„Wer schreibt, der bleibt“, ist eine äußerst lukrative Weisheit – für Buchverlage. Das Bedürfnis, der Um- und Nachwelt gleichermaßen einen bleibenden Wert zwischen zwei Deckeln zu hinterlassen, ist häufig so groß, dass der Erstlings-Autor nicht nur auf Honorar verzichtet, sondern umgekehrt den Verlag für die Publikation honoriert; und manchmal auch noch einen Ghostwriter. Wenn Ihnen also die gedruckten Lebenserinnerungen eines Gefäßchirurgen begegnen, die Wirtschaftsphilosophie eines Versicherungsvorstands oder die Reiseberichte eines Ingenieurs, haben Sie nicht so sehr ein Buch vor sich als vielmehr ein in Papier gehauenes Denkmal.
Mit einer Ausnahme. Denn ausgerechnet die Reiseerinnerungen eines Ingenieurs sollten sich zum lukrativsten Buch aller Zeiten entwickeln. Es hieß „La Transcaucasie et la Péninsule d‘Apchéron. Souvenirs de voyage“, erschien 1890, und der Autor war ein gewisser Calouste Gulbenkian. Dieser Reisebericht des 21-jährigen Absolventen eines Ingenieurstudiums in London beschrieb die Ölindustrie im Raum Baku – und die Lektüre brachte den Finanzminister des Osmanischen Reiches auf die Idee, ebenfalls ins Ölgeschäft einzusteigen. Er engagierte Gulbenkian als Berater für die anstehenden Öl- und Pipeline-Geschäfte. Und der fand schnell eine einfache Lösung: Für jede Förderkonzession und jede Pipeline wurde eine eigenständige Gesellschaft gegründet, in der die betreffende Ölfirma die unternehmerische Führung und die Anteilsmehrheit bekam – und Gulbenkian fünf Prozent der Unternehmensanteile als Vermittlungshonorar. Mehrere Fusionen und Transformationen später war aus dem jungen Sachbuchautor ein bedeutender Anteilseigner von Royal Dutch Shell und der BP-Vorläuferfirma Anglo-Persian Oil Company geworden.
Wenn man nur die direkten Erlöse aus dem Buchverkauf gelten lässt, ist es kein Ingenieur, der den größten Erfolg erzielte, sondern eine Lehrerin. Die Englischlehrerin Joanne Rowling nämlich, die die bislang einzige Person ist, die durch den Verkauf ihrer Bücher (okay, und der Filmrechte dazu) zur Milliardärin wurde. Wobei am Anfang auch bei ihr keine Rede davon sein konnte, dass hier bleibende Werte geschaffen werden könnten. Die frisch geschiedene arbeitslose Alleinerziehende Rowling lebte 1994/95 in Edinburgh von Sozialhilfe und schrieb in Cafés ein Kinderbuch – immer so lange, wie ihre kleine Tochter schlief. Die ersten zwölf Verlage, an die Rowling das fertige Manuskript von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ schickte, lehnten es ab. Verlag Nummer 13, Bloomsbury, gab Rowling schließlich einen Vertrag. Den Ausschlag dafür hatte das begeisterte Urteil der achtjährigen Tochter des Lektors gegeben. Die englische Startauflage des ersten Harry-Potter-Bandes lag 1997 bei 500 Stück. Die Startauflage des vierten Bandes im Jahr 2000 betrug etwa fünf Millionen.
Genau umgekehrt verlief gut ein Jahrhundert zuvor die Auflagenentwicklung einer anderen berühmten Publikationsserie: Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“. Die Startauflage des ersten Teils lag 1883 bei 1000 Stück – von denen allerdings nicht einmal 100 tatsächlich verkauft wurden. Den Druck des vierten Teils schließlich wollte Nietzsches Verleger nicht mehr übernehmen; und auch kein anderer Verlag. Also ließ der später große, damals aber noch praktisch unbekannte Philosoph diesen Teil 1885 privat und in nur 40 Exemplaren auf eigene Kosten drucken. Sowohl den späteren Welterfolg als auch den absoluten Flop zu Beginn hatte Nietzsche dabei schon im Untertitel des Zarathustra vorweggenommen: „Ein Buch für Alle und Keinen“.