu müssen. Ein paar Picknicktische reichen.

 

Text: Detlef Gürtler