Wir kennen das ja, dass in Deutschland alles so langsam vorangeht. Von der Idee bis zum fertigen Produkt können Jahre, ach, Jahrzehnte vergehen – und wer zählt all die Antragsformulare, die bis dahin ausgefüllt werden müssen? Aber manchmal geht es auch anderswo so. Sogar in den USA kann das passieren. Dort vergingen fast zwei Jahrzehnte, bis aus der Idee eines Jungunternehmers ein Produkt wurde, das für die Logistikbranche zur revolutionärsten Innovation des 20. Jahrhunderts werden sollte; und auch den Hamburger Hafen von Grund auf veränderte.
Es begann im Jahr 1937, im Hafen von Hoboken, am Hudson River direkt gegenüber von Manhattan. Dort ärgerte sich der 23-jährige Kleinspediteur Malcom McLean darüber, wie lange das Be- und Entladen der Schiffe dauerte. Er hatte sich gerade mühsam das Geld für seinen ersten gebrauchten Lieferwagen zusammengespart, und jede Minute in der Warteschlange kostete ihn Zeit und Geld. Geld, das er nicht hatte. Das musste doch auch anders gehen, meinte McLean – und kam auf die Idee, einfach die vollgepackte Ladefläche des Lkw von Ort zu Ort zu transportieren. Weniger Wartezeit, weniger Ladezeit, weniger Stress, mehr Geschäft würden solche standardisierten Blechkisten bringen, da war er sich sicher. Aber auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten waren die Möglichkeiten eines Mikrospediteurs begrenzt, so etwas in einem von Megaspeditionen geprägten Markt durchzusetzen.
McLean wählte deshalb eine ähnliche Strategie wie Heinrich Schliemann, der am liebsten schon als Teenager Troja ausgegraben hätte – aber wovon? Erst Geld, dann Genialität, hieß seine Devise. 19-jährig begann er als Lagerarbeiter in Hamburg, wurde dann Kontorbote in Amsterdam und Kaufmann in St. Petersburg. Dort machte Schliemann auch sein Vermögen: im Krimkrieg, als er die Zaren-Armee an der Seeblockade vorbei mit Munitionsrohstoffen versorgte. Und dann, ab nach Troja.
Aber zurück zu Malcom McLean. Er tat alles, um groß genug zu sein, um mit seiner Idee ernst genommen zu werden. Anfang der 1950er Jahre verfügte seine Firma über eine Flotte von mehr als 1500 Lastwagen. Aber immer noch wollte keine Reederei mit ihm kooperieren. Mit gutem Grund, wie er feststellte: Für das Containergeschäft würden andere Schiffe und andere Häfen benötigt werden als bisher – und warum sollten sich die, die sich im Markt bequem eingerichtet hatten, für eine solche Umwälzung interessieren? Wenn er Container auf Schiffe setzen wollte, musste er mit eigenen Schiffen anfangen.
Das allerdings ging nicht: Lkw-Spediteuren war es damals in den USA verboten, auch Schiffe zu betreiben. McLean musste also seinen Container-Traum begraben – oder seine Firma verkaufen. Er entschied sich für Letzteres, setzte alles auf die neue Karte, verkaufte die Wagen, kaufte zwei ausrangierte Tanker und ließ sie für den Containertransport umbauen. Am 25. April 1956 stach das erste Containerschiff der Welt in See und befuhr die Route von Newark nach Houston.
Der Rest ist Geschichte, würde man jetzt gerne sagen. Aber die Branche leistete zäh Widerstand gegen die neumodischen Kisten. McLean musste auch das erste Containerterminal selbst eröffnen (Newark, 1961) und die erste Übersee-Route in Dienst nehmen (New York – Rotterdam, 1966). Erst danach, 30 Jahre nach dem ersten Einfall, eroberte der Container die Welt. Und 1968 auch Hamburg. Der Rest ist Geschichte.#

 

Text: Detlef Gürtler

Detlef Gürtler ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Er lebt in Berlin und im spanischen Marbella.