Hach, das waren Zeiten. Völlig egal, wann und was Sie studiert haben, Sie werden heute gerne daran zurückdenken. Sie waren jung, die Welt stand Ihnen offen, Sex and Drugs and Rock’n Roll, heiße Diskussionen in WG-Küchen, kalte Duschen von Wasserwerfern bei der Demo gegen was auch immer gerade das Apokalypse-Thema der Saison war. Ganz am Anfang Ihrer Bildungskarriere, mit 6 Jahren, war ihnen gedroht worden, dass jetzt der Ernst des Lebens beginne. Nun, zum Ende Ihrer Bildungskarriere, konnten Sie in vollen Zügen den Unernst des Lebens genießen.
Und in der Tat: Ein bisschen unreif waren Sie damals schon. Rein biologisch gesprochen. Denn der anatomische Wachstumsprozess des Menschen endet mit der Schließung der letzten Nähte zwischen den Schädelknochen – und das geschieht in der Regel erst im 23. Lebensjahr. Damit sind wir weltweit das Tier mit der längsten Wachstumsphase überhaupt; wohingegen uns im Pflanzenreich jeder Baum locker überbietet.
Die wichtigsten Wachstumsprozesse sollten an der Hochschule aber natürlich nicht am Kopf, sondern im Kopf stattfinden. Sie finden heraus, was Sie wirklich, wirklich interessiert. Sie lernen, Sie forschen, Sie lesen, Sie schreiben so viel wie niemals zuvor und niemals danach, um Ihr Wissen zu mehren; und gleichzeitig den Nutzen der Gesellschaft, die ja schließlich einen großen Teil Ihrer Studienkosten bezahlt. Das mit dem Nutzen klappt allerdings nicht immer gleich gut, was durchaus an Ihren Ausschweifungen liegen kann. Wobei: Sogar aus einem Studenten, der schwer betrunken seinen Penis in einen Schweinskopf steckte, kann noch ein britischer Premierminister werden. Andererseits hat exakt dieser Premierminister den Briten den Brexit eingebrockt, vielleicht sind da doch ein paar Gehirnzellen zu viel auf der Strecke geblieben.
Wenn es allein um den Nutzen des Studiums ginge, müssten einige Studiengänge geradezu verboten werden. Germanistik zum Beispiel. Vor zwei Jahrzehnten berechnete die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft die volkswirtschaftliche Gesamtrendite der Ausgaben für ein Studium. Schlusslicht der Studiengänge war eben diese Germanistik mit einer Negativ-Rendite von -5,7 Prozent. An der Spitze lag die Zahnmedizin mit einer Rendite von 11,6 Prozent vor Jura mit 9,3 Prozent.
Heute lässt sich das statistisch kaum noch messen, denn seit der Bologna-Reform ist die Zahl der Studiengänge ins Astronomische gestiegen. Jede Universität macht sich ihre Studienwelt widdewidde wie sie ihr gefällt. Wenn die einzelnen Lehrveranstaltungen problemlos über Credit Points anderswo anrechenbar sind, kann man ja die Überschrift frei Schnauze marketingoptimieren.
Dass vor Bologna alles besser war, wird zumindest durch die Studienbiografie von Hermann Oberth nicht bestätigt. 1922, mit 28 Jahren hatte der Physikstudent für seine Promotion alle wesentlichen Elemente erforscht und beschrieben, die für den Bau einer mit Flüssig-Treibstoff betriebenen Rakete mit mehreren Stufen erforderlich waren. Doch die Physikalische Fakultät seiner Universität Heidelberg lehnte die Annahme der Doktorarbeit ab: Der Bau von Raketen sei „keine klassische Physik“, und mit Fahrten zu den Planeten beschäftige sich nicht die Physik, sondern die Astronomie. Die Heidelberger Astronomen allerdings lehnten die Promotion ebenfalls ab – sie beschäftigten sich zwar mit den Planeten, aber nicht mit der Fahrt dorthin.
Oberth reichte daraufhin sein Werk als Diplomarbeit an der Technischen Universität Klausenburg in Rumänien ein. 1923 bestand er dort das Staatsexamen, seine Arbeit musste er auf eigene Kosten drucken lassen. Dieses Buch, »Die Rakete zu den Planetenräumen «, bildete die Grundlage für alle Raumfahrt- und Raketenprogramme des 20. Jahrhunderts.

 

Text: Detlef Gürtler ILLUSTRATION: RAPHAELA SCHRÖDER