Wenn Ihnen Werbung mal wieder auf die Nerven geht – vielleicht tröstet es Sie ja, dass es anderen damit noch viel, viel schlimmer ging als Ihnen. Penelope zum Beispiel: Die Gemahlin des listenreichen Odysseus war jahrelang der fast ununterbrochenen Werbung von Herren ausgesetzt, die sie gerne als Trophäe, äh, Ehefrau, mit nach Hause genommen hätten. Penelopes heimkehrender Gatte löste das Problem mit den Brautwerbern dann auf eine Weise, die selbst den Ad-Blockern von heute zu rabiat wäre.
Die Werbeform, von der uns Homer da in der Odyssee berichtet, war seinen Zeitgenossen wohl bekannt: Brautwerbung wird in vielen Kulturen in der einen oder anderen Form betrieben. Mal zupackend, wie von den Römern beim Raub der Sabinerinnen praktiziert, mal mit höherem materiellen Aufwand, wenn Rinder oder Kamele als Werbungskosten eingesetzt werden. (EINgesetzt, nicht ABgesetzt – in viehbasierten Währungsräumen soll es zwar manchmal einen Fiskus gegeben haben, aber niemals Steuererklärungsformulare.)
Trotzdem kommt uns diese Art der Werbung heute etwas merkwürdig vor. Nicht nur wegen der Bräute und der Kamele, sondern auch weil in diesen Frühformen die Werbung von den Einkäufern gemacht wurde. Produzenten waren als Werbetreibende noch praktisch unvorstellbar: Sie waren meist nur auf Bestellung tätig. Wer hätte auch auf den Gedanken kommen sollen, in rauen Mengen irgendwelche Produkte herzustellen, und dann erst nach denen zu suchen, die einem das Zeug auch wieder abnehmen? Sicher, da gab es den einen oder anderen Marktschreier – aber es kam nun mal nur in den wenigsten Epochen und Gesellschaften zu dauerhafter Überproduktion, die Voraussetzung für Produzentenwerbung ist.
So richtig geändert hat sich das erst im 19. Jahrhundert, als zuerst die Industrialisierung die Massenproduktion möglich machte, dann mit der Eisenbahn die Entfernungen so zusammenschrumpften, dass Massenmärkte erschlossen werden konnten, und schließlich noch die Massenmedien erfunden wurden, die als Werbeträger das Massenprodukt dem Massenmarkt schmackhaft machen konnten. Der Rest ist Werbe-Geschichte, und war ein ganzes Jahrhundert lang, das 20., eine Erfolgsstory sondergleichen.
Allerdings könnte dieser Teil der Werbe-Geschichte demnächst zu Ende gehen. Denn Individualisierung und Digitalisierung sind gerade dabei, Massenproduktion, Massenmarkt und Massenmedien den Garaus zu machen; in welcher Reihenfolge das geschehen wird, ist noch umstritten, es kann auch allen zugleich an den Kragen gehen.
Nicht, dass wir dann nicht mehr konsumieren würden – aber wir wechseln dann die Wirtschaftsform. Wir gehen von einer „Attention Economy“, in der es darum geht, mit lautem Schreien Aufmerksamkeit für die Waren des Verkäufers zu erregen, in eine „Intention Economy“, in der es um das jeweils richtige Produkt geht. In dieser Ökonomie muss der potenzielle Verkäufer zuhören, um herauszufinden, welche Bedürfnisse der Kunde tatsächlich hat. Oder, wenn wir uns in die Perspektive desjenigen versetzen, der bislang nur als „Zielgruppe“ geringgeschätzt wurde: In der Intention Economy muss der Einkäufer klar machen, welche Art von Produkt oder Service er gerne haben möchte. Und um das den Lieferanten da draußen klar zu machen, wird er unter anderem Werbung machen – eine Art von Werbung, wie sie auch die alten Griechen und Römer verstehen würden. Werbung ’s coming home. Nur ohne Kamele.

 

Text: Detlef Gürtler