So richtig lange gibt es die Influencer als Protagonisten des Werbefernsehens ja noch nicht – in meiner Jugend hatten eher die Mainzelmännchen eine solche Funktion. Aber Leute, die einem gute Ratschläge geben, was man tun oder lassen soll, haben natürlich schon eine deutlich längere Tradition. Wenn wir Eltern, Lehrer und Priester, die diese Aufgabe schon immer hatten, einmal ausklammern, gehörten zu den ersten Influencern – namenlose Sklaven im antiken Rom. Denn bei jedem Triumphzug musste dort derjenige Sklave, der den Lorbeerkranz über den Kopf des siegreichen Feldherrn hielt, ihm beständig Mahnungen ins Ohr murmeln: «Memento mori» – Bedenke, dass du sterben wirst, und «Memento te hominem esse» – Bedenke, dass du ein Mensch bist. Das hat zwar nicht immer die Entstehung von Cäsarenwahn verhindert, aber auch heute noch landet ja längst nicht jede Influencer- Botschaft einen Treffer.
Der Begriff der Influenz ist etwas neueren Datums: Er stammt aus dem Mittelalter. Damals bezog er sich auf eine inzwischen etwas aus der Mode gekommene Gruppe von Influencern: die Sterne. Denn «coeli influencia», der Einfluss der Gestirne, war den Klugen und Mächtigen im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit für so ziemlich alles verantwortlich. Könige und Feldherren ließen sich von Astrologen ihr Schicksal voraussagen, wobei die Besten ihres Fachs nicht so sehr glaskugelten, als vielmehr eine Coaching-Rolle einnahmen. Das Horoskop des Prager Hofmathematikers Johannes Kepler für Herzog Wallenstein mag diesem geholfen haben, das kaiserliche Heer im 30-jährigen Krieg von Sieg zu Sieg zu führen – warum auch sollte es in Kriegen keinen Placeboeffekt geben?
Ebenfalls auf den Einfluss der Sterne sollte nach damaligem Stand der Wissenschaft die Grippe zurückgehen, weshalb sie offiziell auch heute noch «Influenza» heißt. Zum Beginn der industriellen und medizinischen Revolution im 19. Jahrhundert war allerdings die Astrologie als Deutungsmuster nicht mehr aktuell – man schrieb die Grippe denn auch eher dem Einfluss der Kälte zu, da sie in erster Linie im Winter auftrat; so konnte man trotz neuer Erkenntnisse beim alten Namen bleiben.
Die heutige Form der Influencer entstand übrigens nicht, weil sich Werbeagenturen einen Spaß daraus gemacht hätten, neue Tiefpunkte der Marketingschlacht auszudenken. Ganz im Gegenteil verdanken wir sie einer tiefen Krise der Werbung. Mit ein paar Jahren oder Jahrzehnten Verspätung hatten die Agenturen nämlich endlich begriffen, dass Menschen der Werbung nicht glauben, dass sie den Botschaften von TV-Spots und Plakaten zutiefst misstrauen, und dass sie (völlig zurecht) davon ausgingen, dass Werbung nicht informieren soll, sondern nur verkaufen. Das gesamte Geschäftsmodell der Werbung war gefährdet, oder eigentlich schon gestorben. Sie hätten ihre Agenturen dichtmachen können.
Wollten sie aber nicht. Also suchten sie in genau den gleichen Studien, wem die Menschen denn eigentlich vertrauen. Empfehlungen von Freunden und Bekannten, war die Antwort. Und daraus entwarfen sie ihre neue Strategie. Dann braucht man doch nur ein paar Leute, die durch irgendwas bekannt werden, vom Urlaubsvideo im Tanga bis zu Fitnesstipps aus der Muckibude – und die bezahlt man dann dafür, dass sie Werbung für immer noch nicht bessere Produkte machen. Tschakka! Und deshalb paradieren jetzt Influencer durch YouTube und Instagram, halten irgendwelche Produkte in die Kamera und intonieren dazu ihr Memento consumi – bedenke, dass du konsumieren musst.