Neulich kam ein Freund von einer Stadtführung durch Berlin zurück. Er habe dort gelernt, dass es im ganzen Ostteil der Stadt früher keine Zebrastreifen gab – dem kommunistischen SED-Regime hätten das Geld und die Farbe gefehlt, um die Straßen mit Überwegen auszustatten. Kein einziger aus der Touristengruppe habe diese Geschichte in Frage gestellt – wenn der Stadtführer so etwas erzählt, wird er schon wissen, was er redet.
Es ist schon ein Kreuz mit den Touristen. Einerseits will man ihnen ja etwas erzählen, was sie noch nicht aus Wikipedia wissen, zweierseits soll es auch ein bisschen spannend oder einzigartig sein, man ist ja schließlich Einheimischer, und dreierseits bleibt da nicht viel übrig, denn das Spannende und Einzigartige steht natürlich meist bei Wikipedia – was soll man da machen, außer etwas gut Klingendes zu erfinden?
Am besten: einfach weiterlesen. Denn natürlich gibt es sie, die einzigartigen Hamburgensien, von denen kein Tourist jemals gehört hat, und die auch noch wahr sind. Einige davon habe ich Ihnen hier zusammengestellt. Angefangen mit der herausragenden politischen Bedeutung Hamburgs in Deutschland: Es ist die einzige Stadt des Landes, die Geburtsort zweier späterer Bundeskanzler war – Helmut Schmidt und Angela Merkel. Berlin hingegen mag sich zwar als Hauptstadt Europas fühlen und der Amtssitz der Bundesregierung sein, aber es hat weniger Kanzler hervorgebracht als Mossenberg-Wöhren, der Geburtsort Gerhard Schröders.
Doch nicht nur in Deutschland, auch in Europa spielt Hamburg eine einzigartig herausragende Rolle. Denn es ist die größte Stadt der EU – die nicht gleichzeitig Landeshauptstadt ist. Madrid, London, Paris, Athen mögen größer sein, ja, auch Berlin, vielleicht sogar Wien, aber die können eben alle von ihren Regierungs- Wasserköpfen zehren; Hamburg hingegen bringt es mit Wasser und mit Köpfen auf seine 1,8 Millionen Einwohner.
Einzigartig wird eine Stadt natürlich nicht nur dadurch, dass sie die Größte ist. Sie kann auch die Erste sein. Wie Hamburg im Jahr 1938. Denn damals wurde erstmals in Deutschland eine Straße asphaltiert – sie hieß Jungfernstieg. Und fast ein Jahrhundert zuvor wurde in Hamburg das erste Reportage-Foto ever gemacht. Es handelte sich um eine Aufnahme, die Hermann Biow im Jahr 1842 von der Hamburger Binnenalster machte. Die Daguerrotypie, vom Dach der Börse aufgenommen, zeigt die Zerstörungen, die der Großbrand Anfang Mai 1842 in Hamburgs Innenstadt angerichtet hatte.
Und noch ein paar Jahrhunderte zurück findet man noch weitere solcher Premieren. Für den Handel die erste deutsche Börse: Hamburg, 1558. Und für die Kultur das erste öffentliche Opernhaus Deutschlands: Hamburg, 1678.
Legt man Handel und Kultur zusammen, entstehen daraus Kunsthandel, Galerien, Ausstellungen. Und auch hier brachte Hamburg eine denkwürdige Einzigartigkeit hervor. Genauer gesagt: Winterhude. Und noch genauer: die Milchstraße. Denn in dieser Straße betrieb Gunter Sachs einst eine Galerie. Im Oktober 1972 veranstaltete er dort seine erste Ausstellung: Werke des New Yorker Pop-Art-Künstlers Andy Warhol, den Sachs auch selbst zur Vernissage einfliegen ließ. Die Hamburger Pfeffersäcke schafften die Sensation – während der Ausstellung kauften sie kein einziges Bild. Um seinen Freund Warhol nicht zu enttäuschen, kaufte deshalb Sachs selbst ein Drittel der Exponate, und bewies damit mehr Weitblick als die sonst dafür so bekannten Hanseaten.
Was bleibt zum Schluss? Wie bei jeder Nachrichtensendung: das Wetter. Denn auch das hat Hamburg zu einer Einzigartigkeit verholfen – nämlich in der deutschen Gebärdensprache. Dort wird das Wort “Regen” mit von oben nach unten tröpfelnden Fingern dargestellt. Nur das stürmische Hamburg brät sich eine Extrawurst: Denn dort läuft der Regen schräg, von links oben nach rechts unten.

 

Text: Detlef Gürtler