Revolutionen sollten eigentlich schnell gehen. Alles wird umgewälzt, umgestülpt, das Alte gestürzt, das Neue bricht sich Bahn, oft mit Gewalt. Und wenn wir aus heutiger Sicht die Industrielle Revolution betrachten, so scheint da auch alles schnell gegangen zu sein. Mechanisierung, Industrialisierung, Massenproduktion, Stahl, Chemie und Eisenbahn verwandelten die biedermeierliche Beschaulichkeit des frühen 19. Jahrhunderts in hektisches Stadtleben, mit fauchenden Dampfmaschinen und rußverhangenen Mietskasernen.

Dabei war am Anfang von Hektik nicht die Spur – eher von Brettern vor Köpfen. Nehmen wir die Fabrik, sozusagen das Leitfossil der Industriellen Revolution: 1771 wurde die erste überhaupt gebaut, eine Baumwollspinnerei, von dem englischen Perückenmacher Richard Arkwright in Cromford. Aber lange 12 Jahre dauerte es, bevor diese Innovation den Sprung über den Ärmelkanal schaffte – in Ratingen wurde die erste Fabrik auf dem Kontinent eröffnet. Und bis in die Schweiz dauerte es noch einmal 18 Jahre länger. Ein reichlich zäher Siegeszug.

Der Grund für dieses Stocken: Energiemangel. Die ersten Maschinen in den ersten Fabriken mussten von ergiebig sprudelnder Wasserkraft angetrieben werden (wie schon ihr Name sagte: Waterframe), und das möglichst gleichmäßig und möglichst das ganze Jahr über – es gab in Europa nicht viele Standorte, die das leisten konnten. Und erst einen Staudamm bauen, um daraus die Energie für die Maschinen in der Fabrik zu gewinnen, das schien allen Beteiligten in der vorelektrischen Zeit doch zu viel Aufwand.

Dampfmaschinen hätten eine Lösung sein können. Aber wo es sie Ende des 18. Jahrhunderts überhaupt schon gab, wurden sie ausschließlich im Bergbau eingesetzt. Mit extrem geringen Wirkungsgraden von zwei bis vier Prozent dienten sie in erster Linie dazu, um permanent das Wasser aus den Bergwerksstollen abzupumpen. Die Welten von Bergbau und Industrie schienen einfach nicht zusammen zu passen.

Aus heutiger Sicht liegt die Lösung des damaligen Problems natürlich auf der Hand: Wenn man schon das ganze Wasser aus den Stollen abpumpt, kann man es an der Oberfläche ja auch über Wasserräder laufen lassen, die dann die Energie für die Textilfabriken liefern. Aber da musste man eben erst mal drauf kommen. Danach ging alles wirklich sehr schnell – und die Bergbauregionen wie an der Ruhr oder in Oberschlesien entwickelten sich zu den wichtigsten Industriezentren des 19. Jahrhunderts.

Vermutlich haben wir heute in ähnlicher Weise ein Brett vorm Kopf wie unsere Vorfahren vor gut 200 Jahren. Und wieder geht es um die Energie. Wir würden das mit den regenerativen Energiequellen so gerne in noch viel größerem Stil nutzen, um Rohstoffe zu sparen und nachhaltiger zu wirtschaften. Aber es klappt einfach nicht, weil ja der Strom aus der Steckdose kommen muss, und da muss er eben erst mal hinkommen, und das kostet und dauert. Die Menschen aus dem frühen 23. Jahrhundert werden sicherlich in ähnlicher Weise über unser Energieproblem lächeln wie wir über das Energieproblem des frühen Fabrik-Zeitalters. Für sie dürfte die Lösung völlig klar auf der Hand liegen. Und wenn wir sie erst einmal gefunden haben, werden wir uns auch fragen, warum da die ganze Zeit dieses Brett vorm Kopf war.

Von Detlef Gürtler

 

Detlef Gürtler ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Er lebt in Berlin und im spanischen Marbella.