Mag sein, dass man uns für parteiisch hält, wir sind schließlich Heimat der Pfeffersäcke, aber sollten wir die Wahrheit verschweigen, nur weil sie uns gerade gut aussehen lässt? Es muss also gesagt werden: Keine Gesellschaftsordnung ist so wohlstandsfördernd und menschengerecht wie eine, die sich an den Bedürfnissen der Fernhändler orientiert. Und keine Stadt hat das in der Weltgeschichte so deutlich unter Beweis gestellt wie Hamburg.
Die mittelalterliche Hanse war der Idealtypus einer Kaufmannsrepublik. Keine Grenzen, keine Steuern, keine unsachgemäße Einmischung der Politik in das Wirtschaftsgeschehen, denn es gab keine vom Wirtschaftsgeschehen getrennte Politik: Die Fernhandelsherren schufen sich die Gesellschaftsordnung nach ihren eigenen Erfordernissen. Und als die Hanse im 16. Jahrhundert ihre Macht verlor, machte Hamburg noch ein paar Jahrhunderte nach dem alten Muster weiter. Von gelegentlichen Volksaufständen abgesehen, war die Stadtverwaltung etwa 700 Jahre fest in der Hand der großen Handelshäuser und -familien.
Nun kann man prinzipiell dagegen sein, dass Gesellschaftsordnungen nach den Bedürfnissen der Wirtschaft konstruiert werden, weil damit das Trachten nach materiellen Werten, nach Geld eben, quasi staatlich genehmigt werde, das Streben nach inneren Werten wie Glück und Liebe aber zu kurz komme. Allerdings hat sich immer wieder gezeigt, dass Ordnungen, die den Bedürfnissen der Wirtschaft zuwiderlaufen, nicht lange halten. Wenn also Orientierung an der Wirtschaft, dann am besten am Fernhandel. Denn diese Branche floriert am besten – wenn es überall leistungsfähige Industrien gibt, die an den Kernkompetenzen der eigenen Länder oder Regionen ansetzen und somit einen Austausch unter den Regionen ermöglichen; – wenn Arbeitsteiligkeit und Offenheit vorherrschen, weil dadurch eine Steigerung der Produktivität und eine dynamische Entwicklung möglich wird, und – wenn überall nicht nur Angebot, sondern auch Nachfrage existiert. Denn obwohl, einer alten Händlerregel zufolge, der Gewinn im Einkauf liegt: Realisiert werden kann er erst im Verkauf, und verkaufen kann man nur, wo Kaufkraft vorhanden ist.
In einer Zeit, als es in ganz Europa keine funktionierende staatliche Ordnung gab, produzierte die Hanse nicht nur Wohlstand, sondern auch Stabilität. Was sie hingegen nicht produzierte, waren einzelne, herausragende Reichtümer. Reiche Hanse- Kaufleute besaßen im 15. Jahrhundert ein Vermögen von 20 000 bis 40 000 Mark Lübisch, vergleichbar mit ein paar Millionen Euro heute. Aber keiner stach aus der Gruppe dieser einfachen Millionäre hervor. Denn auch das gehört zu den Konstruktionsmerkmalen einer auf Fernhandel ausgerichteten Wirtschaft: dass sie Reichtum fördert, Superreichtum hingegen verhindert.
Eigentlich paradiesisch, oder? Aber leider hat die Erfolgsgeschichte einen Haken, und zwar einen typisch paradiesischen: Sie ist langweilig. Wohlstand und Wohlbefinden wurden zu allen Zeiten von den Menschen gerne mitgenommen. Aber sie fesseln nicht. Man kann sich darüber nicht die Köpfe heiß reden. So ist am Ende noch jede Kaufmannsrepublik der Weltgeschichte von einem großen Nachbarn geschluckt worden, der nationale oder religiöse Aufwallung produzieren konnte. Das antike Milet von den Persern, das mittelalterliche Venedig von den Italienern, und das neuzeitliche Hamburg eben von den Deutschen.